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ZERTIFIZIERTEFFOORRTTBBIILLDUNG
Update Pneumonie und COPD
Einsatz von Antibiotika und Steroiden
Foto: KD
Wie lange sollen Antibiotika bei einer ambulant erworbenen Pneumonie gegeben werden? Und wann und wie lange sollen bei COPD-Patienten Kortikosteroide verabreicht werden? Diese Fragen diskutierte Prof. Jörg Leuppi, Chefarzt Medizinische Universitätskliniken, Kantonsspital Baselland, an der vom Kantonsspital Baselland organisierten Acamed-Fortbildung für Hausärzte.
Die in der Umgebung erworbene Lungenent-
zündung (CAP; community acquired pneumo-
nia) ist die häufigste infektionsassoziierte To-
desursache in den Industrieländern. Die
Mortalität bei ambulanten Patienten liegt unter
1 Prozent, was auf eine gute Triagierung der
Hausärzte hinweist, stellt Leuppi fest. Schwere
Fälle werden hospitalisiert, unter diesen beträgt
die Mortalität dann etwa 12 Prozent. Risiko-
Prof. Jörg Leuppi
gruppen für eine Pneumonie sind ältere Männer und komorbide Patienten. Die Pneumonie ist
die häufigste Indikation für Antibiotika. Die aktuelle Frage
ist dabei, wie lange eine Antibiotikatherapie dauern soll.
Hilfreich für die Beantwortung dieser Frage war eine im Jahr
2006 publizierte wichtige randomisierte Schweizer Studie bei
302 Patienten, die mit einer vermuteten Pneumonie auf die
Notfallstation kamen. Bei diesen Patienten gaben zur Ent-
scheidung für oder gegen Antibiotika während 7 bis 21 Tagen
entweder die Procalcitoninwerte oder eine klinische Beurtei-
lung den Ausschlag. Ein Procalcitoninwert < 0,25 µg/l schloss eine Antibiotikatherapie aus, bei Werten zwischen 0,25 und 0,50 µg/l konnte die Antibiotikagabe erwogen werden, ab 0,5 µg/l war diese obligat. Die Messung erfolgte alle zwei Tage und verlangte jeweils die gleiche procalcitoningesteuerte Ent- scheidung. Im Procalcitonin-Arm erhielten nach 7 Tagen noch etwa die Hälfte der Patienten Antibiotika, nach 8 Tagen noch etwa 20 Prozent, während in der Kontrollgruppe nach 8 Tagen noch über 80 Prozent unter Antibiose standen. Mithilfe der Procalcitoninmessungen sank der Antibiotikaverbrauch um etwa die Hälfte. Die Erfolgsrate war in beiden Gruppen mit 83 Prozent ähnlich (1). Das Resultat zeige, dass eine Anti- biotikatherapie über 5 bis 7 Tage meist ausreichend ist, so Leuppi. 2018 wurde eine Studie in 14 amerikanischen Spitä- lern mit der gleichen Fragestellung «procalcitoningesteuerte versus klinisch entschiedene Antibiose» bei einer ähnlichen Studienpopulation (n = 1656) durchgeführt (2). In beiden Gruppen betrug die Dauer der Antibiotikatherapie bei den hospitalisierten Patienten im Median etwa 4 Tage, unter- schied sich also nicht. Die Procalcitoninmessungen führten demnach nicht zu einer verminderten Dauer. «Deshalb zu sagen, dass eine Procalcitoninmessung nichts nützt, wäre zu kurz gegriffen. Seit der Schweizer Procalcitoninstudie sind 15 Jahre vergangen. In diesem Zeitraum haben die Ärzte ihre Praxis offensichtlich angepasst und geben auch ohne Procalcitoninmessung Antibiotika nicht mehr länger als 5 bis 7 Tage», so Leuppi. Systemische Steroide bei COPD-Exazerbation Wenn Patienten mit COPD akute Exazerbationen erleiden, stellt sich die Frage, ob eine Verabreichung von systemischen Kortikosteroiden indiziert ist und wenn ja, wie lange. Bei einer Exazerbation sind primär sofort wirksame Bronchodilatatoren (SABA), idealerweise kombiniert mit einem sofort wirksamen Beta-2-Mimetikum angezeigt (SAMA), um eine maximale Bronchodilatation zu erreichen. Angebracht ist auch eine systemische Kortikosteroidgabe während 3 bis 5 Tagen. Eine länger dauernde Gabe bringt keinen Mehreffekt, wie eine britische Studie gezeigt hatte. Darin hatte die Lungenfunktion der hospitalisierten Patienten in den ersten 3 Tagen eine wesentliche Verbesserung gezeigt, danach war der Nutzen ähnlich (3). Eine Schweizer Studie unter der Leitung von Leuppi untersuchte im Jahr 2013 in fünf Spitälern die Nichtunterlegenheit einer 5-tägigen versus einer damals konventionellen 14-tägigen systemischen Kortikosteroidtherapie mit Prednison 40 mg/Tag bei 314 Patienten mit akuter, spitalpflichtiger Exa zerbation. In beiden Gruppen war die Reexazerbationsrate in den folgenden 180 Tagen etwa gleich hoch (38,4 vs. 37,2%). Dabei betrug die Zeitspanne bis zur nächsten Exazerbation in der Kurzzeitgruppe im Median 43,5 Tage und in der konventionellen Gruppe 29 Tage. Therapiebedingte Nebenwirkungen wie Hyperglykämie und Hypertonie traten in der Kurzzeitgruppe nicht vermehrt auf. Der sekundäre Nutzen bestand in einer verminderten Steroidbelastung um –400 mg in 6 Monaten und in einer um einen Tag kürzeren Hospitalisationszeit. Eine systemische Kortikosteroidtherapie während 5 Tagen ist demnach einer 14-tägigen Therapie nicht unterlegen, hilft jedoch, Steroide zu sparen (4). Das führte 2014 zu einer Änderung der GOLD-Guidelines, die zur Verbesserung der Lungenfunktion und arteriellen Hypoxämie sowie zur Rezidivprophylaxe fortan 40 mg Prednison während 5 bis 7 Tagen empfahlen (5). Für den ambulanten Bereich ist derzeit eine Studie unter der Leitung von Leuppi im Gang (RECUT), die bei Praxispatienten mit akuten COPD-Exazerbationen in Schweizer Hausarztpraxen zu beweisen versucht, dass 3 Tage Steroidgabe auch reichen. Die Studie ist noch in der Rekrutierungsphase ARS MEDICI 14–16 | 2020 475 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG und untersucht die Nichtunterlegenheit von 3 versus 5 Tagen Prednison 40 mg bei ambulanten Patienten mit einer akuten Exazerbation in der Hausarztpraxis (6). Exazerbationen verhindern als Therapieziel Im Gegensatz zur Asthmaerkrankung, bei der eine Therapie mit inhalativen Steroiden (ICS) gemäss den neuen GINAGuidelines bereits in leichtem Stadium (Budesonid/Formoterol) indiziert ist (7), ist die COPD kein homogenes Krankheitsbild. Klinische Phänotypen wie der «Pink Puffer» mit Lungenemphysem, Hypoxämie, der auch meistens kachektisch ist, unterscheiden sich vom häufig übergewichtigen «Blue Bloater» mit chronischem Husten, Auswurf und Zyanose. Komorbiditäten, Raucherstatus sowie Exazerbationshäufigkeit führen zu weiteren Unterscheidungen. Gemeinsam ist jedoch allen COPD-Patienten, dass sie von einer Bronchodilatation profitieren. Der Nachweis einer COPD erfolgt mittels Spirometrie, mit der der Obstruktionsgrad festgestellt wird. Dieser hat einen prädiktiven Wert in Bezug auf die Lebenserwartung. Für die Wahl der Therapie entscheidend ist seit jüngerer Zeit gemäss GOLD-Guidelines (5) jedoch die Symptomschwere betreffend Dyspnoe und Exazerbationshäufigkeit, erhoben mit dem mMRC- und dem CAT-Fragebogen. Bei der COPD kann die Progression lange unbemerkt bleiben. Ziel der Therapie ist es unter anderem, Exazerbationen zu verhindern. Denn jede Exazerbation senkt die Lebensqualität und die verbleibende Lebenszeit. Nach einer erfolgreichen Exazerbationsbehandlung benötigt die Erholung jeweils Wochen, und die Lungenfunktion erreicht danach nicht mehr das Vorniveau. Mit jeder Exazerbation verkürzt sich überdies die Zeitspanne bis zur nächsten Exazerbation (8). Für die Wahl der Therapie erfolgt aufgrund der mMRC- und CAT-Punktzahlen die Einteilung in die Symptomgruppen A bis D. Die Gruppen A und B zeichnen sich durch wenig beziehungsweise viele Symptome und maximal 1 nicht hospitalisationsbedürftige Exazerbation aus. Die Gruppen C und D vereinen Patienten mit wenig bis vielen Symptomen und ≥ 2 Exazerbationen oder ≥ 1 hospitalisationsbedürftigen Exazerbation (5). Vorgehen nach GOLD-Guideline Bei der initialen Therapie erhalten die Gruppen A und C (mMRC 0–1; CAT < 10) einen Bronchodilatator. Für Patienten der Gruppe B (mMRC ≥ 2; CAT ≥ 10) ist ein langwirksamer Bronchodilatator (LAMA oder LABA) empfohlen, für Patienten der Gruppe D ein LAMA oder bei CAT > 20 ein LAMA/LABA, bei Eosinophilen > 300 ein ICS/LABA. Im weiteren Verlauf sollen die Dyspnoestärke und die Exazerbationshäufigkeit periodisch überprüft werden, wie auch die Inhalationstechnik und die Adhärenz. Weitere nicht pharmakologische Massnahmen wie die Lungenrehabilitation können erwogen werden. Je nach Situation soll die Therapie angepasst beziehungsweise eskaliert, gewechselt oder deeskaliert werden (7). Ist die Therapieantwort zufriedenstellend, ist eine Änderung nicht notwendig. Wenn nicht, soll das vorherrschende Symptom (Dyspnoe oder Exazerbation) behandelt werden. Hat sich die Dyspnoe verschlechtert, folgt auf LAMA oder LABA entweder LAMA/LABA oder LABA/ICS mit einer weiteren Eskalationsmöglichkeit auf LABA/LAMA/ICS.
Sind Exazerbationen das Problem, folgt auf LAMA oder LABA die Kombination LAMA/LABA. Reicht das nicht aus und liegen die Eosinophilen < 100, besteht die nächste Stufe in der Gabe von Roflumilast bei einer FEV1 < 50 Prozent und einer Bronchitis. Sind die Eosinophilen ≥ 100 beziehungsweise ≥ 300, kommt eine Kombination mit ICS zum Einsatz, je nach Ansprechen ein LABA/ICS oder LAMA/LABA/ICS. Inhalative Kortikosteroide sollen auch wieder ausgeschlichen werden, und bei Nichtansprechen sowie Auftreten einer Pneumonie sind sie abzusetzen. Bei früheren Rauchern ist eine weitere Eskalation mit einer Gabe von Azithromycin möglich (5). Wichtig sei dabei zu wissen, so Leuppi, dass ICS Exazerbationen nur in Kombination mit LABA reduzieren und zu einer Verbesserung der FEV1 führen. Sie haben keinen Effekt auf den Krankheitsverlauf und auf die Mortalität und haben Nebenwirkungen wie beispielsweise eine Erhöhung des Pneumonie- und des Osteoporoserisikos. Bei Patienten mit häufigen Exazerbationen reduziert die Dreifachtherapie (LAMA/LABA/ICS) im Vergleich zur Zweifachtherapie (LAMA/LABA oder LABA/ICS) die Exazerbationshäufigkeit wie auch die Gesamtmortalität, wie die IMPACT-Studie belegen konnte (9). Unter diesen Patienten waren einige, die in der Anamnese früher auch eine Asthmaerkrankung hatten. Das bedeutet, dass Patienten, die früher schon einmal an Asthma litten, sowie Patienten mit häufigen Exazerbationen und eventuell einer Bluteosinophilie Kandidaten für eine inhalative Kortikosteroidtherapie sind. s Valérie Herzog Wissenschaftliche Leitung: Prof. Jörg Leuppi Chefarzt Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Baselland, Standort Liestal Rheinstrasse 26 4410 Liestal E-Mail: joerg.leuppi@ksbl.ch Quelle: «Less is more & auch bei Lungenkrankheiten», Acamed-Fortbildungsveranstaltung des Kantonsspitals Baselland für Hausärztinnen und Hausärzte, 16. Mai 2019 in Pratteln. Referenzen: 1. Christ-Crain M et al.: Procalcitonin guidance of antibiotic therapy in com- munity-acquired pneumonia: a randomized trial. Am J Respir Crit Care Med 2006; 174: 84–93. 2. Huang DT et al.: Procalcitonin-guided use of antibiotics for lower respiratory tract infection. N Engl J Med 2018; 379: 236–249. 3. Niewoehner DE et al.: Effect of systemic glucocorticoids on exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease. Department of Veterans Affairs Cooperative Study Group. N Engl J Med 1999; 340:1941–1947. 4. Leuppi JD et al.: Short-term vs conventional glucocorticoid therapy in acute exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease: the REDUCE randomized clinical trial. JAMA 2013; 309: 2223–2231. 5. Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease: Global strategy for the diagnosis, management, and prevention of chronic obstructive pulmonary disease. Report 2019. www.goldcopd.org 6. Reduction of corticosteroid use in outpatient treatment of exacerbated COPD – a randomized, double-blind, non-inferiority study. www.recut.ch 7. Global Initiative for Asthma (GINA): Pocket guide for asthma management and prevention. Update 2019. www.ginasthma.org 8. Hansel TT et a.: New drugs for exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease. Lancet 2009; 374: 744–755. 9. Lipson DA et al.: Once-daily single-inhaler triple versus dual therapy in patients with COPD. N Engl J Med 2018: 378: 1671–1680. 476 ARS MEDICI 14–16 | 2020