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KONGRESSBERICHT
ALLERGO UPDATE
Atopische Dermatitis
Erwachsene Patienten sind anders
Die atopische Dermatitis des Erwachsenen zeigt andere Ausprägungen als die kindliche Entität: Liegt sogar die Erstmanifestation erst im Erwachsenenalter, dann spielen Allergien offenbar seltener eine Rolle als bei der kindlichen Form. Zudem fallen Komorbiditäten an anderen Organsystemen sowie psychiatrische Begleitphänomene stärker ins Gewicht.
Die atopische Dermatitis (AD) gilt als eine Erkrankung, die sich im Rahmen des allergischen Marschs bereits früh im Kindesalter manifestiert. Hierzu gebe es viele epidemiologische Studien – die Prävalenz der AD bis zur Einschulung liege demnach bei 10 bis 15 Prozent, berichtete Prof. Thomas Werfel (Hannover, Deutschland) auf dem Allergo Update 2020 in Berlin. Obwohl sich die AD bei vielen Betroffenen quasi auswächst, fällt auf, dass die Jahresprävalenzen bei Kindern und Erwachsenen etwa gleich sind. Eine Erklärung hierzu liefern nun aktuelle Studiendaten, in denen gezeigt wurde, dass eine Erstmanifestation im Erwachsenenalter häufiger vorkommt als bis jetzt angenommen (1). Im Rahmen der aktuell veröffentlichten britischen Longitudinalstudie wurden zwei britische Geburtskohorten, beginnend mit 1958 beziehungsweise 1970, ausgewertet. Über 17 000 Teilnehmer wurden ab der Geburt bis zum 42. beziehungsweise 50. Lebensjahr nachverfolgt, dabei wurde als primäres Studienziel das Alter der Erstmanifestation einer AD bestimmt. Insgesamt ergab sich dabei für die AD eine Lebenszeitprävalenz von 18 Prozent bis zum 42. Lebensjahr beziehungsweise 28 Prozent bis zum 50. Lebensjahr. Die überraschende Beobachtung: Bei 40 Prozent der Betroffenen lag die Erstmanifestation der AD im mittleren Erwachsenenalter. Bei Patienten mit einem späteren Beginn der AD fanden sich seltener Filaggrin-Null-Mutationen und allergenspezifische IgE-Antikörper, es lag seltener ein Asthma bronchiale als Komorbidität vor, stattdessen war der Anteil an Rauchern höher und der sozioökonomische Status niedriger. Frauen waren von einem späteren Beginn häufiger betroffen als Männer. Es scheint sich also bei der im späteren Erwachsenenalter manifestierten AD weniger um ein genetisch determiniertes und allergisches Geschehen zu handeln. Das bestätigte eine weitere Studie mit 246 AD-Patienten, bei denen nach der Einteilung in drei Altersgruppen die erhobenen Befunde verglichen wurden (2). In dieser altersabhängigen Auswertung zeigte sich eine mit dem Alter abnehmende, für den allergischen Phänotyp typische TH2/TH22-Polarisierung, während die TH1/TH17-Polarisierung mit dem
Alter zunahm. Nach Einschätzung der Autoren dieser Studie erscheint daher in der Therapie von AD-Patienten die Entwicklung von Konzepten sinnvoll, bei denen die pathophysiologischen Unterschiede der Erkrankung in Abhängigkeit vom Alter berücksichtigt werden.
Dermatologische Komorbiditäten bei atopischer Dermatitis
Auch die bei AD-Patienten häufigen Komorbiditäten sollten im Management bedacht werden. Das Spektrum geht hier, wie in mehreren aktuellen Untersuchungen deutlich wurde, weit über die übrigen Erscheinungsformen des atopischen Marschs, wie Rhinokonjunktivitis und allergisches Asthma, hinaus. Welche weiteren dermatologischen Komorbiditäten bei AD-Patienten gehäuft gefunden werden, wurde in einer Querschnittsuntersuchung von über 110 000 Freiwilligen in Deutschland dermatologisch ermittelt (3). 1,45 Prozent der Probanden wiesen aktuell eine AD auf, die berichtete Lebenszeitprävalenz lag bei 4,95 Prozent. Bei denjenigen mit einer aktuellen AD wurden auch weitere Hauterkrankungen häufiger als in der Gesamtpopulation festgestellt: Handekzem (Odds Ratio 3,96), Kontaktdermatitis (OR 2,97) und Exsikkationsdermatitis (OR 1,78). Darüber hinaus wurden auch Hautpilz (OR 2,00), Follikulitis (OR 2,03) sowie Feuermale (OR 1,45) häufiger beobachtet. Dagegen war eine Psoriasis bei AD-Betroffenen signifikant seltener (OR 0,61). Die Autoren dieser Studie wiesen aufgrund dieser Beobachtungen darauf hin, wie wichtig eine umfassende dermatologische Untersuchung bei AD-Patienten ist (3).
Keratokonus bei atopischer Dermatitis
Eine ophthalmologische Komorbidität, die nach der Erfahrung mancher Ärzte eine Assoziation mit einer AD aufweist, ist der Keratokonus (4). Darunter versteht man die fortschreitende Ausdünnung und kegelförmige Verformung der Hornhaut des Auges. Es besteht das Risiko eines progressiven Verlaufs mit zunehmender Kurzsichtigkeit. Insbesondere bei einer unregelmässigen Verformung der Hornhaut können die Betroffenen durch die daraus resultierenden Phä-
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nomene beeinträchtigt sein – dazu zählen das Doppeltsehen, Schatten an Buchstaben oder Gegenständen, Schlieren oder sternförmige Strahlen, die von Lichtquellen auszugehen scheinen. Die Assoziation dieser Erkrankung mit verschiedenen anderen Entitäten wurde in einer retrospektiven Fallkontrollstudie bei über 2000 dänischen Keratokonuspatienten überprüft. Dabei wurde nicht nur die ausgeprägte Assoziation mit der AD (OR 7,97) bestätigt, sondern auch die mit weiteren Erkrankungen des atopischen Formenkreises, wie allergische Rhinitis (OR 3,44) und allergisches Asthma (OR 2,21). Auch eine Depression trat bei diesen Patienten häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung (OR 1,69). Als eine wahrscheinliche Ursache der Assoziation zwischen AD und Keratokonus wird das häufige Reiben oder Rubbeln, bedingt durch den Juckreiz bei einer Augenbeteiligung der Allergie, angesehen. Die Konsequenz sei, wie Werfel betonte, dass bei AD-Patienten eine Blepharitis gut behandelt werden sollte, um den Juckreiz zu unterdrücken. Die Therapie einer solchen Blepharitis sollte vorzugsweise mit topischen Calcineurininhibitoren erfolgen.
Kardiovaskuläre Erkrankungen: Widersprüchliche Daten
In den letzten Jahren seien auch Studien publiziert worden, die bei Patienten mit AD ein erhöhtes Risiko für internistische Autoimmunerkrankungen wie chronisch entzündliche Darmerkrankungen und rheumatoide Arthritis zeigten, so Werfel weiter. Eine differenzierte Betrachtung machen dagegen die Daten zur Assoziation mit kardiovaskulären Erkrankungen notwendig: So zeigten Querschnittstudien aus den USA sowie aus Asien Assoziationen der AD zum metabolischen Syndrom und zu kardiovaskulären Erkrankungen; allerdings konnte das in Studien aus Europa sowie aus Kanada selbst mit grossen Stichprobenzahlen nicht bestätigt werden. Diese Diskrepanz ist bis dato ungeklärt; inwieweit hier genetische Unterschiede oder auch unterschiedliche Coping-Strategien die Manifestation von metabolischen und kardiovaskulären Erkrankungen beeinflussen, bleibt offen (5).
Psychiatrische Erkrankungen und AD
Unter den psychiatrischen Erkrankungen sind es vor allem Ängstlichkeit und Depression, die mit der AD
assoziiert zu sein scheinen. In einem systematischen
Review mit Metaanalyse wurde die Assoziation zu
verschiedenen psychiatrischen Entitäten untersucht
(6). Dabei wurde die signifikante Assoziation der AD
zu Depressionen und Angststörungen (OR jeweils
2,19) bestätigt. Noch deutlich höher fiel die Assozia-
tion der AD zu Suizidgedanken bei Jugendlichen
und Erwachsenen aus (OR 4,32). Bei Kindern war die
Assoziation mit Depressionen zwar geringer, aber im-
mer noch signifikant (OR 1,27). Diese Ergebnisse wur-
den im Wesentlichen durch eine weitere Auswertung
von insgesamt 106 Studien zum Zusammenhang von
AD und Depressionen bestätigt (7).
Diese nunmehr bestätigte Assoziation zu Depressio-
nen, verbunden mit Suizidgedanken und im schlimms-
ten Fall mit vollzogenem Suizid, machten deutlich,
welche psychischen und persönlichkeitsverändern-
den Folgen ein quälender Juckreiz und die damit ein-
hergehenden Schlafstörungen langfristig haben
könnten, sagte Werfel warnend. Das sei ein Argument
mehr für eine optimale Therapie der atopischen Der-
matitis, wie sie heute auch in schweren Fällen zuneh-
mend möglich sei. In aktuellen Therapiestudien sei
dementsprechend auch ein deutlicher Rückgang von
Depressionen und Suizidgedanken unter erfolgrei-
cher AD-Therapie zu verzeichnen.
s
Adela Žatecky
Quelle: Vortrag «Atopische Dermatitis» beim Allergo Update 2020, 6. bis 7. März 2020 in Berlin.
Referenzen: 1. Abuabara K et al.: Clinical onset of atopic eczema: Results from 2 nationally repre-
sentative British birth cohorts followed through midlife. J Allergy Clin Immunol 2019; 144(3): 710–719. 2. Zhou L et al.: Age-specific changes in the molecular phenotype of patients with moderate-to-severe atopic dermatitis. J Allergy Clin Immunol 2019; 144(1): 144– 156. 3. Zander N et al.: Atopic dermatitis shows significant cutaneous comorbidity: results from large-scale investigations in the working population. JEADV 2020; 34(1): 135–141. 4. Bak-Nielsen S et al.: A nationwide population-based study of social demographic factors, associated diseases and mortality of keratoconus patients in Denmark from 1977 to 2015. Acta Ophthalmol 2019; 97(5): 497–504. 5. Traidl S, Werfel T: Atopische Dermatitis und internistische Komorbiditäten. Internist 2019; 60: 792–798. 6. Rønnstad ATM et al.: Association of atopic dermatitis with depression, anxiety, and suicidal ideation in children and adults: A systematic review and meta-analysis. J Am Acad Dermatol 2018; 79(3): 448–456.e430. 7. Patel KR et al.: Association between atopic dermatitis, depression, and suicidal ideation: A systematic review and meta-analysis. J Am Acad Dermatol 2019; 80: 402– 410.
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