Transkript
Was hat sich geändert?
Neue pädiatrische Guidelines für die Praxis
Schwerpunkt
In den letzten zwei Jahren wurden mehrere pädiatrische Guidelines aktualisiert, manche auch neu publiziert. Im Folgenden werden für die Praxis relevante Updates und Publikationen aus den Bereichen Impfen, Kopfschmerz, HNO, Pneumologie und Ernährung kurz vorgestellt.
Neues Impfschema: 2+1 statt 3+1
Der Schweizer Impfplan 2019 brachte grundsätzliche Neuerungen für die Impfungen im Säuglingsalter (1). Das bisherige Dosisschema 3+1 für die DTPa-IPV-Hib-Impfung wurde von einem 2+1-Schema abgelöst, der Termin für die MMR-Impfung früher angesetzt. Die Pneumokokken-Konjugatimpfung rückte zur Basisimpfung auf, und gegen Hepatitis B soll nun bereits im Säuglingsalter geimpft werden, vorzugsweise mit einem Sechsfachimpfstoff (DTPa-IPV-Hib-HBV). Mit der neuen Guideline wechselte die Schweiz zu einem 2+1-Schema, wie es in vielen anderen Ländern bereits seit Langem besteht, ohne dass es dort zu einem Anstieg der Erkrankungen gekommen ist: ● DTPa-IPV-Hib-HBV: 3 Dosen in den Monaten 2, 4 und
12 ● MMR: 2 Dosen in den Monaten 9 und 12 ● PCV13: 3 Dosen in den Monaten 2, 4 und 12 Das kompaktere 2+1-Schema mit seinen kürzeren Intervallen ist eine Vereinfachung, aber es wird gleichzeitig wichtiger, tatsächlich pünktlich zu impfen. Im 12. Monat sind gleich drei Impfinjektionen notwendig: 1 × Sechsfachimpfstoff (DTPa-IPV-Hib-HBV), 1 × MMR und 1 × PCV13. Es wird empfohlen, die drei Injektionen in einer Konsultation durchzuführen; sie können aber auch in zwei Konsultationen in kurzen Abständen erfolgen. Aktuelle Empfehlungen: https://www.rosenfluh.ch/qr/impfplan2020
Migräne im Kindesalter
Die Schweizerische Kopfwehgesellschaft aktualisierte 2019 ihre Empfehlungen für die Behandlung bei Migräne im Kindesalter (2). Neu ist eine niedrigere Dosierung von Acetylsalicylsäure im akuten Anfall mit nun 5 mg/kg KG (bis maximal 10 mg/kg KG). An den Dosierungen der anderen Analgetika/NSAR (Ibuprofen, Mefenaminsäure, Paracetamol) und an der Empfehlung von Sumatriptan – Nasalspray (ab 12 Jahre) als Akutmedikament hat sich nichts geändert. Domperidon wird nur noch als Schmelztablette empfohlen (10 mg > 35 kg KG). In den Empfehlungen zur medikamentösen Langzeitprophylaxe wurde Topiramat als Option gestrichen. Als «evi-
denzbasiert am besten wirksam bei Kindern und Jugendlichen» wird Flunarizin empfohlen. Gleichzeitig wurden die Prophylaxeoptionen Magnesium und Riboflavin aufgewertet, indem sie nun an erster Stelle genannt, und zwar als wenig evidenzbasiert, «aber doch häufig wirksam» bezeichnet werden. Neu ist der ausdrückliche Hinweis, dass eine Migränelangzeitprophylaxe mindestens für 1 bis 2 Monate erfolgen muss, um ihre Wirksamkeit zu beurteilen. Als wirksam gelten Medikament sowohl in der Akuttherapie als auch in der Langzeitprophylaxe nur dann, wenn eine Besserung um mindestens 50 Prozent eintritt. Aktuelle Empfehlungen: https://www.rosenfluh.ch/qr/kopfweh2019
Hörscreening bei Neugeborenen
Im Dezember 2019 wurden die neuen Empfehlungen für das Hörscreening bei Neugeborenen der Audiologische Kommission der Schweizerischen Gesellschaft für OtoRhino-Laryngologie, Hals- und Gesichtschirurgie (SGORL) publiziert (3). Die wichtigste Änderung ist die neue Empfehlung, den TEOAE-Test (transitorisch evozierte otoakustische Emissionen) an beiden Ohren durchzuführen und nicht nur auf einer Seite. Ebenfalls neu sind weitere Empfehlungen für Diagnostik und Follow-up für bestimmte Risikogruppen sowie für den Zeitrahmen, in welchem die Screening- und Follow-up-Untersuchungen erfolgen sollen. Das Neugeborenen-Hörscreening sollte möglichst in der ersten Lebenswoche erfolgen. Wird der Test nicht beidseitig bestanden, soll das erweiterte Screening bis zum Ende des 1. Lebensmonats durchgeführt werden (HNO oder Pädiater). Liefert auch dieses Screening einen abklärungsbedürftigen Befund, sollte die Untersuchung an einem pädaudiologischen Zentrum bis zum Ende des 3. Lebensmonats stattfinden. Die Empfehlungen zum Ablauf des Hörscreenings wurden in einem Algorithmus für Ärzte, Eltern und Pflegepersonal zusammengefasst; dieser ist in Deutsch, Französisch und Italienisch verfügbar. Aktuelle Empfehlungen: https://www.rosenfluh.ch/qr/hoerscreening
4/20 Pädiatrie
Impfplan Migräne Hörscreening
3
Schwerpunkt Otitis media Asthma Ernährung Pharyngitis
4
Antibiotika bei Otitis media
Welche Antibiotika bei Otitis media im Kindesalter gegeben werden sollten, wurde vom Ärztenetzwerk mediX 2018 neu formuliert (4): ● Erste Wahl ist Amoxicillin (25 mg/kg KG 2 × /Tag) für 5
Tage. ● Zweite Wahl, bei Penicillinallergie, ist Clarithromycin
(7,5 mg/kg KG 2 × /Tag) für 5 Tage oder Cefuroxim (15 mg/kg KG pro Tag, in 2 Dosen) für 5 Tage. ● Wenn das Fieber mehr als 72 Stunden anhält oder die Otitis innert 4 Wochen rezidiviert, wir AmoxicillinClavulanat empfohlen (40–45 mg/kg KG 2 × /Tag) für 5 Tage. Bei Kindern unter 2 Jahren mit Trommelfellperforation oder bei die für Otitis media anfällig sind (> 2 Episoden innert 6 Monaten oder 4 Episoden pro Jahr), wird eine 10-tägige Antibiotikagabe empfohlen. In vielen Fällen braucht es bei Otitis media im Kindesalter keine Antibiotika. In welchen Fällen sie indiziert sind und in welchen nicht, wird in den mediX-Empfehlungen ebenfalls erläutert. Aktuelle Empfehlungen: https://www.rosenfluh.ch/qr/otitis
Neue Empfehlungen bei Asthma
In der 2020 aktualisierten Version der GINA-Guidelines wurden ICS-Dosierungen für Kinder unter 6 Jahren hinzugefügt (5). Die bereits im Vorjahr erstmals publizierten Richtlinien für Asthma im Kindes- und Jugendalter enthielten grundlegende Änderungen. Prinzipiell wird jetzt empfohlen, dass ein schnell wirksames Beta-2-Mimetika bei Asthma (SABA) bei Bedarf, aber nicht mehr als einzige Asthmamedikamente gegeben werden sollen. Für Kinder von 6 bis 11 Jahren wird in der Stufe 1 (intermittierende Symptomatik) empfohlen, bei jedem SABA-Gebrauch auch ein niedrig dosiertes ICS zu geben. Alternativ ist es auch möglich, in Stufe 1 täglich niedrig dosiertes ICS zu geben plus SABA bei Bedarf. In der Stufe 2 ist täglich niedrig dosiertes ICS die empfohlene Kontrollmedikation. Leukotrienrezeptorantagonisten wie Montelukast gelten nur noch als zweite Wahl. Ab Stufe 3 kommen lang wirksame Beta-2-Mimetika (LABA) als Kontrollmedikation hinzu. Jugendliche ab 12 Jahren sollten vorzugsweise kein SABA mehr als Bedarfsmedikation erhalten, sondern (wie die Erwachsenen) niedrig dosiertes ICS-Formoterol bei Bedarf. Aktuelle GINA-Empfehlungen: https://ginasthma.org Lesetipp: Interview zum Asthma im Kindesalter: https://www.rosenfluh.ch/paediatrie-2020-01
Vegetarische und vegane Ernährung
Eine Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) hat im Auftrag des BLV Empfehlungen zur vegetarischen und veganen Ernährung im Säuglings- und Kleinkindalter verfasst (6). Während eine vegetarische Ernährung in diesem Alter kein Risiko ist, vorausgesetzt, man achtet auf eine ausreichende Zufuhr von Eisen und Omega-3-Fettsäuren, muss eine vegane Ernährung im Säuglings- und Kleinkindalter äusserst gut geplant und kontrolliert werden, um schwere Nährstoffdefizite zu vermeiden. Weil Hausärzte und Pädiater zunehmend mit diesen Fragen konfrontiert werden, sind in dem Praxisleitfaden auch Empfehlungen für die vegane Ernährung enthalten,
obwohl diese für Säuglinge und Kleinkinder nicht empfohlen wird. In dem Leitfaden werden praktische Grundsätze für die vegetarische und die vegane Ernährung vermittelt. Dazu gehören Informationen zu veganen Säuglingsnahrungen und zu den notwendigen Supplementen und Laboranalysen. Auch auf eine vegane Ernährung der stillenden Mutter wird eingegangen, obgleich diese Ernährungsform in Schwangerschaft und Stillzeit ebenfalls nicht empfohlen wird. Die «Handlungsanweisungen vegetarische und vegane Ernährung im Säuglings- und Kleinkindesalter» richten sich an Pädiater, Allgemeinmediziner, Ernährungsfachleute, Hebammen, Stillberaterinnen und Mütter-VäterBeratungsstellen: https://www.rosenfluh.ch/qr/vegetarisch-vegan Lesetipp: Beratung veganer Familien in der Praxis: https://www.rosenfluh.ch/qr/veganpraxis
Antibiotika bei Streptokokken-Angina
Die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie hat 2019 neue Guidelines für die Behandlung bei Streptokokken-A-Tonsillopharyngitis publiziert. Demnach sind Antibiotika nicht mehr zwingend nötig. Abwarten und Beobachten für 3 Tage ist auch bei Streptokokken-Angina eine Option, zumal die Symptomdauer durch Antibiotika nur unwesentlich verkürzt wird. Auch die Prävention gefürchteter Komplikationen (rheumatisches Fieber, Peritonsillarabszess) ist keine Indikation für Antibiotika, weil diese Komplikationen sehr selten sind. Wichtig sind hingegen symptomlindernde Massnahmen wie Analgetika (7, 8). Ab einem Centor- beziehungsweise McIsaac-Score ≥ 3 sollte ein Rachenabstrich erfolgen. Die Therapie mit Penicillin oder Amoxicillin dauert 6 Tage. Auch bei positivem Streptokokken-A-Befund kann man mit der Antibiotikagabe gegebenenfalls 3 Tage zuwarten und diese verzögert beginnen, falls keine Verbesserung oder eine Verschlechterung der Symptome eintritt. Aktuelle Empfehlungen: https://ssi.guidelines.ch/guideline/2408/9530 Rechner für Centor- und McIsaac-Score: https://www.rosenfluh.ch/qr/centor-mcisaac
Renate Bonifer
Quellen: 1. Schweizerischer Impfplan 2019. 2. Schweizerische Kopfwehgesellschaft: Therapieempfehlungen für primäre Kopfschmerzen. 10., vollständig überarbeitete Auflage, 2019. www.headache.ch 3. Candreia C et al.: Aktualisierte Empfehlung zum Neugeborenen-Hörscreening in der Schweiz, 2019; online 16. Dezember 2019, www.paediatrieschweiz.ch 4. Huber F, Beise U: Otitis media. Zuletzt geändert: 10/2018; www.medix.ch 5. https://ginasthma.org 6. Müller P et al.: Handlungsanweisungen vegetarische und vegane Ernährung im Säuglings-und Kleinkindesalter. Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie 2020; online 11. März 2020, www.paediatrieschweiz.ch 7. Hofmann Y et al.: Zeit für einen Paradigmenwechsel. Behandlung der StreptokokkenAngina. Swiss Med Forum 2019; 19: 481–488. 8. Berger C: Wann ist eine antibiotische Therapie angezeigt? Tonsillopharyngitis durch Streptokokken der Gruppe A. Swiss Med Forum 2019; 19:467–468.
Pädiatrie 4/20