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Schwerpunkt
Smartphones können die frühe Eltern-Kind-Interaktion stören
Die meisten von uns haben folgende Szene schon einmal beobachtet: Eine Mutter oder ein Vater ist mit einem Kind unterwegs und schaut auf das Smartphone, das Kind quengelt, doch man ist ganz und gar auf das Smartphone konzentriert. Diese Szene löst bei vielen von uns Fragen aus, ob und inwieweit die Eltern-Kind-Beziehung durch allzu intensiven SmartphoneGebrauch gestört wird. Dieser Beitrag fasst zusammen, welche Fragen bereits heute beantwortet werden können.
Von Agnes von Wyl, Katrin Braune-Krickau, Larissa Schneebeli und Jessica Pehlke-Milde
Die Omnipräsenz der Smartphones ist für unsere Zeit prägend. Fast 100 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer besitzen eines. Doch was macht Smartphones so populär? In der Tat gab es ja bereits vor der Einführung des Smartphones Internet und Handys, die beide ebenfalls stark unseren Alltag prägten. Doch erst durch die Verbindung von Tragbarkeit und Zugang zum Internet entstand das besondere Potenzial des Smartphones. Dass und wie durch seine Allgegenwärtigkeit der direkte zwischenmenschliche Austausch folgenschwer davon betroffen ist, wird im Folgenden erläutert. Das Smartphone mit seiner ständigen Verfügbarkeit und seinen Apps für soziale Medien trifft auf ein stark ausgeprägtes menschliches Bedürfnis nach Austausch. Gemäss Fonagy bieten digitale Medien dem natürlichen Kommunikationstrieb des Menschen eine ideale Plattform (1). Tomasello postulierte drei grundlegende menschliche Bestrebungen, die Kommunikation und Kooperation ermöglichen: Auffordern, Informieren und Teilen (2). King überträgt dies auf die sozialen Netzwerke: Auffordern, Informieren und Teilen sind zentral für die digitalen Medien (3). Gemäss Tomasello gehen diese menschlichen Kommunikationsaspekte im direkten Austausch mit «geteilter Aufmerksamkeit» einher, und diese ermöglicht kooperative Kommunikation und das Erreichen von gemeinsamen Zielen (2). Das jederzeit verfügbare Smartphone erlaube zwar die geteilte Aufmerksamkeit mit anderen unabhängig von realen Distanzen, führe jedoch zu einer Einbusse der geteilten Aufmerksamkeit mit dem physisch präsenten Gegenüber, wie King betont (3).
Fragmentierung der Face-to-faceKommunikation
McDaniel prägte den Begriff «technoference», im Zusammenhang von durch Technik verursachte Störungen (auch Technoferenz) (4). Damit benennt er die Interferenz
beziehungsweise die Unterbrechung von sozialen Interaktionen durch Technologie. Ausserdem ist inzwischen das Wort «phubbing» verbreitet, ein englisches Kofferwort aus «phone» (Telefon) und «snubbing» (to snub: brüskieren). Es bedeutet, sich mit dem Smartphone zu beschäftigen und gleichzeitig andere Anwesende in der sozialen Interaktion zu vernachlässigen. Studien konnten belegen, dass sich Erwachsene im direkten sozialen Austausch mit anderen weniger innerlich verbunden fühlen, wenn ein Smartphone benutzt oder nur schon präsent ist (5, 6).
Sogwirkung und kognitive Absorption
Ein weiteres Phänomen im Zusammenhang mit der
Smartphone-Nutzung wird von King als Sogwirkung be-
zeichnet (3). Andere verwenden den Begriff der kogniti-
ven Absorption. Sogwirkung oder kognitive Absorption
beziehen sich auf das Phäno-
men, dass man so sehr von seinem Gerät und dessen Nutzungsmöglichkeiten in den Bann gezogen wird, dass man die Aufmerksamkeit ganz von der realen Umwelt abwendet. Agarwal und Karahanna versuchten, die kog-
Studien konnten belegen, dass sich Erwachsene im direkten sozialen Austausch mit anderen weniger innerlich verbunden fühlen, wenn ein Smartphone benutzt oder nur schon präsent ist.
nitive Absorption zu operati-
onalisieren (7). Sie zählen zeitliche Dissoziation, Freude,
Kontrollgefühl und Neugier zu den Gründen, weshalb wir
uns absorbieren lassen. Dazu gehört ausserdem die so-
genannte Immersion, ein Begriff, der aus der Game-Ent-
wicklung kommt, aber auch bei der Entwicklung von
Apps berücksichtigt wird. Bei der Immersion geht es um
folgende Frage: Wie schafft man es, die Anwender und
Anwenderinnen dazu zu bringen, bei der Nutzung der
App einen Kontrollverlust zu erleben? Es ist davon aus-
zugehen, dass gerade diese immersiven, absorbierenden
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Aspekte der Smartphone-Nutzung problematisches Nutzungsverhalten begünstigen. Wie in der Gesamtbevölkerung nimmt auch bei Eltern von Säuglingen, Kleinkindern, Schulkindern und Jugendlichen die Smartphone-Nutzung zu. Allerdings wurden die Auswirkungen der Smartphone-Nutzung auf die Interaktion zwischen Eltern und Kind und die Familienbeziehungen bisher erst ansatzweise untersucht. Es ist jedoch besonders wichtig, sich mit der Bedeutung der elterlichen Smartphone-Nutzung für die Eltern-Kind-Interaktion in der frühen Kindheit zu befassen, da in diesem Altersabschnitt der Grundstein für viele Entwicklungsprozesse gelegt wird. Dabei spielen die elterliche Feinfühligkeit als mögliche Vermittlungsvariable für Zusammenhänge zwischen elterlicher Smartphone-Nutzung und Eltern-KindBeziehung sowie weitere Entwicklungsvariablen eine zentrale Rolle. Wir erstellten eine Übersicht über die bisherige Forschung zur Smartphone-Nutzung von Eltern und ihrer Beziehung zu Säuglingen und Kleinkindern (8) auf der Grundlage von 12 Publikationen empirischer Studien. Darunter befanden sich sowohl experimentelle als auch naturalistische Studien, die an Orten durchgeführt wurden, wo sich Eltern mit kleinen Kindern oft aufhalten (Spielplätze, Restaurants, Wartebereiche usw.).
Adaptierte Still-Face-Beobachtung
Es liegt nahe, das, was Babys oder Kleinkinder erleben,
wenn ihre Eltern mit dem Smartphone beschäftigt sind,
mit dem Still-Face-Experiment zu vergleichen (9). Bei die-
sem inzwischen klassischen entwicklungspsychologischen
Experiment werden die Eltern nach einer Phase des direk-
ten Austauschs mit ihrem Baby dazu aufgefordert, nicht
mehr auf ihr Baby einzugehen und ihm mit ausdruckslo-
sem Gesicht zu begegnen. Dies führt bei den Babys zu
teilweise dramatischen Reaktionen: Sie reagieren mit Irri-
tation, Abwendung, vermehrtem negativen Affekt, weni-
ger positivem Affekt sowie Selbstberuhigungsversuchen.
In einigen Studien verwendete man eine Smartphone-
adaptierte Version des Still-Face-Experiments (10–13).
Dabei wurde das ausdruckslose Gesicht der Mutter durch
deren Beschäftigung mit dem Smartphone ersetzt. Es
liessen sich bei den Säuglingen und Kleinkindern ähnli-
che Reaktionsmuster wie im ursprünglichen Still-Face-Ex-
periment beobachten. So
Grundsätzlich muss fest-
zeigten die Kinder weniger
gehalten werden, dass
Blickkontakt zur Mutter, ver-
der Forschungsstand keine
suchten, der Situation zu ent-
kausalen Ursachen-Wirkungs- kommen oder sich selbst zu
Zusammenhänge belegen
beruhigen, beispielsweise
kann.
durch Daumenlutschen (11).
Auch versuchten die Kinder,
die mütterliche Aufmerksamkeit zu gewinnen, oder sie
beschäftigten sich intensiver mit Spielzeug (12). Stock-
dale et al. fanden dabei einen Zusammenhang zur habi-
tuellen Dauer der elterlichen Smartphone-Nutzung im
Alltag: Je länger diese war, umso eher zeigten die Kinder
in der adaptierten Still-Face-Situation Fluchtverhalten
und Zuwendung zum Spielzeug (13). Eine generell hohe
Smartphone-Nutzung hing auch mit Schwierigkeiten zu-
sammen, nach der Still-Face-Phase des Experiments wie-
der einen guten Austausch zwischen Mutter und Kind zu
etablieren (10), auch war das Spiel dieser Kinder insge-
samt weniger explorativ (12).
Stillen und die Situation im Warteraum
Ein weiteres Experiment, das Situationen beim Stillen untersuchte, zeigte, dass sich Mütter, die während des Stillens ein Tablet nutzten, ihren Kindern gegenüber weniger feinfühlig verhielten als Mütter, die klassische Musik hörten (14). Ähnliches wurde während eines Experiments beobachtet, welches das Verhalten von Müttern und ihren Kindern beim Warten im Warteraum mit und ohne Smartphone untersuchte (15). Wenn die Mütter am Smartphone waren, zeigten sie signifikant weniger Zuneigung, und sie waren ihren Kindern gegenüber weniger responsiv und weniger unterstützend.
Auf dem Spielplatz und im Restaurant
In 6 Studien wurden Beobachtungen auf dem Spielplatz durchgeführt, einige kombiniert mit Beobachtungen im Restaurant (16–20). Der Anteil der Eltern sowie die Zeit, die Eltern während des Spielplatz- oder Restaurantbesuchs am Smartphone verbrachten, variierten stark zwischen den einzelnen Studien. Deutlich wurde jedoch, dass sämtliche Eltern während der Nutzung dazu tendierten, die Signale der Kinder zu ignorieren (16, 21) oder zeitverzögert auf sie zu reagieren (19). Teilweise übersahen die Eltern während ihrer Smartphone-Nutzung auch potenziell gefährliche Situationen, und sie waren angesichts kindlicher Frustration und Not weniger unterstützend (17). Die elterliche Smartphone-Nutzung korrelierte mehr als andere ablenkende Aktivitäten mit einem Rückzug der Eltern aus der Interaktion mit dem Kind (18). Aus Studien mit älteren Kindern gibt es eine Reihe weiterer interessanter Befunde. Zum Beispiel konnte gezeigt werden, dass gerade die Eltern von Kindern mit schwierigem Verhalten schnell zum Smartphone greifen, wodurch das Verhalten der Kinder noch schwieriger wird (22). Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt ist die Verminderung der verbalen Interaktion als Folge der elterlichen Smartphone-Nutzung (z. B. [23, 24]). Adoleszente, deren Eltern sich oft durch das Smartphone unterbrechen lassen, empfinden die Eltern als weniger warmherzig im Umgang mit ihnen (25). Zusammenfassend ergeben sich aus der bisherigen Forschung Hinweise darauf, dass bereits Babys und Kleinkinder auf die elterliche Smartphone-Nutzung reagieren und dass die elterliche Sensitivität insbesondere durch den Aspekt der Absorption beziehungsweise Immersion und möglicherweise auch durch die sogenannte Technoferenz vermindert wird. Eine wichtige Rolle scheint dabei auch die gewohnheitsmässige Nutzung im Alltag zu spielen. Darüber hinaus ergaben erste Studien auch, dass die elterliche Smartphone-Nutzung mit frühkindlichen Verhaltensproblemen in Zusammenhang steht oder bei den Kindern den Erwerb neuer Wörter beeinträchtigen kann (u.a. [26, 27]). Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass der Forschungsstand keine kausalen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge belegen kann. Die Studien sind häufig mit kleinen Fallzahlen durchgeführt und lassen vom Studiendesign her keine eindeutigen Schlüsse zu. Es fehlen insbesondere longitudinale Studien. Zudem wurde die Bedeutung der elterlichen Smartphone-Nutzung während des Übergangs zur Elternschaft und in den ersten postpartalen Monaten noch nicht erforscht. Dabei scheint die
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Forschung zur Bedeutsamkeit der Smartphone-Nutzung für Beziehungen gerade in dieser Lebensphase besonders relevant zu sein, in der Beziehungen sich zu verändern beginnen, neuen Herausforderungen ausgesetzt sind und insgesamt bei Eltern und Baby vielschichtige psychologische Entwicklungschritte stattfinden.
Technoferenz
Nutzung von PushDiensten
Durchschnitt und Art der täglichen Nutzung
Subjektive Einstellung
Immersion
Smart Start: Smartphone-Nutzung und Eltern-Kind-Beziehung
Um die Auswirkungen der elterlichen Smartphone-Nutzung auf die Eltern-Kind-Beziehung und die Entwicklung des Kindes zu untersuchen, wurde die Smart-Start-Studie als Kooperation zwischen dem Psychologischen Institut und dem Institut für Hebammen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) durchgeführt. Die Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert. Sie startete mit 95 Eltern und ihrem ersten Kind während der Schwangerschaft (t0). Weitere Erhebungszeitpunkte waren 6 bis 8 Wochen (t1) und 12 bis 16 Wochen (t2) nach der Geburt. Die Mütter waren im Durchschnitt 32,8 Jahre (SD = 3,37), die Väter 35,1 Jahre alt (SD = 5,20). Knapp 70 Prozent der Teilnehmenden waren Schweizerinnen und Schweizer. 69,5 Prozent der Mütter und 68,4 Prozent der Väter hatten einen Universitätsabschluss. 44 Kinder waren Mädchen, 51 Jungen.
t0 t1
Nutzungsdauer Smartphone oder Tablet pro Tag
Abbildung 2: Nutzungsdauer von Smartphone oder Tablet durch die Mütter vor (t0) und 6 bis 8 Wochen nach (t1) der Geburt
t0 t1
Impulsivität
Elterliche Sensitivität
Geburtserfahrung
Depressivität der Eltern Ängstlichkeit der Eltern Temperament des Kindes
Abbildung 1: Hypothesenmodell zur Smart-Start-Studie
Wir führten Fragebogenbefragungen, Elterninterviews
und Interaktionsbeobachtungen durch.
Gemäss dem in Abbildung 1 skizzierten Modell berück-
sichtigten wir sowohl Variablen des elterlichen Nutzungs-
verhaltens wie Technoferenz, Nutzung von Push-Diens-
ten und Immersion sowie Art und Dauer der täglichen
Nutzung als auch subjektive Einstellungen gegenüber der
Smartphone-Nutzung. Unsere Annahme lautete, dass Impulsivität als Persönlichkeitsmerkmal sowohl mit Technoferenz und der Nutzung von Push-Diensten als auch mit der elterlichen Feinfühlig-
Auf jeden Fall ist es sinnvoll, medienfreie Zeiten einzuschalten, in denen die «ungeteilte geteilte Aufmerksamkeit» in der realen Interaktion zum Kind ungestört stattfinden kann.
keit zusammenhängen
würde. Im Zentrum unseres Modells stand die elterliche
Feinfühligkeit. Diese stellt einen der wichtigsten Faktoren
für gelingende Eltern-Kind-Interaktionen dar, und sie
korreliert auch mit der Bindungsentwicklung. Die im Mo-
dell unten stehenden Variablen betreffen die Geburts-
erfahrung, elterliche Depressivität und Ängstlichkeit so-
wie das kindliche Temperament: Variablen, die
erwiesenermassen in der postpartalen Zeit eine grosse
Bedeutung haben und die elterliche Feinfühligkeit mass-
geblich beeinflussen können. Darüber hinaus wurden
qualitative Interviews mit 10 Müttern zu mehreren Zeit-
punkten geführt.
Zurzeit arbeiten wir an der Auswertung der Studien
ergebnisse. In der Folge werden wir erste Daten zu Ver-
änderungen des elterlichen Nutzungsverhaltens sowie
Abb. 2Ergebnisse der qualitativen Befragung der Mütter vor-
stellen. Auswertungen hinsichtlich der Zusammenhänge
zwischen den verschiedenen Variablen der Smart-
phone-Nutzung und dem Elternverhalten sowie der El-
tern-Kind-Interaktion können zum aktuellen Zeitpunkt
noch nicht präsentiert werden.
Nutzungsdauer Smartphone oder Tablet pro Tag
Abbildung 3: Nutzungsdauer von Smartphone oder Tablet durch die Väter vor (t0) und 6 bis 8 Wochen nach (t1) der Geburt
Elterliche Smartphone-Nutzung: Nutzungsdauer in Stunden
Die Eltern wurden gefragt, wie viel Zeit (in Stunden) sie
täglich mit Aktivitäten am Smartphone oder Tablet verbringen. Wie die Abbildungen 2 und 3 zeigen, änderte
sich die von den Müttern und Vätern geschätzte Nut-
zungsdauer über die 3 Erhebungszeitpunkte hinweg
kaum. Die Mütter gaben eine etwas höhere Nutzungs-
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1. SMS/WhatsApp nutzen
2. Surfen im Internet 3. Social Media nutzen
(Facebook, Instagram usw.)
1. SMS/WhatsApp nutzen
2. Social Media nutzen 3. Spezifische Apps bezüglich
Baby und Entwicklung nutzen
Geburt
1. Online News lesen
2. SMS/WhatsApp nutzen 3. Surfen im Internet
1. SMS/WhatsApp nutzen
2. Online News lesen 3. Surfen im Internet
Abbildung 4: Häufigste Smartphone-Aktivitäten der Mütter und Väter vor (t0) und 6 bis 8 Wochen nach (t1) der Geburt
dauer an, der Unterschied war jedoch nicht signifikant. Weiter wurde gefragt, wofür das Smartphone am meisten eingesetzt wird (Abbildung 4). Bei den Müttern wurde nachgeburtlich das Surfen im Internet durch die Nutzung von Apps bezüglich Babypflege und Entwicklung verdrängt. Wie die Mütter nutzten auch die Väter nach der Geburt am häufigsten SMS/WhatsApp. In Interviews befragten wir einige der Mütter jeweils vor der Geburt und 3 Monate postpartal ausführlich zu ihrem Umgang mit dem Smartphone (28). Die Antworten pendelten zwischen der Befürchtung, dass die Zeit am Smartphone schädlich für den Beziehungsaufbau zum Baby sein könne, und zugleich dem Eindruck, dass das Smartphone einen wichtigen Draht zur Aussenwelt darstelle. Dank des Smartphones konnten Beziehungen zu Familie und Freundinnen einfacher aufrechterhalten werden. Die Mütter fühlten sich weniger isoliert und gelangten damit auch schneller an wichtige Informationen bezüglich der Versorgung des Babys. Die folgenden Zitate verdeutlichen die Überlegungen der Interviewpartnerinnen: ● Mirjam: «Und eben natürlich mit meiner Mutter tele-
fonieren ja, mit WhatsApp mit Kamera und so, und ja auch das Baby zeigen, Fotos schicken und so. Das ist schon sicher etwas, wo ich meine Familie mehr dran teilhaben lassen kann, als wenn ich jetzt kein Smartphone hätte.» ● Svenja: «Und ehm ... und ich denke schon, dass dann das Smartphone noch wichtig ... sein könnte, dass man irgendwie doch noch so das Gefühl hat, man ist so ein bisschen mit der Aussenwelt in Verbindung ...» ● Felicitas: «Es macht es einfacher, um kurz irgendwie ein WhatsApp zu schicken ... oder irgendwo ... mal auf den sozialen Medien irgendwie schnell die Posts zu liken oder so, dass einfach irgendwo, dass der Kontakt noch näher da ist. Ja. Ich habe das Gefühl, das ist schon durch das Smartphone massiv multipliziert ... ganz klar.»
Fazit
Wir möchten betonen, dass es uns nicht um moralische Aspekte der elterlichen Smartphone-Nutzung geht, auch geht es nicht darum, dass Kinder die ständige ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern bräuchten. Genauso wie El-
tern Zeitung lesen, telefonieren und anderweitig Zeit für sich beanspruchen, sollen sie selbstverständlich auch das Smartphone benutzen. Dennoch ist davon auszugehen, dass elterliche Smartphone-Nutzung in Anwesenheit des noch sehr jungen Kindes einen womöglich negativen Einfluss auf die Familienbeziehungen hat. Die bisherige Forschung ergab Hinweise darauf, dass eine hohe habituelle SmartphoneNutzung anhaltende Auswirkungen auf die Eltern-KindInteraktion und die darauffolgende kindliche Entwicklung hat. Auch scheint hinsichtlich des Elternverhaltens insbesondere der Nutzungsaspekt der kognitiven Absorption relevant zu sein, wogegen sich kurze Unterbrüche eher weniger stark auswirken. Für die befragten Mütter aus unserer Studie ist die Smartphone-Nutzung mit ambivalenten Gefühlen verbunden. Da Mütter nach der Geburt des ersten Kindes häufig eine enorme Umstellung ihres sozialen Lebens erfahren, sollten auch positive Aspekte der Nutzung, wie zum Beispiel die Beziehungspflege, beachtet werden. Gleichzeitig geht die Nutzung mit der Befürchtung einher, die gelebte Beziehung zum Kind zu stören. Für die praktische Nutzung des Smartphones in der frühen Phase der kindlichen Entwicklung erscheint uns da-
her wichtAigbzbu.b4etonen, dass es fast unmöglich ist, zwi-
schen Smartphone und Interaktion mit den Kindern hin und her zu wechseln. Abgesehen davon, dass die Eltern ihre Aufmerksamkeit auf das Gerät richten und dadurch allenfalls Signale des Kindes verpassen, wird durch länger dauernde Smartphone-Nutzung in Anwesenheit des Kindes auch schlichtweg Zeit aufgewendet, welche zur Interaktion mit dem Kind genutzt werden könnte (29). Wichtig ist darüber hinaus die Tatsache, dass es für das Kind kaum möglich ist, die Emotionen und Reaktionen der Eltern einzuordnen, die an ihre Tätigkeiten am Smartphone gekoppelt sind.
Welche Empfehlungen kann man daraus für Eltern ableiten?
Fachleute raten, eine anhaltende, absorbierte Nutzung in Anwesenheit des Kindes zu vermeiden und sich bewusst zu machen, dass auch Eltern das Ausmass ihrer kognitiven Absorption tendenziell unterschätzen. Sinnvoll ist es bestimmt, stark absorbierende Tätigkeiten auf dem Smartphone in Anwesenheit des Kindes zu vermeiden, wie beispielsweise Spiele zu spielen, Filme zu schauen oder Mails zu beantworten. Zudem ist es wichtig, sich als Eltern immer wieder bewusst zu machen, dass das Kind die auf das Smartphone bezogenen emotionalen Reaktionen nicht nachvollziehen kann. Auf jeden Fall ist es sinnvoll, medienfreie Zeiten einzuschalten, in denen die «ungeteilte geteilte Aufmerksamkeit» in der realen Interaktion zum Kind ungestört stattfinden kann, damit es nicht allzu sehr irritiert wird. Zusätzlich möchten wir aufgrund der Erkenntnisse unseres Überblickartikels besonders Eltern mit einer generell hohen Nutzungsdauer dazu raten, ihre Nutzungszeit zu reduzieren und – falls das Schwierigkeiten bereiten sollte – Unterstützung bei Suchtberatungsstellen zu holen. Zudem sind Eltern Vorbilder für ihre Kinder hinsichtlich deren späterer eigener Smartphone-Nutzung, sodass es auch deswegen hilfreich ist, einen bewussten Umgang mit digitalen Medien zu pflegen. Als Richtwerte für Bild-
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schirmzeiten für Kinder werden von der Suchtprävention Zürich folgende Werte empfohlen (30): ● 0 bis 3 Jahre: keine Bildschirmmedien ● 3 bis 5 Jahre: bis 30 Minuten täglich ● 6 bis 9 Jahre: bis 45 Minuten täglich ● 10 Jahre: bis 1 Stunde täglich.
Ausblick
Da wir insbesondere die Auswirkungen von problematischer elterlicher Smartphone-Nutzung auf die ElternKind-Beziehung über die ersten postpartalen Monate hinaus noch besser verstehen möchten, wird unsere Smart-Start-Studie mit der Smart-Toddlers-Studie ergänzt. Für die Smart-Toddlers-Studie sollen zusätzlich zum bisherigen Studiensample weitere 60 Familien rekrutiert werden. Insbesondere werden Eltern mit einer hohen Nutzungsdauer gesucht. Die Eltern werden erneut mithilfe von Fragebögen zu ihrer Smartphone-Nutzung befragt, auch werden Symptome von Depression und Ängstlichkeit erhoben. Zudem werden wir nun kindliche Verhaltensprobleme sowie die Sprachentwicklung erfassen. Darüber hinaus wird eine Smartphone-adaptierte Still-Face-Untersuchung durchgeführt, auf deren Ergebnisse wir besonders gespannt sind.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Agnes von Wyl Leiterin Fachgruppe Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Pfingstweidstrasse 96, 8037 Zürich E-Mail: agnes.vonwyl@zhaw.ch
Interessenlage: Die Autorinnen erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen.
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