Transkript
Fortbildung
2 • 2020
Präoperatives Patient Blood Management
Weniger Komplikationen – mehr Sicherheit für den Patienten
Das «Patient Blood Management» (PBM) ist ein Früherkennungs- und Behandlungskonzept zur präoperativen Therapie von Eisenmangelanämien, die insbesondere bei grösseren operativen Eingriffen mit einem hohen gesundheitlichen Risiko für den Patienten verbunden sind. Die rechtzeitige präoperative Verbesserung der Hämoglobin- und Eisenwerte bei einer bestehenden Blutarmut bewahrt den Patienten vor grösseren Komplikationen, kann den intraoperativen Blutverlust minimieren, verringert die Wahrscheinlichkeit einer notwendigen Bluttransfusion und reduziert die Sterblichkeit. Frau Dr. med. Michaela Haller, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Horgen, gab Auskunft über Hintergrund, Massnahmen und den Benefit des Patient Blood Management.
doXmedical: Frau Dr. Haller, wie hoch ist Ihrer Ansicht nach der Verbreitungsgrad der präoperativen Anämie in der Schweiz? Dr. Michaela Haller: Ich schätze den Verbreitungsgrad gesamthaft, also alle Altersgruppen einbezogen, auf mindestens 20 bis 40 Prozent. Eine Anämieabklärung sollte also nicht nur bei älteren, sondern auch bei jüngeren Patienten erfolgen, insbesondere wenn elektive Eingriffe geplant sind, die erfahrungsgemäss mit einem höheren Blutverlust einhergehen können, wie zum Beispiel kardiologische, orthopädische oder grössere gynäkologische Operationen. Im Optimalfall sollte eine Anämieabklärung etwa 30 Tage vor dem geplanten Eingriff erfolgen. Dazu bestimme ich immer als Erstes den Hb-Wert und – ganz wichtig – die Transferrin-Sättigung (TSAT) und Ferritin. Bei auffälligen Werten erfolgen dann eine weitere Abklärung (Erythrozytenindices (MCV bzw. MCH) und Retikulozytenzahl) sowie eine entsprechende Behandlung.
Die häufigste Ursache ist bekanntlich ein Eisenmangel? Ja, wobei er unterschiedliche Gründe haben kann, die abgeklärt werden sollten. Zu den wichtigsten Ursachen gehören akute oder chronische Blutungen, zum Beispiel aufgrund gastrointestinaler Erkrankungen oder Tumoren, aber auch starke Regelblutungen oder durchgemachte chirurgische In-
terventionen sowie eine ungenügende Eisenzufuhr über die Nahrung.
Dr. med. Michaela Haller mit ihrem Therapie-
hund
Welche Laborwerte sprechen aus Ihrer Sicht für eine behandlungsbedürftige Eisenmangelanämie? Definitionsgemäss besteht eine Anämie bei einem HB von < 13 g/dl (gilt für Männer und Frauen); um einen Eisenmangel handelt es sich, wenn das Ferritin bei < 100 µg/l und/ oder TSAT bei < 18 bis 20 Prozent liegt. In solchen Fällen muss eine entsprechende Therapie eingeleitet werden. Warum ist es für den Patienten, aber auch für das Spital so wichtig, dass eine präoperative Anämie möglichst frühzeitig behandelt wird? Ein erfolgreiches Behandlungskonzept zur Früherkennung und präoperativen Behandlung einer bestehende Blutarmut, das so genannte «Patient Blood Management», ist für Patient und Spital heute essenziell. Dadurch sehen wir postoperativ eindeutig weniger Komplikationen, das heisst, die Morbiditäts- und Mortalitätsrate reduziert sich signifikant. Wir beobachten ein um 40 Prozent geringeres Risiko für Infektionen, eine bessere Wundheilung, insbesondere nach grösseren orthopädischen Eingriffen wie einem Hüftund/oder Kniegelenksersatz. Erfahrungsgemäss verkürzt sich zudem die Verweildauer im Spital sowie die Rekonvaleszenz (hier allein um 25%), was nicht nur dem Patienten und seinem Umfeld zugutekommt, sondern auch die Pflege entlastet, ganz abgesehen von den Kosten. In diesem Zusam- Tabelle: Präoperative Anämieabklärung Fachbereich Orthopädie Kardiologie Neurologie Vaskologie Gynäkologie Urologie Allgmein Onkologie Häufigste Eingriffe mit möglichem Blutverlust > 500 ml Gelenkersatz/-revisionen Hüfte und Knie Herz und Thorax (offen) Grosse Wirbelsäulenoperationen Grössere Eingriffe wie z.B. Aortenaneurysma Grössere gynäkologische Operationen wie z.B. Zysterktomie Grössere urologische Operationen wie z.B. offene Prostatektomie Offene Operationen im Bauchraum wie z.B. Leber-/Pancreaschirurgie, Adhäsiolysen, Dickdarm, Enddarm Operative Entfernung von Tumoren
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Kasten:
Fallbeispiel
Patient H.P., 78 J,, leidet unter metabolischem Syndrom, Diabetes mellitus Typ 2, arterieller Hypertonie, Dyslipidämie Hyperurikämie und Adipositas sowie unter einer Niereninsuffizienz AKIN 3. Bekannt ist zudem eine Prostatahyperplasie sowie ein substituierter Vitamin-D3-Mangel. Der Patient hatte einen grösseren orthopädischen Eingriff (Hüft-TEP) vor sich. Im Rahmen der präoperativen Diagnostik fielen ein HB von 10,2 und TSAT von 14 Prozent, Ferritin von 100 auf.
Massnahme: Etwa fünf Wochen vor dem Eingriff erfolgte PBM unter Eisensubstitution von 1000 mg FJ in 250 ml 0,9% NaCl-Lösung, i.v. Erfreulicherweise konnte der Patient die geplante Hüft TEP mit ausgeglichenen Blutwerten antreten.
Anemia Easy Check
Die App «Anemia Easy Check» erleichtert den Ärzten, die ihre Patienten auf eine operativen Eingriff vorbereiten, das Vorgehen bei der Abklärung und Behandlung einer präoperativen Anämie. Die App basiert auf dem inzwischen breit angewendeten Behandlungsalgorhythmus. Die App ist kostenlos im App Store für iPhone und iPad verfügbar.
menhang sind auch die intraoperativen Bluttransfusionen zu erwähnen, die durch eine effiziente präoperative Anämiebehandlung wesentlich seltener eingesetzt werden müssen, sodass sich das transfusionsbedingte Risiko für Komplikationen und Infektionen nochmals erheblich verringert. Für den Patienten bedeutet das «Blood Management»-Konzept kurz gesagt mehr Sicherheit, mehr Behandlungserfolg und mehr Wohlbefinden.
Bei welchen Eingriffen ist eine präoperative Anämieabklärung erforderlich? Bei allen grösseren Eingriffen mit einem erwarteten Blutverlust über 500ml. Sie sind in der Tabelle zusammengefasst.
Wie und mit welchem Ziel behandeln Sie eine präoperative Anämie? Ich mache so gut wie keine oralen Eisensubstitutionen mehr, weil die Wirkung – oft auch aufgrund der nebenwirkungsbedingt schlechten Adhärenz – zu gering ist, also zu viel verloren geht. Mit den Kurzinfusionen haben wir deutlich bessere Resultate in kürzerer Zeit. Gerade bei meinen jüngeren Patientinnen habe ich damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
Was enthält die Kurzinfusion? Es handelt sich um Ferinject Injektionslösung (100 mg/2 ml) verdünnt mit 0,9-%iger Kochsalzlösung (z.B. 200–500 mg Ferinject in 100 ml NaCl 0,9% bzw. 500–1000 mg Ferinject in 250 ml NaCl 0,9%). Die Infusion ist für die Patienten deutlich angenehmer als die tägliche Tabletteneinnahme und wird zudem sehr gut vertragen – auch von älteren Menschen, die ja oft auch noch leicht exsikkiert sind, so dass wir damit gleichzeitig noch den Flüssigkeitshaushalt etwas aufbessern können. Zusätzlich zu diesen Infusionen gebe ich gern noch 1,5 g Vitamin C, sowie Vitamin B12 und Folsäure. Je nach Alter, Diagnose und Eingriff, dem sich der Patient unterziehen muss, werden die Blutwerte für B12 und Folsäure auch bereits bei der Anämieabklärung mit erhoben, damit hier nichts versäumt wird.
Welche HB-Zielwerte sollten durch die Behandlung erreicht
werden und wie lange dauert eine solche Behandlung in
der Regel?
Ziel sollte ein HB-Wert ≥ 13 g/dl sein – und zwar für Männer und Frauen – sowie eine Transferrinsättigung ≥ 20 Prozent.
Die Dauer einer solchen Behandlung ist vom jeweiligen Aus-
gangswert und der Ursache der Anämie abhängig. Für das
präoperative PBM sind nach durchschnittlich etwa vier bis
fünf Wochen 1 bis 2 Kurzinfusionen mit 200 bis 500 mg oder
500 bis 1000 mg Ferinject zielführend.
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Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Claudia Reinke.
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