Transkript
FORSCHUNG
Beinwellwurzel in der modernen Phytotherapie
Wirksamkeit klinisch dokumentiert
Schon seit Jahrhunderten ist Beinwell (Symphytum officinale L.) zur Behandlung von schmerzhaften Muskel- und Gelenkbeschwerden im Gebrauch. Sowohl in Europa als auch in Nordamerika wird die Pflanze medizinisch genutzt. In zugelassenen Fertigarzneimitteln sind heute ausschliesslich pyrrolizidinalkaloidabgereicherte oder -freie Extrakte enthalten.
Christiane Staiger
Einleitung
In der Heilkunde werden vor allem Zubereitungen aus den unterirdischen Pflanzenteilen (Symphyti radix) verwendet. Diese sind durch eine ESCOP-Monografie beschrieben. Moderne klinische Prüfungen und Anwendungsbeobachtungen bestätigen die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei unterschiedlichen Muskel- und Gelenkbeschwerden (1).
Akute Rückenschmerzen
Eine multizentrische, randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studie untersuchte die Überlegenheit einer Salbe mit Beinwellwurzelextrakt (1 g enthält 350 mg flüssigen Wallwurzextrakt aus frischen Wurzeln, Droge-Extrakt-Verhältnis 1:2, Auszugsmittel: Ethanol 52% [m/m]) gegenüber Plazebo. Zwei unabhängige Versuchsgruppen von Patienten mit akuten Kreuzschmerzen oder Schmerzen im oberen Rücken- und Nackenbereich (n = 120) wendeten das Prüfpräparat über einen Zeitraum von 5 Tagen an (2). Sie trugen dreimal täglich jeweils 4 g beziehungsweise 12 cm Verum- oder Plazebosalbe auf.
Die Therapie mit dem Beinwellpräparat war derjenigen mit Plazebo in allen Wirksamkeitsvariablen signifikant überlegen. Im Verlauf der Studie verringerte sich die Schmerzintensität bei aktiver, standardisierter Bewegung im Durchschnitt um 95,2 Prozent in der Beinwellextraktgruppe, in der Plazebogruppe hingegen nur um 37,8 (median). Die sekundären Variablen ergaben ebenfalls positive Ergebnisse. Sowohl Ruhe- und Druckschmerz als auch die Arzt- und Patientenbeurteilung der globalen Wirksamkeit zeigten die signifikante Überlegenheit der Beinwellextraktgruppe (in allen Fällen p < 0,0001). Zum ersten Mal konnte ausserdem die besonders schnelle Wirkung der Salbe nachgewiesen werden. Während der zweiten Visite, eine Stunde nach der ersten Behandlung, war die Schmerzintensität bereits um 33,0 Prozent in der Verumgruppe und um 12,0 Prozent in der Plazebogruppe gemindert. Arthrose Eine ebenfalls randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte, klinische Prüfung untersuchte die Wirksamkeit der gleichen Salbe bei schmerzhafter Gonarthrose des Kniegelenks (3). Über einen Zeitraum thema1358 PHYTOTHERAPIE 7/2012 FORSCHUNG von 3 Wochen wurden 220 Patienten entweder mit Beinwellwurzel-Fluidextraktsalbe oder Plazebo behandelt. Die 153 Frauen und 67 Männer mit einem durchschnittlichen Alter von 57,9 Jahren trugen dreimal täglich einen 6 cm langen Salbenstrang auf. Die primäre Zielgrösse, der VAS-(Visuelle Analogskala-)Summenscore, verringerte sich im Studienverlauf um 54,7 Prozent in der Verumgruppe, jedoch nur um 10,7 Prozent in der Plazebogruppe, die mittlere Differenz zwischen den Gruppen war signifikant (p < 0,001). Die Gesamtpunktzahl des WOMAC-(Western-Ontario-and-McMaster Universities-)Arthroseindexes reduzierte sich bei Studienende in der Behandlungsgruppe um 58,0 Prozent, in der Plazebogruppe hingegen um 14,1 Prozent. Diese Differenz war ebenfalls signifikant (p < 0,001). Auch bei den explorativen Sekundärkriterien SF-36 (Lebensqualität), Winkelmessung (Kniebeweglichkeit), CGI (klinischer Gesamteindruck) und globale Wirksamkeit gemäss Bewertung des Arztes und des Patienten erwies sich die Verumgruppe als überlegen (p < 0,001). So wirksam wie Diclofenac Auch eine verumkontrollierte Studie liegt vor. Sie hatte das Hauptziel, die oben erwähnte Beinwellwurzelextraktsalbe und ein Diclofenacgel (1,16 g Diclofenac-Diethylaminsalz pro 100 g) bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit bei der Behandlung akuter, einseitiger Sprunggelenkdistorsionen zu vergleichen (4). 164 Patienten zwischen 18 und 60 Jahren trugen über 7 Tage viermal täglich einen 6 cm langen Salbenoder Gelstrang auf den verletzten Knöchel auf. Das primäre Wirksamkeitskriterium war der tonometrisch gemessene Druckschmerz; sekundär wurden die spontane Schmerzempfindung in Ruhe und Bewegung, der Gelenkumfang, die Beurteilung der Bewegungseinschränkung, der Verbrauch an Notfallmedikation und die globale Bewertung durch Arzt und Patient gemessen. Die einfachblinde, kontrollierte, randomisierte, multizentrische und konfirmatorische klinische Prüfung bestätigte, dass der Beinwellwurzelextrakt gegenüber dem chemischen Wirkstoff Diclofenac mindestens genauso gut wirksam war. Der tonometrische Druckschmerz reduzierte sich in der Beinwellwurzelextraktgruppe um 80,6 Prozent, in der Diclofenacgruppe hingegen nur um 74,7 Prozent. Die Beinwellwurzelextraktgruppe hatte mit 448,5 h*N/cm2 eine um 61,1 h*N/cm2 grössere AUC als die Diclofenacgruppe. Die Studie zeigte die Gleichwertigkeit der Beinwellwurzelextraktsalbe mit Diclofenacgel im primären Wirksamkeitskriterium (p = 0,0046). Der Punktwert für den Ruheschmerz war von Studienbeginn an um 92 Prozent mit Beinwellwurzelextraktsalbe gesunken, im Gegensatz zu 85 Prozent beim Diclofenacgel. Die relativen Abnahmen beim Bewegungsschmerz betrugen 83,2 Prozent (Beinwellwurzelextraktsalbe) gegenüber 72,4 Prozent (Diclofenacgel). Die Knöchelschwellung ging in der Beinwellwurzelextraktgruppe um 79,5 Prozent und in der Diclofenacgruppe um 69,4 Prozent zurück. Eine Neubewertung der Daten dieser Studie gemäss CPMP-Richtlinien wies sogar die Überlegenheit der pflanzlichen Schmerzsalbe in einigen Parametern nach (5). In der primären Zielvariablen war die Beinwellextraktsalbe dem Diclofenacgel statistisch signifikant überlegen (p = 0,0012). An Tag 4 waren die Abnahme des Druckschmerzes (p = 0,0449) sowie an Tag 4 (p = 0,0368) und Tag 7 (p = 0,0074) die Abnahme des Bewegungsschmerzes statistisch signifikant stärker. Weiterhin bewerteten sowohl die teilnehmenden Ärzte (p = 0,0130) als auch die Patienten (p = 0,0111) die Wirksamkeit der Beinwellwurzelzubereitung signifikant besser als die der Diclofenaczubereitung. Stumpfe Traumen Die Wirksamkeit von Beinwellwurzel bei Prellungen, Zerrungen und Verstauchungen ist durch eine weitere Studie wissenschaftlich untermauert. In einer randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten, multizentrischen, klinischen Prüfung wurde die oben genannte Salbe mit Beinwellwurzelextrakt (35 g Radix-SymphytiFluidextrakt, 1:2, Extraktionsmittel: Ethanol 60%-Vol.) zur Behandlung von akuten Sprunggelenkdistorsionen eingesetzt (6). Das Durchschnittsalter der 142 Patienten betrug 31,8 Jahre. Die Verletzung bestand nicht länger als 6 Stunden, die Behandlung erfolgte über 8 Tage. Die Patienten trugen viermal täglich einen 6 cm langen Salbenstrang (ca. 2 g) auf das betroffene Sprunggelenk auf. Primäre Zielvariable war der tonometrisch erfasste Druckschmerz am Sprunggelenk (Druckdifferenz zwischen verletztem und gesundem Fuss). Als sekun- däre Zielvariablen wurden unter anderem der Gelenkumfang (Schwellung) mittels «Figure of eight»-Methode gemessen, die Schmerzskalierung mittels VAS und die Beurteilung der Bewegungseinschränkung mittels Neutral-Null-Durchgangsmethode erfasst. In der Verumgruppe bildete sich im Verlauf der Studie der Schmerz um 63 Prozent signifikant stärker zurück (p < 0,0001). Gegenüber Plazebo war die Salbe auch im Bezug auf den Rückgang der Schwellung (p = 0,0001) deutlich überlegen. Weitere signifikante Unterschiede ergaben sich bei den sekundären Parametern Gelenkmobilität (Dorsalflexion, p = 0,002; Plantarflexion, p = 0,0116) und globale Wirksamkeit (p < 0,0001). Anwendung bei Kindern Mit den oben genannten, kontrollierten, klinischen Prüfungen stehen auch die Ergebnisse mehrerer Anwendungsbeobachtungen in Einklang. Bemerkenswert ist, dass zu Beinwellzubereitungen auch Daten an Kindern vorliegen. In einer nicht interventionellen Studie wurden die Verträglichkeit und Wirksamkeit der Beinwellwurzelextraktsalbe bei 306 Kindern im Alter von 3 bis 12 Jahren untersucht (7). Alle bewerteten klinischen Symptome verbesserten sich im Verlauf der Therapie deutlich. Im Summenscore der Befunde Druckdolenz, Bewegungseinschränkung und Hämatomausprägung (minimal 3, maximal 15) wurde eine relevante Verbesserung des klinischen Befundes deutlich: Der initiale Wert von 10,61 wurde um 6,18 Punkte beziehungsweise um 58,3 Prozent verbessert. Die deutliche Rückbildung beziehungsweise Verbesserung zeigte sich in jedem Einzelbefund; für alle klinischen Symptome errechnete sich eine deutliche Verbesserung um mehr als 50 Prozent. Die Druckdolenz ging um 59,7 Prozent, die Bewegungseinschränkung um 59,8 Prozent, die Hämatomausprägung um 53,2 Prozent und der beeinträchtigte Allgemeinzustand um 54,9 Prozent zurück. Am deutlichsten reduzierten sich der Ruheschmerz um 62,6 Prozent, die Bewegungseinschränkung um 62 Prozent und die Schmerzempfindlichkeit um 61,4 Prozent. Kombination mit Methylnicotinat Die neueste klinische Prüfung betrifft das Schwesterprodukt der oben genannten Salbe. Es enthält neben dem Beinwellwur- 7/2012 thema PHYTOTHERAPIE 1359 FORSCHUNG zelextrakt auch den Vasodilatator Methylnicotinat (1 g enthält 350 mg flüssiger Wallwurzextrakt aus frischen Wurzeln, DrogeExtrakt-Verhältnis 1:2, Auszugsmittel: Ethanol 52% [m/m], 12 mg Methylnicotinat). Die hyperämisierende Wirkung durch Spaltung zu Nicotinsäure führt zu Gefässerweiterung, Durchblutungsförderung, Rötung des behandelten Hautareals und angenehmer Wärmeempfindung. In der randomisierten, doppelblinden, dreiarmigen, plazebokontrollierten, multizentrischen klinischen Prüfung wurde das Verum mit einem Präparat, das nur 1,2 Prozent Methylnicotinat enthielt, und einem Plazebo verglichen (8). Die 379 Patienten (Kombination: n = 163, Methylnicotinat: n = 164, Plazebo: n = 52) im Durchschnittsalter von 30 Jahren litten an akuten Schmerzen im oberen Rücken- und Nackenbereich oder Kreuzschmerzen und trugen über 5 Tage dreimal täglich einen 12 cm langen Salbenstrang (4 g) auf. Die Therapie mit dem Beinwellpräparat plus Methylnicotinat war gegenüber den beiden anderen Behandlunggruppen signifikant überlegen. Auch bestätigte sich der schnelle Wirkungseintritt. Nach einer Stunde verringerte sich die Schmerzintensität bei aktiver, standardisierter Bewegung (Summenscore VAS) im Durchschnitt um 25,2 Prozent in der Verumgruppe, in der Methylnicotinatgruppe um 15 Prozent, in der Plazebogruppe hingegen nur um 4,1 Prozent. In der Studie konnte gezeigt werden, dass Methylnicotinat einen Beitrag zur Wirksamkeit liefert, die Kombination mit Beinwellwurzelextrakt jedoch gegenüber der Monotherapie ein deutliches Wirksamkeitsplus liefert. Fazit Topische Beinwellwurzelzubereitungen haben sich in der Anwendungspraxis seit vielen Jahrzehnten bewährt. Die in der Erfahrungsheilkunde bekannte Wirksamkeit und gute Verträglichkeit der Präparate wurden durch zahlreiche moderne Studien wissenschaftlich untermauert. Neben Prellungen, Zerrungen, Verstauchungen haben klinische Prüfungen auch die Wirksamkeit bei schmerzhafter Gelenkarthrose und akuten Rückenschmerzen bestätigt. Beinwellwurzelzubereitungen können daher erfolgreich und sicher bei Muskel- und Gelenkschmerzen eingesetzt werden. ◆ Anschrift der Verfasserin: Dr. Christiane Staiger Merck Selbstmedikation GmbH D-64293 Darmstadt christiane.staiger@merckgroup.com Interessenkonflikt: Die Autorin ist Mitarbeiterin der Merck Selbstmedikation GmbH, Darmstadt Literaturreferenzen: 1. Staiger C.: Comfrey: a clinical overview, Phytotherapy Research 2012; 26: 1441–1448. 2. Giannetti G.M., Staiger C., Bulitta M., et al.: Efficacy and safety of a comfrey root extract ointment in the treatment of acute upper or lower back pain: results of a double-blind, randomised, Plazebo controlled, multicentre trial, British Journal of Sports Medicine 2010; 44: 637–641. 3. Grube B., Grünwald J., Krug L., et al.: Efficacy of a comfrey root (Symphyti offic. radix) extract ointment in the treatment of patients with painful osteoarthritis of the knee: Results of a double-blind, randomised, bicenter, Placebo-controlled trial, Phytomedicine 2007; 14: 2–10. 4. Predel H.G., Giannetti B., Koll R., et al.: Efficacy of a comfrey root extract ointment in comparison to a diclofenac gel in treatment of ankle distortions: results of an observer-blind, randomized, multicenter study, Phytomedicine 2005; 12: 707–714. Angaben zu den im Artikel besprochenen Präparaten Markenname in der Schweiz: Kytta® Med Rheumasalbe (Kytta® Wärmebalsam) Galenische Formen: Salben Tagestherapiekosten: Fr. 1.15 (Fr. 1.90) (wirtschaftlichste Packung, mittlere Dosierung) Krankenkassenkategorie: SL (H) SL: Grundversicherung C: Komplementärversicherung H: ohne Einteilung N: Negativliste Vertrieb in der Schweiz: Iromedica AG, St Gallen. www.iromedica.ch 5. D’Anchise R., Bulitta M., Giannetti B.: Comfrey extract ointment in comparison to a diclofenac gel in the treatment of acute unilateral ankle sprains (distortions): Arzneim/Forsch/Drug Research 2007; 57: 712–716. 6. Koll R., Buhr M., Dieter R., et al.: Wirksamkeit und Verträglichkeit von Beinwellwurzelextrakt (Extr. Rad. Symphyti) bei Sprunggelenksdistorsionen. Ergebnisse einer multizentrischen, randomisierten, Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie. Zeitschrift für Phytotherapie 2000; 21: 127–134. 7. Staiger C., Wegener T.: Beinwell in der Therapie stumpfer Traumen: Anwendung bei Kindern. Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29: 58–63. 8. Pabst H., Schaefer A., Staiger C. et al.: Combination of Comfrey Root Extract Plus Methyl Nicotinate in Patients with Conditions of Acute Upper or Low Back Pain: A Multicentre Randomised Controlled Trial, Phytotherapy Research 2012, doi: 10.1002/ ptr.4790. [Epub ahead of print] thema1360 PHYTOTHERAPIE 7/2012