Transkript
Respiratorische Infektionen
Drei Fälle aus der Praxis
Schwerpunkt
Ein klinisches Bild eines akuten Abdomens oder doch etwas anderes? COVID-19 trotz negativer PCR? Erkältung oder Keuchhusten? Im Folgenden werden drei kurze Kasuistiken aus dem pädiatrischen Alltag vorgestellt.
Von Markus A. Rose und Friedrich Reichert
Fall 1: Akutes Abdomen – oder doch nicht?
Ein 7-jähriges statomotorisch retardiertes Mädchen wird unter dem klinischen Bild eines akuten Abdomens in der Notaufnahme vorgestellt. Bei Zeichen einer Peritonitis sind Sonografie des Abdomens und Röntgenübersicht inklusive der basalen Lungenabschnitte unauffällig, die Appendix ist nicht darstellbar. Mit abführenden Massnahmen bessert sich die Symptomatik zunächst deutlich, sodass von einer Laparoskopie abgesehen wird. Am Folgetag fiebert das Kind hoch auf, und die diagnostische Reevaluierung zeigt links basal ein abgeschwächtes Atemgeräusch sowie radiologisch und sonografisch eine ausgeprägte Lobärpneumonie im linken Unterlappen mit Begleiterguss (Abbildung 1). Das CRP steigt von initial 1,3 mg/dl auf 23,3 mg/dl, die Leukozyten von 18 000/μl auf 25 000/μl mit 88 Prozent neutrophilen Granulozyten. Unter anhaltendem Fieber erfolgt eine antiinfektive Therapie mit Ampicillin/Sulbactam und Gentamicin. Im Punktat des Ergusses: 8600 Leukozyten/μl, Glukose 3 mg/dl, LDH 459 U/l. Kein Erregernachweis im Direktpräparat, in der Kultur oder der eubakteriellen PCR. Bei Hinweisen auf Einschmelzung therapeutische Eskalation mit Clindamycin, da das bei abszedierenden Pneumonien durch Staphylokokken einen Vorteil bringen kann. Nach 5 Tagen entfiebert das Kind, nach weiteren 5 Tagen kann die antibiotische Therapie auf orale Verabreichung umgestellt werden (sequenzielle Antiinfektivatherapie). Die Entlassung erfolgt 19 Tage nach der stationären Aufnahme. Eine nach weiteren 2 Wochen durchgeführte ambulante Verlaufskontrolle zeigt eine weitgehende Normalisierung des radiologischen Befundes, sodass bei dem klinisch genesenen Kind die antiinfektive Therapie beendet wird. Kommentar: Eine Unterlappenpneumonie ist immer als Differenzialdiagnose eines akuten Abdomens im Kindesalter zu bedenken. Durch die transphrenische peritoneale Reizung kann eine ausgeprägte Abwehrspannung entstehen. Es gibt durchaus Fälle von Patienten mit Unterlappenpneumonie, die wegen der initialen Manifestation als akutes Abdomen primär diagnostisch laparoskopiert und/oder appendektomiert werden. In der frühen Phase
einer Lobärpneumonie (<12 – 24 h) können Labor und auch Röntgenbild noch unauffällig sein. Eine wichtige Tugend beim Krankheitsbild der komplizierten Pneumonie ist die Geduld. Eine chirurgische Intervention ist in der Mehrzahl der Fälle entbehrlich, und sie trägt sogar zu einem vermehrten Risiko bei, unter anderem für Fisteln. Kinder mit Pleuraempyem oder pulmonalen Abszessen können auch unter einer adäquaten leitliniengerechten, antibiotischen Therapie noch einige Tage weiterfiebern. Da nach Einschmelzung der Pneumonie im Verlauf ein asymmetrisches Thoraxwachstum auftreten kann, sind eine diesbezügliche Beobachtung und ggf. Physiotherapie zur Skoliosevermeidung wichtig. Fall 2: COVID-19 trotz negativer PCR-Tests? Ein uns bekanntes mehrfachbehindertes Mädchen mit unklarer syndromaler Erkrankung und neurogener Schluckstörung mit Zustand nach rezidivierenden Aspirationspneumonien wird mit den klinischen Zeichen einer Pneumonie (Fieber, Tachypnoe, erhöhter O2-Bedarf) vorgestellt. Zuvor litt das Kind schon seit einer Woche unter einem Luftwegsinfekt. Abbildung 1: Die diagnostische Reevaluierung zeigt links basal ein abgeschwächtes Atemgeräusch sowie radiologisch und sonografisch eine ausgeprägte Lobärpneumonie im linken Unterlappen mit Begleiterguss. 1/21 Pädiatrie 13 Schwerpunkt Abbildung 2: Radiologisch zeigt sich eine virale Pneumonie mit ausgeprägter interstitieller Zeichnungsvermehrung. Im Labor zeigt sich bei Aufnahme ein CRP von 13,1 mg/dl, eine Lymphopenie von <1000/μl sowie eine Neutrophilie mit 77 Prozent (10 800/μl absolut). Radiologisch ist eine virale Pneumonie mit ausgeprägter interstitieller Zeich- nungsvermehrung zu sehen (Abbildung 2). Mehrere SARS-CoV-2-PCR-Tests aus den oberen Atemwegen sind unauffällig, ebenfalls eine PCR aus einem durch ein Hus- tenassistenzsystem gefördertes Sputum. Bei bekannter Aspirationsneigung und schlechtem Allgemeinzustand be- Die Pertussisimpfung schützt nicht vor einer vorübergehenden Besiedelung, sodass auch ginnen wir eine antibiotische Therapie mit Ampicillin/Sulbactam Geimpfte eine Infektionsquelle und Gentamicin. Nach für gefährdete Patienten sind. 9 Tagen mit hohem O2-Bedarf kommt es schliesslich zur klinischen Besserung. Aufgrund schwieri- ger Venenverhältnisse kann erst kurz vor Entlassung Se- rum für eine SARS-CoV-2-Serologie gewonnen werden, welche sich hoch positiv zeigt (IgG > 400 AU/ml).
Kommentar: Letztlich weist die Gesamtkonstellation
aus Klinik, Röntgen und Serologie auf eine stattgehabte
COVID-19 hin. Im Gegensatz zu anderen Virusinfektio-
nen ist bei SARS-CoV-2 das CRP oft deutlich erhöht. Die
negativen PCR sind ebenfalls erklärbar, da die Viruslast in
den oberen Atemwegen bei COVID-19 oft schon nach
wenigen Tagen wieder unter die Nachweisgrenze sinkt.
Eine bei COVID-19 oft mit Hypoxämie einhergehende
Pneumonie entwickelt sich erst 5 bis 7 Tage nach Beginn
der Symptomatik, sodass die PCR hier schon wieder ne-
gativ sein kann. Das IgG steigt 1 bis 2 Wochen nach Be-
ginn der Infektion an. Retrospektiv gehen wir bei dem
Mädchen somit von einer COVID-19-Pneumonie aus.
Fall 3: Junger Säugling mit Erstickungsanfällen – Keuchhusten?
Ein 2 Monate altes Mädchen wird in der Notaufnahme vorgestellt, nachdem es 2 Wochen unter quälendem Husten gelitten hat und daheim bei Hustenattacken mit nachfolgenden Atempausen mehrfach von seinen Eltern zur Atmung stimuliert werden musste. Die gesamte Familie war 2 Wochen zuvor «erkältet». Bei der Laboruntersuchung imponiert eine lymphozytäre Leukozytose (34 000/μl mit 66% Lymphozyten), ein für Keuchhusten pathognomischer Befund. Der Verdacht wird durch einen PCR-Nachweis von Bordetella pertussis aus dem Rachenabstrich bestätigt.
Das kleine Mädchen erhält 7 Tage ein Makrolid (Clarithromycin), und es muss eine Woche mit Sauerstoffvorlage stationär bleiben; die Symptomatik mit Dyspnoe, Hustenattacken und Apnoen bessert sich nur langsam. Kommentar: Zu beachten ist bei Keuchhusten die empfohlene Chemoprophylaxe für Kontaktpersonen: Wer in den letzten 5 Jahren keine Pertussisimpfung erhalten hat, wird ebenfalls 7 Tage, zum Beispiel mit Clarithromycin, behandelt (analog zur Therapie). Wer Kontakt zu Risikopatienten hat (z. B. nicht geimpfte Menschen, Säuglinge, Herzkranke, Immunsupprimierte), soll auch dann eine Prophylaxe bekommen, wenn die letzte Impfung weniger als 5 Jahre zurückliegt. Die Impfung schützt nämlich nicht vor einer vorübergehenden Besiedelung; somit können auch geimpfte Menschen eine Infektionsquelle für gefährdete Patienten darstellen. Kürzlich wurde gezeigt, dass Pertussis in der Lage zu sein scheint, durch Antigenalternierung der impfinduzierten Immunität auszuweichen – eine mögliche Ursache für den Anstieg der Infektionszahlen. Da die Pertussisimpfung im Vergleich zu anderen Routineimpfungen nur einen moderaten Schutz induziert, sind hohe Durchimpfungsraten umso wichtiger. Dementsprechend wurden als Antwort auf steigende Erkrankungszahlen die Pertussisimpfempfehlungen in den letzten Jahren mehrfach erweitert. Nach der Grundimmunisierung sind Auffrischimpfungen im Vorschul- sowie im Jugendalter empfohlen. Erwachsene sollen bei der nächsten TetanusDiphtherie-Impfung einen Kombinationsimpfstoff mit azellulärer Pertussiskomponente bekommen, ebenso soll bei Indikationsimpfungen gegen Tetanus (z. B. bei verschmutzten Wunden) ebenfalls immer ein Kombinationsimpfstoff mit azellulärer Pertussiskomponente genutzt werden. Leider erhalten Patienten in chirurgischen Notaufnahmen teilweise immer noch reinen Tetanusimpfstoff. Die letzte Neuerung ist die Empfehlung, alle Schwangeren möglichst früh im 3. Trimenon zu impfen, um die häufigen sehr schweren Verläufe bei Neugeborenen und jungen Säuglingen zu verhindern (Nestschutz). Details zur Pertussisimpfung in der Schweiz finden Sie in dieser Ausgabe auf Seite 15 (10 Fragen zur Pertussisimpfung). Keuchhusten ist eine für Säuglinge potenziell lebensbedrohliche Atemwegsinfektion, die durch eine konsequente Durchimpfung der Allgemeinbevölkerung eingedämmt werden kann.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Markus A. Rose, M.P.H. Ärztlicher Leiter Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und CF Klinikum Stuttgart/Olgahospital Kriegsbergstrasse 62 D-70174 Stuttgart E-Mail: m.rose@klinikum-stuttgart.de
Interessenlage: F. Reichert gibt an, dass kein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag besteht. M. A. Rose hat finanzielle Unterstützung für Forschungsprojekte und Kongressbesuche sowie Vortragshonorare von Impfstoffherstellern erhalten. Das hat keinen Einfluss auf den vorliegenden Beitrag.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift «Kinderärztliche Praxis» 6/2020. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgte mit freundlicher Genehmigung durch die Autoren und den Kirchheim-Verlag.
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