Transkript
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«Die Zukunft gehört der personalisierten Medizin»
Interview mit dem Rheumatologen Dr. med. Adrian Forster, Chefarzt Rehabilitation, Klinik St. Katharinental, Diessenhofen (TG)
An einem Mammutkongress wie dem EULAR in Berlin wird in kurzer Zeit eine kaum zu überblickende Fülle neuer Studienresultate präsentiert. Was hat für Gesprächsstoff unter den Rheumatologen gesorgt? Welche Ergebnisse sind relevant für die tägliche Praxis? Was könnte die Zukunft bringen?
A RS MEDICI: Herr Dr. Forster, was sind die Neuigkeiten des diesjährigen EULAR in Berlin? Dr. med. Adrian Forster: Erstmals wurden innerhalb der Biologika bei rheumatoider Arthritis Head-to-HeadStudien gezeigt, also Studien, in denen Biologika direkt miteinander verglichen wurden. Zum einen wurde die Wirksamkeit von Abatacept (Orencia®) mit Adalimumab (Humira®) verglichen bei Patienten, die nicht oder nur ungenügend auf Methotrexat angesprochen hatten, und zum anderen wurden Tocilizumab (Actemra®) und Adalimumab
in Monotherapie miteinander verglichen. Solche Studien sind neu und bisher nicht gemacht worden.
Gehört solchen Head-zu-Head-
Vergleichen die Zukunft?
Ja, ich habe es immer bedauert,
dass so etwas bisher nicht ge-
macht worden ist. Der Stellenwert
der einzelnen Substanzen im Ma-
nagement der rheumatoiden Ar-
thritis wird dadurch deutlicher.
Das ist sehr positiv. In Zukunft
wird es immer wichtiger zu wis-
Dr. med. Adrian Forster
sen, welche Patienten auf welche Substanzen am besten anspre-
chen. Der erste Schritt wäre also,
zum Beispiel aufgrund eines Gen- oder Zytokinprofils vor-
herzusagen, welche Substanz für einen Patienten am bes-
ten wirksam und verträglich ist. Heute zeigt nämlich rund
ein Drittel der Patienten ein wirklich hervorragendes An-
sprechen auf ein bestimmtes Biologikum, ein Drittel ein
gewisses Ansprechen und ein Drittel überhaupt kein An-
sprechen. Es wäre schön, wenn wir schon vor der Be-
handlung wüssten, zu welcher Gruppe der Patient gehört.
Auch zum Wirkungsspektrum erhalten wir immer mehr In-
formationen. Beispielsweise kam in mehreren Studien he-
raus, dass Tocilizumab die systemische Entzündung fast
immer vollständig supprimiert. Wenn man also einen Patienten hat, der eine starke systemische Entzündung hat und unter Allgemeinsymptomen leidet, wird man eher diese Substanz berücksichtigen. Die sogenannte personalisierte Medizin wird in der Rheumatologie in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen. Der zweite Schritt wäre es, die rheumatoide Arthritis zu kurieren, also den Entzündungsprozess definitiv zu beseitigen. Im dritten Schritt sollten wir mittels Präventionsmassnahmen erreichen, dass die rheumatoide Arthritis schon gar nicht mehr auftritt.
Werden wir das noch erleben? Realistischerweise glaube ich das nicht (lacht).
Aber die Entwicklung wirksamer Biologika hat in den vergangenen 10, 15 Jahren ja schon ein enormes Tempo hingelegt. Ich mag mich gut erinnern, wie vor zehn Jahren noch relativ viele Patienten mit schweren Behinderungen im Rollstuhl in meiner Sprechstunde gewartet haben. Das ist heute nicht mehr so.
Was wurde aus den Pipelines präsentiert? Es wurden neue Studien mit mehreren Kinase-Inhibitoren vorgestellt. Diese hemmen gezielt die intrazelluläre Signalvermittlung von proinflammatorischen Zytokinen. Am meisten Erfahrungen gibt es mit Tofacitinib. Hinsichtlich dieser neuen Substanzklasse bin ich persönlich allerdings etwas skeptisch. Denn solche Medikamente sind zwar gut wirksam, aber ich vermute, dass es hinsichtlich Verträglichkeit nicht mehr so gut wie bei den Biologika aussieht. Denn wie die älteren synthetischen Basismedikamente greifen auch diese «small molecules» in den Zellstoffwechsel ein. Das dürfte mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein. Überhaupt sollte nicht nur von den Wirkungen, sondern immer auch von Nebenwirkungen gesprochen werden. Beispielsweise wurde beim Vergleich
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von Abatacept s.c. mit Adalimumab eine neue subkutan applizierbare Substanz getestet, die beim Injizieren verträglicher ist. Zudem sollte bei den Biologika immer auf das Infektrisiko geschaut werden, das ja möglichst gering gehalten werden sollte. Es scheint, dass Abatacept das Biologikum mit dem geringsten Risiko ist.
Im Vergleich zu Methotrexat oder Steroiden sind die Nebenwirkungen bei den zugelassenen Biologika ja akzeptabel … Bei den subjektiven Nebenwirkungen auf jeden Fall. Das Infektrisiko wird aber schon relevant erhöht, allerdings ist das bei Steroiden auch so. Das wird gerne unterschätzt.
Auch die Spondylarthritiden waren ein grosses Thema. Bei den Spondylarthritiden besteht eine Kontroverse um den krankheitsmodulierenden Einfluss der TNF-αHemmer. Man hat nämlich festgestellt, dass TNF-Inhibitoren – zumindest in den ersten Jahren der Therapie – die knöcherne Wirbelsäulenversteifung meist nicht aufhalten können. Wenn erst einmal ein gewisser entzündlicher Schaden an den Wirbelkörpern gesetzt worden ist, so mein Eindruck, findet trotz der Entzündungssuppression für eine gewisse Zeit noch eine Ankylosierung statt. Allerdings profitieren die Patienten langfristig dann offenbar doch recht gut von der TNF-Hemmung, was allerdings nicht mit plazebokontrolierten Studien gezeigt werden kann. Es scheint also wichtig zu sein, auch bei den Spondylarthritiden die Therapie früh aufzunehmen beziehungsweise das mutmassliche «window of opportunity» zu nutzen. Dazu übrigens noch eine weitere Botschaft dieses Kongresses: Ausser den TNF-α-Hemmern scheinen die anderen Biologika kaum gegen Spondylarthritiden zu wirken. Damit können wir bisher meistens nicht, wie zum Beispiel bei der rheumatoiden Arthritis, auf andere Biologika ausweichen. Natürlich hoffen wir auch hier auf neue Substanzen.
Zur Gicht war nicht allzu viel zu hören … In einer französischen Arbeit hat man gesehen, dass bei Gicht eine adäquate Senkung der Serumharnsäure in der Praxis häufig nicht erreicht wird. Die Studie hat sich auch mit der Frage befasst, welche Faktoren mit einem fehlenden Ansprechen auf Allopurinol (Zyloric® und Generika) assoziiert sind. Dabei ist herausgekommen, dass nicht nur Alkoholkonsum – und zwar hauptsächlich Bierkonsum – sehr ungünstig ist, sondern auch Süssgetränke und Übergewicht. Rotwein ist dagegen fast neutral. Ich rate meinen Gichtpatienten, von Bier auf Rotwein umzusteigen, falls sie den Alkohol wirklich nicht lassen können; zudem sollten sie ihr Körpergewicht reduzieren. Sehr bedauerlich ist, dass nach wie vor Febuxostat als gute Alternative zu Allopurinol in der Schweiz nicht verfügbar ist, obwohl es in den EU-Ländern und den USA schon seit Jahren zugelassen ist und man sehr guten Erfolg damit hat. Es sind ermutigende Studien mit einem neuen Purin-NukleosidPhosphorylase-Hemmer gezeigt worden, der zusammen mit Allopurinol eingesetzt werden kann. Es ist zu hoffen, dass auch dieser Hemmer der Harnsäuresynthese bald zur Verfügung stehen wird.
Was würden Sie Hausärzten raten? Eine frühe Diagnose und eine frühe Behandlung sind essenziell. Gerade bei der rheumatoiden Arthritis lässt sich das Konzept des «window of opportunity» durch Studien gut belegen. Das ist übrigens ähnlich wie in der Onkologie: Je früher eine Behandlung begonnen wird, desto besser das Ansprechen. Wenn man allerdings merkt, dass die herkömmliche Basistherapie keine Wirkung zeigt, sollte frühzeitig über ein Biologikum nachgedacht werden. Bei den Spondylarthritiden ist das allerdings anders. Wenn der Wirbelsäulenbefall dominiert, also wie zum Beispiel bei der Spondylitis ankylosans, würde ich mit einem TNFHemmer nicht zuwarten, wenn nichtsteroidale Antirheumatika unzureichend sind.
Was gibt es Neues zur Arthrose? Erstmals wurde in einer plazebokontrollierten Studie ebenfalls ein Biologikum, nämlich Adalimumab, gegen erosive Fingerpolyarthrose eingesetzt. Da hatte man den Eindruck, dass tatsächlich die Progression der Gelenkdestruktion etwas gehemmt wurde. Da bei der Arthrose bislang keine eindeutig krankheitsmodulierenden Substanzen zur Verfügung stehen, ist das völlig neu und ermutigend. Allerdings sind das noch sehr vorläufige Resultate. Auch zum Einsatz von Methotrexat oder Glukokortikoiden konnte man Abstracts finden.
Wann sollte sich der Allgemeinpraktiker an den Rheumatologen wenden? Immer wenn er mit der Diagnose unsicher ist oder wenn die Krankheitsaktivität nicht voll supprimiert ist. Häufig tritt beides bei einem entzündlich-rheumatischen Patienten auf. Deshalb sollte möglichst jeder Patient mit einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung einmal von einem Rheumatologen gesehen werden. Danach ist vor allem eines wichtig: eine gute Zusammenarbeit.
Herr Dr. Forster, wir bedanken uns für das Gespräch.
Die Fragen stellte Klaus Duffner.
EULAR 2012 Rheumatologie
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