Transkript
Rosenbergstrasse 115
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Ein Rotkehlchen zwitschert (gemäss Aussagen von Ornithologen nicht etwa hormonell verwirrt, wie vermutet, sondern durchaus in hormonellem Normalzustand) seit Wochen in der Hecke seine Freude in den Tag hinaus, als ob’s darum ginge, die letzte verbliebene Partnerin der Region zu bezirzen und zum gemeinsamen Nestbau zu übertrillern. Nicht einmal der erste Schnee vermochte die Stimmung des fröhlichen Vögelchens im Garten zu trüben. Man wünschte, man könnte es ihm gleichtun und ungeachtet aller widrigen Umstände unbeirrt und lauthals das Unmögliche versuchen.
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Endlich eine vernünftige Erklärung für ein Phänomen, das ohnehin nur Frauen wahrnehmen: Männer schnarchen, um ihre Frauen nachts vor wilden Tieren zu beschützen!
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Die Politiker werden langsam mutiger. Sie wagen sich immer häufiger und ungenierter an die mit monströsem bürokratischem Aufwand verbundene Mehrwertsteuer. Begonnen hat alles mit einem guten Werk: der Sanierung der IV. Das Volk wagte nicht, Nein zu sagen zur Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes. Inzwischen haben die Politiker die Bevölkerung mit Schreckensmeldungen über Mängel allüberall dermassen eingedeckt, dass sie das Volk für ausreichend mürbe halten, um auch die SBB und die AHV über eine Mehrwertsteuererhöhung zu finanzieren. Das nächste wichtige Projekt wird nicht lange auf sich warten lassen. Anbieten würden sich beispielsweise die Kosten für die vermutlich am ehesten der chinesischen Solarindustrie nützende Energiewende.
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Wie bei der Mehrwertsteuererhebung zugunsten der IV wird man, da taktisch bewährt, auch künftige Erhöhungen mit dem Feigenblatt einer zeitlichen Beschränkung versehen. Wohl wissend, dass Feigenblätter welken, am Ende der Periode nur noch als Kompost erkennbar sind und sich keiner mehr an deren ursprünglichen Sinn und Zweck erinnern wird.
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Dass das Geld beim Bund nicht so knapp ist, dass man es nicht auch noch taktisch einsetzen könnte, lässt sich daraus ersehen, dass Bundesrat Berset ein bereits zwölfköpfiges, und wie manche (natürlich politisch total unkorrekt) meinen, eigentlich überflüssiges Gremium personell aufstocken und mit mehr Geld ausstatten möchte: das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau. Verkauft wird der Antrag allerdings als taktische Massnahme, nämlich als Zugeständnis für die Frauen, die dafür die (ohnehin unvermeidliche) Erhöhung des AHVAlters der Frauen auf 65 Jahre leichter schlucken sollen. Dumm nur, dass die wenigen Profiteure und Profiteurinnen der einen Massnahme nicht die Geprellten der andern sind.
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Die Meldung, es gebe so viele Sonderschüler wie noch nie, ihr Anteil an der Gesamtzahl der Schüler sei innert zehn Jahren um fast das Doppelte auf nunmehr rund 3 Prozent angestiegen, lässt aufhorchen. Horchen auf die Kommentare jener, die beispielweise umgehend reagieren, wenn in irgendeiner Region die Zahl der Hysterektomien oder der Koronarangiografien oder der
Magnetresonanztomografien vom statistischen Durchschnitt abweicht. Der dannzumal jeweils geäusserte Verdacht ist rasch parat: Je mehr Gynäkologen, desto mehr Operationen. Je mehr Kardiologen, desto mehr CAG. Da dürfte man eigentlich die ana-logische Frage erwarten, ob nicht auch bei den Sonderschülern ein erhöhtes Angebot an Therapeuten und Sonderschullehrern einen Einfluss auf die statistische Verschiebung haben könnte.
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Dass die Häufigkeit einer Diagnose (oder eines sozialen Problems) parallel zur Zahl der Therapeuten zunimmt, ist jedenfalls kein Phänomen, das sich auf die Mediziner beschränkt. Die Aussage gilt sogar für das Phänomen Armut, deren Definition sich in direkter Abhängigkeit zur Zahl der Armutsbekämpfer verändert.
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Älterer Bekannter: Er habe sein Hochzeitsvideo rückwärts angeschaut. Toll sei’s gewesen, als er ihr den Ring abgenommen, die Kirche verlassen und mit den Freunden saufen gegangen sei.
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Die Stilfrage der Woche: Darf man in einem Bewerbungsschreiben Untersuchungshaft mit U-Haft abkürzen?
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Und das meint Walti: Wieso zu Fuss gehen? Ich habe doch vier gesunde Reifen.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 24 ■ 2012 1309