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BERICHT
Kampf gegen Risikofaktoren für Hirnschlag
Hirnschlagprävention als Investition in die Zukunft
Von allen Risikofaktoren für Hirnschlag hat die Hypertonie das meiste Gewicht. Daher sollte ab der vierten Lebensdekade auf eine gute Blutdruckeinstellung geachtet werden. Wie die Motivation dazu verbessert werden kann und welche weiteren präventiven Massnahmen wichtig sind, erklärte PD Dr. Hakan Sarikaya, Klinik für Neurologie, Inselspital Bern, und Neuropraxis Birseck, Basel, am FOMF Innere Medizin in Zürich.
In der Schweiz erleiden 16 000 Patienten pro Jahr einen Hirnschlag, weltweit sind es etwa 16 Millionen. Gemäss einer Schätzung der WHO ereignet sich alle 2 Sekunden ein Hirnschlag und alle 6 Sekunden ein Hirnschlag mit Todesfolge oder Behinderung. Das Hirnschlagrisiko liege bei 1:6, jeder Sechste erleide demnach einen Hirnschlag, berichtet Sarikaya. Hirnschläge sind die häufigste Ursache für Behinderungen und die zweithäufigste für Todesfälle, was die WHO dazu bewog, Hirnschläge als Epidemie des 21. Jahrhunderts zu bezeichnen. Bis zur ersten publizierten Studie 1995 zur intravenösen Hirnschlagthrombolyse gab es kein Mittel, um die Folgen eines Hirnschlags abzumildern. Ab diesem Zeitpunkt wurden effiziente Lysetherapien entwickelt, später auch die endovaskuläre Therapie bei zugänglichem Gefässverschluss. Mit der Weiterentwicklung ist auch das Zeitfenster für diese Massnahmen grösser geworden (bis 24 Stunden), doch je kürzer der Hirnschlag zurückliegt, desto grösser sind die Chancen für eine vollständige Erholung. Weil aber gemäss Sarikaya etwa 10 bis 20 Prozent aller Hirnschlagpatienten von einer Lyse nicht profitierten, sei es, weil sie keine erhielten oder zu spät dran seien, komme der Prävention eine grosse Bedeutung zu. Zu den modifizierbaren Risikofaktoren gehören arterielle Hypertonie, Übergewicht, Hyperlipidämie, Diabetes und Nikotinabusus. Weitere Risikofaktoren sind Migräne mit Aura, obstruktive Schlafapnoe, Alkoholismus, Entzündung und Infektion sowie Depression. Unter allen Risikofaktoren hat die Hypertonie das stärkste Gewicht. Das Hirnschlagrisiko nimmt linear mit steigendem Blutdruck zu, ebenfalls erhöht ist es bei einer hohen Blutdruckvariablilität. Gemäss Sari-
MERKSÄTZE
� Bei einem akuten Hirnschlag gibt es keine starren Zeitlimitationen mehr. Eingriffe sind bis zu 24 Stunden nach dem Ereignis möglich.
� Im Zweifelsfall sollen alle Patienten in eine Stroke Unit geschickt werden.
� Es gibt keine strikten Alterslimitationen mehr.
� Auch Patienten in Pflegeheimen können selektiv profitieren.
kaya sprächen Patienten mit starken Blutdruckschwankungen gut auf Kalziumkanalblocker an. Bereits die Behandlung einer milden Hypertonie (130–140 mmHg) bewirkt gemäss einer Studie eine Risikoreduktion von 28 Prozent. Im Vergleich dazu sinkt das Myokardinfarktrisiko nur um 8,8 Prozent. Ein Absetzen der antiypertensiven Therapie infolge Nebenwirkungen dagegen geht mit einer NNH (number needed to harm) von 36 einher (1). Auch bei Patienten mit transitorischer ischämischer Attacke (TIA) und Karotisstenose bleibt die aggressive Blutdrucksenkung wichtig, sofern eine solche gut toleriert ist. Bis zu einem Stenosegrad von 70 Prozent sei nicht mit hämodynamischen Auswirkungen zu rechnen, ab 90 Prozent werde es kritisch, da müsse von einer antihypertensiven Therapie abgesehen werden, so Sarikaya. Das Ziel der Blutdrucksenkung sollte generell < 140/90 mmHg liegen, mit individuellen Anpassungen je nach Komorbidität. Dessen Erreichen ist jedoch massgeblich von der Adhärenz abhängig. Hierzu gibt der Neurologe einen Tipp zur Motivation der Patienten: Von allen Organen leide das Gehirn am meisten unter einem erhöhten Blutdruck, es profitiere auch am meisten von einer Senkung. Eine gute Blutdruckeinstellung im Alter von 40 bis 50 Jahren sei daher eine Investition in die Zukunft auch bezüglich Demenzprävention. Denn ein systolischer Anstieg um 1 mmHg führe zu einem späteren kognitiven Abbau von > 1 Prozent. Bezüglich Hirnschlag bewirke schon eine geringe Blutdrucksenkung von 2/5 mmHg eine relative Senkung des Hirnschlagrisikos von 20 bis 30 Prozent. Die Blutdrucksenkung erfolgt über Kalziumantagonisten und ACE-Hemmer/Sartane, idealerweise in Kombinationen. Betablocker sollten Patienten mit Herzerkrankungen vorbehalten bleiben.
ASS nach Hirnschlag oder TIA
In der sekundären Hirnschlagprävention hat auch Acetylsalicylsäure (ASS) einen Stellenwert. Bei Patienten nach TIA oder ischämischem Hirnschlag reduziert eine frühzeitige Gabe von ASS das Risiko für ein erneutes Ereignis substanziell, wie eine grosse Untersuchung mit gepoolten Daten von 15 778 Teilnehmern aus 12 Studien zeigte (2). Einen zusätzlichen Effekt hat die duale Therapie von ASS plus Clopidogrel. In der POINT-Studie zeigte die Kombination versus ASS
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allein 15 Hirninfarkte weniger pro 1000 Patienten und 5 Blutungskomplikationen. Der Therapieeffekt ist in den ersten 30 Tagen am stärksten, das Blutungsrisiko beginnt nach 30 Tagen anzusteigen. Daher empfiehlt sich die Dualtherapie für 4 Wochen nach TIA oder Hirnschlag (3). Das eigne sich nicht für alle Patienten, sondern für jene mit hohem Risiko, wie beispielsweise mit mittelgradiger Stenose, so der Experte. Bei Patienten, die unter ASS oder Clopidogrel Rezidive erlitten, lohne es sich nicht, von ASS auf Clopidogrel umzustellen. In diesem Fall würde sich eine Kombination von ASS plus Rivaroxaban anbieten, Voraussetzung dafür sei eine stabile KHK oder pAVK. In der COMPACT-Studie zeigte diese Kombination (Rivaroxaban 2 × 2,5 mg plus ASS 100 mg) im Vergleich zu den beiden Monotherapien eine signifikante Risikoreduktion des kumulativen Endpunktes, bestehend aus kardiovaskulärem Tod, Hirnschlag oder Myokardinfarkt, um 23 Prozent (4). Wichtig sei aber auch die Lebensstilmodifikation bezüglich mehr Bewegung, Abbau des Übergewichts, Rauchstopp und Reduktion des riskanten Alkoholkonsums. Zusammen mit einer guten Therapie könne das Hirnschlagrisiko um bis zu 80 Prozent reduziert werden.
Ernährungstipps
Auch mit der Ernährung kann ein Beitrag zur Hirnschlagrisikoreduktion geleistet werden. Eine salzarme und kaliumrei-
che Ernährung empfiehlt die American Heart Association zur
primären Hirnschlagprävention. Der Schutz entstehe laut
Klasse-1A-Empfehlung indirekt über den sinkenden Blut-
druck (5). Eine Ernährung mit überwiegend Früchten, Ge-
müsen, fettarmen Lebensmitteln und mit weniger gesättigten
Fettsäuren ist zur Blutdrucksenkung ebenfalls empfohlen
(Klasse-1A-Empfehlung). Eine Ernährung mit viel Früchten
und Gemüsen enthält viel Kalium und kann das Hirnschlag-
risiko senken (Klasse 1B). Eine mediterrane Diät, angerei-
chert mit Nüssen, scheint ebenfalls das Hirnschlagrisiko zu
senken (Klasse 1B).
s
Valérie Herzog
Quelle: «Hirnschlag – Akuttherapie und Prävention», FOMF Innere Medizin, 3. bis 7. Dezember 2019 in Zürich.
Referenzen: 1. Sundström J et al.: Effects of blood pressure reduction in mild hypertension:
a systematic review and meta-analysis. Ann Intern Med 2015; 162: 184–191. 2. Rothwell PM et al.: Effects of aspirin on risk and severity of early re-
current stroke after transient ischaemic attack and ischaemic stroke: time-course analysis of randomised trials. Lancet 2016; 388: 365–375. 3. Johnston SC et al.: Clopidogrel and aspirin in acute ischemic stroke and high-risk TIA. Lancet 2018; 379: 215–225. 4. Eikelboom JW et al.: Rivaroxaban with or without aspirin in stable cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 377: 1319–1330. 5. Mescia JF et al.: Guidelines for the primary prevention of stroke: a statement for healthcare professionals from the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke 2014; 45: 3754–3832.