Transkript
4 • 2020
Fortbildung
Neuro-COVID
Neurologische Begleitsymptome können nach akuter COVID-19-
Erkrankung persistieren
Riech- und Geschmacksstörungen sind nicht die einzigen für COVID-19 charakteristischen neurologischen Symptome. Zahlreiche Studien haben inzwischen gezeigt, dass SARS-CoV-2 auch das Gehirn befallen und zerebrovaskuläre Komplikationen bis hin zu schweren Schlaganfällen auslösen kann. In einigen Fällen halten die neurologischen Symptome und Ausfälle auch nach Abklingen der akuten Erkrankung an.
Schon 2002 während der ersten SARS-Epidemie wie auch 2012 bei MERS-(Middle East respiratory syndrome)erkrankten Patienten zeigte sich bereits, dass Coronaviren auch das Gehirn befallen können. Wie eine kürzlich in Lancet Psychiatry publizierte Metaanalyse ergab, konnten in der akuten Erkrankungsphase häufig neurologische Symptome beobachtet werden, darunter Verwirrtheit, depressive Verstimmungen, Angst, Gedächtnisverlust und Schlaflosigkeit. Bei SARS-Patienten traten zudem steroidinduzierte Manien und Psychosen auf. Selbst nach Abflauen der Krankheit hielten diese Symptome häufig an, einige Patienten leiden langfristig unter Fatigue und posttraumatischen Belastungsstörungen (1). Auch bei COVID-19-Patienten zeigen sich vergleichbare neurologische Begleiterscheinungen – Berichte darüber finden sich inzwischen in zahlreichen Studien. Neben den häufig auftretenden Geruchs- und Geschmacksstörungen wurden während der akuten Krankheitsphase auch Enzephalopathien, Entzündungen von Gehirn und Rückenmark sowie Schlaganfälle beobachtet, wobei letztere auch jüngere COVID-19-Patienten ohne Vorerkrankungen erleiden können. Die Virusinfektion kann auch auf das periphere Nervensystem übergreifen, so dass es zu weiteren neurologi-
schen Komplikationen kommt, wie Fallberichte zum Auftreten eines Guillain-Barré-Syndroms zeigen. Aufgrund dieser Beobachtungen haben Neurologen weltweit inzwischen den Begriff «NeuroCOVID» geprägt (2).
Persistenz neurologischer Symptome Als besonders beunruhigend empfinden die Neurologen die Erkenntnis, dass die Symptome auch nach Abklingen einer SARS-CoV-2-Infektion weiterhin bestehen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) zitiert eine kürzlich in JAMA publizierte Studie (2, 3). Demnach leiden 87 Prozent der COVID-19-Patienten nach ihrem Spitalaufenthalt immer noch unter persistierenden neurologischen Symptomen, wobei allein 53 Prozent von anhaltender Müdigkeit (Fatigue) berichteten, jeder Zehnte über anhaltende Kopfschmerzen, jeder Zwanzigste über Schwindel klagte. Häufig waren auch Geruchs- und Geschmackssinn weiterhin eingeschränkt. Hier zeige sich, so die DGN, eine interessante historische Analogie: Auch die Spanische Grippe 1918 habe zu ungeklärten neurologischen Symptomen geführt, an denen noch ein Jahrzehnt lang über eine Million Menschen litten, damals «Enzephalitis lethargica» oder Europäische Schlafkrankheit genannt. Die Neurologen schliessen daraus, dass eine neurologische Nachbetreuung von COVID-19-Patienten enorm wichtig sei.
Wie schädigt SARS-CoV-2 die Nervenzellen? SARS-CoV-2 konnte bisher nur in den Gehirnzellen selbst, nicht jedoch in Blut- und Lymphbahnen und nur vereinzelt im Liquor nachgewiesen werden. Dies spricht dafür, dass es sich ausschliesslich über die Nervenzellen verbreitet. Damit könnten die neurologischen Symptome mögli-
cherweise durch indirekt viral vermittelte Mecha-
nismen ausgelöst werden, ähnlich wie die auftre-
tenden Schlaganfälle unter COVID-19 vermutlich
auch mit der virusbedingten Aktivierung des Ge-
rinnungssystems zusammenhängen.
Für eine Autoimmunreaktion spricht dagegen
eine Studie der Berliner Charité, wie die DGN be-
richtet. Bei elf schwer erkrankten Intensivpatien-
ten mit COVID-19 und neurologischen Symptomen
fanden die Mediziner spezielle Autoantikörper,
die genau an die Oberflächenstruktur der Nerven-
zellen passen. Noch ist nicht klar, ob die Anti-
körper als Folge der viralen Entzündung gebildet
werden, oder ob sich das Virus hinter den körper-
eigenen Oberflächenstrukturen versteckt, um den
Killerzellen des Immunsystems zu entgehen. «So
kann SARS-CoV-2 ein neurologisches Symptom
oder eine neurologische Erkrankung katalysie-
ren», erklärt Professor Dr. Harald Prüss von der
Charité Berlin, der die Daten veröffentlicht hat (4).
Ein solcher Mechanismus sei auch von anderen
Viren, z.B. den Herpes-Viren, bekannt. Zur ge-
nauen Klärung der Pathomechanismen, die bei
COVID-19-Patienten zu neurologischen Komplika-
tionen führen, sind noch weitere prospektive
Befunde von grösseren Patientenzahlen erfor-
derlich.
CR
Literatur: 1. Rogers JP, Chesney E, Oliver D et al.: Psychiatric and neuropsychiatric presentations associated with severe coronavirus infections: a systematic review and meta-analysis with comparison to the COVID-19 pandemic. Lancet Psychiatry 2020; 7(7): 611–627. 2. Neuro-COVID: Es können nicht nur neurologische Begleitsymptome, sondern auch neurologische Folgeerkrankungen auftreten. Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 21. Juli 2020. www.presse.dgn.org 3. Carfi A, Bernabei R, Landi F et al., Persistent Symptoms in Patients After Acute COVID-19. JAMA 2020. Published online July 9. https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2768351 4. Franke C, Ferse C, Kreye J et al.: High frequency of cerebrospinal fluid autoantibodies in COVID-19-patients with neurological symptoms. medRxiv 2020. Publishes July 6. www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.07.01.20143214v1.full.pdf
– 17 –