Transkript
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Präoperative Abklärung vor elektiven Eingriffen
Woran man denken muss
Um Überraschungen am Operationstag zu vermeiden, ist es von Vorteil, wenn die Diagnoseliste der sonstigen Erkrankungen sowie deren Medikation frühzeitig vorliegt. Was im Vorfeld einer Operation durch den Hausarzt abgeklärt und eventuell korrigiert werden kann, erklärte Dr. Cecilia Probst, Leitende Ärztin Tagesklinik, Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, an der vom Kantonsspital Baselland organisierten Acamed-Fortbildung für Hausärzte.
Im Gegensatz zu früher, als die präoperative Diagnostik für alle nach dem gleichen Muster ablief (Labor, EKG, Thoraxröntgen, Acetylsalicylsäurestopp, Phenprocoumon-Bridging), die übliche medikamentöse Prämedikation aus Pethidin und Scopolamin i.m. bestand und die Unterschrift zur Anästhesieeinwilligung häufig noch schnell in der Umbettschleuse eingeholt wurde, sind die Vorschriften heute viel anspruchsvoller. Heutzutage besteht eine Aufklärungspflicht, und die Einwilligung zur elektiven Operation muss spätestens 24 Stunden vor dem Eingriff eingeholt sein. Zudem finden vorgängig eine Anamnese und Untersuchung zur Risikostratifizierung statt. Die Entscheidungsfindung schliesslich erfolgt in der Zusammenschau mit dem Operationsrisiko und Patientenwunsch. Das Risiko für Mortalität und intraoperativen Herz-Kreislauf-Stillstand bei nicht kardiochirurgischen Patienten ist heutzutage dank besserer Methoden nicht mehr hoch, doch mit 0,2 bis 1,1 Fällen pro 10 000 Anästhesien immer noch vorhanden, wie aus einer amerikanischen, retrospektiven Registeranalyse hervorgeht (1). Darin eingeschlossen seien auch Überwachungen (monitored anesthesia care) von «kleinen» Operationen in Lokalanästhesie wie beispielsweise einer Kolonoskopie, berichtet Probst. Risikofaktoren für einen Herzstillstand während der Anästhesie sind beispielsweise ein Alter über 80 Jahre oder unter 1 Jahr wie auch eine ungünstige Risikokonstellation (z.B. Herzinsuffizienz). Aber auch ein schlechter präoperativer Zustand, Komplikationen und schlechtes Patientenmanagement, männliches Geschlecht und ein grosser intraoperativer Blutverlust erhöhen dieses Risiko (2).
Herzinsuffizienz ist ein Problem
Der Risikofaktor Herzinsuffizienz stelle ein Problem dar, weil viele Patienten ihre Diagnose gar nicht kennen, beklagt Probst die Situation. Es handelt sich um ein komplexes medizinisches Syndrom als Folge einer strukturellen oder funktionellen Herzerkrankung mit steigender Prävalenz und bedeutender Mortalität. Die Anamnese ist nicht immer typisch, und die Differenzialdiagnosen von Dyspnoe und Laborwerten sind nicht immer eindeutig. Patienten mit einer präoperativen Herzinsuffizienz haben selbst nach kleineren chirurgischen Eingriffen eine 30-Tage-Mortalität von 13 bis 15 Prozent (3). Da kardiale Erkrankungen häufig sind, wird im Vorfeld von elektiven Eingriffen eine entsprechende Abklärung vorgenommen. Nach Ausschluss von akuten oder instabilen Herz-
erkrankungen beruht die weitere Beurteilung auf der Einschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit sowie relevanter Begleiterkrankungen. Bei Eingriffen mit mittlerem bis hohem Risiko, eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit < 4 MET (metabolisches Äquivalent) und relevanten Begleiterkrankungen, wie KHK, Herzinsuffizienz, zerebrovaskulären Erkrankungen, Diabetes mellitus oder Niereninsuffizienz, empfiehlt es sich, präoperativ eine Bestimmung des BNP (brain natriuretic peptide) zu veranlassen. Tiefe Werte (BNP < 100 ng/l bzw. NT-proBNP < 300 ng/l) schliessen das Vorliegen einer Herzinsuffizienz aus. Sind die Werte erhöht, muss je nach Dringlichkeit und Art des Eingriffs über eine präoperative Abklärung respektive Therapieoptimierung nachgedacht werden (3). Patienten mit zurückliegendem akutem Koronarsyndrom oder einer perkutanen Revaskularisation sollten nicht vor Ablauf von zwölf Monaten elektiv operiert werden (3), so Probst. Das Troponin wird bei Hochrisikopatienten als Ausgangswert bestimmt, da es auch extrakardiale Ursachen für eine Troponinbestimmung gibt. Eine moderne Anästhesieführung versucht einen perioperativen Myokardschaden zu vermeiden. Dieser tritt weniger infolge Plaqueruptur auf, viel häufiger ist ein Versorgungsungleichgewicht wie bei einer Anämie, Tachykardie, Operationsstress oder Hypovolämie die Ursache. Von jährlich weltweit 100 Millionen Patienten mit kardialem Risiko, die sich einer nicht kardialen Operation unterziehen, erleiden etwa 10 Prozent einen Myokardschaden. Von diesen erfüllen jedoch nur etwa 40 Prozent die Diagnosekriterien für einen Herzinfarkt (4). Das liegt möglicherweise daran, dass die Patienten postoperativ die Schmerzen nicht genau lokalisieren können und allfällige EKG-Veränderungen nur kurz sichtbar sind. Anämie vermeiden Einer Schätzung der WHO zufolge leiden über zwei Milliarden Menschen weltweit an einer Anämie. Was im alltäglichen Umfeld weniger schnell Konsequenzen hat, führt perioperativ mitunter zu Problemen: mehr Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten, längere Spitalaufenthalte, mehr Tage auf der Intensivstation und schliesslich eine 30-Tage-Mortalität von 10 Prozent, wie Probst berichtet. In der Schweiz weisen schätzungsweise 16 bis 21 Prozent der Patienten präoperativ eine Anämie auf, und etwa 19 bis 22 Prozent benötigen eine Transfusion. Bei erneuten Operationen, wie beispielsweise bei Reoperationen nach Hüft- und Knie-TP, sind es sogar 30 bis 482 ARS MEDICI 14-16 | 2020 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG DOAK: Regeln zur Pause zwischen letzter Gabe und Intervention eGFR Blutungsrisiko niedrig Blutungsrisiko mittel bis hoch Apixaban > 50
>24 Stunden
2 Tage
(Eliquis®)
30–50
2 Tage
2 Tage
< 30 3 Tage 3 Tage Dabigatran > 50
36 Stunden
3 Tage
(Pradaxa®) 30–50
2 Tage
4 Tage
< 30 3 Tage ≥ Tage Edoxaban > 50
>24 Stunden
2 Tage
(Lixiana®)
30–50
2 Tage
2 Tage
< 30 3 Tage 3 Tage Rivaroxa- > 50
> 24 Stunden
> 24 Stunden
ban 10 mg 30–50
2 Tage
2 Tage
(Xarelto®) < 30 3 Tage 3 Tage Rivaroxa- > 50
>24 Stunden
> 48 Stunden
ban 15/20 mg 30–50
2 Tage
2 Tage
(Xarelto®) <30
3 Tage
3 Tage
Quelle: SOP (Standardarbeitsanweisung) Kantonsspital Baselland, Dr. C. Probst,
Acamed 2019.
40 Prozent (4). Die Zunahme kommt gemäss Probst durch den zuvor entstandenen Blutverlust bei Hüft- und Knieprotheseoperationen zustande. Die häufigste Ursache einer Eisenmangelanämie ist weltweit die Mangelernährung. In Europa überwiegen als Ursachen mangelhafter Eisenaufnahme Malabsorptionsstörungen wie beispielsweise Zöliakie, chronisch entzündliche Darmerkrankungen oder Gastritis. Häufigste Ursache für die Eisenmangelanämie ist jedoch ein chronischer Eisenverlust durch Menorrhagien, Tumoren, gastrointestinale Erkrankungen sowie akute Verluste bei Geburt oder Trauma. Eine präoperativ bestehende Eisenmangelanämie erhöht die Transfusionswahrscheinlichkeit und beeinflusst bestehende chronische Begleiterkrankungen wie beispielsweise Herz- oder Nierenerkrankungen (5). Frühzeitiges Erkennen und Behandeln einer Eisenmangelanämie präoperativ ergäben deshalb Sinn, so Probst. Gemäss einem Behandlungsalgorithmus des Universitätsspitals Basel (6) sollen das Hämoglobin (Hb) und das Ferritin der Operationswilligen frühzeitig, das heisst möglichst bald nach dem Entschluss zur Operation, bestimmt werden. Beträgt der HbWert bei Männern > 130 g/l und bei Frauen > 120 g/l, sind keine weiteren Schritte notwendig, berichtet Probst. Liegen die Werte jedoch unter diesen Grenzen, empfiehlt sich eine zusätzliche Laborabklärung mit Eisenstatus, Vitamin-B12und Folsäurebestimmung, sodass die Patienten einer oralen oder bei fehlendem Ansprechen respektive fehlender Zeit bis zum Operationstermin einer intravenösen Eisensubstitution zugeführt werden können.
Antikoagulans bridgen?
Wenn eine Operation bevorsteht, muss je nach Art der Antikoagulation unterschiedlich vorgegangen werden. Der Vit- amin-K-Antagonist Phenprocoumon muss drei bis fünf Tage vor dem Operationstermin abgesetzt werden. Eine Therapie
mit niedermolekularem (LMWH) oder unfraktioniertem
Heparin ist nur in Hochrisikosituationen angezeigt. Dazu
zählen eine Thromboembolie innerhalb des letzten Monats,
Klappenprothesen «alter Bauart», Status nach Aorten- oder
Mitralklappenersatz bei zusätzlich vorhandenen Risikofak-
toren wie Vorhofflimmern, erniedrigte linksventrikulärer
Auswurffraktion < 50 Prozent, bekannte Hyperkoagulabilität oder Thrombophilie sowie Status nach Thrombophilie. Alle anderen Patienten erhalten ein LMWH, allenfalls als Einmal- dosis, so Probst. Bei Patienten unter einer Therapie mit direkten oralen Anti- koagulanzien (DOAK) ist die Situation anders. «DOAK wer- den je nach Operation und Präparat abgesetzt, aber nie mit LMWH überbrückt, weil das zu unberechenbaren Blutspie- geln führen kann», erklärt Probst. Die empfohlenen Pausen zwischen letzter Gabe und der Operation betragen je nach Präparat, geschätzter glomerulärer Filtrationsrate und Blu- tungsrisiko zwischen 24 Stunden und 3 Tagen (Tabelle). Ein Absetzen ist daher erst sinnvoll, wenn der genaue Operations- termin bekannt ist. Der Zeitpunkt der letzten Einnahme wird in der Regel anlässlich der Anästhesiesprechstunde festgelegt. Stehen Patienten unter einer Plättchenaggregationshemmer- therapie mit Acetylsalicylsäure (ASS), soll diese entweder be- lassen oder während 7 Tagen pausiert werden. Clopidogrel als Monotherapie soll mit ASS überbrückt werden, eine duale Plättchenaggregationshemmung sowie eine Therapie mit Ticagrelor sollen dagegen nicht ohne Rücksprache mit dem Kardiologen abgesetzt werden. «Diese Aufgabe übernehmen wir als Anästhesisten gerne», so Probst. Die Pausenzeiten für Thrombozytenaggregationshemmer betragen gemäss SOP (Standard Operating Procedure; Standardarbeitsanweisung) des Kantonsspitals Baselland für ASS 7 Tage, für Prasugrel (Efient®) 7 Tage, für Clopidogrel (Plavix®) 5 Tage und für Ticagrelor (Brilique®) 5 Tage. s Valérie Herzog Wissenschaftliche Leitung: Dr. med. Cecilia Probst-Caduff Leitende Ärztin Tagesklinik Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin Kantonsspital Baselland Rheinstrasse 26 4410 Liestal E-Mail: cecilia.probst@ksbl.ch Quelle: «Mein Patient wird operiert – Nützliches zu Eisen, Herz und Bridging», Acamed-Fortbildungsveranstaltung des Kantonsspitals Baselland für Hausärztinnen und Hausärzte, 16.Mai 2019 in Pratteln. Referenzen: 1. Nunnally ME et al.: The incidence and risk factors for perioperative car- diac arrest observed in the national anesthesia clinical outcomes registry. Anesth Analg 2015; 120: 364–370. 2. Zuercher M et al.: Cardiac arrest during anesthesia. Curr Opin Crit Care 2008; 14: 269–274. 3. Filipovic M et al.: Perioperative kardiale Abklärung und Therapie im Vorfeld nicht herzchirurgischer Eingriffe. Swiss Med Forum 2018: 1078–1080. 4. Shander A et al.: Patient blood management. Br J Anesth 2012; 109: 55– 68. 5. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): S3-Leitlinie: Präoperative Anämie (2018). 6. Universitätsspital Basel, Departement für Anästhesie: Patient Blood Management 2017, Behandlungsalgorithmus bei Eisenmangelanämie. ARS MEDICI 14-16 | 2020 483