Transkript
VITAMIN D
Vitamin D und Arzneimittel
UWE GRÖBER1, KLAUS KISTERS2
Uwe Gröber
Arzneimittelinduzierte Störungen des Vitamin-D3-Haushaltes erscheinen im Hinblick auf das hohe präventivmedizinische und therapeutische Potenzial des Sonnenvitamins in neuem Licht. Von zahlreichen Arzneimitteln ist bekannt, dass sie mit dem Vitamin-D3-Stoffwechsel interferieren. Ein arzneimittelinduzierter Vitamin-D3-Mangel kann sich unter anderem in einem sekundären Hyperparathyreoidismus, Störungen der Knochenmineralisierung bis hin zur Osteoporoseentstehung äussern. Bekannte Beispiele hierfür sind die Antiepileptika-, Kortikoid- oder HAART-induzierte Osteopathie. Der nachfolgende Beitrag informiert über die Interaktionen.
Klaus Kisters
In der Klinik und Praxis werden Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Vitamin D3 viel zu wenig berücksichtigt. Selbst beim Auftreten arzneimittelinduzierter Knochenschäden werden therapeutische Strategien nur unzureichend umgesetzt. Der medikationsorientierte Einsatz von Vitamin D3 kann nicht nur das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (z.B. Osteopathien) verringern, sondern häufig auch das pharmakologische, immunologische und metabolische Wirkprofil eines Arzneimittels verbessern (1).
Antihypertonika
Ein Vitamin-D-Mangel ist ein unabhängiger Risikofaktor für Bluthochdruck. Epidemiologische und klinische Studien zeigen seit langem eine Assoziation zwischen inadäquater Sonnenlichtexposition, Vitamin-D-Mangel und Hypertonie
1Akademie für Mikronährstoffmedizin, Essen 2Prof. Dr.med. Klaus Kisters, Chefarzt Med. Klinik I, St. Anna Hospital, D-44649 Herne
beziehungsweise erhöhter Plasma-Renin-Aktivität. Dies wird zusätzlich durch die Tatsache unterstrichen, dass die Blutdruckwerte im Sommer durchschnittlich niedriger sind als im Winter. Personen mit einem Vitamin-D-Mangel (25OHD < 30 ng/ml) haben Studien zufolge ein 3,2-fach erhöhtes Risiko, Bluthochdruck zu entwickeln, im Vergleich zu Personen mit gutem Vitamin-D-Status. In einigen Interventionsstudien wurde der diastolische und systolische Blutdruck durch die Supplementierung von Vitamin D gesenkt (2, 4, 5). Im Tierversuch zeigte sich, dass VitaminD-Mangel über eine Wechselwirkung mit dem Renin-Angiotensin-System den Blutdruck erhöht. Bei genetisch veränderten Mäusen, sogenannten Vitamin-D-Rezeptor-Null-Mäusen, die kein Vitamin D synthetisieren können, wird eine drastisch erhöhte Renin-Expression, Aktivität des Renin-Angiotensin-Systems und Angiotensin-II-Produktion beobachtet. Die Mäuse entwickelten eine Hypertonie, kardiale Hypertrophie und Ödeme. Auch bei normalen Mäusen konnten ähnliche Beobachtungen gemacht werden. Eine Hemmung der Vitamin-D-Biosynthese führte zu einem Anstieg der ReninExpression, während die Injektion von Calcitriol die Renin-Expression supprimierte (3, 4). Weitere Mechanismen, die zur blutdrucksenkenden Wirkung von Vitamin D beitragen, sind die direkten Effekte des Calcitriols auf die Endothelfunktion, die Parathormon-Sekretion und die Insulinsensitivität. Parathormon kann auf vielfältige Weise das Herz-Kreislauf-System schädigen: Erhöhte ParathormonSpiegel begünstigen die Verkalkung der Arterienwände und der Herzklappen, erhöhen den Blutdruck, fördern eine Hypertrophie des Herzmuskels und können Herzrhythmusstörungen begünstigen. Vitamin D ist der natürliche Gegenspieler des Parathormons. Um das Risiko für einen Anstieg der Parathormonspiegel zu vermeiden, sind 25-OH-D-Spiegel von ≥ 40 ng/ml notwendig. 35 5/12 VITAMIN D Bei vielen Stoffwechselprozessen (z.B. Insulinstoffwechsel) sowie in ihrer Wirkung auf die Endothelfunktion und die Gefässreaktivität ergänzen sich Vitamin D und Magnesium. Die blutdrucksenkende Wirkung von Magnesium konnte in zahlreichen Interventionsstudien belegt werden. Auch wenn durch alleinige Gaben von Vitamin D und Magnesium eine Blutdrucknormalisierung bei Hypertonie Schweregrad II oder III nach WHO Kriterien nicht zu erwarten ist, so könnte doch durch die labordiagnostisch kontrollierte Supplementierung von Vitamin D und Magnesium eine Verminderung der Dosierung anderer antihypertensiv wirkender Substanzen (z.B. Diuretika, ACE-Hemmer) angestrebt werden. Hierdurch liessen sich sicherlich zahlreiche durch die Hochdrucktherapie bedingte Nebenwirkungen (z.B. Störungen der Glukosetoleranz) vermindern (6 ,7). Antiepileptika und Vitamin D3 Das Risiko für Knochenfrakturen ist bei Patienten mit Epilepsie gegenüber der Normalbevölkerung 2- bis 6-mal höher (8). Das erhöhte Frakturrisiko ist vergleichbar mit demjenigen unter einer Steroidlangzeittherapie. Bei bis zu 50 Prozent der langfristig mit Antiepileptika (AE) behan- delten Patienten ist eine AE-induzierte Osteopathie nachweisbar (9, 10). Antiepileptika können über verschiedene Mechanismen die Pathogenese einer antiepileptischen Osteopathie (Osteopathia antiepileptica) begünstigen (Tabelle 1). Antiepileptika-bedingte Störungen der Knochenintegrität werden wesentlich von der Art, der Dosierung und der Dauer der antiepileptischen Therapie beeinflusst. Ein dosisabhängig erhöhtes Risiko für Frakturen wird vor allem unter Carbamazepin, Oxcarbazepin, Clonazepam, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon und Valproinsäure beobachtet. Im Vergleich zu anderen Antiepileptika ist das Risiko für AE-induzierte Osteopathien unter den Enzyminduktoren Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin und Primidon stärker ausgeprägt (11, 12). Bei der Pathogenese AE-induzierter Osteopathien spielt die Interaktion mit dem Vitamin-D-Haushalt eine zentrale Rolle. Vitamin D3 (Cholecalciferol) wird im Körper in verschiedenen Schritten in das biologisch aktive Secosteroidhormon 1α,25(OH)2-Vitamin D3 (Calcitriol) umgewandelt (Abbildung 1). Der erste Hydroxylierungsschritt erfolgt durch die mitochondriale und mikrosomale 25-Hydroxylase (CYP27A, CYP2R1) in der Leber. Dabei wird Tabelle 1: Mechanismen der Antiepileptika-induzierten Osteopathie (Auswahl) Antiepileptika (Beispiele) Enzyminduktoren (PXR-Liganden): Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon Carbamazepin, Phenytoin Phenytoin Valproinsäure, Carbamazepin Valproinsäure Mechanismus PXR-vermittelte Induktion mikrosomaler Enzyme in der Leber: 24-Hydroxylase (CYP24A1) steigert den Abbau von 25-OH-D3 und 1,25-(OH)2D3 Reduktion der intestinalen Kalziumresorption und der renalen Kalziumrückresorption, Hypokalzämie, sekundärer HPT, Hemmung der Osteoblasten-Aktivität, erhöhte biliäre Vitamin-D-Exkretion (Ausscheidung mit Gallensäuren) Hemmung des Vitamin-K-Metabolismus, Reduktion von IGF-1 und IGFB-3, Erhöhung von SHBG Toxische Effekte auf die Osteoblasten Hemmung der Kalzitonin-Sekretion, Hemmung der Osteokalzin-Sekretion in Osteoblasten, Vitamin-K-Mangel Erhöhte Osteoklastenaktivität: Verschiebung des Aktivierungsgleichgewichts zwischen Osteoblasten und Osteoklasten zugunsten der Osteoklasten Renal-tubuläre Dysfunktion, erhöhte renale Kalzium- und Phosphatverluste, Reduktion von IGF-1, erhöhter Knochenturnover Vitamin D3 in 25-OH-Vitamin D3 (Calcidiol) umgewandelt. 25-OH-Vitamin D3 ist der überwiegend im Blut zirkulierende Vitamin-D-Metabolit und die hauptsächliche Speicherform. In der Niere wird 25-OHVitamin D3 in der Position 1α durch das Enzym 1α-Hydroxylase (CYP27B1) in die hormonell aktive Wirkform 1α,25-(OH)2Vitamin D3 (Calcitriol) hydroxyliert. 1α,25(OH)2-Vitamin D3 entfaltet seine vielfältigen biologischen Wirkungen (autokrin, parakrin) über die Bindung an Vitamin-DRezeptoren (VDR), die in zahlreichen Geweben vorkommen. Der Abbau von 25-OH-Vitamin D3 und 1α,25-(OH)2-Vitamin D3 erfolgt über die multifunktionelle 24-Hydroxylase (CYP24A1) (Abbildung 1). CYP24A1 steuert dabei die Seitenketten-Oxidation und Spaltung von 25-OH-Vitamin D3 und 1α,25-(OH)2Vitamin D3 zu Carbonsäure-Endprodukten. Eine Hypokalzämie supprimiert infolge erhöhter Parathormon-Spiegel die 24-Hydroxylase-Aktivität und lässt über die Stimulierung der 1α-Hydroxylase die Calcitriol-Serumspiegel ansteigen. Eine Hyperkalzämie verringert dagegen die Aktivität der 1α-Hydroxylase und steigert gleichzeitig die Aktivität der 24-Hydroxylase. Hohe Spiegel an 1α,25-(OH)2Vitamin D3 induzieren die 24-Hydroxylase (CYP24A1) über Vitamin-D-Rezeptoren (VDR) und fördern somit den Abbau des Hormons (2). Dieser Prozess kontrolliert streng das Zirkulationsniveau des 1α,25(OH)2-Vitamin D3 (Calcitriol) und damit die Kalzium- und Phosphat-Homöostase im Blut. 1α,25-(OH)2-Vitamin D3 wird nach Hydroxylierung über die 24-Hydroxylase überwiegend als kalzitroische Säure ausgeschieden (8). Die Enzyminduktoren Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin und Primidon können den Pregnan-X-Rezeptor (PXR) aktivieren und hierüber die Gen-Expression der 24-Hydroxylase (CYP 24A1) hochregulieren (Abbildung 1) (9). Der PXR weist zu 60 Prozent eine Homologie in der DNA-bindenden Domäne mit dem Vitamin-D-Rezeptor (VDR) auf und wird vom Gastrointestinaltrakt, den Nieren und der Leber exprimiert. PXR vermittelt die Induktion von CYP2 und CYP3, den Cytochrom-P450-abhängigen Enzymen, die 5/12 36 VITAMIN D an der Biotransformation zahlreicher Arzneimittel beteiligt sind (8). Die 24-Hydroxylase steigert den Abbau von 25-OHVitamin D3 und 1α,25-(OH)2-Vitamin D3. Pathobiochemisch machen sich AE-induzierte Störungen im Knochenstoffwechsel vor allem durch einen Abfall der 25-OH-Vitamin D3- und/oder 1α,25(OH)2-Vitamin-D3-Spiegel, Hypokalzämie, sekundärem Hyperparathyreoidismus (HPT) und erhöhtem Knochenturnover mit Abnahme der Knochendichte bemerkbar. Der PXR kann durch eine Reihe von Arzneimitteln aktiviert werden. Zu den Liganden des PXR zählen neben Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital und Primidon auch Dexamethason, Clotrimazol, Cyclophosphamid, Nifedipin, Paclitaxel, Rifampicin, Tamoxifen und Troglitazon (8, 13). Auch unter den moderneren Antiepileptika wie Gabapentin, Lamotrigin und Leviracetam kann eine medikationsinduzierte Osteopathie nicht ausgeschlossen werden. Generell sollte bei einer Therapie mit enzyminduzierenden und/oder nicht enzyminduzierenden Antiepileptika 1bis 2-mal jährlich der Vitamin-D3-Status anhand der 25-OH-D3-Spiegel im Serum (Referenz: 40–64 ng/ml) kontrolliert und gegebenenfalls durch gezielte Supplementierung (z.B. 4000 I.E. Vitamin D3/Tag, p.o.) ausgeglichen werden, um eine AEinduzierte Osteopathie zu vermeiden. Bisphosphonate und Vitamin D3 Bisphosphonate zählen zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln in der Osteoporosetherapie. Darüber hinaus werden Bisphosphonate erfolgreich bei Morbus Paget, Knochenmetastasen solider Tumoren, multiplem Myelom und der tumorinduzierten Hyperkalzämie eingesetzt. Bisphosphonate können in zwei Gruppen eingeteilt werden: die stickstofffreien Nicht-Aminobisphosphonate Etidronat und Clodronat und die sehr potenten basisch substituierten Aminobisphosphonate Alendronat, Ibandronat, Risedronat und Zoledronat. Der Wirkmechanismus der Bisphosphonate beruht überwiegend auf der Hemmung der osteoklastären Knochenresorption. Unabhängig vom Applika- Abbildung 1: PXR-vermittelter arzneimittelinduzierter Vitamin-D3-Abbau tionsweg (oral, i.v.) lagern sich Bisphosphonate an der Knochenoberfläche an. In Regionen mit gesteigertem Knochenumsatz ist ihre Aufnahme besonders hoch. Bisphosphonate werden hier von Osteoklasten mittels Endozytose aufgenommen. Zu den weiteren Zelltypen, die Bisphosphonate über Endozytose internalisieren können, zählen: Osteoblasten, Epithel- und Endothelzellen, Monozyten sowie neoplastische Zellen wie Myelomund Prostatakarzinom-Zellen. Die NichtAminobisphosphonate können aufgrund ihrer strukturellen Ähnlichkeit mit Pyrophosphat (über das Enzym Typ-IIAminoacyl-t-RNA-Synthase) in die Phosphatkette ATP-haltiger Metabolite eingebaut werden. Die entstehenden ATP-Analoga sind für die Osteoklasten toxisch, hemmen ATP-abhängige Enzyme und induzieren eine Apoptose. Die basisch-substituierten Aminobisphophonate werden dagegen nicht zu ATP-Analoga metabolisiert. Ihr wesentlicher Wirkmechanismus beruht anscheinend auf der kompetitiven Hemmung des Enzyms Farnesyl-Pyrophosphat-Synthase (FPPS), eines Schlüsselenzyms des Mevalonsäurewegs. Nachfolgend kommt es zur intrazellulären Akkumulation von Isopentenyl-Diphosphat (IPP) und zur Hemmung der Prenylierung niedermolekularer GTP-bindender Proteine (GTPasen) in den Osteoklasten. Beide Mechanismen führen letztlich zur Apoptose der Osteoklasten (14). 1α,25-(OH)2-Vitamin D3 steigert im Duodenum und Jejunum die Kalziumabsorption und induziert in den Nierentubuli die Reabsorption des Knochenminerals. In Abhängigkeit von den Kalziumblutspiegeln fördert 1α,25-(OH)2-Vitamin D3 im Knochen entweder die Mineralisierung der Knochenmatrix oder die Mobilisierung von Kalzium. Bei einem ausreichenden Kalziumangebot und niedrigen Parathormonspiegeln überwiegt die Knochenmineralisation. Bei diesem von den Osteoblasten vermittelten Prozess induziert 1α,25-(OH)2-Vitamin D3 die Transkription verschiedener an der Mineralisation beteiligter Proteine (z.B. Osteopontin, Osteocalcin). Fallen dagegen die Kalziumspiegel im Blut ab, aktiviert 1α,25-(OH)2-Vitamin D3 zusammen mit Parathormon die Auslagerung von Kalzium aus dem Skelettsystem (15). Klinisch relevante Vitamin-D-Defizite sind ein weltweites Problem. Der Ausgleich eines Vitamin-D-Mangels (25-OH-D3 < 20 ng/ml) ist generell mit einer Verminderung der Sturzrate und der Reduktion proximaler Femurfrakturen bei Frauen und Männern assoziiert und verbessert die ossäre Wirkung der Bisphosphonate (16). Zahlreiche Studien zeigen, dass ein Vitamin-D-Mangel in Europa weit verbreitet ist. So gibt eine Untersuchung an 8532 postmenopausalen Frauen die Prävalenz einer unzureichenden Versorgung mit Vitamin D (Calcidiol < 80 nmol/l) mit 79,6 Prozent an (17). 37 5/12 VITAMIN D In einer Studie an 112 Frauen unter Bisphosphonatbehandlung wurde der Einfluss des Vitamin-D-Status auf die Parathormonspiegel und die Wirksamkeit der Bisphosphonate untersucht. Dabei hatten Frauen mit einem 25-OH-D3- Spiegel > 70 nmol/l signifikant niedrigere
Parathormonspiegel (41,2 ng/l). Parathor-
monspiegel ≤ 41 ng/ml und 25-OH-D3-
Spiegel > 70 nmol/l waren im Vergleich zu
PTH-Spiegeln > 41 ng/ml mit einer besse-
ren Ansprechrate auf die Therapie mit
Bisphosphonaten und mit einer signifi-
kant höheren Knochendichte im Bereich
der Hüfte verbunden (2,5% v/s -0,2%, p =
0,04) (18). In einer weiteren Studie an
1515 Frauen mit postmenopausaler
Osteoporose unter der Therapie mit Alen-
dronat, Risedronat und Raloxifen wurde
nachgewiesen, dass Patienten mit einer
Bisphosphonattherapie
signifikant
schlechtere Therapieergebnisse (→ Ver-
änderung der Knochendichte) zeigen,
wenn initial sehr niedrige 25-Hydroxy-
Vitamin-D3-Spiegel (Calcidiol < 50 nmol/l bzw. 20 ng/ml) vorliegen. Die Adjusted odds ratio für Frakturereignisse in der Gruppe mit Vitamin-D-Mangel im Ver- gleich zur Gruppe mit normalem Vitamin- D-Status (Calcidiol > 50 nmol/l bzw.
20 ng/ml) war 1,77 (1,20–2,59, 95%-KI;
p = 0,004) (Odds-Ratio 1,77; 95%-KI;
1,20–2,59) (19).
Die in Deutschland in der Osteoporose-
therapie eingesetzten Kombinationen
eines Bisphosphonates mit Vitamin D3
(z.B. 70 mg Alendronsäure + 2800 I.E. Vit-
amin D3 bzw. 70 mg Alendronsäure plus
5600 I.E. Vitamin D3 – empfohlene Dosie-
rung 1x wöchentlich) sind im Hinblick auf
einen adäquaten Vitamin-D-Status von
> 80 nmol/l deutlich unterdosiert. Rech-
net man die Wochendosis auf die Tages-
dosis um, so werden täglich nur 400 I.E.
beziehungsweise 800 I.E. zugeführt. Für
einen Calcidiol-Spiegel von > 80 nmol/l
beziehungsweise 32 ng/ml müssen je-
doch mindestens täglich 2000 bis 4000
I.E. Vitamin D3 zugeführt werden.
Unter der Therapie mit Bisphosphonaten
sollte der Vitamin-D-Status (25-OH-
D3/Calcidiol 80–160 nmol/l bzw. 32–
64 ng/ml) 1- bis 2-mal jährlich kontrolliert
und gegebenenfalls durch gezielte Sup-
plementierung (z.B. 2000–4000 I.E. Vitamin D3/Tag bzw. 60 000–120 000 I.E. Vitamin D3/Monat bzw. 20 000 I.E./Woche, p.o.) kompensiert werden. Für eine optimale Knochengesundheit und zur Vermeidung eines sekundären Hyperparathyreoidismus gehen viele Experten mittlerweile von einem Calcidiol-Spiegel im Bereich von 100 bis 200 nmol/l beziehungsweise 40 bis 80 ng/ml aus. Vitamin D3 supprimiert die Parathormonausschüttung und damit die osteoklastäre Knochenresorption. Der Muskelstoffwechsel (Muskelkraft und -funktion) wird durch Vitamin D3 unterstützt und die Sturz- und Frakturrate reduziert. Zu den häufigen Nebenwirkungen der Bisphosphonate zählen Akute-PhaseReaktionen (z.B. grippeartige Symptome wie Abgeschlagenheit, Muskel- und Knochenschmerzen), gastrointestinale Störungen (z.B. Schleimhautentzündungen, Durchfälle, Blähungen), nephrotoxische Komplikationen (z.B. Schäden am Tubulusapparat) und Osteonekrosen der Kieferknochen. Eine Therapie mit Bisphosphonaten bei Patienten mit Vitamin-D-Insuffizienz und unzureichender diätetischer Kalziumzufuhr kann ohne die begleitende Supplementierung von Vitamin D3 zu einer Hypomagnesiämie und Hypokalzämie bis hin zur Tetanie sowie schweren Störung der Knochenmineralisierung führen. Die Bisphosphonat-induzierte Hypokalzämie und sekundärer Hyperparathyreoidismus können durch eine adäquate Supplementierung von Vit-
amin D3 und Kalzium vermieden werden. Eine Hypokalzämie wird vor allem unter der intravenösen Applikation von Bisphosphonaten (z.B. Zolendronsäure) beobachtet. Die Folge ist ein sekundärer Hyperparathyreoidismus beziehungsweise ein Anstieg der Parathormon-Spiegel (Referenz: 12–65 ng/l). Erhöhte Parathormon-Spiegel können nicht nur die ossäre Wirksamkeit der Bisphosphonate beeinträchtigen. Parathormon ist auch ein potenter Stimulator der Osteoklastenaktivität, die die Produktion von Zytokinen und Wachstumsfaktoren im Mikromilieu des Knochens begünstigt und so das Tumorwachstum fördern kann. Das Parathormon-related Protein (PTHrP) wird in nahezu jeder menschlichen Zelle zu einem bestimmten Zeitpunkt bei der Entwicklung, der Differenzierung und im Wachstum exprimiert. Aufgrund dieser endokrinen Wirkungsweise ist PTHrP in der Onkologie vor allem als Effektor des paraneoplastischen Syndroms der tumorinduzierten Hyperkalzämie bekannt geworden. Durch seine N-terminale Homologie zu PTH wirkt PTHrP durch Bindung an den Parathormonrezeptor Typ 1 (PTH1 R) als Kalziumregulator. Da zahlreiche Krebszellen den PTH1R exprimieren, wird angenommen, dass PTH die Tumorprogression und die Zellproliferation direkt steigert. In einigen Studien an Krebspatienten mit Knochenmetastasen (z.B. Mamma-, Prostatakarzinom) waren erhöhte Parathormonspiegel unter der Therapie mit Zolen-
Tabelle 2: Einfluss von Kortikoiden und Vitamin D auf den Knochenstoffwechsel (Auswahl)
Parameter mit Einfluss auf die Knochenintegrität Osteoblasten
Kalziumstoffwechsel
Parathormon (→ sek PTH) Calcitonin Sexualhormone (z.B. Testosteron) Knochen
Kortikoide
Differenzierung↓ und Osteoblastogenese↓ Intestinale Resorption: ↓ Renale Exkretion: ↑ Erhöhung (→ sek PTH)
Reduktion Abfall
Knochenresorption
Vitamin D3
Differenzierung↑ und Osteoblasteogenese↑ Intestinale Resorption:↑ Renale Exkretion:↓ Supprimierung
Erhöhung Erhöhung
Knochenformation
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dronsäure mit einem erhöhten Risiko der Krankheitsprogression sowie einer erhöhten Mortalität assoziiert. Neben der ungünstigen Prognose zeigen die betroffenen Patienten auch häufig eine ausgeprägte Therapieresistenz. Aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass hierfür meist defiziente Apoptosesignalwege verantwortlich sind. So konnte in verschiedenen Untersuchungen ein antiapoptotischer Effekt von PTHrP gezeigt werden. Erhöhte Parathormon-Werte und niedrige Kalziumblutspiegel stehen bei Krebspatienten unter einer Bisphosphonattherapie auch im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Kiefernekrosen. Bei Krebspatienten, insbesondere unter Therapie mit Bisphosphonaten, sollte grundsätzlich der Vitamin-D-Status kontrolliert und gegebenenfalls durch gezielte Supplementierung ausgeglichen werden (25OH-D-Zielbereich: 40–64 ng/ml).
Kortikoide und Vitamin D3
Die kortikoidinduzierte Osteoporose zählt zu den bedeutendsten Formen der medikamentös bedingten Osteopathie. Bei chronischer, alternierender oder inhalativer Kortikoidtherapie ist immer mit Störungen der Knochenmineralisation zu rechnen. Eine Beeinträchtigung des Knochenstoffwechsels kann auch bei niedrigen oder intermittierend applizierten Kortikoiddosen nicht ausgeschlossen werden. Eine sichere Schwellendosis, unterhalb derer Kortikoide keinen Einfluss auf die Knochenintegrität ausüben existiert nach den derzeitigen Erkenntnissen nicht (20). Bei 30 bis 50 Prozent der Patienten kommt es unter einer Langzeittherapie mit Kortikoiden zu einer kortisoninduzierten Osteoporose. Besonders vulnerabel sind Kinder, Heranwachsende und postmenopausale Frauen. Das Frakturrisiko steigt mit Zunahme der täglichen Kortikoiddosis an. Selbst unter niedrigen Tagesdosen (< 2,5 mg Prednisolonäquivalent; Cushing-Schwelle) ist das relative Risiko für Wirbelkörperfrakturen bereits um den Faktor 1,55 erhöht. Unter Dosen von 2,5 bis 7,5 mg steigt es auf mehr als das Doppelte (RR: 2,6). Oberhalb von 7,5 mg/Tag erhöht sich das Frak-
turrisiko für die Wirbelkörper um mehr als das 5-Fache, für die Hüfte um das 2,3-Fache (21). Die Pathogenese der kortikoidinduzierten Osteoporose ist multifaktoriell. Im Rahmen der direkten und indirekten Effekte der Kortikoide auf die Osteoblasten und Osteoklasten spielen insbesondere die Vitamin-D3-antagonistischen Effekte eine wichtige Rolle (Tabelle 2). Über eine vermehrte Expression von RANK-L und eine verminderte Osteoprotegerin-Produktion steigern Kortikosteroide die Aktivität der Osteoklasten. Die IGF-1-Spiegel sowie die Osteoblasten-Differenzierung und Osteoblastogenese werden durch Kortikoide verringert. Darüber hinaus führen Kortikosteroide über ein negatives Feed-back auf die Hypothalamus-Gonaden-Achse (LH/FSH) zu einer Reduktion der Sexualhormone, die ihrerseits einen positiven Einfluss auf den Knochen ausüben. Die intestinale Kalziumresorption wird durch Kortikoide vermindert, die renale Kalziumexkretion dagegen verstärkt. Ein damit verbundener Abfall der Serumkalziumspiegel kann zu einem sekundären Hyperparathyreoidismus führen (21). Ein PXR-vermittelter Abbau von Vitamin D3 (z.B. durch Dexamethason) kann zusätzlich den enzymatischen Abbau von Vitamin D3 steigern (Abbildung 1). Unter einer Therapie mit Kortikoiden sollte der Vitamin-D3-Status (25-OH-D3 im Serum) grundsätzlich labordiagnostisch überprüft und durch gezielte Supplementierung kompensiert werden, um das Risiko einer kortikoidinduzierten Osteoporose zu verringern. Bei Patienten mit Asthma bronchiale verringert Vitamin D3 zusätzlich die Häufigkeit von Atemwegs-
Abbildung 2: Störung des Haushalts knochenwirksamer Mikronährstoffe durch Protonenpumpenhemmer, PPI (Modell)
infekten und kann die Ansprechrate sowie die antientzündliche Wirkung einer inhalativen Kortikoidtherapie verbessern. Letzteres dürfte mit der erhöhten Expression der Zytokine Interleukin-10 (IL-10) und TGF-β1 durch 1α,25-(OH)2-Vitamin D3 zusammenhängen (22). 1α,25-(OH)2Vitamin D3 hat einen regulierenden Einfluss auf die T-Zell-Differenzierung und die Th1-/Th2-Zytokine. IL-10 und TGF-β1 besitzen ausgeprägte antientzündliche und antiallergische Eigenschaften und wirken entzündlichen Prozessen im Lungengewebe entgegen.
Antiöstrogene und Vitamin D3 Zu den Antiöstrogenen gehören die Östrogen-Rezeptorantagonisten und die Aromatasehemmer wie Anastrozol. Tamoxifen ist ein synthetisches Antiöstrogen aus der Gruppe der selektiven Östrogen-Rezeptormodulatoren (SERM) mit antiöstrogenen und antikanzerogenen Eigenschaften. Es blockiert die peripheren Wirkungen der Östrogene durch Bindung an Östrogenrezeptoren und hemmt die Expression östrogenregulierter Gene (z.B. die von Promotoren der Angiogenese). In Zellkulturen wurde nach Zugabe von Tamoxifen eine vermehrte Expression von TGF-β1 nachgewiesen. TGF-β1 ist ein negativer Wachstumsfaktor für Mammakarzinome (23). Auch Vitamin D steigert die Expression von TGF-β1. Tamoxifen wird vor allem in der adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms und in der Palliativtherapie metastasierter Mammakarzinome eingesetzt. Obwohl Tamoxifen einen antiresorptiven Effekt auf den Knochen hat, kann es das Fehlen der östrogenstimulierten Knochenneubil-
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VITAMIN D
Abbildung 3: Einfluss von Vitamin-D-Metaboliten auf die Cholesterinsynthese (Modell)
ter Tamoxifen und/oder Aromatasehemmern reduzieren als auch den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität bei Brustkrebs und anderen Krebsarten positiv beeinflussen. Einem Anstieg der Serumtriglyzeride unter Tamoxifen wirkt Vitamin D3 entgegen. Das Auftreten von Arthralgien unter Aromatasehemmern wie Anastrozol, Letrolzol und Exemestan kann durch Vitamin D3 signifikant verringert werden (26).
Statine und Vitamin D3
dung nicht ausgleichen. In verschiedenen Studien konnte vor allem bei prämenopausalen Frauen unter einer Therapie mit Tamoxifen ein Knochendichteverlust beobachtet werden (24). Weitere Nebenwirkungen unter Tamoxifen sind unter anderem Knochen- und Muskelschmerzen sowie häufig ein Anstieg der Triglyzeride im Serum. Da Aromatasehemmer die Östrogensynthese blockieren und somit den Östrogenspiegel ausgeprägt senken, bedingen sie ein hohes Risiko für Osteoporose. Unter der kurzfristigen Anwendung von Letrozol konnte in Studien bereits eine signifikante Zunahme der Knochenresorptionsmarker beobachtet werden (25). Bis zu 50 Prozent der Frauen klagen über therapieassoziierte Arthralgien und Myalgien. Der medikationsorientierte Einsatz von Vitamin D3 kann sowohl das Risiko für Störungen des Knochenstoffwechsels un-
Vitamin D3 hat einen regulierenden Einfluss auf die Herzmuskelleistung, die myokardiale Kalziumhomöostase und den Blutdruck. Einer myokardialen Hypertrophie wirkt Vitamin D3 entgegen. Die Aktivierung des Renin-AngiotensinSystems wird durch Vitamin-D-Hormon herunterreguliert, erhöhte Parathormonund Triglyzeridspiegel werden gesenkt. Der Vitamin-D3-Status korreliert ebenso wie der Magnesiumstatus invers mit den anerkannten kardiovaskulären Risikoparametern hs-CRP und NT-proANP. In experimentellen Studien interagieren Vitamin D3 und seine hydroxylierten Metaboliten (25-OH-D3 und 1,25-(OH)2D3) mit der HMG-CoA-Reduktase, sodass die Aktivität dieses für die Cholesterinsynthese verantwortlichen Enzyms dosisabhängig herunterreguliert und die Cholesterinsynthese gehemmt wird (Abbildung 2). Darüber hinaus kann 25-OH-Vitamin D3
Tabelle 3: Einfluss des Vitamin-D-Status (Calcidiol im Serum) auf die lipidmodulierende Wirkung von Atorvastatin
Parameter Cholesterin mg/dl TG mg/dl HDL mg/dl LDL mg/dl
< 30 nmol/l Basis
173 ± 47 151 ± 49 34 ± 6 111 ± 48
n =13 30–50 nmol/l n = 34 > 50 nmol/l n = 16
12 Mo.
Basis
12 Mo. Basis 12 Mo.
164 ± 51 177 ± 94 45 ± 9 92 ± 45
177 ± 49 154 ± 121 36 ± 11 112 ± 42
157 ± 31* 114 ± 55 49 ± 13** 86 ± 31
202 ± 43 157 ± 61 41 ± 8 114 ± 29
163 ± 25** 110 ± 37**** 50 ± 10*****
89 ± 26
* p = 0,021, **p = 0,001, ***p = 0,003, ****p = 0,0001, *****p = 0,008
die Aktivität des Enzyms Lanosterin-14αDemethylase (CYP 51A1) hemmen, das bei der Cholesterinbiosynthese ebenfalls eine wichtige Rolle spielt (27, 28). In einer aktuellen Studie an 63 hospitalisierten Patienten mit akutem Herzinfarkt (n = 63, 40 Männer, 23 Frauen) wurde der Einfluss des Vitamin-D-Status (Calcidiol im Serum) auf die lipidmodulierende Wirkung von Atorvastatin untersucht, insbesondere auf die Reduktion des Gesamtcholesterins und der Triglyzeride (Tabelle 3) (28). Die cholesterin- und triglyzeridsenkende Wirkung von Atorvastatin war bei einem Calcidiol-Spiegel von 30 bis 50 nmol/l und einem normalem Vitamin-D-Status (Calcidiol: > 50 nmol/l) signifikant effektiver als bei einem ausgeprägten VitaminD-Mangel (Calcidiol: < 30 nmol/l). Die Ergebnisse dieser Studie lassen vermuten, dass ein normaler Vitamin-D-Status für die ausreichende lipidmodulierende Wirkung von Statinen notwendig ist. Generell sollte bei kardiovaskulären Risikopatienten und unter Medikation mit Lipidsenkern, Antihypertonika und Kardiaka der Vitamin-D-Status kontrolliert und durch gezielte Supplementierung ausgeglichen werden. Säureblocker und Vitamin D3 Antazida und Säureblocker gehören zu den am häufigsten verordneten Medikamenten überhaupt. In den letzten 10 Jahren haben sich die Verordnungen von Ulkustherapeutika mehr als verdoppelt, vor allem durch den erfolgreichen Einsatz von Protonenpumpenhemmern zur Eradikation des Helicobacter pylori und zur Behandlung der Refluxösophagitis. Insbesondere die Ulkustherapie im höheren Lebensalter sowie der hohe Anteil der im Rahmen der Selbstmedikation abgegebenen Antazida (seit neustem auch der PPI) sind für potenzielle Störungen der Knochenmineralisation von Bedeutung (Abbildung 3). In einer aktuellen kanadischen Studie wurde die Langzeitwirkung von Protonenpumpenhemmern (PPI) auf die Knochendichte und das Frakturrisiko erfasst. Dabei wurden die Daten von 15 792 Patienten mit osteoporosebedingten Frakturen (z.B. Wirbelkörper-, Becken- und 5/12 40 VITAMIN D Hüft-Frakturen), die PPI eingenommen hatten, analysiert. Als Kontrollgruppe dienten 47 289 Patienten ohne Frakturen. Die Studie erfasste einen Zeitraum von 1996 bis 2004. Die Studienergebnisse belegen, dass die langfristige Einnahme von PPI (z.B. Omeprazol) über einen Zeitraum von 7 Jahren mit einem stark erhöhten Risiko für osteoporosebedingte Frakturen assoziiert ist (OR, 1,92, 95%-KI: 1,16–3,18, p = 0,011). Darüber hinaus führte eine regelmässige Einnahme von PPI über einen Zeitraum von 5 Jahren zu einem signifikant erhöhten Risiko für Hüftfrakturen (OR, 1,62, 95%-KI: 1,02–2,58, p = 0,04) (29). Diese Ergebnisse stimmen mit den Ergebnissen einer früheren Studie überein, die ebenfalls zeigen konnte, dass ältere Patienten, die wegen peptischer Magenbeschwerden mit PPI behandelt werden, ein deutlich erhöhtes Frakturrisiko haben. Diese Studie umfasste einen Zeitraum von 1987 bis 2003. Das Risiko osteoporosebedingter Frakturen stieg dabei mit zunehmender Einnahmedauer von Protonenpumpenhemmern an: 1 Jahr: OR, 1,22, 95%-KI: 1,15–1,30; 2 Jahre: OR 1,41, 95%-KI: 1,28–1,56; 3 Jahre: OR 1,54, 95%KI: 1,37–1,73; 4 Jahre: OR 1,59, 95%-KI: 1,39–1,80; p < 0,01) (30). Die Magensäure spielt bei der Kalziumresorption eine wichtige Rolle. In der Nahrung liegt der Mineralstoff vor allem als Kalziumkarbonat vor. Kalzium muss daraus zunächst pH-abhängig freigesetzt werden, damit es resorbiert werden kann (31, 32). Auf eine ausreichende Versorgung mit Kalzium in Form gut verfügbarer Kalziumsalze wie Laktoglukonate oder Zitrate sollte bei langfristiger Einnahme von PPI vor allem bei älteren Personen geachtet werden. Bei Personen, die regelmässig Protonenpumpenhemmer zur Senkung der Magensäuresekretion einnehmen – vor allem bei älteren Menschen (> 60 J.) und Typ-2-Diabetikern (→ Polypharmakotherapie) –, sollte der Status knochenwirksamer Mikronährstoffe (z.B. 25-OH-Vitamin D3, Homocystein, Methylmalonsäure) regelmässig kontrolliert und durch gezielte Supplementierung kompensiert werden, um potenziellen Störungen der Knochenmineralisation durch PPI entgegenzuwirken.
Antiretrovirale Virustatika und Vitamin D3
Bei HIV-infizierten Patienten findet sich häufig ein Vitamin-D-Mangel. Dieser wirkt sich bei HIV-Infizierten nachteilig auf die Viruslast und die Krankheitsprogression aus. In einer Metaanalyse konnte bei HIV-infizierten Männern und Frauen ein 3-fach höheres Osteoporoserisiko nachgewiesen werden (33). Im Hinblick auf das HIV-assoziierte Risiko für Knochenfrakturen kann das Virus offensichtlich selbst die Knochenintegrität beeinträchtigen. HIV-1-Glykoproteine (p55-gag, gp120) stören die ossäre Kalziumverwertung und reduzieren die Aktivität der Osteoblasten. In infizierten Makrophagen induziert HIV-1 die Produktion von Makrophagen-CSF, was zusammen mit RANK-L zur gesteigerten Osteoklastogenese führt. Die Hochregulierung proinflammatorischer Zytokine wie TNF-α kann zusätzlich eine Osteoblastenapoptose induzieren und das Risiko für virale Schäden von Knochenzellen steigern. Neben der HIV-Infektion selbst steigert auch die antiretrovirale Therapie mit NRTI (z.B. Zidovudin), NNRTI (z.B. Efavirenz) und Proteaseinhibitoren (z.B. Ritonavir, Saquinavir) signifkant das Risiko für eine arzneimittelinduzierte Osteopathie. Störungen des Vitamin-D-Stoffwechsels (z.B. CYP3A4) spielen dabei eine wesentliche Rolle (34). Vitamin D3 kann bei HIV-Infizierten das Risiko für eine HAART-induzierte Osteopathie und möglicherweise auch die mitochondriale Toxizität der antiretroviralen Virustatika (z.B. Muskelschmerzen, Lipidanomalien) verringern.
Zytostatika und Vitamin D3
Vitamin D3 hat in der Prävention und Therapie von Krebserkrankungen (z.B. Kolon-, Mammakarzinom) einen hohen Stellenwert. Zu den wesentlichen antikanzerogenen Wirkungen von Calcitriol zählen: Induktion der Zelldifferenzierung, Proliferationshemmung und Zellzyklusstillstand (G0/G1-Phase), Inhibierung der Tumorprogression und der Invasivität von Tumorzellen, Reduktion der Angiogenese und Induktion der Apoptose in Tumorzellen. Die Zytotoxizität von antineoplastischen Arzneimitteln wie Cisplatin,
Cyclophosphamid, Docetaxel, Doxorubicin und Paclitaxel wird durch Calcitriol in vitro verstärkt. Ein Vitamin-D3-Mangel findet sich bei nahezu allen Krebspatienten. Unter der tumordestruktiven Therapie fällt der 25OH-Vitamin-D3-Spiegel weiter ab. Bei Brustkrebspatientinnen konnte unter einer Chemotherapie mit Anthrazyklinen oder Taxanen ein deutlicher Abfall des Calcidiol-Spiegels beobachtet werden (35). Zytostatika (z.B. MTX, Ifosfamid) besitzen zudem eine ausgeprägte knochenschädigende Wirkung. Ein Vitamin-D3-Mangel begünstigt das Auftreten einer Chemotherapie-induzierten Mukositis und Dysgeusie. In Fallberichten konnten muköse Nebenwirkungen (z.B. Stomatitis) sowie Geschmacksstörungen, die bei Krebspatienten unter einer Polychemotherapie mit TCH (Docetaxel, Carboplatin, Trastuzumab) oder FOLFOX6 (5-FU, Leukoverin, Oxaliplatin) auftraten, erfolgreich durch Supplementierung von Vitamin D3 behandelt werden (36). Grundsätzlich sollte bei Krebspatienten der Vitamin-D-Status kontrolliert und durch adäquate Supplementierung kompensiert werden. Dadurch kann die Lebensqualität der Patienten verbessert, die Effektivität der tumordestruktiven Therapie aufgrund besserer Compliance und Ansprechrate optimiert und das Risiko für Osteopathien verringert werden.
Korrespondenzadresse: Uwe Gröber Apotheker und Mikronährstoffexperte Akademie & Zentrum für Mikronährstoffmedizin Zweigertstr. 55, D-45130 Essen E-Mail: uwegroeber@gmx.net Internet: www.mikronaehrstoff.de
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