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FORTBILDUNG
Obstipationsprädominanter Reizdarm und chronische Obstipation
Beim obstipationsprädominanten Reizdarm und bei der chronischen Verstopfung sind ähnliche ätiologische Faktoren und Symptome vorhanden. Manche Medikamente sind daher bei beiden funktionellen gastrointestinalen Störungen wirksam.
MEDSCAPE
Aus der neueren Forschung geht hervor, dass in der Ätiologie des obstipationsprädominanten Reizdarms (RDS-O) und der chronischen Verstopfung Ähnlichkeiten bestehen. Zu den gemeinsamen Charakteristika gehören eine verlangsamte Darmmotilität, Beckenbodenfehlfunktionen, eine viszerale Hypersensitivität, psychische Stressoren und eine veränderte Darmflora. Meist ist eine Kombination aus zwei oder mehr dieser ätiologischen Faktoren für die Symptome des RDS-O oder der chronischen Verstopfung verantwortlich.
Reizdarmsyndrom Beim Reizdarmsyndrom handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die bei etwa der Hälfte der Patienten mit stabilen Symptomen verbunden ist, während ein signifikanter Anteil einen dynamischeren klinischen Verlauf mit veränderlichen Symptomen erlebt. Der Reizdarm kann die Betroffenen physisch, psychisch, sozial und ökonomisch einschränken. Die gastrointestinalen Symptome sind häufig mit chronischem Stress, Erschöpfung und Schlafstörungen verbunden und können sich auch auf soziale Beziehungen auswirken. Entsprechend der Symptomatik unterscheidet man einen obstipationsprädominanten und einen diarrhöprädominanten Reizdarm sowie Mischformen.
Merksätze
❖ Dem obstipationsprädominanten Reizdarm und der chronischen Verstopfung liegen ähnliche ätiologische Faktoren zugrunde.
❖ Medikamente wie Lubiproston und Prucaloprid sind bei beiden funktionellen Störungen wirksam.
Klinische Zeichen des obstipationsprädominanten Reizdarms Die Leitsymptome des obstipationsprädominanten Reizdarms sind abdominale Schmerzen oder Unwohlsein in Verbindung mit Obstipation. In Kasten 1 sind die derzeit aktuellen symptombasierten Rom-III-Kriterien zur Diagnose zusammengestellt. Abdominelle Schmerzen in Verbindung mit einer veränderten Darmtätigkeit gelten als Kardinalsymptom des obstipationsprädominanten Reizdarms. Blähungen sind jedoch ebenfalls häufig vorhanden, vor allem bei Frauen. Mit einer Behandlung des Reizdarms sollte begonnen werden, wenn die Symptome die Funktionsfähigkeit im Alltag einschränken und die gesamte Lebensqualität beeinträchtigen. Der Reizdarm ist häufig mit gastrointestinalen Komorbiditäten wie gastroösophagealer Refluxkrankheit und funktioneller Dyspepsie oder auch mit nicht gastrointestinalen Komorbiditäten wie Fibromyalgie, chronischer Fatigue und interstitieller Zystitis verbunden. Auch Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Erschöpfung, Myalgie, Dyspareunie, Harndrang und Schwindel treten häufig im Zusammenhang mit einem Reizdarm auf.
Diagnose Da keine Biomarker verfügbar sind, erfolgt die Diagnose vor allem anhand der Rom-III-Kriterien (Kasten 1). Allerdings überschneiden sich die Symptome häufig mit denen anderer funktioneller Störungen wie der chronischen Verstopfung und der funktionellen Dyspepsie. Die Spezifität der Rom-III-Kriterien nimmt mit dem Auftreten zusätzlicher Alarmzeichen zu. Im Durchschnitt weist ein Reizdarmpatient 1,65 «red flags» auf, die weitere Untersuchungen erforderlich machen. Zu den Warnzeichen gehören Blut im Stuhl, unabsichtlicher Gewichtsverlust, Eisenmangel, Anämie, nächtliche Beschwerden oder signifikante Veränderungen der Symptome nach einer mehrjährigen stabilen Phase. In den Rom-Richtlinien wird empfohlen, eine Diagnose des RDS-O nicht als Ausschlussdiagnose, sondern anhand der Rom-III-Kriterien vorzunehmen. Zudem sollte die Zeit bis zur Diagnosestellung verkürzt werden, denn nach Angaben der International Foundation for Functional GI Disorders vergehen derzeit vom Beginn der Symptome bis zur Diagnose durchschnittlich fünf Jahre. Ein Patiententagebuch kann hilfreich sein, die Symptome der Patienten objektiv zu erfassen. Bei Patienten über 50 Jahre, bei denen die Symptome neu aufgetreten sind, wird zur Darmspiegelung geraten. Bei Patienten, deren Symptome
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Kasten 1:
Rom-III-Kriterien zur Diagnose des obstipationsbetonten Reizdarmsyndroms
Wiederkehrende abdominale Schmerzen oder Unwohlsein an mindestens 3 Tagen im Monat in den letzten 3 Monaten, die mit einem oder mehreren der folgenden Symptome einhergingen: ❖ Erleichterung nach Defäkation ❖ Beginn verbunden mit einer Veränderung der Stuhlhäufigkeit ❖ Beginn verbunden mit einer Veränderung der Stuhlbeschaffenheit
Zu den unterstützenden Diagnosekriterien gehören: ❖ abnormale Stuhlhäufigkeit (weniger als 3-mal pro Woche) ❖ abnormale Stuhlbeschaffenheit (klumpig-hart) ❖ starkes Pressen beim Stuhlgang ❖ imperativer Stuhldrang ❖ Gefühl der unvollständigen Entleerung ❖ schleimiger Stuhl und Abgang von Darmgas
Diese Kriterien sollten über mindestens 3 Monate erfüllt sein. Die Symptome sollten mindestens 6 Monate vor der Diagnose das erste Mal aufgetreten sein.
sich trotz angemessener Behandlung nicht gebessert haben, werden ebenfalls weiterführende Untersuchungen angeraten. Die derzeit verfügbare Evidenz stützt die Vorgehensweise, die Diagnose zunächst anhand validierter symptombasierter
Kriterien und (wenn erforderlich) anhand von Laboruntersuchungen und einer Endoskopie zu stellen.
Konventionelle Behandlungsstrategie Traditionell richtet sich die Behandlung nach dem Hauptsymptom des Patienten. Demzufolge werden häufig Laxanzien bei Verstopfung oder Muskelrelaxanzien bei Schmerzen im Darm gegeben. Der natürliche Krankheitsverlauf wird dadurch jedoch nicht beeinflusst, sodass der Behandlungserfolg begrenzt ist. Erschwerend kommt bei der Interpretation des Ansprechens hinzu, dass der Plazeboeffekt, der in Studien bei bis zu 46% der Patienten beobachtet wird, beim Reizdarm eine grosse Rolle spielt. Die beste Evidenz liegt für Therapieoptionen vor, welche die Darmfunktion beeinflussen. Quellstoffe: Lösliche Fasern wie Psyllium (Flohsamen, 12–20 g/Tag) werden als First-line-Option zur Behandlung einer Verstopfung im Zusammenhang mit dem obstipationsprädominanten Reizdarm erachtet. Die Wirksamkeit von Quellstoffen ist jedoch nicht eindeutig nachgewiesen. In einigen Studien hat sich gezeigt, dass unlösliche Fasern wie Kleie bestimmte Symptome wie Blähungen sogar fördern können. Osmotische und stimulierende Laxanzien: Osmotische Laxanzien sind häufig eine alternative First-line-Option. Allerdings wurden dazu noch keine randomisierten kontrollierten Studien veröffentlicht, und die meisten dieser Substanzen wurden nur bei Patienten mit chronischer Verstopfung untersucht. Zur Behandlung des obstipationsprädominanten
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Kasten 2:
Rom-III-Kriterien zur Diagnose der funktionellen Obstipation
2 oder mehr der folgenden 6 Faktoren müssen vorhanden sein: ❖ heftiges Pressen bei mindestens 25 Prozent der Defäkationen ❖ klumpiger oder harter Stuhl bei mindestens 25 Prozent der
Defäkationen ❖ Gefühl der unvollständigen Entleerung bei mindestens 25 Prozent
der Stuhlgänge ❖ Gefühl einer anorektalen Blockierung bei mindestens 25 Prozent
der Stuhlgänge ❖ manuelle Manöver zur Stuhlentleerung bei mindestens 25 Prozent
der Stuhlgänge erforderlich ❖ Weniger als 3 Stuhlgänge pro Woche
Die Symptome müssen die letzten 3 Monate vorhanden gewesen sein und mindestens 6 Monate vor der Diagnosestellung begonnen haben. Zudem sollte ein lockerer Stuhl nur selten ohne Laxanzien vorhanden sein. Abdominelle Schmerzen sind hier zur Diagnose nicht erforderlich. Ausserdem sollten keine ausreichenden Kriterien zur Diagnose eines RDS-O vorhanden sein.
Reizdarms werden häufig auch stimulierende Laxanzien trotz fehlender Evidenz empfohlen. Diese Substanzen beschleunigen zwar die Darmpassage, es ist jedoch nicht bekannt,
ob die Stimulierung auch einen Nutzen im Hinblick auf abdominelle Schmerzen aufweist. Zudem gibt es derzeit keine Studien in guter Qualität, in denen die langfristige Sicherheit osmotischer oder stimulierender Laxanzien bei Patienten mit RDS-O untersucht wurde. Antispasmodika: Abdominelle Schmerzen und Unwohlsein sind Kardinalsymptome des Reizdarms. Man nimmt an, dass diese Beschwerden auf Veränderungen der Motilität der glatten Muskulatur des Intestinums und/oder eine viszerale Hypersensitivität zurückgeführt werden können. Aufgrund ihrer Wirkung auf die kontraktile Aktivität der glatten Muskulatur werden Antispasmodika als Eckpfeiler der Therapie des RDS-O erachtet. Zu den Antispasmodika gehören Antimuskarinika, Kalziumkanalblocker und Anticholinergika. In den USA sind nur die vier Anticholinergika Hyoscin, Diclomin, Belladonna und Propanthelin verfügbar. Hyoscin und Pfefferminzöl sind die wirksamsten Substanzen in dieser Klasse. Der klinische Nutzen wird durch Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Schwindel, Sehstörungen, Harnretention oder Verwirrungszustände (bei älteren Menschen) limitiert. Zudem sind diese Substanzen bei einem RSD-O relativ kontraindiziert, da sie verstopfungsfördernd wirken können.
Prokinetische Substanzen: ❖ Serotonergika: Der 5-HT4-Rezeptoragonist Tegaserod war
ab 2002 zur Behandlung von Frauen mit IBS-C zugelassen, wurde jedoch 2009 aufgrund einer unerklärlichen Zunahme an kardiovaskulären und zerebrovaskulären
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Ereignissen in Studienverumgruppen wieder vom Markt genommen. ❖ Intestinale Sekretagoga: Bei Lubiproston (Amitiza®) handelt es sich um einen Chloridkanalaktivator, der 2008 von FDA zur Behandlung von Frauen mit RSD-O zugelassen wurde. Der Wirkstoff aktiviert selektiv die Typ-2-Chloridkanäle auf der apikalen Membran der intestinalen epithelialen Zellen und erhöht so eine chloridhaltige Flüssigkeitssekretion in den Gastrointestinaltrakt. Diese Aktivierung fördert zusätzlich die passive parazelluläre Bewegung von Natriumionen und Wasser und führt so zu einer Erhöhung der Flüssigkeitssekretion in das intestinale Lumen sowie zu einer Stuhlerweichung und einer erhöhten Stuhlbiomasse. Wirksamkeit und Verträglichkeit von Lubiproston zur Behandlung der RDS-O wurden in grossen randomisierten kontrollierten Phase-III-Studien von hoher Qualität untersucht. Aufgrund von Ergebnissen aus Tierversuchen sind bei gebärfähigen Frauen vor Behandlungsbeginn ein negativer Schwangerschaftstest und die Sicherstellung der Verhütung erforderlich.
Niedrig dosierte Antidepressiva: Trizyklische Antidepressiva oder selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer können in Betracht gezogen werden, wenn die abdominellen Schmerzen auf Primärtherapien zur Verbesserung der Darmfunktion nicht ansprechen. In einer randomisierten kontrollierten Studie verbesserte Fluoxetin (Fluctine® und Generika) die Symptomatik bei 44 Patienten mit RDS-O. Bei trizyklischen Antidepressiva muss bedacht werden, dass sie aufgrund anticholinerger Eigenschaften die Obstipation fördern können. Alternative und komplementäre Medikamente: Derzeit fehlen grosse Studien in guter Qualität, die eine Wirksamkeit alternativer Medikamente beim RDS-O unterstützen. In einer randomisierten doppelblinden Monozenterstudie zeigte sich Bifidobacterium lactis im Vergleich zu Plazebo zur Reduzierung der abdominellen Distension und der Transitzeit überlegen und linderte zudem abdominelle Schmerzen besser. In einem Cochrane-Review wurden einige gut konzipierte klinische Studien identifiziert, in denen eine Verbesserung der Reizdarmsymptome mit verschiedenen Phytopharmaka beobachtet wurde.
Chronische Obstipation Die chronische Verstopfung ist ein häufiges Problem in der westlichen Welt. Sie tritt besonders oft bei Frauen, Kindern oder älteren Menschen auf und kann die Lebensqualität der Betroffenen massiv beeinträchtigen. Die Angaben zur Prävalenz der chronischen Verstopfung variieren je nach Populationsdemografie und Definition der Obstipation in westlichen Ländern von 2 bis 20 Prozent. Neben der reduzierten Stuhlfrequenz leiden die Patienten meist noch an einer Reihe weiterer Symptome, die in den Rom-III-Kriterien zusammengefasst wurden (Kasten 2).
Obstipationsbegünstigende Faktoren Zu den Risikofaktoren für eine chronische Verstopfung gehören ❖ fortgeschrittenes Alter ❖ weibliches Geschlecht ❖ niedriger Bildungsstatus
❖ geringe körperliche Aktivität ❖ niedriger sozioökonomischer Status ❖ nicht weisse Ethnie ❖ Einnahme bestimmter Medikamente
Sekundäre Ursachen einer Verstopfung wie eine mechanische Darmobstruktion, die Einnahme bestimmter Medikamente und systemische Erkrankungen müssen vor der Diagnose einer funktionellen Störung ausgeschlossen werden. Zur mechanischen Obstruktion kann es beim Kolorektalkarzinom, bei Rektozelen, bei einer Analstenose oder einer Striktur kommen. Medikamente, die zur Verstopfung beitragen, sind kalziumhaltige Antazida und Kalziumsupplemente, Anticholinergika inklusive Antispasmodika, Kalziumkanalblocker, Antikonvulsiva, trizyklische Antidepressiva, Eisensupplemente, Opioide sowie Aspirin und NSAID. Auch Stoffwechselstörungen wie Diabetes, Hyperthyroidismus oder eine Hyperkalzämie/Elektrolytstörung können mit Verstopfung verbunden sein. Weitere klinische Gegebenheiten, die in einer sekundären Obstipation resultieren können, sind Schwangerschaft, Diabetes, Depressionen, Essstörungen, Multiple Sklerose, Demenz, Rückenmarkverletzungen sowie Schlaganfall oder Morbus Parkinson.
Klassifizierung Die funktionelle Obstipation kann in folgende Kategorien unterteilt werden: ❖ Obstipation mit normaler Transitzeit: Diese wird bei 59
bis 71 Prozent der Betroffenen beobachtet. Diese Form unterscheidet sich von einem verstopfungsbetonten Reizdarm darin, dass Bauchschmerzen nicht das vorherrschende Symptom sind. ❖ Obstipation mit verlangsamter Passage (Darmträgheit): Hierunter leiden 11 bis 13 Prozent der Patienten. Diese Form wird häufig bei einer Darmstörung beobachtet, die zu harten kleinen Stuhlbrocken führt, die keinen ausreichenden Rektaldruck zur Auslösung der Defäkation erzeugen. ❖ Defäkationsstörungen findet man bei etwa 13 bis 28 Prozent der Patienten. Die normale Defäkation erfordert eine Reihe koordinierter physiologischer Aktionen, die eine Absonderung des Stuhls aus dem Rektum ermöglichen. Eine Fehlfunktion einer oder mehrerer Aktionen kann zu einer unkoordinierten Defäkation führen. ❖ Beckenbodenfehlfunktionen: Bei Geburten kommt es häufig zu Rektozelen. In diesen Fällen kann eine Vaginalschiene erforderlich sein, um die Defäkation zu ermöglichen. Eine verminderte rektale Empfindungsfähigkeit kann als Folge einer Neuropathie oder einer rektalen Erweiterung auftreten und zu Problemen beim Stuhlgang führen.
Klinische Evaluierung Zur klinischen Evaluierung ist eine detaillierte Anamnese von grosser Bedeutung. Zunächst werden die Häufigkeit des Stuhlgangs und damit einhergehende Beschwerden wie abdominelles Unwohlsein und Völlegefühl erfragt. Zudem sollte sich der Arzt nach der Stuhlkonsistenz, der Stuhlmenge, der Anstrengung bei der Defäkation und nach potenziellen Blutungen erkundigen. Gefühle der unvollständigen Entleerung, starkes Pressen (auch bei weichem Stuhl) oder
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die Erfordernis manueller Manöver sowie eine mangelnde Wirksamkeit von Laxanzien können auf eine unkoordinierte Defäkation hinweisen. Des Weiteren gehören Fragen zur Ernährung (Aufnahme von Fasern und Flüssigkeit) und zur medizinischen Vorgeschichte (vor allem nach geburtshelferischen oder chirurgischen Eingriffen) sowie eine körperliche Untersuchung und eine Untersuchung des Rektums zur Anamnese. Ergänzend sollten auch Warnzeichen wie unabsichtlicher Gewichtsverlust, rektale Blutungen, familiärer Darmkrebs oder chronisch-entzündliche Darmkrankheiten erfragt werden. Lang andauernde Symptome, die mit konservativen Massnahmen nicht verbessert werden können, legen eine funktionelle Störung nahe. Im Gegensatz dazu weist das neue Auftreten einer Verstopfung, vor allem bei Personen über 50 Jahre, auf eher organische Ursachen hin.
Therapie Lebensstiländerung: Zu den am häufigsten empfohlenen Lebensstilmodifikationen gehören eine vermehrte Aufnahme von Nahrungsfasern und Flüssigkeit sowie ausreichend Bewegung. In einem Review zur Nahrungsfaser- und Flüssigkeitsaufnahme wurde jedoch kein Unterschied zwischen Patienten mit und ohne Verstopfung gefunden. Biofeedback: Bei unkoordinierter Defäkation und rektalen Empfindungsstörungen gewährleistet das Biofeedback ein Wiedererlernen der Steuerung von Anorektum und Beckenboden. Die Wirksamkeit des Biofeedbacks wurde in einigen randomisierten kontrollierten Studien nachgewiesen. Quellmittel: Dazu gehören eine Reihe natürlicher und synthetischer Fasersupplemente, die eine Verstopfung über mehrfache Wirkmechanismen, wie Erhöhung der Wasserretentionskapazität des Stuhls, Auflockerung des Stuhls und Beschleunigung der Darmpassage, lindern. Gängige wasserunlösliche Substanzen sind Kleie, Flachssamen und andere nicht verdauliche Samen und Gemüsesorten. Flohsamen ist der am besten untersuchte lösliche Quellstoff, der sich im Vergleich mit Plazebo als überlegen in der Linderung von Verstopfungsbeschwerden gezeigt hat. Lösliche Fasern scheinen besser verträglich und wirksamer zu sein als unlösliche. Bei der Einnahme von Quellstoffen ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr erforderlich, ansonsten kann es zur gegenteiligen verstopfenden Wirkung bis hin zum Darmverschluss kommen. Stuhlweichmacher: Dioctyl-Sulfosuccinat ist der am häufigsten verschriebene Stuhlweichmacher. Docusat (Norgalax®) erweicht den Stuhl, indem es die Oberflächenspannung herabsetzt, sodass Wasser eindringen kann. Mineralöl ist der am häufigsten zur Behandlung der Verstopfung angewendete Emollient. Die Evidenz für die Wirksamkeit ist jedoch gering. Osmotische Agenzien sind von Nutzen, wenn stuhlauflockernde First-line-Optionen sich als nicht wirksam erwiesen haben. Substanzen wie Polyethylenglykol (PEG), Laktulose, Sorbitol und Magnesiumhydroxid sind mit einer intestinalen Wassersekretion und entsprechenden Wirkungen auf die Stuhlkonsistenz, die fäkale Biomasse und die Darmpassage verbunden. Zu PEG liegt die beste Evidenz für den Nutzen bei chronischer Verstopfung vor. Die Wirksamkeit von Laktulose hat sich in einigen randomisierten kontrollierten Studien gezeigt.
Stimulanzien: Zu den stimulierenden Laxanzien gehören Anthrachinone (Sennesblätter und Faulbaumrinde), Diphenylmethane (Bisacodyl und Natriumpicosulfat) und Misoprostol. Die Hauptwirkung dieser Substanzen besteht in der Stimulierung der Peristaltik. Die Defäkation setzt meist innerhalb von sechs bis zwölf Stunden nach der Applikation ein. Die Wirksamkeit von Natriumpicosulfat und Bisacodyl wurde in randomisierten kontrollierten Studien gezeigt, während die Anwendung von Faulbaumrinde und Sennesblättern auf Einzelberichten zur Evidenz beruht. Zur Sicherheit der Langzeitanwendung von stimulierenden Laxanzien liegen keine Daten vor. Intestinale Sekretagoga: Die Wirkungsweise von Lubiproston wurde bereits im Zusammenhang mit dem RDS-O beschrieben. Die zyklische Fettsäure wurde in einer Dosierung von 24 µg im Jahr 2006 von der FDA zur Behandlung der chronischen Verstopfung bei Männern und Frauen zugelassen. In dieser Dosierung treten jedoch bei etwa 30 Prozent der Patienten Nebenwirkungen wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder Durchfall auf. Prokinetika: Prucaloprid (Resolor®) erhöhte in drei randomisierten plazebokontrollierten Phase-III-Studien die Anzahl der Stuhlgänge pro Woche. Der Wirkstoff ist in Kanada und in einigen europäischen Ländern zur Behandlung von Frauen mit chronischer Obstipation zugelassen. Alternative und komplementäre Therapien: In einigen neuen Studien wurden alternative und komplementäre Optionen zur Behandlung der chronischen Obstipation untersucht. In einer einzelverblindeten Cross-over-Studie wurde mit 50 g bzw. sechs Pflaumen eine höhere Stuhlfrequenz und eine bessere Stuhlkonsistenz erzielt als mit 11 g Flohsamen. In einer anderen Studie liess sich mit Artischocke zusammen mit dem Probiotikum Lactobacillus paracasei die Stuhlkonsistenz wirksamer verbessern als mit Artischocke allein. In einer dritten Studie zeigte sich Hanfsamen als wirksamer im Vergleich zu Plazebo im Hinblick auf die Erhöhung der Stuhlfrequenz. ❖
Petra Stölting
William D Chey, Richard Saad: The management of constipation-related functional GI disorders: an update on recent advances. www.medscape.org/viewarticle/765791_print
Interessenkonflikte: Beide Autoren haben Gelder von Pharmaunternehmen erhalten.
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