Transkript
EDITORIAL
Elektronische Krankengeschichten und sichere Patientenportale eröffnen völlig neue Perspektiven im Praxis-
ablauf und in der Arzt-PatientenKommunikation. Die Botschaft hören wir wohl, allein – da kommen gleich allerhand Zweifel und Ängste auf. Ist es denn wirklich eine gute Idee, wenn Patienten jede Zeile, die ihr Arzt oder ihre Ärztin über sie aufgeschrieben hat, problemlos – da nicht durch eine unentzifferbare Handschrift camoufliert – lesen können? Werden sie verunsichert oder verärgert sein, womöglich Textänderungen verlangen oder selber vornehmen wollen? Bedeutet das für den Praxisalltag nicht eine zusätzliche Belastung, auf die nun ärztlicherseits wirklich niemand Lust hat?
hinsichtlich der Datensicherheit, aber nur gerade 1 bis 8 Prozent gaben zu Protokoll, dass sie die Lektüre der eigenen Krankengeschichte verwirrt oder sie ihnen Sorgen bereitet habe oder dass sie sich durch das Gelesene verletzt gefühlt hätten. Das Gesamtvolumen an E-Mails der Patienten an ihre Ärzte änderte sich mit der Intervention nicht. Wenige Ärzte berichteten von länger dauernden Konsultationen (0–5%, je nach Ambulatorium) oder vermehrten Patientenanfragen ausserhalb von Konsultationen (0–8%). 3 bis 36 Prozent der Ärzte hatten am Inhalt der Patientendokumentationen Änderungen vorgenommen, und 0 bis 21 Prozent erklärten, sich mehr Zeit beim Verfassen der Einträge ins Patientenblatt zu nehmen. Die Autoren sehen ihre Anfangshypothesen vollauf bestätigt: Die Patienten lesen ihre Krankengeschichten tatsächlich und glauben, davon zu profitieren. Auf die
«Meine Patienten lesen ihre Krankengeschichte online»
Eine von ihren Autoren als «quasi- experimentell» bezeichnete Studie gibt Antworten. 105 grundversorgende Ärztinnen und Ärzte an drei grossen Ambulatorien in den USA boten im Rahmen dieses Pilotprojekts 13 564 Patienten an, ihre eigene Krankengeschichte elektronisch einzusehen, so oft sie wollten. Insgesamt 84 Prozent taten das auch, wobei der Anteil an den drei Institutionen zwischen 47 und 92 Prozent schwankte. Von diesen informationsinteressierten Patienten beantworteten 5391 einen Fragebogen zur Intervention. An den drei Ambulatorien gaben 77 bis 87 Prozent an, dass sie nach der Einsicht in ihre Unterlagen eine bessere Kontrolle über ihre Betreuung zu haben glaubten. 60 bis 78 Prozent berichteten von einer besseren Adhärenz gegenüber den ihnen verschriebenen Medikamenten. 26 bis 36 Prozent hegten Bedenken
Alltagshektik der ärztlichen Arbeit hat dieser Informationsfluss keinen gravierenden Einfluss. Sowohl Patienten wie Ärzte wollen an dieser Form der Einsicht in die elektronische Krankengeschichte festhalten. Also nur eitel Freude – Patienten und Ärzte im selben Boot? Vielleicht doch nicht ganz: 59 bis 62 Prozent der Patienten fanden, dass ihnen erlaubt sein müsste, zur Krankenakte Kommentare hinzuzufügen. 1 von 3 Patienten wünschte sich zudem das Recht, den Inhalt der ärztlichen Einträge abzusegnen. Aber zwischen 85 und 96 Prozent der Ärztinnen und Ärzte stimmten dem nicht zu.
Halid Bas
Tom Delbanco et al.: Inviting Patients to Read Their Doctors’ Notes: A quasi-experimental study and a look ahead. Ann Intern Med. 2012;157:461–470.
ARS MEDICI 22 ■ 2012 1209