Transkript
CongressSelection
Anfang Mai wurden beim EuroPrevent-2012-Kongress in Dublin die neuen Guidelines der European Society of Cardiology veröffentlicht und zeitgleich im «European Heart Journal» publiziert (1). Den Autoren wird immer wichtiger, dass die Guidelines wirklich Eingang in die Praxis finden. Deshalb wurden die neuen Richtlinien nun kompakter.
In Bezug auf die Hypertonie gibt es keine grossen Umwälzungen. Die wichtigsten neuen, klar definierten Botschaften sind zum einen, dass die antihypertensive Behandlung auch im Alter über 80 Jahre sinnvoll und nützlich ist, und zum anderen, dass ein subklinischer Organschaden das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko auch unabhängig vom Risikowert SCORE erhöht. Damit sollte dieser Faktor in die Risikobeurteilung eingehen. Das Risiko wird vor allem bei asymptomatischen Frauen und bei älteren Menschen noch zu wenig beachtet. Die Bestimmung des Risikoscores kann sich bei ihnen besonders lohnen. Als Risikofaktor wurde nun auch die Parodontitis in die Guidelines aufgenommen. Durch ihre gezielte Behandlung lässt sich die Endotheldysfunktion positiv beeinflussen.
Labormessungen, apparative Tests?
Simple Labormessungen zur Risikobeurteilung sind nach wie vor nicht am Horizont. Laut Guidelines können das hochsensitive C-reaktive Protein (hsCRP) und Homocystein bei Patienten mit moderatem Risiko die Risikoeinschätzung verbessern. Neue Daten zeigen aber nun klarer, dass Homocystein kein kausaler Risikofaktor ist. Neuere Biomarker sind eher etwas für spezialisierte Praxen und Fragestellungen, aber hierzu müssen die zu testenden Subgruppen noch besser definiert werden. «Brauchbar» nennen die Guidelines den Gefässultraschall bei asymptomatischen Patienten mit mässigem Risiko. Auch beim Management des LDL-Cholesterinspiegels bleibt es beim Alten. Bei
ESC-Guidelines 2012 zur Prävention
Verschlankte Empfehlungen für die Praxis
Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko sollte der LDL-Cholesterinspiegel unter 1,8 mmol/l liegen oder mindestens halbiert werden, wenn das LDL-Ziel nicht erreicht wird. Bei hohem Risiko liegt das anzustrebende Ziel bei 2,6 mmol/l.
Weniger Strenge bei Typ-2-Diabetes
Das Management von Typ-2-Diabetikern wurde vereinfacht. Eine energische Behandlung ist und bleibt das Ziel. Das HbA1c sollte nach neuen Empfehlungen unter 7 Prozent (statt zuvor 6,5%) liegen. Das alte Ziel von 6,5 Prozent wird zwar als das niedrigste, noch sicher zu erreichende Ziel genannt – es kommt jedoch nur infrage für Patienten mit langer Diabetesdauer und gleich ab Diagnose. Dann könnte es mikrovaskuläre Schäden zu vermeiden helfen. Das Blutdruckziel für Typ-2-Diabetiker liegt unter 140/80 mmHg. Metformin gehört (wenn keine Gegenanzeigen vorliegen und der Patient es verträgt) in die Erstlinientherapie. Statine werden immer noch für alle Diabetiker empfohlen. Aspirin müssen Diabetiker, die keine Zeichen für Atherosklerose haben, nicht mehr zur Primärprävention einnehmen. Bei akutem Koronarsyndrom raten die neuen ESC-Richtlinien zur Anwendung der P2Y12-Hemmer Ticagrelor (Brilique®) oder Prasugrel (Efient®), und Aspirin ist nun das Reservemittel bei Intoleranz dieser Medikamente.
gen mit hohem Gefässrisiko leuchtet sein persönliches Risiko möglicherweise viel besser ein, wenn er vom Arzt erfährt, sein «Herz-Kreislauf-Risikoalter» sei das eines 65-Jährigen. Hört der Patient dagegen, sein Risiko für eine Herzattacke in den nächsten 10 Jahren liege bei 10 Prozent, dann greift üblicherweise Optimismus: «Ich gehöre natürlich zu den 90 Prozent, die davonkommen.» Die Risiken können in HeartScore ermittelt werden (deutsche Version z.B. https://escol.escardio.org/ Heartscore3 [nach kostenloser Registrierung]). Eins stellen die Guidelines ebenfalls nun klar heraus: Die effektivste und einfachste Methode zur Verbesserung der Compliance ist, die Zahl der einzunehmenden Pillen zu senken.
Ulrike Novotny
Referenz: 1. Perk J, De Backer G, Gohlke H, et al. European Guidelines on CVD Prevention in Clinical Practice. V Eur Heart J 2012; doi: 10.1093/eurheartj/ehs092 Volltext zum Downland unter www.escardio.org/ guidelines-surveys/esc-guidelines/Pages/cvdprevention.aspx
Trick für die Praxis
Alle Medikamente nutzen nur, wenn sie eingenommen werden. Auch zur Compliance geben die Guidelines Anregungen. Um den Patienten ihr erhöhtes Risiko vor Augen zu halten, raten sie, dem Patienten sein «Risikoalter» zu vermitteln. Das ist das Alter, das eine vergleichbare Person hat, die gänzlich frei von Risikofaktoren durch die Welt geht. Einem Vierzigjähri-
8 Kardiologie ESH 2012