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KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
ALLERGO UPDATE 2021
Update Anaphylaxie und Insektengiftallergie
Mit Autoinjektor und Immuntherapie hat man auch schwere Formen im Griff
Insektengiftallergien seien der häufigste Auslöser einer Anaphylaxie im Erwachsenenalter, erklärte Prof. Margitta Worm von der Charité Berlin auf dem diesjährigen Allergo Update. Eine spezifische Immuntherapie kann Abhilfe schaffen, ist jedoch nicht in jedem Fall einer Insektengiftallergie indiziert.
Betrachtet man die weltweite Häufigkeit von Insektenstichen, zeigen nur 2 bis 3 Prozent der Gestochenen systemische Reaktionen. Jedoch ist eine Insektenstich-getriggerte Anaphylaxie ein Risikofaktor für schwere Reaktionen. Daten aus dem Anaphylaxieregister zeigen, dass es bei Anaphylaxien auf Insektengift im Vergleich zu anderen Anaphylaxien seltener zu gastrointestinalen oder respiratorischen, jedoch häufiger zu kardiovaskulären Symptomen kommt (1). Oft verlaufen die Reaktionen nach Insektenstichen zudem schwerer und betreffen mehrere Organsysteme. Manchmal fehlen jedoch Hautreaktionen.
Akutmassnahmen je nach Hauptsymptomatik
Das Standardprozedere bei Insektenstichallergien entspricht dem Vorgehen bei Nahrungsmittelallergien: ▲ Allergenzufuhr stoppen ▲ symptomorientierte Lagerung ▲ gegebenenfalls intravenöser Zugang ▲ Adrenalin- und Sauerstoffgabe ▲ Demonstration und Verordnung eines Adrenalin-
Autoinjektors (2). Die aktuellen Leitlinien liefern Empfehlungen für die Verordnung von Notfallsets zur Soforthilfe. Die euro-
kurz & bündig
s Patienten mit Insektengiftanaphylaxie zeigen häufiger kardiovaskuläre Symptome, was womöglich auch mit der Häufung der Erkrankung im Alter zu tun hat.
s Gerade bei schwer betroffenen Patienten können Hautsymptome fehlen, was dazu führen kann, dass die Anaphylaxie nicht erkannt wird.
s Die molekulare Diagnostik hat die Diagnostik der Insektengiftallergie verbessert. s Risikofaktoren beeinflussen die Prognose der Erkrankung, das Behandlungsergebnis
und die Therapiedauer. s Die Erkenntnisse über die Risikofaktoren für schwere Reaktionen werden zunehmend
einen Einfluss auf die Therapiedauer haben.
päische Behörde verlangt dabei von allen zugelassenen Autoinjektoren Daten zur Pharmakokinetik und -dynamik, was z. B. auch für den EPIPEN® durchgeführt wurde. Im mittleren lateralen Oberschenkelmuskel injiziert, führte er − auch bei Übergewichtigen mit vermehrt subkutanem Fettgewebe − zu einem raschen Anstieg des systemischen Adrenalins (3). Nach Ausführung von Worm gibt es deutliche Produktunterschiede (Abbildung 1).
Komponentendiagnostik der Insektengiftallergie
Worm empfahl, bei Vorliegen von lediglich gesteigerten Lokalreaktionen keine Diagnostik durchzuführen, um die Patienten nicht zu irritieren, denn nicht selten fände man vermehrt IgE (Sensibilisierung gegen Biene und/oder Wespe 41,6% sIgE > 0,35 kU/l, 55,3% sIgE > 0,10 kU/l) und würde damit die Patienten nur verunsichern (4). Bei Patienten mit einer systemischen Allgemeinreaktion mit zeitlichem Zusammenhang zu einem Stich hingegen sei eine ausführliche In-vivo- und In-vitro-Diagnostik indiziert (Bestimmung des spezifischen IgE Biene/Wespe, Gesamt-IgE, titrierter Hautpricktest 1-10-100 μg). Um herauszufinden, ob eine Doppelsensibilisierung vorliege oder einfach nur eine Kreuzreaktivität, riet sie, in die rekombinante Allergiediagnostik einzusteigen. Bei Doppelpositivität könne anhand der Einzelkomponenten die primäre Sensibilisierungsursache bestimmt werden, was letztlich auch eine therapeutische Konsequenz habe, so Worm (5).
Wer kommt für eine Immuntherapie infrage?
Gegebenenfalls wird eine allergenspezifische Immuntherapie (SIT) eingeleitet, der die Referentin ein hohes Schutzpotenzial attestierte (Bienengift SIT: 85–90% Protektion; Wespengift SIT: 95–98% Protektion). Bei leichter anaphylaktischer Reaktion ist keine Immuntherapie indiziert. Die aktuelle europäische Leit-
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Konzentration nach 5 Minuten (pg/ml)
250
200
150
100
50
0 EPIPEN® 300 µg*2
(n = 37)
–29%
–31%
–53%
Jext® 300 µg#2
(n = 37)
Emerade® 500 µg
(n = 35)
Emerade® 300 µg
(n = 35)
Abbildung 1: Maximale Adrenalin-Plasmakonzentrationen bei diversen Adrenalinautoinjektoren (Quelle: Vortrag Worm)
Anzahl eingeleiteter VIT
602
Rückgang von 48,50%
310
März bis Juni 2019
März bis Juni 2020
Abbildung 2: Weniger Immuntherapien während des ersten Lockdowns in Deutschland (VIT = venom immunotherapy) (9).
linie besagt, dass eine SIT Biene/Wespe nicht angezeigtist,wennlediglichLokalreaktionen(einschliesslich grösserer lokaler Schwellungen von mehr als 10 cm über einen Zeitraum von 24 Stunden) aufgetreten sind. Gleiches gilt, wenn ausschliesslich eine Sensibilisierung ohne jegliche systemische Reaktion nachgewiesen wurde (6). Empfohlen wird gemäss der europäischen Leitlinie bei Insektengiftallergie eine Immuntherapie jedoch bei Personen mit systemischen Reaktionen, die über generalisierte Hautreaktionen hinausgehen, bzw. bei Menschen mit generalisierten Hautsymptomen (einschliesslich Urtikaria, Angioödemen), sofern ihre Lebensqualität beeinträchtigt ist. Dementsprechend empfiehlt die europäische Leitlinie dann die Einleitung einer Immuntherapie (6). Bei Tryptaseerhöhung und/oder Mastozytose, ebenso bei überschiessenden ernsten Reaktionen empfehlen Stoevesand et al. sogar eine verlängerte Immuntherapie (7).
Gibt es Prädiktoren für schwere Reaktionen?
Bis jetzt existiert nur eine Datensammlung zu Indikatoren aus Beobachtungen und Einzelfallberichten,
die z. B. erhöhte Tryptasewerte, Sensibilisierung gegenüber Api m 4 oder aber Polymorphismen bestimmter Gene ins Visier genommen haben. In Zukunft könnten diese jedoch vermehrt einen Einfluss auf die Therapieentscheidung und -dauer haben, so die Überzeugung der Referentin. Potenzielle Indikatoren für schwere anaphylaktische Reaktionen auf Insektenstiche und tödliche Anaphylaxien sind das Alter (Bienen) und männliches Geschlecht (Wespen), wie britische, australische, kanadische und US-amerikanische Studien zeigten (7). In einer Kohorte mit überwiegend deutschen Insektengiftallergikern wurden Mastozytose und kardiovaskuläre Erkrankungen als Risikofaktoren für schwere Reaktionen identifiziert, Asthma hingegen schien für Insektengiftallergien keinen Risikofaktor darzustellen (8). Unter Betablockern kann die Ansprechbarkeit auf Adrenalin verändert sein – so wiesen Studien auf ein erhöhtes Risiko für schwere systemische Reaktionen bei Patienten unter Betablocker- oder ACE-Hemmer-Therapie hin. Patienten reagierten schwerer, sofern sie Betablocker, ACE-Hemmer und auch Acetylsalicylsäure eingenommen hatten. Worm erläuterte, dass angesichts des Nutzen-Risiko-Profils eine Betablocker- (einschliesslich Augentropfen, die Betablocker enthalten) oder ACE-Hemmer-Therapie jedoch fortgesetzt werden könne, allerdings müssten die Betroffenen über mögliche Risiken informiert werden. Hier handle es sich immer um Einzelfallentscheidungen. In der geänderten Fachinformation von Extrakten zur SIT stellen Betablocker und ACE-Hemmer keine Kontraindikationen mehr dar.
Einfluss der SARS-COV-2-Pandemie auf die Immuntherapie
Beobachtungen in den Allergiezentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigten, dass von März bis Juni 2020 weniger Immuntherapien eingeleitet wurden als im vergleichbaren Zeitraum des Jahres davor. «Wir haben während der Lockdown-Zeit im Jahr 2020 einen Rückgang von 48,5 Prozent erlebt», betonte Worm (Abbildung 2): «Mittlerweile haben wir das bei uns wieder aufgeholt.» Das beeinflusste die Qualität der medizinischen Betreuung von Insektengiftallergikern, da der Lockdown 2020 just in den Zeitraum fiel, als auch der Insektenflug begonnen hatte. In der Folge wurde eine Reihe von Empfehlungen zur Betreuung von Insektengiftallergikern während der SARS-CoV-2-Pandemie erarbeitet. «Wir hatten einen eingeschränkten ambulanten Bereich, aber die Insektengiftpatienten sind natürlich die ganze Zeit versorgt worden», beteuerte Worm. Sie fügte hinzu, dass man bei der Anaphylaxie die Notfallmedikamente auch über die Videosprechstunde abstimmen könne. So kam es zum verstärkten Einsatz von Telefon- und Videosprechstunden.
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Eine Neueinleitung einer Insektengiftimmuntherapie
sollte zeitnah innerhalb der Saison erfolgen. Eine un-
eingeschränkte ambulante Fortführung einer begon-
nenen Insektengiftimmuntherapie (ausser bei selbst
an COVID-19 erkrankten Patienten) sei unter Ausnut-
zung der zulässigen Injektionsintervalllängen mög-
lich, ergänzte Worm.
s
Susanne Kammerer
Quelle: 11. Allergo Update, 18.– 19. März 2021.
Referenzen: 1. Francuzik W et al.: Phenotype and risk factors of venom-induced anaphylaxis: A
case-control study of the European Anaphylaxis Registry. J Allergy Clin Immunol. 2021;147(2):653-662.e9.
2. Ring J et al.: Leitlinie (S2k) zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie − Update 2021. Allergo J. 2021;30(1):20-49.
3. Worm M et al.: Epinephrine delivery via EpiPen ® Auto-Injector or manual syringe across participants with a wide range of skin-to-muscle distances. Clin Transl Allergy. 2020;10:21.
4. Blank S et al.: Prevalence of Hymenoptera venom allergy and sensitization in the population-representative German KORA cohort. Allergo J Int .2019;28:183-191.
5. Jakob Th et al.: Diagnostics in Hymenoptera venom allergy: current concepts and developments with special focus on molecular allergy diagnostics. Allergo J Int. 2017;26(3):93-105.
6. Sturm GJ et al.: EAACI guidelines on allergen immunotherapy: Hymenoptera venom allergy. Allergy. 2018;73(4):744-764.
7. Stoevesandt J et al.: Risk factors and indicators of severe systemic insect sting reactions. Allergy. 2020;75(3):535-545.
8. Francuzik W et al.: Phenotype and risk factors of venom-induced anaphylaxis: A case-control study of the European Anaphylaxis Registry. J Allergy Clin Immunol. 2021 Feb;147(2):653-662.e9
9. Worm M et al.: Healthcare provision for insect venom allergy patients during the COVID-19 pandemic. Allergo J Int. 2020;29(8):257-261.
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