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BERICHT
Neue Empfehlungen der American Thoracic Society zum Rauchstopp
Alle Raucher sollten eine Suchttherapie erhalten
Nachdem ihre bisherige Empfehlung, die Raucher routinemässig zur Aufgabe ihres Lasters zu ermutigen, offenbar zu wenig Wirkung zeigt, schaltet die American Thoracic Society (ATS) mit den neuen Guidelines einen Gang höher. Demnach sollen Tabakraucher eine Suchttherapie erhalten, selbst wenn sie gar nicht aufhören wollen. Die neuen Guidelines antworten auf 7 Fragestellungen anhand der Evidenz, die sich aus einem systematischen Review ergibt.
Über die gesundheitlichen Folgen des Tabakrauchens wie chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, Lungenkrebs, Herzerkrankungen und auch Angststörungen und Depression besteht ein klarer Konsens. 70 Prozent der Raucher, Konsumenten von E-Zigaretten eingeschlossen, möchten eigentlich mit dem Rauchen aufhören, aber nur die wenigsten versuchen es. Deshalb ist die Absicht aufzuhören in den neuen ATSGuidelines nicht mehr Vorbedingung für eine therapeutische Impulskontrolle über den Rauchzwang. Eine optimale Kontrolle des Rauchzwangs, noch bevor der Wunsch nach einem Rauchstopp geäussert werde, bringe nämlich weitere 308 Raucher pro 1000 behandelte Patienten zu einer Abstinenz, begründet Prof. Frank Leone, University of Pennsylvania Medical Center (USA) und Co-Chair des ATS-GuidelineKomitees. Zur therapeutischen Unterstützung der Raucher geben die Guidelines Empfehlungen nach dem GRADE-Prinzip (grading of recommendations, assessmant, development and evaluation) auf 7 Fragen:
1. Soll die Behandlung des tabakabhängigen Rauchers mit Vareniclin oder einem Nikotinpflaster begonnen werden? Vareniclin mildert einerseits das Verlangen und die Entzugssymptome und verhindert andererseits die belohnenden und verstärkenden Effekte des Rauchens. Im Gegensatz zum Nikotinpflaster erreichen Patienten unter Vareniclin eine höhere Langzeitabstinenzrate, bei tieferem Risiko für schwere Nebenwirkungen und Rückfälle. Vareniclin ist deshalb dem Nikotinplaster vorzuziehen (starke Empfehlung, mittlere Evidenzqualität [certainty]). Um die Patienten in der Adhärenz der Pharmakotherapie zu unterstützen, soll das Sicherheitsprofil von Vareniclin im Vergleich zum Nikotinpflaster jedenfalls gut erklärt werden.
2. Soll die Behandlung des tabakabhängigen Rauchers mit Vareniclin oder Bupropion begonnen werden? Bupropion war die erste nicht nikotinhaltige Suchttherapie bei Tabakabhängigkeit, ist aber in seiner Wirksamkeit in Bezug auf die Langzeitabstinenzrate nicht so stark wie Vareniclin. Das Risiko für schwere Nebenwirkungen ist vergleichbar. Deshalb soll lieber Vareniclin als Bupropion eingesetzt werden (starke Empfehlung, mittlere Evidenzqualität).
3. S oll Vareniclin mit dem Nikotinpatch kombiniert werden, oder ist eine Vareniclinmonotherapie besser? Vareniclin bindet mit hoher Affinität und Selektivität an den neuronalen nikotinergen Acetylcholinrezeptor a4b2. Es wirkt dort als partieller Agonist mit sowohl agonistischer als auch antagonistischer Aktivität. Aus dieser Perspektive ergebe es gemäss dem Guideline-Komitee wenig Sinn, beide Rauchentwöhnungsmittel zu kombinieren, doch seien die Niktotinabhängigkeit und das Rauchverhalten komplex und involvierten vermutlich mehr Pfade als nur über das a4b2-Rezeptor-System. Die Kombination sei möglich, erzeuge auch eine höhere Abstinenzrate und berge nur ein leicht höheres Risiko für schwere Nebenwirkungen. Die Guidelines schlagen deshalb vor, die Kombination von Vareniclin plus Nikotinpflaster zur Behandlung von tabakabhängigen erwachsenen Rauchern einer Vareniclinmonotherapie vorzuziehen (bedingte Empfehlung, schwache Evidenzqualität). Die Adhärenz wird durch die Behandlung mit zwei Medikationen jedoch mehr strapaziert als durch eine allein.
4. S oll die Rauchstopptherapie bei einem aufhörwilligen tabakabhängigen Raucher mit Vareniclin oder mit einer E-Zigarette begonnen werden? Die Evidenz dazu ist nicht gross. Im Vergleich zur E-Zigarette zeigt Vareniclin einen unsicheren Vorteil hinsichtlich Abstinenz und Rückfall. Vareniclin birgt aber ein tieferes Risiko für schwere Nebenwirkungen. Deshalb beruht die Empfehlung auf der Verwendung von Vareniclin anstelle einer E-Zigarette (bedingte Empfehlung, sehr schwache Evidenzqualität). Es gab in letzter Zeit auch Meldungen von schweren Nebenwirkungen im Zusammenhang mit E-Zigaretten, sodass diese Empfehlung im Fall einer Häufung solcher Meldungen wieder revidiert werden muss.
5. S oll bei nicht aufhörwilligen tabakabhängigen Erwachsenen eine Therapie zur Suchtkontrolle begonnen oder abgewartet werden, bis sie zu einem Rauchstopp bereit sind? Bisher waren Ärzte angehalten, bei Rauchern bei jeder Konsultation auf einen möglichen Rauchstopp hinzuwirken. Es scheint, dass etliche Raucher trotz fehlender Absicht irgendwann einen ungeplanten Rauchstoppversuch unternehmen und einige dabei erfolgreich sind. Das führte zur Überlegung,
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dass Patienten, die nicht aufhörwillig sind, trotzdem eine Rauchstopptherapie versuchen könnten, um den Ausstiegswillen zu steigern. Studien mit Aufhörunwilligen zeigten, dass unter einer Vareniclintherapie mehr Patienten in der Lage waren, ihre Sucht aufzugeben als unter Plazebo. Unter Vareniclin traten allerdings geringfügig mehr schwere Nebenwirkungen auf. Nach Ansicht des Komitees überwiegt jedoch der klinische Nutzen. Deshalb empfiehlt die Guideline bei jedem Raucher ohne Willen zum Rauchstopp, eine Therapie mit Vareniclin einzurichten (starke Empfehlung, mittlere Evidenzqualität).
6. Soll bei tabakabhängigen rauchstoppwilligen Erwachsenen mit psychiatrischen Komorbiditäten, wie Substanzmissbrauch, Depression, Angststörungen, Schizophrenie oder bipolaren Störungen, eine Rauchstopptherapie begonnen werden, die bei Patienten ohne psychiatrische Komorbiditäten getestet wurde, oder eher ein Nikotinpflaster verabreicht werden? Für Vareniclin und Bupropion existierten Warnungen hinsichtlich neuropsychiatrischer Nebenwirkungen. Diese hatten ihren Ursprung in der Postmarketing-Überwachung, konnten aber in randomisiert kontrollierten Studien nicht bestätigt werden. Im Vergleich zur Therapie mit einem Nikotinpflaster waren die Abstinenzraten bei dieser Patientengruppe unter Vareniclin grösser, und das Risiko für schwere Nebenwirkungen war etwas niedriger. Die aufgetretenen Nebenwirkungen wurden dabei als trivial eingestuft. Das Komitee schätzt den Nutzen von Vareniclin im Hinblick auf eine Abstinenz als gross ein, mit wenig bis keinem Unterschied bezüglich schwerer Nebenwirkungen. Für diese Patientengruppe, bei der häufig eine starke Tabakabhängigkeit besteht, empfiehlt die Guideline deshalb, eine Rauchstopp-
therapie mit Vareniclin einer Therapie mit einem Nikotinpflaster vorzuziehen (starke Empfehlung, mittlere Evidenzqualität.
7. S ollen Erwachsene unter einer Rauchstopptherapie 6 bis 12 Wochen (Standarddauer) oder länger als 12 Wochen behandelt werden? Eine Rauchstopptherapie funktioniert relativ gut, wenn sie nach Vorschrift durchgeführt wird. Rückfälle nach Beendigung der Therapie sind jedoch häufig. Studienergebnisse legen nahe, dass eine Verlängerung der Anwendung von Vareniclin, Bupropion oder Nikotinpflastern über 12 Wochen hinaus die Abstinenzrate nach einem Jahr erhöht und die Rückfallrate reduziert. Im Vergleich zur Standardtherapiedauer scheint eine längere Anwendung nur wenig mehr schwere Nebenwirkungen zu induzieren. Der Nutzen einer über die Standarddauer hinausgehenden Therapie ist gemäss Komitee trotz mässiger Evidenz in Bezug auf Abstinenz und Rückfälle grösser, und zwar bei etwa gleich viel schweren Nebenwirkungen. Deshalb empfiehlt die Guideline, die Rauchstopptherapie anstelle von 6 bis 12 Wochen auf über 12 Wochen Dauer zu verlängern (starke Empfehlung, mittlere Evidenzqualität).s
Valérie Herzog
Quelle: Leone FT et al.: Initiating pharmacologic treatment in tobacco-dependent adults. An official American Thoracic Society clinical practice guideline. Am J Respir Crit Care Med 2020, 202(2): e5–e31.
Interessenlage: 4 von 28 Autoren deklarieren eine Mitarbeit im Advisory Board von Pfizer oder Studienunterstützung von Pfizer.
Erklärvideo zu den ATS-Rauchstoppempfehlungen
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ATS-Rauchstopp-Guidelines 2020
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