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ESC
Prävention kardiovaskulärer Ereignisse
Lipidsenkung lohnt sich unbedingt
Foto: vh
Hohe LDL-Cholesterinspiegel leisten kardiovaskulären Ereignissen Vorschub. Je nach Höhe des LDLCholesterinspiegels und Vorerkrankungen ist das kardiovaskuläre Risiko unterschiedlich gross. Dieses kann aber durch eine intensive Lipidsenkung mindestens um die Hälfte reduziert werden, wie ein Übersichtsreferat am virtuellen Jahreskongress 2020 der European Society of Cardiology (ESC) zeigte.
Hohe LDL-Cholesterinspiegel sind massgeb-
lich für das Ansteigen des kardiovaskulären
Risikos verantwortlich. Durch Senkung des
Lipidspiegels ist eine Verringerung dieses Risi-
kos erreichbar, das Ausmass ist jedoch abhän-
gig vom Ausgangsrisiko und von der absoluten
Reduktion des LDL-Cholesterins. Deshalb
sind in der ESC-Guideline zum Management
der Dyslipidämie abgestuft nach kardiovasku-
Lale Tokgozoglu
lären Risikostufen, verschiedene Lipidziele festgelegt: Bei sehr hohem Ausgangsrisiko ist eine
Senkung des LDL-Cholesterins auf 1,4 mmol/l empfohlen, bei
hohem Ausgangsrisiko auf 1,8 mmol/l, bei moderatem Risiko
auf 2,6 mmol/l und bei tiefem Risiko auf 3,0 mmol/l (Abbil-
dung). Um diese Ziele zu erreichen, sind in jedem Fall Lebens-
stilmodifikationen vorzunehmen.
Zur medikamentösen Senkung stehen beispielsweise Sta-
tine, Ezetimibe und PCSK9-Hemmer zur Verfügung. Statine
haben ein gutes Nutzen-Risiko-Profil, ihr Nutzen überwiegt
die potenziellen Risiken (1). Tatsächlich liessen sich durch
eine intensive LDL-Cholesterin-Senkung mit Statinen ge-
mäss einer grossen Metaanalyse die kardiovaskulären Er-
eignisse etwa um die Hälfte reduzieren (2), so Prof. Lale
Tokgozoglu, Hacettepe Universität, Ankara (TR), und Prä-
sidentin der European Society of Atherosclerosis (EAS).
Durch Zugabe von Ezetimibe zu einem Statin kann die Er-
eignisrate, wie die IMPROVE-Studie gezeigt hat, weiter
gesenkt werden (3). PCSK9-Hemmer sind gemäss der
Expertin mit einer LDL-Cholesterin-Senkung um 50 bis 60
Prozent zurzeit die potentesten verfügbaren Lipidsenker.
Evolocumab beispielsweise, zusätzlich zu einer intensivier-
ten Statintherapie gegeben, zeigte in der FOURIER-Studie
eine signifikante Senkung von kardiovaskulären Ereignis-
sen von 15 Prozent, verglichen mit der Standardtherapie
(4). Die Studie zeigte ausserdem, dass sich mit zunehmender
LDL-Cholesterin-Senkung das kardiovaskuläre Risiko
immer weiter verringert (5). Alirocumab als zweiter erhält-
licher PCSK9-Hemmer senkte als Zusatz zur Standardthe-
rapie die Rate schwerer kardiovaskulärer Ereignisse eben-
falls signifikant um 15 Prozent stärker als die Standardthe-
rapie allein (6).
Ein weiterer, sich noch in klinischer Prüfung befindlicher Lipidsenker, lieferte ermutigende Daten. Inclisiran, ein hepatischer PCSK9-Synthese-Hemmer, zeigte in zwei Phase-III-Studien (ORION-10 und -11) bei Patienten mit kardiovaskulärer Vorerkrankung und bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko, mit jeweils erfolgloser Statintherapie, nach 18 Monaten eine anhaltende LDL-Cholesterin-Senkung von etwa 50 Prozent, verglichen mit Plazebo. Inclisiran wird alle 6 Monate subkutan verabreicht. Bei sonst ähnlichen Nebenwirkungen in beiden Gruppen waren injektionsbedingte Nebenwirkungen in der Inclisirangruppe häufiger (7).
Therapeutisches Vorgehen
Gemäss den ESC-Guidelines sollen als First-Line-Therapie hochwirksame Statine (wie z. B. Rosuvastatin oder Atorvastatin) gewählt und diese in der höchstmöglichen Dosierung verabreicht werden. Reicht diese Massnahme nicht aus, um das LDL-Cholesterin-Ziel in der betreffenden Risikokategorie zu erreichen, ist eine Kombination mit Ezetimibe der nächste Schritt. Bei Patienten mit sehr hohem Risiko unter Sekundärprävention, die das Therapieziel mit der Statin/Ezetimibe-Kombination nicht erreichen, ist eine Zugabe eines PCSK9-Hemmers empfohlen, das gilt auch für Patienten mit sehr hohem Risiko und familiärer Hypercholesterinämie (1). Was heisst das konkret? Prof. Jane Armitage, University of Oxford (UK), skizzierte das praktische Vorgehen am Fall einer 60-jährigen Frau, die mit einem Nicht-ST-HebungsMyokardinfarkt hospitalisiert wurde. Wegen einer Hypertonie in der Vorgeschichte im Alter von 55 Jahren erhielt sie von ihrem Hausarzt seit 5 Jahren Amlodipin 5 mg/Tag, seit 2 Jahren zusätzlich Pravastatin 20 mg/Tag. Ihr BMI betrug 29 kg/m2. In der Familie waren Herzerkrankungen bekannt, die Mutter starb mit 58 Jahren plötzlich, Ursache unbekannt. Es stellte sich zudem heraus, dass das LDL-Cholesterin trotz Statintherapie mit etwa 5 mmol/l zu hoch war. Als weiteres Vorgehen schlug Armitage einen Wechsel von Pravastatin auf ein stark wirksames Statin und die Zugabe von Ezetimibe bei Nichterreichen des LDL-Cholesterinspiegels von 1,4 mmol/l oder einer Reduktion des Ausgangsspiegels um 50 Prozent vor. Wenige Wochen nach Spitalentlassung sollte der Lipidspiegel erneut gemessen und im Fall von
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ESC
3,0 mmol/l 2,6 mmol/l
& ≥ 50% Reduktion
des Ausgangswerts
1,8 mmol/l 1,4 mmol/l
• SCORE < 1% Tief • SCORE ≥ 1 bis < 5% • Junge Patienten (Typ-1-Diabetes < 35 Jahre; Typ-2-Diabetes < 50 Jahre) mit einer Diabetes-mellitus-Erkrankungsdauer < 10 Jahre und ohne andere Risikofaktoren Moderat Hoch • SCORE ≥ 1 bis < 5% • Deutlich erhöhte einzelne Risikofaktoren, insbesondere TC > 8 mmol/l oder LDL-C > 4,9 mmol/l oder Blutdruck ≥ 180 mmHg • FH ohne andere Hauptrisikofaktoren • Moderate CKD (eGFR 30–59 ml/min) • Diabetes mellitus mit/ohne Endorganschäden, Diabeteserkrankungsdauer ≥ 10 Jahre oder zusätzliche Risikofaktoren
Sehr hoch
• ASCVD (klinisch/radiologisch) • SCORE ≥ 10% • FH mit ASCVD oder einem anderen Hauptrisikofaktor • Schwere CKD (eGFR < 30 ml/min) • Diabetes mellitus mit Endorganschaden: ≥ 3 Hauptrisikofaktoren oder frühe Entwicklung eines Typ-1-Diabetes (> 20 Jahre)
Tief Moderat
Hoch
Sehr hoch
Abkürzungen: TC: Totalcholesterin; LDL-C: LDL-Cholesterin; FH: familiäre Hypercholesterinämie; CKD: chronische Nierenerkrankung; eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate; ASCVD: atherosklerotisch bedingte kardiovaskuläre Erkrankung
Abbildung: Behandlungsziele bei der Senkung des LDL-Cholesterins (modifiziert nach [1])
weiterhin hohem Lipidspiegel eine Therapie mit einem
PCSK9-Hemmer erwogen werden. Zudem sollte bei ihren
Kindern der Lipidspiegel kontrolliert werden, um eine famili-
äre Hypercholesterinämie auszuschliessen. Eine Überwachung
beziehungsweise Korrektur bezüglich kardiovaskulärer Risi-
kofaktoren empfehle sich überdies.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Current Management of Dyslipidemia: Tools of the trade», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2020, 28. August bis 2. September 2020, virtuell.
Referenzen: 1. Mach F et al: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of
dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J. 2020;41(1):111-188. 2. Baigent C et al.: Efficacy and safety of more intensive lowering of LDL cholesterol: a meta-analysis of data from 170,000 participants in 26 randomised trials. Lancet. 2010;376(9753):1670-1681. 3. Cannon CP et al.: Ezetimibe added to statin therapy after acute coronary syndromes. N Engl J Med. 2015;372(25):2387-2397. 4. Sabatine MS et al.: Evolocumab and clinical outcomes in patients with cardiovascular disease. N Engl J Med. 2017;376(18):1713-1722. 5. Giugliano RP et al.: Clinical efficacy and safety of achieving very low LDL-cholesterol concentrations with the PCSK9 inhibitor evolocumab: a prespecified secondary analysis of the FOURIER trial. Lancet. 2017;390(10106):1962-1971 6. Schwartz GG et al.: Alirocumab and cardiovascular outcomes after acute coronary syndrome. N Engl J Med. 2018;379(22):20972107. 7. Ray KK et al.: Two phase 3 trials of inclisiran in patients with elevated LDL Cholesterol. N Engl J Med. 2020;382(16):1507-1519.
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