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Endometriose
Mehr als Schmerzen und Müdigkeit
Bei Endometriose plädierte Privatdozentin Dr. med. Brigitte Leeners, Klinik für Reproduktionsendokrinologie, Zürich, für eine sorgfältige Anamnese somatischer und psychosomatischer Symptome sowie für adäquate therapeutische Angebote für die jeweiligen Symptome im Rahmen eines ganzheitlichen Betreuungskonzepts.
Die Endometriose tritt bei 2 bis 4 Prozent der Frauen im reproduktionsfähigen Alter auf. Grosse schlanke Frauen sind häufiger betroffen, ebenso asiatische Frauen. Alkohol- und Nikotinkonsum sind Risikofaktoren geringer Intensität, die Verbote nicht rechtfertigen, aber versuchsweise beeinflusst werden können. Bekannte Erscheinungsform ist das Endometriom des Ovars (Schokoladenzyste). Laparoskopisch können die Herde dunkel, blau-livide, aber auch blass oder narbig sein. Auch solche vernarbten Herde können jedoch massive Schmerzen verursachen. Ohnehin kann man von der Grösse der Ausdehnung der Läsion nie auf die Intensität der Beschwerden schliessen: Grosse Herde können keine Beschwerden machen und sehr kleine äusserst schmerzhaft sein. Zu unterscheiden ist die Endometriosis genitalis interna (= Adenomyosis uteri) und die Endometriosis genitalis externa im Bereich des kleinen Beckens sowie die Endometriosis extragenitalis. Die Entstehungsmechanismen der Endometriose liegen bis heute weitgehend im Dunkeln. Während der Menstruation fliessen Blut, aber auch Gebärmutterschleimhautfragmente retrograd durch die Tube in den Bauchraum und werden so ins Peritoneum verpflanzt (Transplantationstheorie). Allerdings kommt diese Verlagerung während der Menstruation bei rund 90 Prozent der Frauen vor, aber nur bei ganz wenigen liegt eine Endometriose vor. Die Metaplasietherorie geht demgegenüber davon aus, dass aus der Organogenese noch pluripotentes Zölomepithel erhalten bleiben und sich zu Endometrioseherden differenzieren kann. Auch genetische Einflüsse dürften eine Rolle spielen, spezielle «Endometriosegene» sind aber nicht bekannt.
Symptome sind nicht immer typisch
Die Schmerzen können sowohl prämenstruell wie auch in weiteren Zyklusphasen auftreten. Selbst Schmerzsyndrome, die nicht in direktem Zusammenhang mit der
Menstruation geschildert werden, können durch eine Endometriose bedingt sein, betonte PD Dr. Leeners. Die Dysmenorrhö tritt bei 60 bis 70 Prozent der Frauen auf. Traditionell hat man eine sekundäre Dysmenorrhö als für Endometriose typisch herausgestrichen. Heute weiss man, dass auch Mädchen bei der ersten Menstruation Endometriosebeschwerden haben können. Selbst in Ländern mit hohen medizinischen Standards dauert es auch heute im Durchschnitt 7 bis 11 Jahre bis zur Diagnosestellung einer Endometriose. Das bedeutet, dass Ärzte bei verdächtigem Beschwerdebild die Indikation zur Laparoskopie, die einzig eine eindeutige Diagnose erlaubt, viel früher stellen sollten. «Man soll also auch bei jungen Mädchen mit ausgeprägten Symptomen an eine Endometriose denken und – wenn diese einige Zeit andauern – eine gynäkologische Abklärung erwägen.» Ein weiteres typisches Symptom ist die Dyspareunie. Die Schmerzen beim Geschlechtsverkehr hängen sehr stark davon ab, wo die Endometrioseherde lokalisiert sind. Läsionen auf den sakrouterinen Ligamenten sowie im Douglas-Raum führen gehäuft zu einer Dyspareunie. Die Störung des Sexuallebens ist für viele Betroffene ein grosses Problem mit Auswirkungen auf Partnerschaft und Familienplanung. Endometrioseherde können – besonders prämenstruell – auch Schmerzen in Zusammenhang mit Miktion oder Defäkation hervorrufen. Ein weiteres Symptom einer Endometriose sind Zyklusunregelmässigkeiten (verstärkte und/oder verlängerten Blutungen) . Die Entstehung der Schmerzen bei Endometriose ist ein sehr komplexes Geschehen (Abbildung). Sowohl das Anund Abschwellen der Endometrioseherde als auch allfällige Blutungen schädigen umgebendes Gewebe und können somit über Nervenreizungen oder über die Ausschüttung von Entzündungsfaktoren schmerzauslösend sein. Wichtig ist, dass solche Mechanismen auch in vernarbten (oder auch in operativ behandelten) Herden weiter aktiv bleiben können und die Beschwerden somit möglicher-
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Anschwellen von Endometrioseherden
Mechanischer Druck
Blutungen in umgebendes Gewebe
Ausschüttung inflammatorischer Substanzen
Vernarbungen/ Retraktionen = Elastizitätsverlust des Gewebes
S O M
Körperliche Anspannung
P S Y
AC
H
Dysfunktionale
E
Verhaltensweisen
Zentrale Hypersensibilität
Subjektive Schmerzschweille
Organisches Korrelat
Schmerzempfindung
Unterbauchschmerzen
Gesteigerte Wahrnehmung unangenehmer Körperempfindungen
Kognitive Fehlbewertungen
Einstellung/ Erwartung zur Kontrolle über die Schmerzen
Angst
Stress
Depressive Reaktionen
Sozialer Rückzug
Abbildung: Das Schmerzgeschehen bei Endometriose ist multifaktoriell und umfasst immer somatische und psychische Aspekte.
weise anhalten. Wie bei anderen chronischen Schmerzsyndromen spielen psychische Faktoren eine bedeutsame Rolle. Dazu gehören eine gesteigerte Wahrnehmung unangenehmer Körperempfindungen sowie kognitive Fehlbewertungen. Erwartungshaltung mit Angst vor den Schmerzen sowie depressive Reaktionen verschlimmern das Geschehen und können zum sozialen Rückzug führen. Ob Depressionen im Zusammenhang mit Endometriose eine reine Krankheitsfolge sind, muss aufgrund bisheriger Forschungsarbeiten offenbleiben. Müdigkeit und Erschöpfung nehmen im Krankheitserleben der Betroffenen oft einen breiten Raum ein mit weit reichenden, einschränkenden Auswirkungen auf das private Umfeld und das Berufsleben. Müdigkeit und Erschöpfung sind ein direktes Endometriosesymptom, beruhen aber auch auf der Beeinträchtigung durch den Schmerz und die Störung des Schlafs und die depressiven Verstimmungen. Von betroffenen Frauen wird dieses Symptom oftmals als ebenso belastend wie endometrioseassoziierte Schmerzen erlebt.
Vom Verdacht zur Diagnose
Am Anfang hat eine sorgfältige Anamnese zu stehen, die nach Art und Dauer der Symptome forscht und auch die
Frage nach bisher erfolgreichen oder erfolglosen Therapien einschliesst. Beim Leitsymptom Dysmenorrhö ergibt sich ein breites Spektrum von Differenzialdiagnosen. Bei ausgeprägter Dysmenorrhö ohne Endometriose liegt in aller Regel eine erhöhte Prostaglandinfreisetzung aus dem Endometrium vor. Für die Praxis riet PD Dr. Leeners ausdrücklich, nach dem Ansprechen auf Prostaglandinhemmer zu fragen oder einen entsprechenden Therapieversuch (z.B. Ibuoprofen 3 x 400 mg/Tag) zu machen. Ein gutes Ansprechen auf derartige Medikamente spricht eher gegen eine Endometriose. Besonders starke Schmerzen sollten auch an eine Adenomyose denken lassen. Erste Untersuchungsschritte sind eine Spekulumuntersuchung von Vagina und Zervix, ergänzt durch eine bimanuelle Untersuchung und eine transvaginale Sonografie. Laboruntersuchungen helfen bei Endometriose kaum weiter. CA 125 (Cancer-Antigen 125), ein bei Ovarialkarzinomen berücksichtigter Tumormarker, ist wenig spezifisch und sensitiv. Allenfalls kann eine zyklusunabhängige leichte CA-125-Erhöhung diagnostisch verwertet werden. Eine entscheidende Untersuchung zur Sicherung einer Verdachtsdiagnose ist die Laparoskopie, welche Endometrioseherde sichtbar und einer operativen Therapie zugänglich macht.
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Individuell angepasste Therapieangebote
Zunächst besteht die Möglichkeit, die Patientin abwartend mit rein symptomatischer Therapie (Schmerzmittel) zu begleiten. Die Laparoskopie eröffnet die Möglichkeit einer mehr oder weniger weit gehenden operativen Sanierung der Endometrioseherde, wobei bisher für ein radikales Vorgehen gegenüber konservativeren Eingriffen kein eindeutiger Vorteil gezeigt werden konnte. Für die oft beeinträchtigte Fertilität ergeben sich durch operative Eingriffe keine zuverlässigen Vorteile, Endometriome > 4 cm sollten bei Frauen mit Kinderwunsch jedoch komplett entfernt werden, da sie auf medikamentöse Therapien kaum ansprechen. In jedem Fall sollte eine laparoskopische Behandlung mit einer medikamentösen (Anschluss-)Therapie kombiniert werden. Für die Pharmakotherapie stehen folgende Optionen zur Verfügung: • Gestagene • Ovulationshemmer • Antigonadotropine (heute wegen ausgeprägter Neben-
wirkungen bei ausgewählten Indikationen eingesetzt) • GnRH-Agonisten/Antagonisten • peripher wirkende antientzündliche Substanzen. «Ich selber setze häufig Gestagene ein», meinte PD Dr. Leeners, «weil sie nicht nur eine Endometriumatrophie verursachen, sondern auch auf verschiedene weitere Mechanismen – Metalloproteinasen, Thrombinogenaktivator, Wachstums- und Angiogenesefaktoren, proinflammatorische Zytokine – regulierend einwirken.» Zudem werden Gestagene im Allgemeinen gut vertragen und verursachen wenig Nebenwirkungen. Die GnRH-Agonisten unterbrechen den Zyklus zentral und reduzieren die ovarielle Östrogenproduktion auf minimale Werte. Auch hier ist ein sicherer Schutz vor Endomet-
riosebeschwerden aber nicht garantiert, wegen Osteoporosegefahr ist die Behandlungsdauer zudem auf sechs Monate beschränkt. Heute gilt eine zusätzliche «Addback»-Therapie als lege artis, bei der mit kombiniertem Östrogen plus Gestagen in niedriger Dosierung (wie in der Postmenopause) auf Entzugssymptome wie Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen oder Osteoporose günstig eingewirkt werden kann, ohne die Entstehung von Endometriosezellen hormonell zu fördern. Die neueren GnRH-Antagonisten haben neben den noch höheren Kosten ebenfalls die durch den Östrogenmangel bedingten Nachteile. Weitere hormonelle Therapien sind im Prüfstadium. Einen wichtigen Platz in einer umfassenden ärztlichen Betreuung der Endometriosepatientinnen nehmen Optionen zur psychotherapeutischen Unterstützung ein. Dazu gehören – jeweils in Abhängigkeit von den subjektiven Belastungsfaktoren – das Einüben von Bewältigungsstrategien und das Erlernen von Entspannungstechniken. Ferner können geeignete Informationen über die Mechanismen der Schmerzempfindung und ihre Verstärkung, körpertherapeutische Übungen (z.B. zur fokussierten Entspannung des kleinen Beckens ) sowie Verhaltenstherapie zur kognitiven Neubewertung den betroffenen Frauen zu einem besseren Schmerzmanagement verhelfen.
Halid Bas
«Endometriose – Was muss der Internist wissen?» Workshop SAPPM (Schweizerische Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin) anlässlich des 80. Jahreskongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGIM), 23. Mai 2012 in Basel.
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