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Folgen anderer Therapien
Kollateralschaden iatrogener Diabetes
Diabetes mellitus kann aus sehr unterschiedlichen Gründen auftreten. Relativ wenig bekannt sind iatrogene Diabetesformen, die sich sowohl in Form von Insulinresistenz wie auch als Autoimmundiabetes manifestieren können. Beide Zustände sind nicht in allen Fällen reversibel.
Dr. Jeroen de Filette von der Freien Universität Brüssel wies am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) auf die Bedeutung innovativer Immuntherapien in der Onkologie hin. Eine Gruppe dieser Therapien sind die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, die bestimmte «Bremsen» im Immunsystem ausschalten und es so dem Tumor erschweren, sich der Immunantwort zu entziehen. Die Entdeckung dieser sogenannten negativen Immuncheckpoints wurde 2018 mit dem Nobelpreis für Medizin, verliehen an James P. Allison und Tasuku Honjo, belohnt. Als Therapieziele wurden der PD1-Rezeptor (programmed cell death 1) an der T-Zelle sowie sein Ligand an der Tumorzelle und das zytotoxische T-Zellen-Antigen 4 (CTLA-4) identifiziert. Checkpoint-Inhibitoren wurden zunächst beim malignen Melanom mit teilweise sensationellen Erfolgen eingesetzt und werden derzeit für immer mehr Indikationen zugelassen. Aufgrund ihres spezifischen Wirkmechanismus weisen sie ein völlig anderes Nebenwirkungsspektrum auf als zytotoxische Chemotherapien oder Tyrosinkinase-Inhibitoren. Die potenziellen Toxizitäten der Checkpoint-Inhibitoren rühren daher, dass die durch sie verursachte Aktivierung des Immunsystems nicht spezifisch ist, was in Inflammation und Autoimmunität resultieren kann. Diese Nebenwirkungen können im schlimmsten Fall Leber, Herz und Lunge betreffen, jedoch auch Auswirkungen auf endokrine Organe haben (1). Zu den potenziellen Folgen zählen Thyreoiditis, Hypophysitis, Adrenalitis und Autoimmundiabetes. Die häufigsten endokrinen Nebenwirkungen der Checkpoint-Inhibitoren betreffen die Schilddrüse, und zwar bei bis zu 30 Prozent der Patienten.
KURZ & BÜNDIG
� Ein Autoimmundiabetes tritt meist als fulminanter Typ-1Diabetes auf, häufig mit diabetischer Ketoazidose, die ein intensivmedizinisches Management erfordert.
� Organtransplantationen können die Entwicklung eines Diabetes mellitus induzieren.
� Die Evidenz für Strategien zur Vermeidung einer postoperativen Diabetesentwicklung ist noch ungenügend.
Typ-1-Diabetes als seltene Nebenwirkung der Immuntherapie
Eine Metaanalyse zeigt, dass Diabetes unter Checkpoint-Inhibition selten auftritt und dass PD1- oder PD1-L-Inhibitoren das höchste Risiko aufweisen (2). In einer Fallserie mit 91 Patienten war nur in 3 Fällen ein CTLA-4-Blocker involviert. Wenn Antikörper beider Klassen kombiniert wurden, war das Risiko für Autoimmunnebenwirkungen deutlich höher, und diese traten auch früher auf. Klinisch präsentiert sich der Autoimmundiabetes in 75 Prozent der Fälle als fulminanter Typ-1-Diabetes, häufig mit diabetischer Ketoazidose, die ein intensivmedizinisches Management erforderlich macht. Das kann bereits eine Woche nach dem Beginn der onkologischen Therapie eintreten. Jedoch ist auch ein später Beginn im Behandlungsverlauf oder sogar nach dem Absetzen der Therapie möglich (3, 4). Da bei einem so rasanten Verlauf keine Zeit für einen relevanten Anstieg des HbA1c bleibe, dürfe man sich von einem HbA1c unter 7 Prozent nicht täuschen lassen, so de Filette. Häufig zeigen Patienten, die unter Checkpoint-Inhibitoren einen Autoimmundiabetes entwickeln, auch eine Thyreoiditis, was die Frage nach einer Immunhyperreaktivität aufwirft. Auch sei nicht klar, ob sich bei dem durch Checkpoint-Inhibitoren ausgelösten Diabetes um einen «normalen» Typ-1-Diabetes oder um eine neue iatrogene Entität handle. Für Letzteres sprechen der oft fulminante Beginn, das etwas vom Typ-1-Diabetes abweichende Antikörperprofil sowie die Assoziation mit Thyreoiditis. Allerdings könnten die Zusammenhänge auch komplexer sein. De Filette weist auf bestimmte Genpolymorphismen in PD1 und CTLA-4 hin, die bei Patienten mit Typ-1-Diabetes überdurchschnittlich häufig vorkommen. Auch wurden bei Kindern mit Erstpräsentation eines Typ-1-Diabetes T-Zellen mit Dysregulation von PD1 gefunden (5). Bei regulatorischen T-Zellen von Patienten mit länger bestehendem Typ-1-Diabetes zeigten T-Zellen eine eingeschränkte Fähigkeit, PD1 hochzuregulieren (6). Darüber hinaus besitzt die Betazelle selbst die Fähigkeit, PD1 zu exprimieren (7). Wie schnell sich der Diabetes unter Anti-PD1 entwickeln kann, lässt sich daran erkennen, dass es in Studien nicht möglich war, durch regelmässige Blutzuckermessungen die Entwicklung eines Diabetes zu antizipieren (8). Das Management eines unter Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren aufgetrete-
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nen Diabetes folgt den üblichen Prinzipien des Managements von Typ-1-Diabetes, was Insulintherapie bedeutet. Versuche, mit Steroiden die Diabetesentwicklung zu unterbrechen, sind gescheitert (9). Darüber hinaus könne sich eine immunsuppressive Therapie als kontraproduktiv im Hinblick auf die onkologische Therapie erweisen, so de Filette. Die belgische Gesellschaft für medizinische Onkologie stellt im Internet Empfehlungen für den Umgang mit den Nebenwirkungen von Checkpoint-Inhibitoren zur Verfügung (10).
PTDM: Diabetes nach Organtransplantation
Zur Entwicklung eines iatrogenen Diabetes mellitus kann es auch bei Patienten nach Organtransplantation kommen. Dieser unterscheide sich allerdings von dem eben beschriebenen Typ-1-Diabetes und sei in einer Guideline aus dem Jahr 2003 (11) mit Typ-2-Diabetes mit einem langsamen, schleichenden Beginn verglichen worden, so Univ.-Prof. Dr. Manfred Hecking von der Medizinischen Universität Wien. Dieser Vergleich sei jedoch problematisch, da sich die Erkrankung sehr schnell entwickeln könne. Eine 2014 publizierte Leitlinie schlug für diese Diabetesform den Terminus Posttransplantation Diabetes Mellitus (PTDM) vor und betonte, dass eine transiente Hyperglykämie nach einer Organtransplantation noch keinen PTDM bedeute. In vielen Punkten war man sich 2014 mangels Evidenz jedoch nicht einig und forderte mehr Forschung (12). Mittlerweile hat man einiges über den Verlauf und die Pathophysiologie von PTDM gelernt. Viele Fragen werden noch diskutiert. Zum Beispiel jene, ob PTDM in erster Linie eine Störung der Insulinsekretion oder eine Folge von Insulinresistenz sei. Die 2018 vorgeschlagene Neuklassifizierung des Diabetes mellitus erleichtert diese Diskussion, da sie zeigt, dass es mehr gibt als den «reinen» Typ-1- oder Typ-2-Diabetes. Dass man nicht einfach von der Typ-2-Diabetes-Population auf einen PTDM schliessen kann, zeigen beispielsweise Untersuchungen, die bei PTDM-Patienten auch bei einem HbA1c-Wert unter 6,5 Prozent eine deutlich gestörte Glukosetoleranz fanden (13). Das sei wichtig für die Diagnosestellung, so Hecking. Und die Diagnose sei wiederum wichtig für die Risikobewertung der Patienten.
Remission bei sofortiger Insulintherapie?
Ein zentraler Unterschied zum Typ-2-Diabetes liegt auch darin, dass rasches Reagieren im Sinne einer sofortigen Intervention PTDM möglicherweise verhindern kann. Erste Hinweise in diese Richtung lieferte bereits eine 2012 in Wien durchgeführte Studie, in der transplantierte Patienten mit postoperativer Hyperglykämie sofort mit Basalinsulin behandelt wurden, was im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zu einer um 73 Prozent reduzierten Inzidenz von PTDM führte (14). Diese Ergebnisse konnten in einer multizentrischen Studie in der Intention-to-Treat-Analyse nicht bestätigt werden, was Hecking auf eine hohe Zahl an Protokollverletzungen zurückführt. In der Per-Protocol-Analyse wurde der primäre Endpunkt erreicht. Andere Gruppen versuchten, die Entwicklung eines PTDM durch Veränderungen des immunsuppressiven Regimes aufzuhalten, und hatten damit Erfolg – allerdings um den Preis höherer Abstossungsraten (15). Hinsichtlich des Managements eines manifesten PTDM existieren keine einheitlichen oder gar verbindlichen Empfehlun-
gen. Die wenigen verfügbaren Studien wurden mit sehr gerin-
gen Patientenzahlen durchgeführt. Und die verfügbaren
Daten liefern keinen Nachweis, dass die Therapie überhaupt
Einfluss auf harte Endpunkte hat (16). Zum Einsatz der neu-
eren Antidiabetika ist wenig Evidenz verfügbar. Eine in Wien
durchgeführte Studie, für die Patienten von Insulin auf einen
SGLT2-Inhibitor umgestellt wurden, zeigte eine Verschlech-
terung der Blutzuckerprofile, eine Zunahme des HbA1c-Werts von 0,4 Prozent sowie einen Gewichtsverlust von 5 kg inner-
halb von 12 Monaten (17). Hecking ist dennoch der Ansicht,
dass der Einsatz von SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezep-
tor-Agonisten bei PTDM aufgrund der potenziell organpro-
tektiven Effekte sinnvoll sein kann.
s
Reno Barth
Quelle: «When your medicine gives you diabetes». Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 21. bis 25. September, virtuell.
Referenzen: 1. Elia G et al.: New insight in endocrine-related adverse events asso-
ciated to immune checkpoint blockade. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab. 2020 Jan; 34(1): 101370. 2. de Filette J et al.: A systematic review and meta-analysis of endocrine-related adverse events associated with immune checkpoint inhibitors. Horm Metab Res. 2019 Mar; 51(3): 145–156. 3. Gauci ML et al.: Autoimmune diabetes induced by PD-1 inhibitor-retrospective analysis and pathogenesis: a case report and literature review. Cancer Immunol Immunother. 2017 Nov; 66(11): 1399–1410. 4. Stamatouli AM et al.: Collateral damage: insulin-dependent diabetes induced with checkpoint inhibitors. Diabetes. 2018 Aug; 67(8): 1471–1480. 5. Granados HM et al.: Programmed cell death-1, PD-1, is dysregulated in T cells from children with new onset type 1 diabetes. PLoS One. 2017 Sep 6; 12(9): e0183887 6. Perri V et al.: Expression of PD-1 molecule on regulatory T lymphocytes in patients with insulin-dependent diabetes mellitus. Int J Mol Sci. 2015 Sep 18; 16(9): 22584–22605. 7. Colli ML et al.: PDL1 is expressed in the islets of people with type 1 diabetes and is up-regulated by interferons-α and-γ via IRF1 induction. EBioMedicine. 2018 Oct; 36: 367–375. 8. Magis Q et al.: Diabetes and blood glucose disorders under antiPD1. J Immunother. 2018 Jun; 41(5): 232–240. 9. Aleksova J et al.: Glucocorticoids did not reverse type 1 diabetes mellitus secondary to pembrolizumab in a patient with metastatic melanoma. BMJ Case Rep. 2016 Nov 23; 2016: bcr2016217454. 10. https: //www.bsmo.be/immunomanager/. Letzter Zugriff: 2.11.2020. 11. Sharif A et al.: Proceedings from an international consensus meeting on posttransplantation diabetes mellitus: recommendations and future directions. Am J Transplant. 2014 Sep; 14(9): 1992–2000. 12. Davidson J et al.: New-onset diabetes after transplantation: 2003 International consensus guidelines. Proceedings of an international expert panel meeting. Barcelona, Spain, 19 February 2003. Transplantation. 2003 May 27; 75(10 Suppl): SS3–24. 13. Eide IA et al.: Limitations of hemoglobin A1c for the diagnosis of posttransplant diabetes mellitus. Transplantation. 2015 Mar; 99(3): 629–635. 14. Hecking M et al.: Early basal insulin therapy decreases new-onset diabetes after renal transplantation. J Am Soc Nephrol. 2012 Apr; 23(4): 739–749. 15. Torres A et al.: Randomized controlled trial assessing the impact of tacrolimus versus cyclosporine on the incidence of posttransplant diabetes mellitus. Kidney Int Rep. 2018 Jul 11; 3(6): 1304–1315. 16. Topitz D et al.: Cardiovascular events associate with diabetes status rather than with early basal insulin treatment for the prevention of post-transplantation diabetes mellitus. Nephrol Dial Transplant. 2020 Mar 1; 35(3): 544–546. 17. Schwaiger E et al.: Empagliflozin in posttransplantation diabetes mellitus: a prospective, interventional pilot study on glucose metabolism, fluid volume, and patient safety. Am J Transplant. 2019 Mar; 19(3): 907–919.
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