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EDITORIAL
Altes und Neues zur Folsäure
Der Begriff «Vitamine» wurde vor hundert Jahren von dem Polen Casimir Funk geprägt; bereits ein Jahr später erfolgte die alphabetische Einteilung der Vitamine auf Vorschlag des Biochemikers McCollum. Als eines der letzten der 13 Vitamine wurde 1941 die Folsäure entdeckt. 1962 gelang es Viktor Herbert, die Anämie als klinisches Zeichen des Folatmangels eindeutig nachzuweisen; wenig später wurde der Zusammenhang von Folat mit der kindlichen Fehlbildung «Neuralrohrdefekt» (NRD) postuliert. Diese Erkenntnisse liessen bereits damals eine ungenügende Versorgung verschiedener Bevölkerungsgruppen mit Folsäure vermuten. Nach erfolgreichen Interventionsstudien mit Folsäure zur Prävention von NRD wurde 1998 die obligatorische Anreicherung von Backmehl mit Folsäure in den USA und Kanada und zwischenzeitlich in mehr als 50 Ländern eingeführt. Diese Anreicherung von Mehl mit Folsäure wurde auch in der Schweiz durch die Eidgenössische Ernährungskommission empfohlen, aus rechtlichen Gründen aber abgelehnt. Deshalb liegt das Schwergewicht bei uns auf einer ausreichenden Information der Risikogruppen. Hierbei leistet besonders die private Stiftung Folsäure Offensive Schweiz (FOS) gute Dienste. Sie ist auf verschiedenen medialen Kanälen aktiv (www.folsäure.ch; www.facebook.com/folsäure). Im Beitrag von U. Moser und Frau M. Eichholzer in dieser Ausgabe der SZE werden die Kenntnisse über Bedeutung, Biologie, Versorgung und Bedarf der Folsäure zusammengefasst. Dabei wird klar, dass Folsäure eine essenzielle Rolle bei der Übertragung von Methylgruppen einnimmt. Es beeinflusst damit wichtige Stoffwechselvorgänge, so auch genetische Informationen via Methylierung von DNA. Die Hypomethylierung von DNA ist ein wesentlicher Faktor in der Epigenetik und damit auch bei der fetalen Programmierung. Die Rolle der Folsäure bei der Verhütung von NRD und anderen kindlichen Fehlbildungen ist heute unbestritten. Wesentlich dazu beigetragen hat die klare Empfehlung einer zusätzlichen Einnahme von mindestens 0,4 mg Folsäure sowohl perikonzeptionell als auch in den ersten 12 Schwangerschaftswochen sowie die Mehlanreicherung. K. Bärlocher geht in seinem Beitrag besonders der Frage nach, welche Mechanismen im Stoffwechsel und zellulären Transport der Folsäure die Entstehung der Fehlbildungen erklären können. Dabei liefern auch Untersuchungen an Knock-out-Mäusen wichtige Hinweise. Dennoch bleiben noch manche Aspekte offen. Bei der Frage, ob die Folsäureversorgung mit den Risiken für Herz-Kreislauf-Störungen, Schlaganfall oder Demenz in Verbindung gebracht werden kann, tritt das Homocystein (Hcy) – eine schwefelhaltige Aminosäure und Zwischenprodukt im
Methioninstoffwechsel – in den
Mittelpunkt. W. F. Riesen be-
schreibt die Zusammenhänge
zwischen Hcy und Endothel-
schädigung. Hcy kann demnach
als Marker für koronare Herz-
krankheiten gelten. Dennoch
scheint der Einfluss der Folsäure
auf den Hcy-Spiegel das Risiko
für Herz-Kreislauf-Krankheiten nicht zu reduzieren, wenigstens
Kurt Bärlocher
im Rahmen einer sekundären
Prävention.
Folsäure und Krebs ist nach wie
vor ein viel diskutiertes Thema.
Ein spezieller Beitrag zu diesem
Thema war für dieses Heft vorge-
sehen, konnte aber wegen Er-
krankung des Autors nicht fer-
tiggestellt werden. Folsäure als
Vitamin für Wachstum und Zell-
teilung hat sich in epidemiologischen Studien als präventiv in
Ulrich Moser
der Verhütung von Colon-, Brust- und Prostatakrebs erwie-
sen, in anderen Studien wurde ihm jedoch eine krebs-
fördernde Wirkung zugeschrieben. Dies erstaunt nicht, da
Folsäure als Wachstumsvitamin ein bereits vorhandenes,
aber noch nicht erkanntes Karzinom in seinem Wachstum
fördern kann. Andere Arbeiten weisen darauf hin, dass durch
die höhere Folsäureeinnahme die Spiegel freier Folsäure im
Blut erhöht sind, da die Umwandlung des Vitamins in seine
aktive Form 5-Methyltetrahydrofolsäure (5-MTHF) limitiert
ist; die «freie Folsäure» wäre somit in der Lage, Immunzellen
negativ zu beeinflussen. Solche Effekte könnten durch die
Einnahme von 5-MTHF, das als Metafolin zur Verfügung steht
(bei uns jedoch nicht im Handel ist), vermieden werden.
Die Ausführungen zeigen, welche Bedeutung die Folsäure
für die Erhaltung der Gesundheit hat – es sollte dabei jedoch
nicht vergessen werden, dass sie lediglich eine der essenziel-
len Nahrungskomponenten ist, die im Zusammenwirken mit
anderen ihre gesundheitliche Wirkung entfaltet. Wir hoffen,
mit diesem Heft Ihr Interesse an der Folsäure geweckt zu ha-
ben, und wünschen Ihnen eine wertvolle Bereicherung beim
Lesen der Artikel.
Prof. Dr. med. Kurt Bärlocher, St. Gallen Dr. Ulrich Moser, Basel
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