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Im Fokus: Maligne Hauttumoren
Chirurgische Therapie des malignen Melanoms
Standardisierte Techniken und plastisch-chirurgische Möglichkeiten
Diagnostik und Therapie des malignen Melanoms sind durch nationale und internationale Richtlinien weitgehend standardisiert. Die chirurgische Behandlung ist von der Tumordicke in Millimetern (BreslowWert) abhängig und umfasst in kurativer Absicht die Kontrolle der lokalen und der lymphogenen Ausbreitung. Neben den operativen Standards werden die plastisch-chirurgischen Möglichkeiten vorgestellt.
URS HUG, DORRIT WINTERHOLER, RIK OSINGA, ELMAR FRITSCHE
Urs Hug
Dorrit Winterholer
Rik Osinga
Elmar Fritsche
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Dem malignen Melanom kommt innerhalb der Gruppe der Hauttumore aufgrund seiner Aggressivität sowohl bei betroffenen Personen wie auch bei der behandelnden Ärzteschaft eine besondere Aufmerksamkeit zu. Die Bedeutung dieser Krankheit wird durch die steigende Inzidenz (Stand im Jahr 2010: 3–20/100 000/Jahr mit einem Nord-Süd-Gefälle) unterstrichen (1). Da die Chirurgie in der Regel die Therapie der ersten Wahl bei einem neu diagnostizierten malignen Melanom darstellt, sind die Operateure mit dem Wunsch nach einer umfassenden Aufklärung über Genese, Therapie und auch Prognose der Krankheit konfrontiert. Die Planung der Aufklärung und der Therapie (inklusive Staging) des Patienten wird durch die exakt formulierten und von der Projektgruppe Melanom der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) unterstützten Richtlinien in der aktuellen Version «Updated Swiss guidelines for the treatment and follow-up of cutaneous melanoma» aus dem Jahr 2011 stark erleichtert (2). Die nachfolgend beschriebenen Vorgehensweisen basieren massgeblich auf diesen Richtlinien. Es sollen die standardisierte Chirurgie im Allgemeinen und plastisch-chirur-
ABSTRACT
Surgical treatment of cutaneous melanoma
There are clear, standardized guidelines to treat melanoma of the skin. These guidelines are internationally recognized and only differ minimally. Surgical treatment mainly depends on the thickness of the tumor (Breslow’s depth). The main goal – if surgery is performed in a curative intention – is to control the tumor locally and to prevent lymphogenous spreading. Operative standards are explained and plastic surgical examples are illustrated.
Keywords: melanoma of the skin, guidelines, treatment, plastic surgery
gische Möglichkeiten im Speziellen aufgezeigt werden. Seltene und ungewöhnlich lokalisierte maligne Melanome, wie beispielsweise auf Schleimhäuten oder auf der Retina, werden nicht thematisiert.
Grundsätze des Stagings und der chirurgischen Therapie
Die Diagnose des malignen Melanoms wird in den meisten Fällen mittels Biopsie einer verdächtigen Hautveränderung durch den Haus- oder Hautarzt gestellt. Mit Vorteil wird eine solche Biopsie als vollständige Exzisionsbiopsie mit kleinem Sicherheitsabstand vorgenommen. Anhand der histopathologischen Aufarbeitung kann so neben der Diagnose bereits der definitive Breslow-Wert (absolute Dicke des malignen Melanoms in mm) bestimmt werden, welcher für die Planung der notwendigen Therapie entscheidend ist (3). Wird beispielsweise eine Punch-Biopsie nicht im dicksten Anteil eines malignen Melanoms durchgeführt, so wird der Breslow-Wert der Biopsie eventuell zur Insuffizienz von Staging und Therapie führen. Es gilt aber festzuhalten, dass es in der Literatur keine Hinweise darauf gibt, dass eine unvollständige Biopsie mit allfälliger Tumorzellstreuung zu vermehrter Metastasierung führt. Das ist insbesondere bei Tumoren mit flächiger Ausdehnung (z.B. Lentigo-maligna-Melanom) oder an ungünstiger Lage (z.B. Ohrmuschel), wo eine Exzisionsbiopsie nicht realistisch ist, von Bedeutung. Die Histopathologie sollte von einem Institut mit ausreichender Erfahrung erstellt werden. Es ist erwiesen, dass sich die Therapie gerade bei malignen Melanomen mit Breslow-Werten um 1 mm je nach Expertise der befundenden Histopathologen in bis zu 16% der Fälle verändern kann. In der Folge wird empfohlen, die Behandlung von Patienten mit malignen Melanomen grundsätzlich in multidisziplinären Zentren vorzunehmen (4).
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Timing Es wird empfohlen, die operative Behandlung innert 4 bis 6 Wochen nach Diagnosestellung durchzuführen. Entsprechend sollte der Sprechstundentermin möglichst frühzeitig und mit genügender Länge eingeplant werden. Die Aufklärung erfolgt stadiengerecht in Abhängigkeit des Breslow-Wertes, welcher das chirurgische Prozedere bestimmt. Ziel der Behandlung ist die Kontrolle der lokalen Tumorsituation (inklusive Ausbreitung per continuitatem) sowie der lymphogenen und hämatogenen Metastasierung. Die Tabelle fasst zusammen, inwiefern der Breslow-Wert das chirurgische Vorgehen definiert.
Lokale Kontrolle Zeigen sich die Tumoranteile lediglich in situ oder liegt der Breslow-Wert unter 1 mm, so genügt die lokale Tumorkontrolle im Sinne der Nachexzision als einzige Massnahme. Aber auch bei Breslow-Werten über 1 mm bleibt die Nachexzision um die Narbe der Exzisionsbiopsie respektive um die Reste des nicht vollständig entfernten Melanoms fester Bestandteil der Therapie. Die empfohlenen Sicherheitsabstände betragen 0,5 cm für In-situ-Melanome, 1,0 cm für Breslow-Werte unter 2 mm und 2,0 cm für BreslowWerte ab 2 mm (2).
Lymphsystem Mit steigenden Breslow-Werten steigt die Wahrscheinlichkeit der Metastasierung, die in erster Linie lymphogen und seltener hämatogen abläuft. So liegt beispielsweise die Rate der Metastasierung in regionale Lymphknoten bei Breslow-Werten zwischen 1 und 4 mm bei 16 bis 22% (3, 5, 6). Zur Kontrolle dieser lymphogenen Metastasierung und als Teil des Stagings kommt das Konzept des Sentinel- oder Wächterlymphknotens zum Einsatz. Dabei wird radioaktiv (Technetium 99) markiertes Humanalbumin in die Haut um die Narbe der Exzisionsbiopsie injiziert, welches dann die gleichen Lymphwege wie allfällig weitergeleitete Tumorzellen nimmt und im ersten angelaufenen Lymphknoten gefiltert wird. Mittels zweidimensionaler Gammakamera oder in unklaren Fällen mittels dreidimensionaler SPECT-CT sowie unter Berücksichtigung der Verteilungsdynamik bestimmen und markieren die Nuklearmediziner die Lage des Sentinellymphknotens. Hin und wieder müssen auch zwei oder mehr Lymphknoten in einer Region und/oder in mehreren Regionen als Sentinellymphknoten eingestuft werden. So ist beispielsweise eine Zellstreuung aus dem Oberbauch in beide Axillen und beide Leisten möglich. Im Durchschnitt werden pro Patient 1,2 Lymphknoten als Sentinel entnommen (7). Ergänzend ist festzuhalten, dass die Aussagekraft des Sentinellymphknotens im Kopf-HalsBereich durch stark verzweigte Abflusssysteme eingeschränkt ist. Intraoperativ können Sentinellymph-
Tabelle:
Bestimmung der initialen Therapie und des Stagings aufgrund des Breslow-Wertes
Breslow-Wert
In situ < 1 mm 1–2 mm 2–4 mm > 4 mm
Sicherheitsabstand 0,5 cm 1 cm
2 cm
Sentinel –
+
Bildgebendes Staging
–
Thorax-Röntgen, Sonografie Abdomen und Lymphknotenregion PET-CT
knoten mittels einer eindimensional funktionierenden Gammasonde identifiziert werden. Das Ausmass der Metastasierung im Sentinellymphknoten wird unterschiedlich beschrieben und als eventuell wichtigster prognostischer Faktor für das Überleben von Patienten mit malignem Melanom kontrovers diskutiert (5, 6, 8). Naheliegend kann der mikroskopisch bestimmte Durchmesser herangezogen werden, wobei ab 2 mm von einer Makrometastase respektive unter 2 mm von einer Mikrometastase gesprochen wird (6, 7). Am aktuellsten sind jedoch die Angaben der amerikanischen Fachgesellschaften für Klinische und Chirurgische Onkologie, welche Makrometastasen als klinisch palpabel und Mikrometastasen als nur mikroskopisch erkennbar (unabhängig vom effektiven Durchmesser) definieren (5). In beiden Fällen ist die Indikation zur komplettierenden Lymphadenektomie der betroffenen Region gegeben (3, 7). In Abweichung zu früheren Arbeiten inklusive der Schweizerischen Richtlinien (2, 8) sehen die amerikanischen Guidelines (und in der Folge ebenfalls die Autoren der vorliegenden Arbeit) auch Ansammlungen mit einem Durchmesser unter 0,2 mm oder den Nachweis einzelner Tumorzellen als Indikation zur Lymphknotenausräumung (3, 5). Im Durchschnitt werden in 20% der durchgeführten komplettierenden Lymphadenektomien weitere befallene Lymphknoten gefunden (3, 5, 7). Insgesamt ist die Datenlage zum Nutzen der Lymphknotenchirurgie beim malignen Melanom hinsichtlich des Überlebens nach wie vor unzureichend. Bis jetzt scheint es, dass durch diesen Anteil der Therapie wohl das rezidivfreie, nicht aber das gesamte Überleben verlängert wird (5, 9). In Einzelfällen können mit diesen Argumenten Abweichungen von den Richtlinien begründet werden. Unter Berücksichtigung der Morbidität ist die Indikation zur Lymphknotenchirurgie beispielsweise bei einem alten Patienten mit schweren Begleiterkrankungen kritisch zu diskutieren. Andererseits ist die Indikation zur Sentinellymphknotenexstirpation bei einem jungen und gesunden Patienten mit beispielsweise Breslow-Wert von 0,9 mm in Abweichung von den Richtlinien eher grosszügig zu stellen. Die Rate an positiven Sentinellymphknoten
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Kasten 1:
Fallbeispiel 1: 52-Jähriger mit verändertem Nävus
Dieses Fallbeispiel ist exemplarisch für die Mehrheit der chirurgisch behandelten Melanompatienten. Dem 52 Jahre alten Mann wurde durch den Hausarzt ein sich verändernder, pigmentierter Nävus als Exzisionsbiopsie aus der rechten Flanke entfernt. Der histologische Befund ergab ein malignes Melanom vom nodulären Typ mit einem Breslow-Wert von 1,4 mm und tumorfreien Resektionsrändern. Bei unauffälligem klinischem und bildgebendem Staging (Thoraxröntgen in zwei Ebenen, Sonografie des Abdomens sowie der Axilla und der Leiste rechts) erfolgte die Nachexzision um die Narbe der Primärexzision mit einem Sicherheitsabstand von 1 cm nach allen Seiten. Abbildung 1 zeigt die Exzision dieser Hautspindel inklusive des subkutanen Fettgewebes bis zur darunter liegenden Faszie. Abbildung 2 demonstriert die intraoperative Verwendung der Gammasonde zur exakten Lokalisierung des radioaktiv markierten und in der Axilla lokalisierten Sentinellymphknotens. Beide Wunden konnten direkt verschlossen werden, Abbildung 3 zeigt die resultierenden zwei geraden Narben.
Abbildung 1: Situs der Nachexzision in der rechten Flanke, links im Wundbereich Faszie, rechts die zu resezierende Hautspindel mit Subcutis.
Abbildung 2: Situs der Sentinellymphknotenexstirpation in der rechten Axilla, rechts die Gamma-Sonde.
Abbildung 3: Situs Flanke und Axilla rechts nach Wundverschluss und axillärer Einlage einer Redondrainage.
bei sogenannt dünnen Melanomen (Breslow-Wert unter 1 mm) wird auf 5,1% geschätzt, wobei insbesondere Breslow-Werte zwischen 0,75 mm und 0,99 mm mit zusätzlich prognostisch negativen Eigenschaften (Ulzeration, hohe Mitoserate) betroffen sind (5).
3 bis 5 mm zu detektieren. In den allermeisten Fällen wird das präoperative Staging keinerlei Hinweise auf Metastasen ergeben; dieses Resultat ist auch Voraussetzung, um die Operation als Therapie der ersten Wahl in kurativer Absicht durchzuführen (1, 2).
Hämatogene Metastasierung Die systemische Metastasierung wird präoperativ klinisch und mittels Bildgebung beurteilt. Liegt der Breslow-Wert unter 1 mm, so beschränkt sich das Staging auf eine klinische Untersuchung. Mit Werten zwischen 1 mm und 4 mm werden zusätzlich ein Thoraxröntgen in zwei Ebenen sowie eine Sonografie des Abdomens und der zu erwartenden Lymphknotenregion empfohlen. Ab einem Breslow-Wert von 4 mm sollte primär eine PET-CT (Fusion von Positronenemissionstomografie und Computertomografie) durchgeführt werden. Diese ist in der Lage, Metastasen mit einem minimalen Durchmesser von
Standardisierte Durchführung der chirurgischen Therapie
Der erste chirurgische Schritt besteht entweder aus der alleinigen Nachexzision (Breslow-Wert unter 1 mm) oder aus der Kombination von Nachexzision und Exstirpation des Sentinellymphknotens. Die alleinige Nachexzision wird in der Regel unter ambulanten Bedingungen und unter Analgosedation in Lokalanästhesie ausgeführt. Kommt die Sentinellymphknotenexstirpation hinzu (Breslow-Wert ab 1 mm), wird eine stationäre Behandlung und eine Vollnarkose (oder zumindest Spinalanästhesie im Falle der Melanomlokalisation in der unteren Körperhälfte
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mit inguinaler Sentinellage) notwendig. In diesem Fall wird der Patient am Vortag der Operation stationär eintreten und die Eintrittsuntersuchungen sowie die Markierung des Sentinellymphknotens durchlaufen. Die bildgebenden Staginguntersuchungen können am Eintrittstag oder ambulant vor dem Eintritt durchgeführt werden. Nach unkomplizierter Operation wird der Patient das Spital normalerweise am ersten postoperativen Tag verlassen können (s. Kasten 1 mit Fallbeispiel 1). Die meistens spindelförmige und einen Direktverschluss erlaubende Nachexzision hat dabei eine sehr geringe Komplikationsrate (7). Die Sentinellymphknotenchirurgie wird in 10% der Fälle durch Lymphozelen oder Serome mit allfällig sekundärer Infektion kompliziert (5), die Rate an Rehospitalisationen und Reoperationen beträgt 3% (6). Die standardisierte histopathologische Untersuchung des Sentinellymphknotens wird aufgrund einer zu hohen Fehlerquote im Schnellschnittverfahren immer elektiv durchgeführt und nimmt ungefähr fünf Arbeitstage in Anspruch. Bei Tumorfreiheit ist die chirurgische Therapie abgeschlossen, im anderen Falle ist die komplette respektive komplettierende Lymphadenektomie der betroffenen Region als zweiter chirurgischer Schritt indiziert. Die ebenfalls unter stationären Bedingungen und in Vollnarkose (oder Spinalanästhesie) durchgeführte Lymphknotenausräumung der Leiste (oberflächlich femoro-inguinal) oder der Axilla (Levels I und II) wird entgegen der häufigen Erwartung selten zu einem persistierenden Lymphödem führen. Die Ansammlung von Lymphe im Wundgebiet erfordert aber die Drainage über mehrere Tage, was zu einer gemittelten Aufenthaltsdauer von 9 Tagen für die Axilla und 14 Tagen für die Leiste führt (6). Trotzdem steigt die Komplikationsrate aufgrund von Lymphozelen, Wundheilungsstörungen und Infektionen auf 20 bis 51% an (5, 6). Die Nachbehandlung kann sich in diesen Fällen als sehr mühsam erweisen und sich über mehrere Wochen hinziehen. Beispielsweise können Folgeeingriffe nach inguinaler Lymphadenektomie in bis zu 26% der Fälle notwendig werden. Die Lymphknotenausräumung im Halsbereich erfolgt gemäss der anatomischen Notwendigkeiten als «neck dissection» der entsprechenden Levels und ist mit deutlich geringeren Hospitalisationszeiten (6 Tage) und Komplikationsraten (8%) behaftet (6). Nach erfolgter Wundheilung ist die chirurgische Therapie der ersten Linie abgeschlossen. Ist keine adjuvante Therapie indiziert beziehungsweise finden keine onkologischen Beratungsgespräche statt, so muss mit Abschluss der chirurgischen Therapie festgelegt sein, durch wen die notwendigen Nachkontrollen erfolgen. Entscheidend ist das Wissen um die Entstehung von 90% aller Metastasen innerhalb von 5 Jahren nach der Erstdiagnose sowie um die Tatsache, dass 62% aller Rezidive von den Patienten selber entdeckt werden (2, 10).
Im Fall der Metastasierung der Krankheit kann die Chirurgie in sehr unterschiedlicher Weise entweder in kurativer Absicht bei Vorliegen einzelner Metastasen oder palliativ (aus Gründen der Schmerzen oder der Wundpflege) bei multiplen Metastasen zur Anwendung kommen. Hier muss eine individuelle Problemlösung unter Konsultation der benötigten Fachspezialisten gesucht werden (1).
Variationen der plastischrekonstruktiven Chirurgie
Wie oben besprochen ist die Chirurgie zur Behandlung des malignen Melanoms weitgehend standardisiert. Während die Lymphknotenchirurgie kaum Spielraum zulässt, sind bei der Nachexzision aber nur die notwendigen Sicherheitsabstände vorgegeben (1, 2). Die Art und Weise des Verschlusses der entstehenden Defekte wird offen gelassen. In den meisten Fällen gestaltet sich dieser Verschluss unkompliziert. Hautreserven im Bereich des Rumpfes, des Halses, der Ober- und Unterarme sowie der Ober- und Unterschenkel erlauben in der Regel einen Direktverschluss nach spindelförmiger Nachexzision. Je geringer die Hautreserven in der Umgebung der Nachexzision sind und je grösser der Sicherheitsabstand ist, umso unwahrscheinlicher wird jedoch die Möglichkeit der Direktnaht. Erfahrungsgemäss erfordern insbesondere der Gesichts- und Kopfbereich sowie die Knöchel-, Hand- und Fussbereiche häufig eine plastisch-rekonstruktive Deckung entstandener Weichteildefekte. Dabei ist jeder Fall anders, und die Operationsplanung wird individuell sein müssen. Zur Anwendung kommen alle Anteile der «rekonstruktiven Leiter», welche umfasst: ▲ Direktnaht ▲ Heilung per secundam intentionem ▲ Spalthaut- oder Vollhauttransplantation ▲ Dermisäquivalente in Kombination mit Spalthaut ▲ Nahlappenplastiken ohne axiale Blutgefässe ▲ Nahlappenplastiken mit axialen Blutgefässen ▲ Fernlappenplastiken ▲ freie Lappenplastiken (mikrochirurgisch anasto-
mosiert). Parallel zur Schwierigkeit der Defektdeckung steigt auch der chirurgische Aufwand beim Erklimmen der Sprossen dieser Leiter. Die Schwierigkeit besteht in der Auswahl der individuell angepassten Methode. Das zu erwartende Resultat aus funktioneller und ästhetischer Sicht muss in ein möglichst gutes Verhältnis zu Aufwand und Risiko des Verfahrens gesetzt werden. Kompromisse wie beispielsweise die Reduktion des Sicherheitsabstandes aus kosmetischen Gründen müssen aus onkochirurgischen Gründen zwingend verworfen werden. Das Spektrum dieser Möglichkeiten ist sehr weitläufig und füllt ganze Lehrbücher. Stellvertretend wird
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Kasten 2:
Fallbeispiel 2:
Der 77 Jahre alte Mann litt bereits an einem Non-Hodgkin-Lymphom, als ein pigmentierter Nävus am rechten Unterlid rasch zu wachsen begann. Nach initialer Verweigerung weiterer Diagnostik und Therapie stimmte der Patient schliesslich einer Abklärung zu. Die Diagnose lautete: malignes Melanom mit Breslow-Wert von 8 mm, bereits multipel im Lungenbereich metastasiert. Aus palliativen Gründen erfolgte die Tumorresektion und die Unterlidrekonstruktion. Abbildung 4 zeigt den Patienten mit dem grosse Teile des Unterlides umfassenden Tumor.
In Abbildung 5 ist der Tumor bereits entfernt, die dem Augapfel zugewandten Schichten sind mit einem perichondro-mukösen Transplantat aus der Nasenscheidewand rekonstruiert. Abbildung 6 zeigt den mobilisierten Wangenrotationslappen nach Esser, welcher die Verschiebung von gesunder Haut in horizontaler Richtung von lateral gegen medial ermöglicht. Dadurch können narbige Verziehungen des wiederhergestellten Unterlides in vertikaler Richtung vermieden werden. Das Resultat nach 6 Wochen wird in Abbildung 7 demonstriert.
Abbildung 4: Malignes Melanom mit Breslow-Wert 8 mm am rechten Unterlid.
Abbildung 5: Der Tumor ist entfernt, die inneren Schichten sind mit einem perichondromukösen Transplantat aus dem Nasenseptum rekonstruiert.
Abbildung 6: Mobilisierter und nach kaudal geklappter
Wangenrotationslappen nach Esser.
Abbildung 7: Resultat 6 Wochen postoperativ.
im Fallbeispiel 2 (Kasten 2) ein Vorgehen vorgestellt, welches mehrere Möglichkeiten in sich vereinigt.
Zusammenfassung
Diagnostik und Therapie des malignen Melanoms sind weitgehend durch nationale und internationale Richtlinien standardisiert. Die Chirurgie ist in der Regel die Behandlung der ersten Wahl in kurativer Absicht und umfasst die lokale Tumorkontrolle mittels Nachexzision sowie die Kontrolle der lymphogenen Metastasierung in Abhängigkeit des Breslow-Wertes. Der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie kommt eine
spezielle Bedeutung bei der Deckung grossflächiger oder speziell lokalisierter Defekte zu. Ohne onkochirurgische Kompromisse eingehen zu müssen, kann durch die zahlreichen Möglichkeiten der rekonstruktiven Leiter meistens ein funktionell und ästhetisch zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden. Die Indikation zur Lymphknotenchirurgie im Sinne der Sentinellymphknotenexstirpation und zur allfälligen komplettierenden Lymphadenektomie muss insbesondere bei Breslow-Werten um 1 mm und bei älteren Patienten mit Komorbiditäten unter Berücksichtigung der Richtlinien sorgfältig abgewogen werden. ▲
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Merkpunkte
Die chirurgische Therapie des malignen Melanoms:
▲ ist standardisiert und hat in der Regel einen kurati-
ven Ansatz
▲ stützt sich weitgehend auf dem prognostisch wich-
tigen Breslow-Wert ab
▲ gewährt mittels Nachexzision die lokale Tumorkon-
trolle
▲ ermöglicht mittels Sentinelmethode das Staging
des Lymphsystems
▲ umfasst bei positivem Sentinellymphknoten die
komplettierende Lymphadenektomie
▲ bietet Möglichkeiten zur kurativen oder palliativen
Behandlung von Metastasen
▲ ermöglicht durch das Spektrum der plastisch-re-
konstruktiven Chirurgie gute funktionelle und ästhetische Ergebnisse auch bei grossflächigen oder ungünstig lokalisierten Defekten.
Dr. med. Urs Hug (Korrespondenzadresse) E-Mail: urs.hug@luks.ch
Dr. med. Dorrit Winterholer Dr. med. Rik Osinga Dr. med. Elmar Fritsche
Abteilung für Hand- und Plastische Chirurgie Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16
Quellen:
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