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LUTS-Therapie bei Prostataerkrankung
Die Lebensqualität steht im Vordergrund
BERICHT
Bei Männern mit Prostatavergrösserung ist es in der Therapie von Beschwerden der unteren Harnwege wichtig, diese so gut wie möglich zu verbessern, ohne neue Probleme zu induzieren. Welche Möglichkeiten dabei bestehen und worauf geachtet werden sollte, wurde am virtuell durchgeführten Jahreskongress der European Association of Urology (EAU) diskutiert.
Beschwerden der unteren Harnwege (lower urinary tract symptoms, LUTS) von Männern sind das Resultat unterschiedlicher Störungen, am häufigsten infolge einer vergrösserten Prostata. Doch ergäben sich auch zunehmend Hinweise, dass die mit steigendem Alter auftretenden Störungen wie das Metabolische Syndrom, kardiovaskuläre Erkrankungen oder ein tiefer Testosteronspiegel indirekt ebenfalls zu LUTS führen könnten, berichtete Prof. Mauro Gacci, Università di Firenze (I). Das Metabolische Syndrom und kardiovaskuläre Erkrankungen triggerten über das Entzündungsgeschehen die Prostatavergrösserung, ein tiefer Testosteronspiegel begünstige diese ebenso, so Gacci weiter. Auch bei neurologischen Erkrankungen wie beispielsweise Parkinson, Demenz oder Multipler Sklerose träten LUTS auf, wie Prof. Lysanne Campeau, Urology, Department of Surgery, McGill University Montreal (CAN), ergänzte. Wenn sich ein 60-jähriger Patient im gezeigten Fallbeispiel seit zwei Jahren über zunehmenden Harndrang tagsüber und auch nachts sowie über einen schwachen Harnstrahl beklagt und der Fragebogen zum Wasserlassen (International Prostate Symptom Score, IPSS) 14/35 Punkte ergibt, entspricht das einer mittleren Symptomatik. Der Mann ist zusätzlich adipös und hyperton, er nimmt derzeit einen ACE-Hemmer ein. Er wurde noch nie operiert. Die digital-rektale Untersuchung ergibt eine weiche, nicht empfindliche Prostata ohne Knoten, die Prostatagrösse lässt sich im Ultraschall auf 60 ml beziffern. Die Flussrate beträgt 11 ml/s, der Restharn beläuft sich auf 80 ml. Der Urin-pH-Wert ist mit 6 normal, der PSA-Wert beträgt 2,1 µg/l, der Testosteronwert liegt bei 2,7 ng/ml. Welche pharmakologischen Optionen bestehen? Die EAU-Guideline empfiehlt bei LUTS infolge einer vergrösserten Prostata ein gestaffeltes Vorgehen. Je nach Beschwerdegrad, Speicherproblemen, nächtlichen Miktionen und Prostatagrösse sind unterschiedliche Therapien empfohlen (1) (Abbildung), die jedoch alle auch einen Einfluss auf die Sexualfunktion haben können.
Alphablocker und 5-ARI
Gemäss einer europäischen Umfrage in 19 Ländern erhielten zwischen 2004 und 2008 jährlich 11,6 Millionen Männer eine Verschreibung im Zusammenhang mit benigner Prostatahyperplasie (BPH): Alphablocker (11–41%), 5-Alpha-Reduk-
tase-Hemmer (5-ARI) (2–20%), Phytotherapie (0–12%) (2). Weil LUTS als Folge der BPH die Lebensqualität erheblich beeinträchtigten, sollte eine Therapie diese beheben können, ohne dabei neue Probleme hinsichtlich der Sexualfunktion zu schaffen, erklärte Prof. Giorgio Ivan Russo, Urologie, University of Catania (I). Ein systematischer Review mit Metaanalyse beleuchtete die Frage des Risikos von Alphablockern, 5-ARI beziehungsweise der Kombination von beiden für die Entwicklung einer erektilen Dysfunktion oder eines Libidoverlusts bei BPH-Patienten mit LUTS. 5 randomisierte, kontrollierte Studien mit gesamthaft 6131 Patienten fanden Eingang in die Analyse. Es zeigte sich, dass mit Alphablockern im Vergleich zu 5-ARI das Risiko für Libidoverlust und erektile Dysfunktion tiefer ist (Odds Ratio [OR]: 0,7 bzw. 0,6). Eine Kombination von beiden Wirkstoffklassen wirkt sich dagegen ungünstig aus. Das Risiko für eine erektile Dysfunktion steigt (OR: 1,8) ebenso jenes für einen Libidoverlust (OR: 1,6) (3). Als weitere Nebenwirkung von BPH/LUTS-Therapeutika kann die Ejakulation gestört sein. Unter Alphablockern tritt die Ejakulationsdysfunktion insgesamt häufiger auf (OR: 5,88) als unter Plazebo, wie ein weiterer systematischer Review mit Metaanalyse ermittelte (4). Einzeln betrachtet, war das Risiko unter Silodosin höher als unter Tamsulosin. Bei Doxazosin und Terazosin war es ähnlich hoch wie in den Plazebogruppen. Das Auftreten der Ejakulationsstörungen stand im Zusammenhang mit der Verbesserung der LUTS: Je grösser die Verbesserungen der LUTS, desto stärker sei die Beeinträchtigung der Ejakulation unter Alphablockern, so Russo. Auch 5-ARI (Finasterid und Dutasterid) beeinträchtigen im Vergleich zu Plazebo die Ejakulation, dies etwa gleich stark (OR: 2,70 bzw. 2,81). Unter der Kombination aus beiden Wirkstoffklassen war im Vergleich zu den jeweiligen Monotherapien das Risiko allerdings um das 3-Fache erhöht (4). Um Nebenwirkungen auf die Sexualfunktion zu vermeiden, können Phytotherapeutika versucht werden. Doch hatten diese gemäss einer Netzwerkmetaanalyse mit Serenoa repens versus Plazebo versus Alphablocker nur einen minimal grösseren Einfluss auf die LUTS als Plazebo (5). Russo empfiehlt deshalb folgendes Vorgehen: Um LUTS zu reduzieren, ist es wichtig, die Therapie mit einer Kombination
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BERICHT
LUTS
– +Beschwerden, IPSS > 7?
– Nächtliche Polyurie?
+
– +Speichersymptome vorherrschend/ausschliesslich?
– Prostatavolumen > 40 ml?
+
Aufklärung/Lebensstilmodifikation ± Alphablocker/PDE5-Hemmer
–
Residuelle Speichersymptome?
Langzeittherapie?
+
Watchful Waiting ±
Aufklärung/ Lebensstilmodifikation
+ Muskarinrezeptorantagonist
+ Weiterführung Aufklärung/
Lebensstilmodifikation
Aufklärung/Lebensstilmodifikation ±
5-ARI ± Alphablocker/ PDE-5-Hemmer
Abbildung: Pharmakotherapie von LUTS beim Mann (mod. nach [1])
Aufklärung/Lebensstilmodifikation ±
Muskarinrezeptorantagonist
Aufklärung/Lebensstilmodifikation ± Desmopressin
aus Tamsulosin und einem 5-ARI zu beginnen und während 3 Monaten durchzuführen. Um die Ejakulationsfähigkeit zu bewahren, sollte die Therapie anschliessend mit einem 5-ARI erstmal für 6 Monate und bei Nebenwirkungsfreiheit auch länger weitergeführt werden.
PDE-5-Hemmer bei LUTS
PDE-5-Hemmer können nicht nur bei erektiler Dysfunktion eingesetzt werden, sondern im Fall von Tadalafil auch bei LUTS. Dies aufgrund seiner langen Halbwertszeit von 17,5 Stunden, was eine einmal tägliche Dosierung ermögliche, erklärte Prof. Matthias Oelke, Urologie, St.-Antonius-Krankenhaus, Gronau (D). Überdies erfolge im Gegensatz zu den anderen PDE-5-Hemmern die Absorption nahrungsunabhängig. In einer Studie reduzierte Tadalafil 5 mg bei Anwendung während 12 Wochen die Symptome im IPSS um 4,83 Punkte (6). Dieser Effekt hielt gemäss der anschliessenden offenen Verlängerungsstudie über 12 Monate an (7). Eine Studie zum Vergleich von Tadalafil 5 mg versus Tamsulosin 0,4 mg versus Plazebo über 12 Wochen zeigte eine signifikante Reduktion im IPSS beider aktiver Substanzen, verglichen mit Plazebo. Die Symptome begannen sich bereits nach der ersten Woche signifikant zu verbessern, nach 12 Wochen waren die IPSS-Reduktionen ähnlich gross (–6,3 bzw. –5,7) (8). Gemäss einer Vergleichsstudie von Tadalafil 5 mg versus Plazebo erreichen 60 Prozent der Patienten bereits nach 1 Woche eine Verbesserung der LUTS um mindestens 3 Punkte im IPSS, nach 4 Wochen sind es 80 Prozent (9). Unabhängig von der Wirkung auf LUTS verbessert Tadalafil gemäss Patientenangaben im IIEF-EF-Fragebogen International Index of Erectile Function auch in dieser Dosierung die erektile Funktion (8). Damit stellte Tadalafil eine
wichtige Option in der Behandlung von BPH-bedingten LUTS
dar, so Oelke abschliessend.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Men’s Health 2020». Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 17. bis 19. Juli, virtuell.
Referenzen: 1. GravasSetal.:EAUGuideline2020:Managementofnon-neurogenicmaleLUTS.
https://uroweb.org/guidelines. Letzter Zugriff: 22. 7.20. 2. Cornu JN et al.: A widespread population study of actual medical management
of lower urinary tract symptoms related to benign prostatic hyperplasia across Europe and beyond official clinical guidelines. Eur Urol 2010; 58: 450–456. 3. Favilla V et al.: Impact of combination therapy 5-alpha reductase inhibitors (5ARI) plus alpha-blockers (AB) on erectile dysfunction and decrease of libido in patients with LUTS/BPH: a systematic review with meta-analysis. Aging Male 2016; 19: 175–181. 4. Gacci M et al.: Impact of medical treatments for male lower urinary tract symptoms due to benign prostatic hyperplasia on ejaculatory function: a systematic review and meta-analysis. J Sex Med 2014; 11: 1554–1566. 5. Russo GI et al.: Clinical efficacy of Serenoa repens versus placebo versus alpha-blockers for the treatment of lower urinary tract symptoms/benign prostatic enlargement: a systematic review and network meta-analysis of randomized placebo-controlled clinical trials. Eur Urol Focus 2020; S2405-4569(20)30018-3. 6. Roehrborn CG et al.: Tadalafil administered once daily for lower urinary tract symptoms secondary to benign prostatic hyperplasia: a dose finding study. J Urol 2008; 180: 1228–1234. 7. Donatucci CF et al.: Tadalafil administered once daily for lower urinary tract symptoms secondary to benign prostatic hyperplasia: a 1-year, open-label extension study. BJU Int 2011; 107: 1110–1116. 8. Oelke M et al.: Monotherapy with tadalafil or tamsulosin similarly improved lower urinary tract symptoms suggestive of benign prostatic hyperplasia in an international, randomised, parallel, placebo-controlled clinical trial. Eur Urol 2012; 61: 917–925. 9. Oelke M et al.: Time to onset of clinically meaningful improvement with tadalafil 5 mg once daily for lower urinary tract symptoms secondary to benign prostatic hyperplasia: analysis of data pooled from 4 pivotal, double-blind, placebo-controlled studies. J Urol 2015; 193: 1581–1589.
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