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Titel
Infektiologie und Impfungen – Eine unglaublich rasante Entwicklung von Impfstoffen
Untertitel
Interview mit Prof. Dr. med. Ulrich Heininger Leitender Arzt und Chefarzt Stv. Pädiatrie Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
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Rückblick 2020/Ausblick 2021
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49628
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RÜCKBLICK 2020/AUSBLICK 2021

Infektiologie und Impfungen
Prof. Dr. med. Ulrich Heininger Leitender Arzt und Chefarzt Stv. Pädiatrie Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
Eine unglaublich rasante Entwicklung von Impfstoffen
Wie hat die Coronapandemie Ihre Arbeit im vergangenen Jahr beeinflusst?
Die Coronapandemie hat meine Arbeit im vergangenen Jahr sehr stark geprägt, sowohl in meiner Funktion als Leitender Infektiologe am Universitäts-Kinderspital in Basel als auch als Mitglied verschiedener Gremien. Aus der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) war ich zwar im Dezember 2019 turnusgemäss ausgeschieden, gehörte aber ab März 2020 zu einer Arbeitsgruppe des BAG zur Vorbereitung von Impfmassnahmen in der Schweiz. Darüber hinaus bin ich weiterhin Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) in Deutschland und seit April 2020 Mitglied der Arbeitsgruppe COVID-19-Impfung am Robert Koch-Institut. Das gibt viel zu tun und ist gleichzeitig sehr spannend und bereichernd. Zum Glück sind wir am UKBB ein gutes Infektiologie-Team. So hat sich Dr. Julia Bielicki, unsere Spitalhygieneverantwortliche, am UKBB praktisch rund um die Uhr mit all den Coronapandemiemassnahmen befasst, und wir konnten uns um all die anderen Infektionskrankheiten kümmern.
Wie wird am UKBB auf SARS-CoV-2 getestet?
Wir waren als Referenzzentrum für die Region Nordwestschweiz die Ersten, die auch im Auftrag der Kantone bei Kindern und Jugendlichen mit COVID-19-verdächtigen Symptomen Abstriche durchgeführt haben. Dafür hatten wir vor dem UKBB eine zweite Notfallstation in Containern aufgebaut, sodass wir diese Verdachtsfälle strikt von allen anderen Notfallkonsultationen trennen konnten. Am Anfang gab es noch Warteschlangen vor den Containern, später sind wir dazu übergegangen, Termine zur vergeben. Das Testen wird bis heute sehr gut angenommen. Ebenfalls von Anfang an und bis zum heutigen Tag nehmen wir bei allen Kindern und Jugendlichen, egal aus welchem Grund wir sie stationär aufnehmen, einen Abstrich, suchen das Virus und werden – wenn auch selten – immer wieder einmal fündig. Bei den asymptomatischen Kindern und Jugendlichen sind es weitaus weniger als 1 von 100, und bei unseren jungen symptomatischen Patienten bewegt sich die Positivrate im niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Wurden Untersuchungen und Behandlungen am UKBB wegen der Coronapandemie verschoben?
In der frühen Phase der Pandemie wussten wir nicht, was auf uns zukommt, sodass wir für kurze Zeit im März 2020 unseren Routinepoliklinikbetrieb geschlossen und nur noch Notfallkonsultationen angenommen hatten. Mittlerweile wissen wir, dass es zwar auch bei Kindern schwere Krankheitsverläufe gibt, diese aber weitaus weniger gravierend und weniger häufig sind als bei Erwachsenen. Als klar wurde, dass es für uns in der Pädiatrie wohl keinen «Corona-Tsunami» geben würde, haben wir den regulären Poliklinikbetrieb relativ rasch wieder aufgenommen. Die verschobenen Routinekontrollen, Operationen und anderen Routineeingriffe wurden so gut wie möglich im Sommer und Herbst nachgeholt. Auch jetzt, in der zweiten Welle, sind wir bislang nicht am Rande unserer Kapazität – wie das in einer Woche sein wird, weiss ich nicht, aber im Moment zeichnet sich keine Überlastung ab (Stand: 15. Januar 2021). Was uns allerdings im Lockdown Probleme bereitet hatte, war die Unsicherheit, ob diejenigen unserer Mitarbeiter, die Grenzgänger sind, weiterhin zur Arbeit ans UKBB kommen konnten. Wir haben damals für Pendler auch Übernachtungsmöglichkeiten in Basler Hotels auf UKBB-Kosten angeboten, um den Betrieb sicherzustellen. Jetzt, in der zweiten Welle, haben wir Probleme mit Personalausfall aufgrund von Quarantänemassnahmen oder, seltener, aufgrund von Isolation im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung. Übrigens sind hier bei uns nicht mehr Angehörige des UKBB-Personals erkrankt als im Bevölkerungsdurchschnitt. Das ist anders als in Italien oder Spanien, wo überdurchschnittlich viele Ärzte und Pfleger an COVID-19 erkrankten. Wir hatten auch nie einen Mangel an Schutzausrüstung.
Welchen Impfstoff favorisieren Sie persönlich?
Am meisten überzeugen mich zurzeit die beiden Messenger-RNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und von Moderna, weil sich gemäss den bisher bekannt gewordenen Daten eine sehr hohe Wirksamkeit von rund 95 Prozent abzeichnet. Ein Wert, von dem ich nicht zu träumen gewagt hätte. Sensationell ist auch die rasante Entwicklung vom Bekanntwerden der Virussequenz über die Impfstoffentwicklung und die Tests an Zehntausenden bis zur Impfstoffzulassung in weniger als einem Jahr. So etwas hat es noch nie gegeben! Das freut mich sehr, weil die Impfung einen entscheidenden Beitrag zur Beendigung der Pandemie leisten kann.
Haben die Messenger-RNA-Impfstoffe andere Nebenwirkungen als die konventionellen Impfstoffe?
Nein, die Messenger-RNA-Impfstoffe haben kein grundsätzlich anderes Nebenwirkungsspektrum als andere Impfungen. Dazu gehören lokale Reaktionen an der Impfstelle, wie Rötung, Schwellung und Schmerzen. Fieber ist selten. Unspezifische Beschwerden wie Müdigkeit oder Kopfschmerzen treten etwas häufiger auf als in der Plazebogruppe. Es handelt sich um typische Nebenwirkungen, wie wir sie auch von an-

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deren Impfstoffen bei Jugendlichen und Erwachsenen kennen und die in der Regel bereits nach 1 bis 2 Tagen wieder abklingen. Es gibt schon andere Impfungen, die weniger Nebenwirkungen haben, aber die Verträglichkeit der Messenger-RNA-Impfstoffe ist, nach allem was wir bisher wissen, gut. Und Sicherheitsbedenken sind bisher auch keine bekannt geworden.*
Abgesehen von der Coronapandemie: Welche neuen Erkenntnisse und Erfahrungen des letzten Jahres fanden Sie für Ihr Fachgebiet besonders spannend?
Wir Infektiologen waren 2020 alle sehr fokussiert auf Corona, sodass andere infektiologische Probleme wohl eher verdrängt wurden. Eine neue Erkenntnis gibt es allerdings schon: All die Massnahmen, die getroffen wurden, um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu verhindern, haben positive Nebeneffekte auf eine Vielzahl anderer Infektionskrankheiten, die von Mensch zu Mensch übertragen werden.

So betreue ich seit vielen Jahren im Rahmen der Swiss Paediatric Surveillance Unit (SPSU) die Erfassung von Pertussisfällen, die zur Hospitalisierung von Kindern und Jugendlichen führen. Noch nie waren es so wenige Fälle wie im Jahr 2020, der letzte wurde uns im Mai gemeldet. Ein weiteres Beispiel ist die jährliche Influenzaepidemie, die dieses Jahr in Australien und anderen Regionen der Südhalbkugel ausgefallen ist. Auch bei den Infektionen mit dem Respiratory Syncytial Virus (RSV) sehen wir den Effekt: Wir hatten bis jetzt im Herbst und Winter am UKBB noch keinen einzigen Fall, ganz anders als üblicherweise. Das Gleiche gilt bislang für die Influenza. Wir werden genau beobachten, auch epidemiologisch, wie sich dieses Phänomen weiterentwickeln wird. In Australien gibt es beispielsweise jetzt, also im dortigen Sommer, zunehmend RSV-Fälle, was völlig atypisch ist. Ich bin gespannt, was das Jahr 2021 an interessanten Entwicklungen bringen wird, und werde darüber gern wieder in einem Jahr berichten. s

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