Transkript
FORTBILDUNG
Akute Bronchitis
Differenzialdiagnose und Behandlungsstrategie
Die akute Bronchitis ist eine der häufigsten von Haus-
ärzten und auf Notfallstationen gestellten Diagnosen
und tritt jährlich bei etwa 5 Prozent der Erwachsenen
mit einer Häufung im Herbst und Winter auf (1, 2).
Die Mehrheit der Patienten mit akuter Bronchitis
sind normalerweise gesund und haben daher einen
unkomplizierten, selbstlimitierten Verlauf.
CHRISTOPHE VON GARNIER
Allgemein wird mit akuter Bronchitis ein akuter Infekt der oberen Atemwege bezeichnet, welcher durch einen bis drei Wochen andauernden, produktiven oder trockenen Husten gekennzeichnet ist (3). Die unkomplizierte Erkältung (engl: common cold) hingegen ist ein milder Infekt der oberen Atemwege mit Schnupfen, Halsschmerzen und Husten, der gelegentlich auch mit Fieber, Myalgien und Abgeschlagenheit assoziiert sein kann. Bis zu 83 Prozent der Patienten mit unkomplizierter Erkältung leiden in den ersten zwei Tagen an Husten, weswegen die klinische Unterscheidung zwischen den Entitäten unkomplizierte Erkältung, akute Bronchitis oder Exazerbation einer chronischen Bronchitis schwierig und manchmal sogar unmöglich sein kann (4). Das Fehlen einer klaren Definition der akuten Bronchitis hat dazu geführt, dass in vielen Studien die Abgrenzung zwischen einer unkomplizierten Erkältung, akuter Bronchitis, akuter Exazerbation einer chronischen Bronchitis und akutem Asthma bronchiale als Ursache eines akuten Hustens problematisch ist (5–8). Die akute Bronchitis ist eine selbstlimitierte akute Entzündung der grossen Atemwege. Bei einem prolongierten Verlauf über drei Wochen sollten alternative Diagnosen in Betracht gezogen werden: rhinosinusale Erkrankungen, welche ein Hustensyndrom der oberen Atemwege auslösen (engl.: upper airways cough syndrome; ehemals: posterior nasal drip syndrome), eine gastroösophageale Refluxkrankheit oder ein postinfektiöser Husten. Die Mehrheit der Patienten, welche an einer aktuen Bronchitis leiden, sind normalerweise
gesund und haben in der Regel einen unkomplizierten, selbstlimitierten Verlauf. Bei Patienten mit chronischer Lungenerkrankung (COPD, interstitielle Lungenerkrankung, Bronchiektasen), chronischer Herzinsuffizienz und Immunsuppression (z. B. medikamentös bedingt oder bei Aids) besteht ein erhöhtes Risiko für einen komplizierten Verlauf der akuten Bronchitis.
Ätiologie Viren sind die häufigste Ursache der akuten Bronchitis, obwohl eine systematische Erregerdiagnostik nur bei einer Minderheit von Patienten durchgeführt wird (2, 9). In grösseren Studien wurden bei etwa 40 Prozent der Patienten mit akuten Atemwegsinfekten und/oder akuter Bronchitis folgende Viren isoliert: Influenzavirus A und B, Rhinovirus, Respiratory Syncytial Virus, Parainfluenzavirus, Coronavirus, Adenovirus, humanes Metapneumovirus und humanes Bocavirus (vor allem bei Kindern) (9–13). Die statistischen Angaben zur Epidemiologie variieren und sind von verschiedenen Faktoren abhängig: Genotyp der Viren und Erfassung durch die PCR-Methoden, das Vorliegen einer Epidemie, eine spezifische Jahreszeit und die Influenza-Durchimpfungsrate in der Studienpopulation (14). Atypische Bakterien, wie Bordetella pertussis, Chlamydia pneumoniae und Mycoplasma pneumoniae, können akute Bronchitiden verursachen, während die üblichen Erreger der ambulant erworbenen Pneumonien (engl.: community acquired pneumonia) eher selten sind (2, 15). Das genaue Ausmass der bakteriellen Ätiologie ist allerdings schwierig zu erfassen,
Merksätze
■ Viren sind die häufigste Ursache der akuten Bronchitis.
■ Der routinemässige Einsatz von Antibiotika wird bei akuter Bronchitis nicht empfohlen.
■ Bei einem Verlauf über drei Wochen sollten alternative Diagnosen in Betracht gezogen werden.
■ Bei älteren Patienten können die charakteristischen klinischen Symptome einer Pneumonie fehlen; sie ist die wichtigste Differenzialdiagnose.
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AKUTE BRONCHITIS
da bisher keine Studie mit systematischen Biopsien der Bronchialschleimhaut durchgeführt wurde. Die Richtlinie des American College of Chest Physicians (ACCP) für Husten aus dem Jahr 2006 empfiehlt bei Patienten mit der Verdachtsdiagnose einer akuten Bronchitis, keine routinemässigen Viruskulturen, serologischen Analysen oder Sputumuntersuchungen durchzuführen, da diese in der klinischen Praxis selten zur Erregerdiagnose führen (16). Die ACCP-Richtlinien wurden kritisiert, da sie «mehr auf Meinung als auf Evidenz» basieren, stellen aber dennoch eine pragmatische Empfehlung zur Diagnostik und Behandlung bei Husten verschiedener Herkunft dar (17, 18).
Diagnose und Differenzialdiagnose Die akute Bronchitis wird klinisch diagnostiziert, wenn ein plötzlich aufgetretener trockener oder produktiver Husten vorliegt, ohne Hinweise für eine Pneumonie, Bronchiolitis, akutes Asthma, COPD-Exazerbation, Bronchiektasen oder unkomplizierte Erkältung. Eine Pneumonie ist weitgehend ausgeschlossen, wenn folgende klinischen Elemente nicht vorliegen: ■ Herzfrequenz > 100/min ■ Atemfrequenz > 24/min ■ oral gemessene Körpertemperatur > 38 °C ■ Lungenuntersuchung mit Hinweisen für fokale Parenchym-
konsolidation, wie zum Beispiel verstärkte Atemgeräusche, Bronchophonie («66» flüstern), Egophonie (Patient sagt «e», man kultiert «a» aus), Rasselgeräusche («Knisterrasseln») und erhöhter taktiler Stimmfremitus (laut «99» sagen) (16, 19).
Eine Ausnahme ist akuter Husten beim älteren Patienten. Eine Pneumonie manifestiert sich in der Altersgruppe über 75 Jahre oft ohne die charakteristischen klinischen Symptome und Zeichen. Zum Beispiel hatten in einer Studie über ambulant erworbene Pneumonien nur 30 Prozent der Patienten eine Körpertemperatur über 38 °C und 37 Prozent eine Tachykardie (Herzfrequenz > 100/min) (20). Bei akuter Bronchiolitis sowie akuter Asthma- und COPDExazerbation kann der Husten mit Giemen, Pfeifen, Tachypnoe, Atemnot, Hypoxämie und obstruktiver Ventilationsstörung assoziiert sein. Patienten mit COPD und chronischer Bronchitis haben Husten mit Auswurf an den meisten Tagen während mindestens dreier Monate pro Jahr in zwei aufeinanderfolgenden Jahren (21). Bei Bronchiektasen besteht eine permanente Erweiterung der Atemwege mit chronisch produktivem Husten (22). Diagnostische Schnelltests sind für einige Erreger erhältlich, die eine akute Bronchitis verursachen können. Leider sind nicht alle Tests überall gleich gut verbreitet, und ihr Einsatz ist zur ambulanten Routinediagnostik nicht kosteneffizient. Die Testung von Nasopharyngealabstrichen oder -aspiraten mittels Multiplex-PCR für Viren und atypische Bakterien ist eine effiziente, aber kostspielige Methode zur Diagnostik, deren Stellenwert in der ambulanten Diagnostik umstritten ist und in zukünftigen Studien weiter abgeklärt werden sollte (23–25).
Behandlungsstrategie Antibiotika nur in Ausnahmefällen Obwohl eine antimikrobielle Therapie bei der unkomplizierten akuten Bronchitis nicht empfohlen wird, erhielten in der Studie von Linder et al. bis zu 80 Prozent der Patienten trotzdem Antibiotika (26). Die meisten Studien, in denen die Wirksamkeit von Antibiotika untersucht wurden, zeigten generell eine leichte Verkürzung der Symptomdauer, welche jedoch sehr oft klinisch nicht relevant war (27–29). Eine wichtige Ausnahme ist ein Infekt mit Bordetella pertussis, bei welchem eine unverzügliche antibiotische Behandlung mit einem Makrolid (bei Kontraindikation Trimethoprim/Sulfamethoxazol) die Ansteckungsgefahr vermindert und wahrscheinlich bei vorzeitigem Einsatz die Symptomdauer verkürzt. Alle Fälle von Keuchhusten sollten deshalb mit einem Makrolid behandelt und während fünf Tagen isoliert werden. Bei Infekten mit Mycoplasma pneumoniae und Chlamydia pneumoniae ist unklar, ob eine antibiotische Therapie den natürlichen Krankheitsverlauf massgeblich beeinflusst. Die ACCP-Richtlinien aus dem Jahr 2006 empfehlen, die allfällige ärztliche Entscheidung, auf ein Antibiotikum zu verzichten, individuell mit jedem Patienten zu besprechen, da viele eine antibiotische Behandlung wünschen (vorgängige Erfahrungen, Erwartungshaltung in der Bevölkerung) (16). Eine Studie an 4000 Patienten mit Infekten der oberen Atemwege hat gezeigt, dass Konsultationen, welche zur Verordnung von Antibiotika führten, durchschnittlich 14,2 Minuten dauerten, im Vergleich zu denjenigen, die nicht zur antibiotischen Verordnung führten (15,2 min) (30). Diese Daten unterstützen somit nicht die weitverbreitete Meinung, dass Zeitdruck in der Praxis die Verordnung von Antibiotika beeinflusst. Mithilfe von Bestimmungen des Procalcitonins, eines Markers für bakterielle Infekte, konnten in einer Schweizer Studie diejenigen Patienten mit Husten und Dyspnoe sicher identifiziert werden, welche keine Antibiotika brauchten (31). Diese Resultate sollten allerdings in grösseren Untersuchungen bestätigt werden, vor allem bei Patienten mit klinischem Verdacht einer akuten Bronchitis.
Beta-2-Agonisten Einige randomisierte, plazebokontrollierte Studien haben die Wirkung von Beta-2-Agonisten bei der Behandlung des Hustens im Fall akuter Bronchitis untersucht. Im Allgemeinen kann aufgrund dieser Daten der Einsatz von Beta-2-Agonisten nicht empfohlen werden, ausser bei ausgewählten Patienten mit obstruktiver Ventilationsstörung (32–35).
Antitussiva und Mukolytika Die Wirkung von Antitussiva und Mukolytika wurde bisher nicht systematisch in randomisierten und plazebokontrollierten Studien bei Patienten mit akuter Bronchitis untersucht. Aufgrund ihrer Wirkung bei chronischer Bronchitis ist eine gewisse Symptomlinderung bei akuter Bronchitis möglich, aber nicht belegt.
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NSAR NSAR allein oder in Kombination mit Antihistaminika verminderten den Schweregrad der Symptome (auch Husten) in einer Studie mit Freiwilligen, welche mit Rhinoviren exponiert wurden; Daten bei der üblichen akuten Bronchitis gibt es jedoch bis anhin nicht (36–37).
Quintessenz und Zusammenfassung (adaptiert nach [16]) ■ Die akute, unkomplizierte Bronchitis ist eine selbstlimi-
tierte, grösstenteils virale Erkrankung der oberen Atemwege. ■ Bei einem Patienten mit akutem respiratorischem Infekt, welcher sich vor allem mit trockenem oder produktivem Husten von weniger als drei Wochen Dauer manifestiert, sollte die Diagnose einer akuten Bronchitis nur dann gestellt werden, wenn eine Pneumonie, akutes Asthma bronchiale oder eine akute COPD-Exazerbation ausgeschlossen worden sind. ■ Die routinemässige Durchführung von Viruskulturen, serologischen Untersuchungen und Sputumanalysen ist bei akuter Bronchitis nicht empfohlen, da die Erreger selten identifiziert werden. ■ Bei Patienten mit akutem produktivem Husten ist eine Pneumonie weitgehend ausgeschlossen, wenn die Herzfrequenz unter 100/min, die Atemfrequenz unter 24/min sowie die oral gemessene Körpertemperatur unter 38 °C liegt und die Lungenuntersuchung keine klinischen Hinweise für fokale Parenchymkonsolidation ergibt.
■ Bei älteren Patienten kann eine Pneumonie allerdings oligosymptomatisch verlaufen und stellt die wichtigste Differenzialdiagnose zur akuten Bronchitis dar.
■ Der routinemässige Einsatz von Antibiotika wird bei akuter Bronchitis nicht empfohlen.
■ Bei Keuchhusten (Bordetella pertussis) hingegen ist eine frühzeitige antibiotische Behandlung und fünftägige Isolation indiziert. Dies vermindert die Ansteckungsgefahr und verkürzt die Symptomdauer.
■ Aufgrund der gegenwärtigen, mangelhaften Datenlage kann der routinemässige Einsatz von Antitussiva, NSAR, Antihistaminika und Beta-2-Agonisten zur Behandlung der akuten Bronchitis nicht empfohlen werden.
■ Patienten mit einer assoziierten obstruktiven Ventilationsstörung können allerdings von Beta-2-Agonisten profitieren. ■
Korrespondenzadresse: Dr. med. Christophe von Garnier Klinik und Poliklinik für Pneumologie
Inselspital Freiburgstrasse
3010 Bern E-Mail: christophe.vongarnier@insel.ch
Interessenkonflikte: keine
Literaturliste auf Anfrage beim Verlag erhältlich: info@rosenfluh.ch
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