Transkript
EDITORIAL
Ärzte, Ärztinnen und «Kollegen»
Es gibt die bekannten Irren, und es gibt immer wieder neue. Seit wenigen Wochen geht eine «wichtige Botschaft von Neurologin Margareta G.-B.» auf den verschiedensten Portalen und Social-Media-Seiten viral1. Lohnt es sich, auf alle die «Kolleginnen» und «Kollegen» einzugehen, die irgendwann Medizin studiert und ebenso irgendwann ihren gesunden Menschenverstand gegen einen kranken Wissenschaftsunverstand eingetauscht haben? Oder ganz einfach psychisch krank geworden sind? Eigentlich nicht, aber … manchmal platzt einem der Kragen. Frau Neurologin G.-B. behauptet, sie sei Medical Director einer Praxis für Neurologie und Schmerztherapie in London, Mitglied verschiedenster neurologischer Fachgesellschaften und betreibe eine Gutachterpraxis in Müllheim, Baden. In ihrem knapp 20-minütigen Podcast erklärt sie ihren Followern Corona und erntet dafür viele «likes» und bewunderndes «Teilen». Wieder einmal jemand, der dem Volk (jedenfalls einem kleinen, aber lauten Teil davon) bestätigt, was es hören will: COVID-19 sei nicht mehr als eine «mittelschwere Grippe», ein gesunder Wirt könne dem SARS-CoV-2 mit «guter Nahrung, gutem Wasser, viel Bewegung, Geselligkeit, Freude, Freunden, Liebe und sehr viel frischer Luft» bestens widerstehen – dem allem, was die Regierungen verböten (Bewegung, frische Luft, gutes Wasser, Liebe – alles verboten?). Die Händedesinfektion erfolge überall mit «ungeprüften Produkten», fährt die Dame fort, Abstandsgebote seien «menschenverach-
tend, beispiellos grausam und an Brutalität nicht zu
überbieten». Mund-Nasen-Schutz (Masken) führe we-
gen «Sauerstoffmangel und CO2-Überflutung durch
Rückatmung» letztlich zu «irreparablen neurologi-
schen Schäden». Ohnehin funktionierten Masken
nicht, sie Jugendlichen aufzuzwingen sei «kriminell»,
«vorsätzliche Gesundheitsgefährdung» und eigentlich
«illegal». Weiter geht’s dann mit dem bekannten Impf-
schaden- und Finanzdiktaturgeschwurbel.
Nun ist Frau G.-B. zwar in nicht kleiner Gesellschaft,
aber einige der Coronakritiker – von Sucharit Bhakdi
(Mikrobiologe) über Bodo Schiffmann (Oto-Rhino-La-
ryngologe), Claus Köhnlein (Internist), Stefan Hockertz
(Immunologe) bis zu Wolfgang Wodarg (Pneumologe)
– verbreiten wenigstens hin und wieder Anmerkungen,
die sich nicht unbesehen in der wissenschaftlichen
Mülltonne entsorgen lassen. Ausserdem: Kritik an den
– um es vorsichtig zu sagen – keineswegs durchgehend
mit Logik nachvollziehbaren Anordnungen der Behör-
den fast aller Länder darf, ja muss sein.
Bei alledem würde ich mir von Ärzten aber eines wün-
schen: mehr Respekt, Achtung,Wertschätzung für jene
tausende Kolleginnen und Kollegen (und die Pflegen-
den dazu), die an COVID-19 (jener «mittelschweren
Grippe», s.o.) erkrankt und verstorben sind – nicht beim
Dummschwatzen, sondern beim Arbeiten als das, was
sie sich als Beruf gewählt hatten und was sie – in ihren
Praxen, in Kliniken, oft in grösster Not aus dem Ruhe-
stand gerufen – bis zuletzt geblieben sind: Ärzte.
Stellvertretend für die vielen, die in China, den USA,
Frankreich, Mexiko, Ecuador, Brasilien, Spanien usw.
umgekommen sind, sei nachfolgend mit zwei Links an
unsere Kollegen in Norditalien erinnert.
s
Richard Altorfer
Liste der italienischen Ärzte, verstorben an Covid-19 www.rosenfluh.ch/qr/verstorbene-covid-19
Hier mit den zugehörigen Gesichtern – lohnt sich anzuschauen! www.rosenfluh.ch/qr/verstorbene-covid-portrait
1 https://www.youtube.com/embed/HtHlXO5oYYM
ARS MEDICI 20 | 2020
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