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FORTBILDUNG
Therapieprogramm Robin: Ein Manual und eine Smartphone-App für Jugendliche mit erhöhtem Psychoserisiko
Für Jugendliche mit einem erhöhten Psychoserisiko entwickelten Maurizia Franscini und Nina TraberWalker in der Früherkennungssprechstunde der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Zürich das Therapieprogramm Robin. Im Beitrag stellen die Entwicklerinnen das Manual und die SmartphoneApp des Therapieprogramms vor.
Maurizia Franscini Nina Traber-Walker
von Maurizia Franscini und Nina Traber-Walker
Einführung
P sychotische Störungen gehören zu den schwersten psychischen Erkrankungen, die zu hohen Einschränkungen für die Betroffenen in ihrem Funktionsniveau und ihrer Lebensqualität führen. Häufig beginnt die Entwicklung einer psychotischen Störung bereits im Jugendalter. 80 Prozent der Betroffenen erkranken zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr. Bereits bis zu fünf Jahre vor einer akuten Psychose können sich erste Frühsymptome zeigen. Fachpersonen sprechen von sogenannten At-Risk-Symptomen. At-Risk-Symptome sind erste wahrgenommene Beeinträchtigungen im Affekt, Denken oder in der Wahrnehmung, die bereits einen eigenen Krankheitswert aufweisen und mit einem Leidensdruck verbunden sind (1, 2), jedoch noch nicht die Qualität von psychotischen Symptomen haben, da eine Realitätsüberprüfung für die Betroffenen noch möglich ist. Kliniker und Forscher plädieren dafür, dass Patienten, die At-Risk-Symptome aufweisen, behandelt werden sollen, unabhängig von der Übergangsrate in eine psychotische Erkrankung, da der Leidensdruck der Betroffenen ausreicht, um eine Behandlung zu rechtfertigen (3, 4). Weltweit sind in den letzten Jahren Früherkennungszentren für Psychosen entstanden, die sich unter anderem die Frühintervention zum Ziel gemacht haben. Gemäss den Ergebnissen einer ausführlichen Metaanalyse von Frühinterventionsstudien (4) werden die Konversionsraten nach 6 bis 48 Monaten durch eine frühzeitige Intervention signifikant gesenkt. In erster Linie werden psychologische, im Speziellen kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen empfohlen. Während es einige Therapiekonzepte für Frühinterventionen mit Erwachsenen gibt, fehlt es an therapeutischen Konzepten für Jugendliche mit At-Risk-Symptomen.
Ansatz Mit dem Ziel, betroffenen Patienten eine adäquate Behandlung anzubieten, wurde in der Früherkennungssprechstunde für Psychosen der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Zürich das Therapieprogramm
Robin (Manual und Smartphone-App) entwickelt. Das Therapieprogramm basiert auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen, lösungsorientierten und systemischen Behandlungsansätzen. Die Therapiematerialien sind altersgerecht und haben einen auffordernden, nicht pathologisierenden Charakter. Zu dem Therapieprogramm gehört die Smartphone-App Robin Z, welche zur Unterstützung der Jugendlichen zwischen den Therapieterminen gedacht ist. Die Benutzung einer Smartphone-App im therapeutischen Kontext hat viele Vorteile wie Zugänglichkeit von Psychoedukationsinformationen, Transportfähigkeit und 24-Stunden-Support (5). Ein weiterer grosser Vorteil von Smartphone-Technologien in der Behandlung ist die Echtzeiterfassung von Stimmung und Symptomen (6, 7). Dadurch können die Patienten Symptome besser einschätzen und in der Folge als kontrollierbarer und beeinflussbarer erleben. Das kann wiederum das Selbstbewusstsein der Patienten fördern.
Aufbau Therapiemanual Beim Therapiemanual handelt es sich aufgrund der Heterogenität der At-Risk-Patienten um einen individualisierten Ansatz. Die Module können den Bedürfnissen der Patienten entsprechend individuell zusammengestellt und angewendet werden (Kasten 1). Die Sitzungszahl und -frequenz wird entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Patienten angepasst. Bei der Entwicklung der App Robin Z wurde speziell auf folgende Punkte geachtet: Die App ist offline verfügbar und mit einem Passwort geschützt. Der Name «Robin Z» und das Icon wirken neutral und geben keine Rückschlüsse auf die Inhalte der App. Die Texte sind in einer leicht verständlichen Sprache verfasst. Auf Fachbegriffe wurde weitgehend verzichtet. Die App hat einen auffordernden Charakter und ist individuell gestaltbar. Es wurde insgesamt darauf geachtet, das positive, ressourcenorientierte Inhalte in der App enthalten sind. Die App existiert aktuell in vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Sie kann im App-Store und bei Google Play kostenlos heruntergeladen werden. Die verschiedenen Funktionen der App werden innerhalb der Sitzungen schrittweise eingeführt. Um zum Beispiel die Schwere und die Häufigkeit der berichteten
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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FORTBILDUNG
Kasten 1:
Kapitel aus dem Manual
Einstieg in die Therapie
Psychoedukation
Symptommanagement Komorbide Symptome Hypothetisches Argumentieren Alltagsaktivierung
Entspannungsübungen
Medikation
Stabilität aufrechterhalten
Besonderheiten im Erstkontakt und Beziehungsaufbau bei Risikopatienten Spezifische Informationen über Entstehung, Verlauf und Behandlung Umgang mit At-Risk-Symptomen Behandlung der häufigsten komorbiden Symptome Behandlung beginnender paranoider Gedanken
Umgang mit Funktionseinbussen im Alltag, Wiederaufbau von Alltagsfunktionen Entspannung als Copingstrategie im Umgang mit Stress Medikamentöse Behandlung komorbider Diagnosen und beginnender psychotischer Symptomatik Problemlösestrategien, Krisenmanagement
Kasten 2:
Funktionen der App Robin Z:
Im Logbuch werden die Stimmung, der Ausprägungsgrad der Symptome, die Einnahme von Medikamenten und besondere Ereignisse notiert. Die Benutzung der App erhöht die Chance, dass die Patienten ihre Symptome nicht retrospektiv, sondern möglichst im Moment ihres Auftretens einschätzen. Dadurch lernen sie, diese besser in den Kontext einzustufen und somit als kontrollierbarer zu erleben.
Unter Symptome finden sich Psychoedukationsinformationen zu verschiedenen At-Risk-Symptomen oder bereits manifesten psychotischen Symptomen, zudem auch andere Problembereiche, die bei At-Risk-Patienten häufig sind. Zu jedem Symptom gibt es einen kurzen Psychoedukationstext, unter Tipps/Ideen sind hilfreiche Copingstrategien zu finden. Die Patienten haben die Möglichkeit, individuelle Tipps als Memo zu formulieren.
In der Rubrik Medikation können die Medikamenteneinnahme und deren Dosierung eingetragen werden. Mithilfe eines Medikationsreminders kann an die regelmässige Medikamenteneinnahme erinnert und diese erleichtert werden.
Unter Krisensituation können die Jugendlichen ihre eigenen Kriseninterventionspläne, die sie in den Sitzungen erarbeitet haben, erstellen und jederzeit einsehen. Notfallkontakte können eingetragen und jederzeit von der App aus angewählt werden.
Die Wochenziele sind für kleinere Ziele zwischen den Therapiesitzungen gedacht. Sie sollen die Jugendlichen in ihrer Alltagsaktivierung unterstützen und zu Erfolgserlebnissen verhelfen, wenn sie diese erreicht haben.
Die Bibliothek bietet positive Verstärkung für die Alltagsbewältigung (z. B. Aktivitäten). Sie besteht aus einer Aufzählung eigener Stärken und positiver Erlebnisse zur Ressourcenaktivierung.
Symptome erfassen zu können, werden die Patienten von Anfang an aufgefordert, die Symptome in der App zu protokollieren. Die Protokolle werden in den folgenden Sitzungen besprochen, und der Umgang mit den Symptomen wird gemeinsam mithilfe der Tipps der App erarbeitet. Oft ist es sinnvoll, gleich in der ersten Therapiesitzung einen Kriseninterventionsplan zu vereinbaren. Dieser wird gleich in der App gespeichert und kann jederzeit abgerufen werden (Kasten 2).
Evaluation Das Programm Robin wird derzeit im Rahmen der Studie ETRo (Evaluation of the combined Treatment Approach Robin) evaluiert. Das Studienprotokoll wurde bei «Frontiers in Psychiatry» im Juni 2019 publiziert (8).
Ausblick
Die bisherigen Erfahrungen mit dem Manual und der
App Robin Z sind vielversprechend. Im klinischen Alltag
wird die App regelmässig genutzt und gemäss einer
ersten Auswertung zur Nutzerzufriedenheit sowohl von
Fachpersonen als auch von den Jugendlichen selbst als
hilfreich empfunden.
Das Manual wird in diesem Jahr im Springer Verlag pu-
bliziert. Die App ist offline, derzeit stehen die Anträge
der Patienten nur den Patienten zur Verfügung. Für die
App Robin Z ist demnächst die Veröffentlichung eines
Auswertungsprogramms für Therapeuten geplant. So
sollen die Patienten ihre Inhalte der App kodiert an den
Therapeuten schicken können. Innerhalb des Auswer-
tungsprogramms können die Patientendaten grafisch
dargestellt und Verlaufskurven über die Symptomatik
generiert werden
G
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Maurizia Franscini
Leitende Ärztin ambulanter Bereich
Leiterin der Früherkennungssprechstunde
für psychotische Störungen
und
Lic. phil Nina Traber-Walker
Psychologin, Früherkennungssprechstunde
für psychotische Störungen
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Neumünsterallee 3, 8032 Zürich
E-Mail: maurizia.franscini@puk.zh.ch
E-Mail: nina.traber-walker@puk.zh.ch
Weitere Informationen: www.robinz.uzh.ch
Literatur:
1. Schultze-Lutter F, Koch E: Schizophrenia Proneness Instrument Child and Youth Version, 2010, Fioriti editore.
2. Mc Glashan TH: The Psychosis-Risk Syndrome, 2010, Oxford University Press.
3. Fusar-Poli P, Yung AR, McGorry P: Lessons learned from the psychosis high-risk state: towards a general staging model of prodromal intervention. Psychological Medicine, 2014; Vol 44, pp 17–24.
4. Schmidt SJ et al.: EPA guidance on the early intervention in clinical high risk states of psychoses. Euroepean Psychiatry, 2015: Vol 30, pp 388–404.
5. Alvarez-Jimenez M et al.: Participatory design of an online therapy for youth mental health. OzCHI, 2013, pp 517–526.
6. Ben-Zeev D: Mobile Technologies in the Study, Assessment, and Treatment of Schizophrenia. Schizophrenia Bulletin, 2012, Vol 38, pp 384–338.
7. Kimhy D, Myin-Germeys I, Palmier-Claus J, Swendsen J: Mobile Assessment Guide for Research in Schizophrenia and Severe Mental Disorders. Schizophrenia Bulletin 2012; Vol 38, pp 386–395.
8. Traber-Walker N et al.: Evaluation of the Combined Treatment Approach «Robin» (Standardized Manual and Smartphone App) for Adolescents at Clinical High Risk for Psychosis. Frontiers in Psychiatry, 2019 https://doi.org/10.3389/fpsyt.2019.00384
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FORTBILDUNG
Kasten 3:
Fallvignette einer Patientin aus der Sprechstunde
Die 17-jährige Alina wird von ihrem Psychiater aufgrund akustischer Wahrnehmungsveränderungen, sozialen Rückzugs und depressiver Symptomatik in der Früherkennungssprechstunde angemeldet. Alina berichtet immer wieder, Schritte oder ihren Namen zu hören, ohne dass jemand da sei. Dazu berichtet sie über affektive Veränderungen wie depressive Stimmungseinbrüche, erhöhte Reizbarkeit, Energielosigkeit und wiederkehrende Gefühlslosigkeit. Sie leidet unter Ein- und Durchschlafproblemen. In ihrer formalen Denkfähigkeit erlebt sich Alina seit Längerem beeinträchtigt. Sie berichtet von Konzentrationsproblemen, Wortfindungsstörungen und Gedankenblockaden. Aufgrund eines schulischen Leistungsabfalls wurde Alina in der 5. Klasse des Langzeitgymnasiums als provisorisch eingestuft. Sie bleibt dem Unterricht zunehmend fern. Die Abklärung bestätigt bei Alina ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Psychose. Zusätzlich wird die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode gestellt. Alina benutzt zwischen den Therapieterminen die App Robin Z. Als besonders hilfreich empfindet sie die Wochenziele, um kurzfristige Ziele, die in der Sitzung abgemacht werden, weiterzuverfolgen. Innerhalb der Therapiestunde werden mit Alina Strategien im Umgang
Kasten 4:
Beispiele von App-Einträgen von Alina:
Logbucheintrag
Stärkeliste
mit ihren Symptomen, z. B. mit den akustischen Halluzinationen oder
der depressiven Verstimmung, ausführlich besprochen. In der App kann
sie diese unter Tipps nachlesen, was Alina als hilfreich empfindet.
Zu Beginn fällt es Alina schwer, ihre Stimmung und ihre Symptomatik
regelmässig zu protokolieren (Kasten 4). Sie bespricht mit ihrer Thera-
peutin, dass sie dazu die Reminderfunktion nutzen soll, und wird drei-
mal täglich an die Logbucheingabe erinnert. Dadurch gelingt es ihr
besser, ihre Protokolle regelmässig auszufüllen. Durch die Besprechung
der Logbucheinträge in den Therapiestunden zeigen sich bestimmte
Muster im Auftreten der Symptome und Auslöser von Stimmungsein-
brüchen. Alina merkt, dass die Stimmungseinbrüche besonders in der
zweiten Tageshälfte und in Zusammenhang mit schulischem Stress oder
Streit in der Familie auftreten. Die Einführung täglicher positiver Aktivi-
täten helfen im Umgang mit diesen Stressoren. So bemerkt Alina, dass
sich ihre Stimmung im Logbuch nach den positiven Aktivitäten jeweils
mindestens um einen Punkt verbessert hat. Alina findet auch die Ideen
zum kognitiven Training hilfreich. An Tagen, an denen sie sich im forma-
len Denken als eingeschränkt erlebt, benutzt sie diese, um ihre Konzen-
tration und Denkfähigkeit zu verbessern. Dadurch, dass sie immer eine
der Aktivitäten trotz subjektiv empfundener Denkschwierigkeiten um-
setzen kann, gewinnt sie wie-
der mehr Selbstbewusstsein
hinsichtlich ihrer kognitiven
Leistungsfähigkeit. Alina er-
hält aufgrund ihrer depressi-
Krisenplan
ven Symptomatik medika-
mentöse Unterstützung durch
Fluoxetin. Durch die Remin-
derfunktion wird sie an die
Einnahme erinnert.
Im Verlauf wird die in denThe-
rapiesitzungen bearbeitete
Stärkeliste von Alina zuneh-
mend länger. In der Therapie-
stunde werden die positiven
Erlebnisse der vergangenen
Woche gemeinsam aufgeli-
stet und auf der App nachge-
tragen. Im Verlauf findet
Alina diese Funktion zuneh-
mend hilfreicher und beginnt
von sich aus, die positiven Er-
lebnisse regelmässig zu no-
tieren.
Merkpunkte:
● Die Früherkennung und die Frühbehandlung des At- Risk-Status werden von Experten als vielversprechende Strategie gesehen, um belastenden Symptomen und den möglichen dramatischen Folgen der psychotischen Störung effektiv entgegenzuwirken.
● Robin bietet ein altersadäquates Behandlungsprogramm mit einer innovativen Kombination des Manuals mit der Smartphone-App Robin Z zur Unterstützung zwischen den Therapiesitzungen.
● Zentral in der Behandlung ist nicht nur die symptomspezifische Therapie, sondern auch die Stärkkung des Selbstbewusstseins und der Selbstwirksamkeit der Jugendlichen.
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