Transkript
KASUISTIK
Der kosmetische Fall aus der Praxis
Erythema ab igne
MARGUERITE KRASOVEC RAHMANN
Marguerite Krasovec Rahmann
Eine 30-jährige Patientin präsentierte sich in unserer Praxis mit einem asymptomatischen Ausschlag am Abdomen seit 3 Monaten. Sie berichtete, dass sie sich damals bei der Kosmetikerin einer Kryolipolyse des Bauchfetts unterzogen habe. Bei diesem kosmetischen, nicht invasiven Body-Contouring-Verfahren werden die Adipozyten durch Kälte zerstört. Initial werden die Haut und das Fettgewebe mit einem Vakuum angesaugt und auf minus 10 Grad abgekühlt. Da Adipozyten temperaturempfindlich sind, kommt es zu einer Apoptose via Kristallisation und zu einer lokalisierten Atrophie des Fettgewebes. Während der Prozedur verspürte die Patientin starke Schmerzen; danach war die Haut des Bauchs geschwollen und gerötet. Ob nach der Prozedur Applikationen von Wärme durchgeführt wurden, war nicht eruierbar. In der Untersuchung fiel eine sehr schlanke Patientin auf. Am Abdomen fanden sich retikuläre und netzartige Hyperpigmentierungen ohne epidermale Beteiligung (siehe Abbildung). Aufgrund der Klinik stellten
© Krasovec Abbildung: Erythema ab igne bei einer 30-jährigen Patientin
wir die Diagnose eines Erythema ab igne (Erythema
e calore).
Erythema ab igne (Erythema e calore) ist eine durch
chronische und repetitive Wärmereize oder Infrarot-
bestrahlungen hervorgerufene netzförmige Derma-
tose an der Kontaktstelle der Wärmequelle. Die Hit-
zequellen sind Wärmflaschen, elektrische Heizkissen,
Autoheizungen, Kaminfeuer, Sitzheizungen im Auto
oder Laptops. Die durch regelmässige Wärmeappli-
kationen auftretenden Überwärmungen liegen un-
terhalb der Schmerzgrenze (< 45 °C) und führen nicht zu Verbrennungen. Es kommt zunächst zu dem rot gefärbten, netzförmigen Livedobild und später zu einer zunehmenden Hyperpigmentierung in dem vorgegebenen Livedomuster. Beim Betrachten der Patientin fiel auf, dass sie sehr schlank beziehungsweise mager erschien. Dass sich eine solch dünne Frau einer Kryolipolyse unterzieht, würde zur klinischen Diagnose einer Anorexia ner- vosa passen. In der neuropsychiatrischen Literatur sind Fälle von Erythema ab igne bei Anorexia und Bulimia nervosa bekannt. Die Patientinnen leiden an einem allgemeinen Kältegefühl und an einem Gefühl von überfülltem Magen nach dem Essen. Diese Sym- ptome werden durch längere Applikation von Wärme gelindert. Patienten mit Essstörungen haben eine er- höhte Schmerzgrenze, welche diese langen Anwen- dungen erlauben und zu einem Erythema ab igne führen. Anorexia nervosa ist mit einer abnormalen peripheren vaskulären Antwort auf Kälte assoziiert. Es findet sich ebenfalls eine übermässige Antwort auf Kältestimuli und eine subnormale zentrale Tempera- tur, sodass die Patienten häufig frieren. Bei unserer Patientin bleibt unklar, ob das Erythema ab igne durch die Kryolipolyse, eine spätere über- mässige Applikation von Wärme oder durch die Anorexia nervosa oder durch alle drei Faktoren ver- ursacht wurde. Falls die Kryolipolyse eine Rolle spielte, so wurde das in der Literatur noch nicht be- schrieben. Letztlich bleibt auch die Indikation einer kosmetischen Kryolipolyse bei einer bereits auffällig schlanken Frau fragwürdig. s SZD 2/2021 11