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Ein Rückblick

Corona oder wie man Freunde verliert …

Ein ziemlich subjektiver Rückblick auf die Zeit der Coronakrise, deren Entwicklung innerhalb des klassischen politischen Links-Rechts-Schemas, den merkwürdig peinlichen Mut, Angst zu zeigen, nicht für möglich gehaltenes irrationales Potenzial bei gescheiten Leuten und das Erstaunen beim Diskutieren mit Freunden.

Was mach ich nur mit meinen Freunden von der konservativen, politisch bürgerlichen bis eher rechten Fraktion, mit denen ich vor Corona so oft gleicher Meinung war? Wenn’s um die EU ging, um Selbstverantwortung, um Migration, um den Gängel- und Verteilstaat. Seit dieses Virus Leben, Diskussionen, Psyche und Ferienpläne bestimmt, verstehe ich manche Freunde nicht mehr. Liegt’s an mir? Vielleicht ist ja wirklich alles übertrieben, was der sorgende Staat so anordnet zu unserem Schutz vor dem Corona-Virus. Vielleicht sterben am Ende (an welchem Ende?) ja tatsächlich nicht mehr Leute an COVID-19 als an einer gewöhnlichen Grippe. Vielleicht gehöre ich ja auch bloss zu den «Verängstigten» und gehe den Panikpropagandisten auf den Leim. 

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Beginnen wir beim Symbolträchtigsten und Banalsten, bei den Masken. Ist das Tragen einer Maske wirklich eine Zumutung? Beim Assistieren im OP habe ich jedenfalls nie einen Kollegen Chirurgen klagen hören und ich kenne keinen, der psychisch geschädigt aus dem Operationssaal gewankt wäre. Schneidende Kollegen mögen manchmal etwas eigen sein, aber an den Masken liegt das sicher nicht. Im Ernst, es gibt Menschen, die tragen acht Stunden täglich eine Maske und bleiben normal und gesund. Ist es nicht eher so: Maske verweigern ist eine überaus simple, völlig kostenlose, jedoch hochgradig symbolisch aufgeladene Protesthaltung. Zugegeben, die Frage, ob und wieviel Masken dazu beitragen, Ansteckungen zu verhindern, ist wohl nicht definitiv geklärt. Aber ob sich eine epische Diskussion darüber ausgerechnet jetzt lohnt? Eher nicht, oder?

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Bin ich verängstigt? Ich glaube nicht, obschon: an COVID-19 möchte ich jedenfalls nicht erkranken. Die Chancen, ohne anschliessende Herz-, Nieren-, neurologische oder psychische Schäden aus der Krankheit raus zu kommen, sind schliesslich nicht so gross. Nicht einmal für jüngere als ich es bin. Aber es gibt auch 60-, 70-, 80-Jährige, denen die Kranken- und Sterbestatistiken keinen Eindruck machen. Warum nicht? Weil sie die Infektions- und Epidemie-Statistiken und Kurven nicht verstehen? Oder weil ihnen wie allen Menschen ein sechster Sinn für Wahrscheinlichkeiten fehlt? Das habe ich eh mein Lebtag nicht verstanden, dass uns die Natur nicht mit einem Sinn für Statistik versehen hat. Mit unserer sinnenmässigen Fehlausstattung fürchten wir uns mehr vor den seltenen und weniger vor den wahrscheinlichen, fatalen Ereignissen. 

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Doch die Angst vor Krankheit ist ja nicht das Einzige, das so manchen meiner Freunde und Freundinnen abgeht. Sie fühlen sich von Maskenpflicht, Abstandsgebot, Quarantäne, Versammlungsverbot nicht etwa geschützt, sondern ihrer Freiheit beraubt. Von Behörden und Fachleuten, denen ich unter normalen Umständen genauso misstraue wie sie. Mach ich ja auch diesmal, nur eben anders herum. Die Herren Koch und Berset haben mich schon bei der ersten Welle (von der sie naiverweise glaubten, es bleibe die einzige) nicht überzeugt. Als noch keiner genau wusste, ob wir mit Hunderten oder Zehntausenden von Toten rechnen müssen, agierten sie zögerlich, mutlos, verdattert vom Ausmass der Verantwortung, nicht willens, epidemiologische Vorhersagen zur Kenntnis zu nehmen und anzuordnen, was eigentlich notwendig gewesen wäre. Oder wie ein respektloser Kollege meinte: «ohne Eier». Anders als der eher androgyne Sebastian Kurz, der früher die richtigen Entscheide traf und Österreich dementsprechend besser hat dastehen lassen. 

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Meine Corona-kritischen Freunde hingegen hätten den bundesrätlich verordneten Lockdown viel früher beendet und würden vermutlich sogar heute noch nach Lockerungen rufen. Sie nervten sich über den Alarmismus von Regierungs- und anderen -räten, den unsereiner eher als nervige Zögerlichkeit wahrnahm. Das Schicksal, so argumentierten sie, waltet mit oder ohne Virus; die zwei, drei Personen, die zusätzlich sterben, würden früher oder später ohnehin von dannen gehen. Die Schweden hatten’s ihrer Ansicht nach begriffen. 5000 tote Heimbewohner,­ so what? Oder wollt ihr die zur Sicherheit ewig einsperren? Ausserdem: von Übersterblichkeit keine Rede. Hatten sie recht? Gut möglich, dass 90-jährige krebskranke Pflegeheimbewohner nicht viel länger überlebt hätten und tatsächlich eher «mit» als «an» COVID-19 starben. Andererseits: So häufig sind moribunde coronapositive 90-Jährige nun auch wieder nicht, dass sie statistisch ins Gewicht fielen.

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Daneben werde ich den Verdacht nicht los, dass ein Teil derjenigen, die salbungsvoll und abgeklärt für die Freiheit der Senioren eintreten, sich nicht in Heimen einsperren lassen zu müssen, sondern notfalls an Corona sterben zu dürfen, ganz froh wäre, wenn mehr Senioren auf diese ihre «Freiheit» pochen würden. Und dann halt stürben. Damit wäre das Corona-Problem deutlich entschärft, dann dürften die Clubs und Fussballstadien auch wieder ohne schlechtes Gewissen öffnen: Wir machen doch alles für die Alten, aber seht, die wollen ja gar nicht geschützt werden. 

«Leider» gibt es aber rund eine Million 75- bis 80+-Jährige («Senioren»), die reisen, noch aktiv sind in ihrem Betrieb, neue Projekte wälzen und nicht die geringste Lust haben, das Zeitliche zu segnen. Was sagt man denen? «Sieh, der Tod ist eh so nah, spielt doch keine Rolle, kommt er halt ein paar Jährchen früher.» Ja, super. Zu Hauf liest man Sätze wie «Man muss den Tod als Teil des Lebens wieder zu akzeptieren lernen.» Die das sagen und schreiben, meinen selbstverständlich den Tod der andern. 

Nein, die fitten, lebenslustigen Senioren, wollen sich nicht total isolieren und auch nicht vor Angst, die man ihnen einzureden versucht, sterben, sie wollen einfach vorsichtig sein und möchten, dass andere sie nicht leichtsinnig gefährden. Sie sind genau so ungeduldig und genervt wie alle, haben aber wenig Lust, «halt mit dem Virus zu leben» (Virologe Streeck), womit gemeint ist, sich von ihm bei Gelegenheit umbringen zu lassen. Sie wissen, dass man das Virus nicht ausrotten kann, aber sie wissen ebenso gut, dass es in absehbarer Zeit Schutz vor oder Waffen gegen das Virus gibt. Ist ein bisschen Geduld bis dahin zuviel verlangt?

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Vor einigen Wochen noch waren «wir Vorsichtigen» (unsere rechten Freunde munkelten: «Feiglinge») mit der Frage konfrontiert: Wo sind die Toten? Die Intensivstationen bei uns waren dermassen leer, dass die Spitäler Kurzarbeit hätten beantragen können. Und einen Moment lang stutzte ich wieder: Haben die Coronakritiker doch recht? Generiert man volkswirtschaftliche Kosten von Dutzenden Milliarden, stürzt Familien und Selbstständige ins Unglück, sperrt Alte ein, produziert so viele Arbeitslose wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr, setzt Grundrechte ausser Kraft, erlässt Gebote, von denen niemand sicher weiss, ob sie nützen – und das alles, um Todesfälle zu vermeiden, die’s nirgends gibt?

Lange war gegen den Ärger der Coronakritiker kein Kraut gewachsen. Auf das epidemiologische Zauberwort «noch» reagierte eh keiner. Epidemiologische Vorhersagen sind offenbar zu abstrakt. Und treffen manchmal dank geeigneter Gegenmassnahmen gar moderater ein. Eine mögliche Bedrohung in einer eventuell eintretenden Zukunft ist für viele ein viel zu vages Szenario. Meinte nicht sogar die ehemalige Präsidentin der GDK noch kurz vor Beginn der ersten Welle im «Club» (TV SRF), man könne ja erst schauen und dann reagieren? Ja, solche Politiker regieren die Schweiz.

Handeln in Zeiten der Pandemie heisst Handeln zu einem Zeitpunkt, in dem «noch» nichts passiert. Wenn die Einschränkungen (noch) keine Entsprechung in der objektiv erlebten Wirklichkeit finden. Wenn testen, Hinterlassen persönlicher Daten, App aktivieren, Zimmer lüften, Maske tragen, Auslandreisen meiden, auf Kino, Theater, Disco, Hochzeits- und Geburtstagsfeier verzichten (noch) keine unmittelbare Wirkung haben. Wenn die Tatsache, dass Herbst und Winter uns in die Innenräume zwingen, junge Infizierte ihre Eltern besuchen, die Aerosole in ungelüfteten Stuben, Sitzungsräumen und Schulzimmern Rambazamba feiern und am Ende junge Risikopatienten ebenso wie Ältere sterben, noch nicht sichtbar ist. Wenn die Hoffnung, dass das Virus bis Weihnachten auf wundersame Weise seine Aggressivität abgelegt hat oder/und es vielleicht doch früher eine Impfung oder ein wirksames Medikament gibt, noch nicht gestorben ist.

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Vielen meiner Freunde geht es um Freiheit. Allerdings weniger um die Freiheit in sozialem, politischem oder philosophischem Sinn, sondern um die plumpe Freiheit, genau das tun und lassen zu können, was man hier und jetzt grad möchte. Aber ist das die Freiheit, die gemeint ist, wenn Leute auf der Strasse gegen die behördlichen Einschränkungen protestieren? Eher nicht. Waren wir als Junge wirklich genauso sorg- und rücksichtslos? Kann sein. Vielleicht ist der Coronastreit tatsächlich nur und hauptsächlich ein Generationenkonflikt. Weil man die stärker gefährdeten Alten nicht vor den weniger anfälligen Jungen schützen kann, ohne entweder die Alten ein- oder die Jungen auszusperren (aus Clubs und Easyjet-Flugis). 

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Zum Glück trennt wenigstens beim Impfen meine rechten Freunde nur selten etwas von mir, liegen viele von ihnen mit den esoterischen Coronaleugnern und Impfgegnern, die ihre Kinder lieber dem 1:1000-Risiko einer Masernenzephalitis aussetzen als dem 1:5000-Risiko eines Impfausschlags, genauso über Kreuz wie ich. Wie gesagt: wem nicht nur der Wahrscheinlichkeitssinn fehlt (wie uns allen), sondern zusätzlich noch Wille oder Fähigkeit, Wahrscheinlichkeiten wenigstens intellektuell logisch einzuordnen, dem oder der ist schwer zu helfen. Sie bleiben ja auch ungeimpft geschützt, die Impfmuffel, wenn sich genügend Impfwillige finden. Das wollen wir gerne akzeptieren; es ist schliesslich keine böswillige Dummheit, es ist bloss die natürliche Dummheit am linken Rand der Gaussschen IQ-Glocke.

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Wird Corona je vorbei sein? Jene, die hinter der Krise miese totalitäre Absichten vermuten, meinen, das sei erst dann der Fall, wenn der kollektive Angstzustand überwunden sei. Wenn alle ihre Masken wegwerfen, Händchen halten, angstfrei knutschen, sich in Kirchen und Clubs aus voller Kehle anzusingen trauen, wenn alle Plexiglasscheiben zeremoniell entsorgt, alle Stadien, Museen und Massagesalons wieder geöffnet werden. Wenn Bildungsbeauftragte und Lehrer endlich einsehen, dass Kinder des Jahres 2020 wegen Masken und distancing, wegen Halbklassen und e-Learning und wegen des Hygienefimmels der Schulleitungen dauerhaft neurotisiert und quasi lebensunfähig in die Postcoronawelt entlassen werden und das viel schlimmer ist als ein paar tausend tote Alte. Wenn endlich die Menschheit die Podcasts, Videoclips und Bücher von Leuten wie Bhakdi, Dr. Schiffmann, Attila Hildmann und andern Corona-Community-Gurus sehen, lesen und glauben. 

Bis dahin bleiben wir, so argwöhnen die Coronakritiker, der Willkür von Regierungsräten, Bundesräten, Kanzlern, Bill Gates, Epidemiologen oder den Weltverschwörern im Silicon Valley überlassen. Diese Pandemie ende erst, so ihr Credo, wenn wir lernen, uns zu widersetzen. Hat nicht Hannah Arendts gesagt: «Kein Mensch hat das Recht, zu gehorchen.» Hat sie, allerdings hat sie den Satz vermutlich anders gemeint: Niemand hat das Recht zu gehorchen – ohne vorher zu prüfen, welches die Folgen seines Gehorsams sein werden. Nur, genau das Gleiche gilt für unüberprüftes Nichtgehorchen. 

Nein, ich glaube nicht, dass diese Pandemie genau dann vorbei ist, wenn wir uns der Obrigkeit widersetzen und keine Angst mehr haben. Wir werden erst dann keine Angst mehr haben (müssen) vor diesem Sars-Zeug, wenn wir des Virus Herr (oder Frau) geworden sind. Weil ­– Pathos hin oder her – die Klügsten, Cleversten, Kreativsten, Fleissigsten, meinetwegen die Geschäftstüchtigsten, es geschafft haben, Wissenschaft und Technik so zu nutzen, dass dem Virus grauslich wird und es verschwindet, zerstört wird, ausgerottet, vernichtet. Und wenn andere – hoffentlich – dafür gesorgt haben, dass die beschränkte Anzahl Impfdosen gerecht verteilt wird. Bis dahin bleibe ich ungern, aber ganz wohl, ein klein wenig anderer Meinung als meine Freunde eher rechts. Und wünsche ihnen, dass sie trotz aller Widerspenstigkeit vorsichtig bleiben. Dem Virus ist, so fürchte ich, blosser Mangel an Angst nämlich schei**egal. 

Richard Altorfer