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Titel
Gicht: Neue Therapiestrategien gegen ein altes Leiden
Untertitel
-
Lead
Warum sind Diabetiker mit Gicht besonders gefährdet? Hat Metformin einen Einfluss auf die Gichtthe- rapie? Treten bei abrupten Veränderungen der Serum-Harnsäurespiegel tatsächlich vermehrt kardio- vaskuläre Ereignisse auf? Können mit lokalen Steroiden die Gichttophi besser aufgelöst werden? Am diesjährigen E-EULAR-Kongress gab es auf diese und weitere Fragen Antworten.
Datum
Autoren
-
Rubrik
Jahreskongress der European League Against Rheumatism (EULAR) Virtual – 3. bis 6. Juni 2020
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Artikel-ID
47115
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e-EULAR 2020
Gicht
Neue Therapiestrategien gegen ein altes Leiden

Warum sind Diabetiker mit Gicht besonders gefährdet? Hat Metformin einen Einfluss auf die Gichttherapie? Treten bei abrupten Veränderungen der Serum-Harnsäurespiegel tatsächlich vermehrt kardiovaskuläre Ereignisse auf? Können mit lokalen Steroiden die Gichttophi besser aufgelöst werden? Am diesjährigen E-EULAR-Kongress gab es auf diese und weitere Fragen Antworten.

Amputationsrisiko erheblich erhöht
Sowohl Gicht als auch Diabetes sind mit einem erhöhten Risiko für Komorbiditäten verbunden. Zwar ist bekannt, dass es bei beiden Erkrankungen vermehrt zu Amputationen kommt, inwieweit diese jedoch in Zusammenhang stehen, war bislang noch nicht untersucht worden. In einer grossen US-amerikanischen Studie wurden die Daten von 190 Millionen Patienten (TriNetX «Diamond» network) evaluiert, um Amputationen bei Patienten mit Gicht oder Diabetes zu erfassen (1). Die Amputationsrate bei Patienten mit Gicht betrug 0,43 Prozent und war damit ähnlich hoch wie bei Diabetikern mit 0,48 Prozent (Kontrolle: 0,035 %). Wurden jedoch keine Überlappungen zugelassen, d. h. die Betroffenen litten nur an einer der beiden Krankheiten, betrug die Rate der Amputationen bei Gichtpatienten 0,16 Prozent (3-fach erhöht im Vergleich zur Kontrolle) und bei Diabetikern 0,46

niederländische Wissenschaftler nach, indem sie 309 Patienten mit Gicht und Diabetes auswählten, die zwischen 2010 und 2019 mit einer harnsäuresenkenden Therapie (ULT = urine lowering + therapy) begonnen hatten (2). Von ihnen nahmen 155 Metformin, 154 Patienten nahmen es nicht. Die Baseline-Serum-Harnsäurelevel der beiden Studienarme betrugen 0,53 mmol/l und 0,54 mmol/l. Frouwke Veenstra und ihr Team aus Ubbergen (NL) stellten fest, dass die Rate der Gichtanfälle in beiden Gruppen vergleichbar war, nämlich 3,3 und 2,8 pro Patientenjahr. Auch die Zahlen der Patienten mit erreichten Harnsäurezielwerten unterschieden sich mit 57,4 Prozent versus 46,1 Prozent zwischen der Metforminund der Kontrollgruppe nicht signifikant. Die Ergebnisse würden zeigen, dass Metformin keinen klinisch relevanten Zusatzeffekt auf die Entzündung oder die Harnsäuresenkung habe, so Veenstra.

Prozent. Die höchste Amputationsrate (22-fach erhöht im Vergleich zur gesunden Bevölkerung) besassen Patienten mit beiden Erkrankungen (0,77 %). Vor allem bei Gichtpatienten, die zusätzlich an Diabetes leiden, sei eine strikte Harnsäurekontrolle und eine aggressive Behandlung erforderlich, so die Autoren.
Keine Harnsäuresenkung durch Metformin
Metformin ist das Standardmedikament bei Diabetes. Hat es einen Einfluss auf die Gichttherapie? Dieser Frage gingen

Mehr kardiovaskuläre Ereignisse durch veränderte Harnsäurespiegel?
Wenn der Serum-Harnsäurespiegel schnell ansteigt oder abfällt, werden freie Harnsäurekristalle gebildet. Das führt zu einer Gelenkentzündung und damit zu einer akuten Gichtattacke. In einer Analyse der CARES-Studie wurde zudem beobachtet, dass nach dem abrupten Abbruch der Allopurinol- oder der Febuxostat-Behandlung die Mortalitätsrate unter den Gichtpatienten stieg («Rebound-Hyperurikämie») (3). In einer koreanischen Untersuchung wollte man nun dem Zusammenhang zwischen einer prophylaktischen ULT mit Allopurinol oder Febuxostat und dem Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse auf den Grund gehen. Dazu wurden 10 258 Gichtpatienten identifiziert, die aufgrund von Myokardinfarkt (3538), Schlaganfall (5127) oder zerebralen Blutungen (1593) hospitalisiert werden mussten, und zwar innerhalb von 2 Jahren vor und 2 Jahren nach dem Beginn der ULT. 4333 kardiovaskuläre Ereignisse traten auf innerhalb der 2 Jahre vor Beginn der ULT (0,014 Personen/Zeit), 1032 in den 30 Tagen vor Beginn der ULT (0,081 Personen/ Zeit) und 83 in den ersten 7 Tagen nach Beginn der ULT (0,030 Personen/Zeit). Der signifikante Anstieg der kardiovaskulären Ereignisse innerhalb der 30 Tage vor und sieben Tage nach dem Beginn der Behandlung (Abbildung) könne mehrere Ursachen haben, so die Autoren. In Anbetracht der Tatsache, dass mit Allopurinol und Febuxostat «ein paar Wochen» nach einer akuten Gichtattacke begonnen werde,

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könne entweder die Attacke selbst oder die plötzliche Änderung des Harnsäurespiegels eine Rolle für diese Ereignisse spielen. Auch weitere bei akuten Gichtattacken eingesetzte Medikamente wie Glukokortikoide oder NSAR seien eine mögliche Erklärung, so Dr. H. J. Kim aus Seoul (Südkorea).
Lokale Steroide gegen Gichttophi
Die Auflösung der Tophi bei chronisch tophöser Gicht mit ULT ist schwierig und langwierig. Schnellere Ergebnisse konnten unter Pegloticase beobachtet werden, allerdings ist eine solche Therapie teuer und häufig nicht verfügbar. Lokale Steroide werden zur Behandlung des akuten Gichtanfalls zwar empfohlen, ihre Wirksamkeit bei der Behandlung der chronisch tophösen Gicht wurde bisher jedoch noch nicht untersucht. An einer kleinen indischen Studie nahmen 4 Patienten mit chronisch tophöser Gicht teil, deren Harnsäurezielwerte mittels ULT erreicht worden waren (4). Es wurden 12 Tophi ausgewählt und mittels DECT (Dual-Energy-CT) vermessen. Während 6 dieser knotigen Verdickungen mit lokalen Steroidinjektionen (je nach Tophusgrösse 10–40 mg Methylprednisolonacetat) behandelt wurden, erhielten die anderen 6 Tophi der gleichen Patienten keine solche Steroidtherapie. Die Vermessung der Tophusgrössen in den folgenden 7 bis 12 Monaten zeigte eine komplette oder nahezu komplette Auflösung von 5 der behandelten 6 Tophi, während sich der sechste um die Hälfte verkleinert hatte. Die 6 unbehandelten Kontrolltophi wiesen hingegen keine Grössenveränderungen auf. Im Zuge der Steroidbehandlungen waren Hautverfärbungen festzustellen, jedoch keine Infektionen. Mit dieser Studie konnte der lokale und erfolgreiche Einsatz topischer Steroide bei Patienten mit chronisch tophöser Gicht dokumentiert werden. Lokale Steroidinjektionen könnten die Zeit bis zur Auflösung der Tophi deutlich verkürzen, so die Forscher. Eine mögliche Erklärung für das Abschmelzen der knotigen Verdickungen unter der Steroidbehandlung sei das Aufbrechen der äusseren Faserschicht der Tophi. Weil damit auch deren Barrierefunktion wegfalle, könnten die Harnsäurekristalle mittels ULT effektiver aufgelöst werden.
Anakinra bei schwerer Gicht
Lassen sich mit dem IL-1-Rezeptor-Antagonisten Anakinra die Schmerzen bei schweren Gichtanfällen reduzieren? In der

amerikanischen Phase-II-Studie AnaGO mit 161 Gichtpa-

tienten, deren konventionelle Therapie kontraindiziert war

oder wirkungslos blieb, wurden drei Gruppen gebildet (5):

Anakinra subkutan 100 mg/Tag (n = 56), Anakinra subkutan

200 mg/Tag (n = 52) beides über fünf Tage, oder eine Einzel-

injektion Triamcinolon 40 mg (n = 53). Die mittlere Schmerz-

reduktion (visual analog scale pain intensity scores) 24 bis

72 Stunden nach Behandlung betrug 41,8 Punkte (Anakinra

100 mg/Tag), 40,7 Punkte (200 mg/Tag) und 39,4 Punkte

(Triamcinolon 40 mg). Zwischen diesen Gruppen konnten

keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden (primä-

rer Endpunkt). Die teilnehmenden Ärzte verzeichneten nach

4 Tagen unter Anakinra im Vergleich zu Triamcinolon Vor-

teile hinsichtlich der sekundären Endpunkte, nämlich signi-

fikante Verbesserungen bei Empfindlichkeit, Schwellung und

Erythem. Auch die CRP- und Amyloid-A-Werte waren signi-

fikant verbessert. Diese Unterschiede zwischen den Studien-

armen waren nach 15 Tagen weitgehend wieder ausgeglichen

(Ausnahme: patient assessment of global response). Mit die-

ser Studie sei gezeigt worden, dass Anakinra eine zusätzliche

Option für die Behandlung akuter Gichtanfälle sein könnte,

so die Autoren. 

Klaus Duffner

Quelle: e-EULAR -Kongress 2020; 3. bis 6. Juni 2020.

Referenzen 1. Lamoreaux B et al.: Amputation procedures in patiets with gout
compared to patients with diabetes. Ann Rheum Dis 2020; 79 (1): 106. EULAR Abstract OP0169. 2. Veenstra F et al.: Effect of metformin on clinical gout outcomes in gout patients with diabetes mellitus. Ann Rheum Dis 2020; 79 (1). EULAR Abstract THU0412. 3. Kim HJ et al.: Cardiovascular event associated with initiating Allopurinol and Febuxostat – acute gout attack and cardiovascular gout attack. Ann Rheum Dis 2020; 79 (1): 106. EULAR Abstract OP0168. 4. Bhadu D et al.: Melting of tophi with local steroids in chronic tophaceous gout: An observational study. Ann Rheum Dis 2020; 79 (1): 106. EULAR Abstract THU0415. 5. Saag KG et al.: A Randomized, Phase 2 Study Evaluating the Efficacy and Safety of Anakinra in Difficult-To-Treat Acute Gouty Arthritis: The anaGO study. Ann Rheum Dis 2020; 79 (1): 106. EULAR Abstract THU0409.

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