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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Multivitaminpräparate
Doch nützlich für die Krebsprävention?
Bis anhin hatten grosse Studien die Befürworter von Vitaminsupplementen zur Krebsprävention mehrfach widerlegt: Entweder zeigte sich kein Nutzen, oder es zeichneten sich gar schädliche Effekte ab. Beispiele hierfür sind die ABCT-Studie mit Rauchern Mitte der 1990er Jahre (hier hatten sich mit Betacarotin mehr Lungenkarzinome entwickelt als ohne) oder die 2008 vorzeitig abgebrochene SELECT-Studie mit Vitamin E und Selen, bei der sich kein positiver Effekt gezeigt hatte, aber ein statistisch nicht signifikanter Trend zu mehr Prostatakarzinomen und mehr neuen Diabetesfällen. Umso mehr bejubelt man nun die erstmals positiven Resultate für die Einnahme von Multivitaminpräparaten aus der Physicians’ Health Study II (1). In anderen Studienarmen der Physicians’ Health Studie hatte man bereits Vitamin C, Vitamin E und Betacarotin geprüft, doch keines davon verminderte das Krebsrisiko. Für die Multivitamine sieht es nun etwas besser aus: Das Krebsrisiko würde in bescheidenem Ausmass, aber stastistisch signifikant gesenkt, schreiben die Autoren in ihrer Publikation in der Zeitschrift «JAMA». Weniger zurückhaltend geht es in der Laienpresse zur Sache. So
schreibt Prof. Hans K. Biesalski in einer Pressemitteilung der Universität Hohenheim: Die «tägliche Einnahme eines Multivitamins verringert das Krebsrisiko signifikant», und «Forscher empfehlen Männern die Einnahme von Multivitaminsupplementen zur Krebsvorbeugung». Das mag für ihn vielleicht zutreffen, alle Forscher dürften ihm aber wohl kaum zustimmen. Die Resultate sind zwar in der Tat statistisch signifikant, der Vorteil der Multivitaminpräparate ist jedoch nur hauchdünn und klinisch irrelevant: Pro 1000 Personenjahre betrug die Inzidenz von Krebserkrankungen in der Multivitamingruppe 17 Fälle, mit Plazebo waren es 18,3. Es verwundert nicht, dass die Autoren der Studie hier erst gar keine «number needed to treat» angeben. Dankenswerterweise hat sie ein Autor im «Deutschen Ärzteblatt» ausgerechnet (2): Sie beträgt 769. Es müssten also 769 Männer ein Jahr lang regelmässig Multivitaminpräparate einnehmen, um 1 Krebsfall zu verhindern. Unklar bleibt, welche Tumoren verhindert werden. Für die bei älteren Männern häufigen Krebserkrankungen wie Prostata- oder Kolonkarzinom sowie für andere organspezifische Tumoren zeigte sich nämlich kein statistisch
signifikanter Effekt der Multivitamin-
präparate. Dieser zeigt sich nur, wenn
man alle Krebsarten zusammenzählt.
Auch die Krebs- und die Gesamtmorta-
lität wurde durch die Multivitaminprä-
parate im Vergleich mit Plazebo nicht
beeinflusst, wobei sich hier immerhin
noch ein (statistisch nicht signifikanter)
Trend zugunsten der Multivitamine
zeigte. Es machte übrigens auch keinen
Unterschied, ob der Proband vor der
Studie schon einmal eine Krebserkran-
kung durchgemacht hatte oder nicht.
Der Multivitaminteil der Physicians’
Health Study II umfasste 14 641 Ärzte
in den USA mit einem Durchschnitts-
alter von 64 Jahren zu Beginn der Stu-
die. Die Resultate beziehen sich auf
eine durchschnittliche Studiendauer
von 11,2 Jahren. Die Probanden nah-
men täglich entweder ein Multivit-
aminpräparat oder ein Plazebo. Es kam
im Studienzeitraum zu insgesamt
2669 Krebserkrankungen, darunter
1373 Prostata- und 210 Kolonkar-
zinome; an Krebs starben 859 der Stu-
dienteilnehmer (5,9%).
RBO❖
1. Gaziano JM et al.: Multivitamins in the Prevention of Cancer in Men. The Physicians' Health Study II Randomized Controlled Trial. JAMA 2012; 1–10. doi: 10.1001/jama.2012.14641. online 17. Oktober 2012.
2. www.aerzteblatt.de: Schützen Multivitamine Männer vor Krebs?, 18. Oktober 2012.
Acrylamid
Untergewichtige Babys durch Chips in der Schwangerschaft?
BSE, umetikettiertes Fleisch, Pestizide auf Obst, Antibiotika in Meeresfrüchten – die Liste der Lebensmittelskandale nur der letzten beiden Dekaden ist lang. Schnell brandete jedesmal die öffentliche Reaktion der Empörung vehement und bisweilen hysterisch auf, um dann meist genauso rasch wieder im Sande zu verlaufen. Es gibt allerdings Probleme, die kommen irgendwann buchstäblich doch wieder auf den Tisch: so zum Beispiel Acrylamid. Vor zehn Jahren schaffte es dieser Stoff in die Schlagzeilen, vor allem weil er in den allseits beliebten Pommes frites, Kartoffelchips und Rösti – grundsätzlich aber in allen stark erhitzten stärke-
haltigen Nahrungsmitteln, also auch im täglichen Brot – enthalten und krebserregend ist. Da bekanntlich die Dosis das Gift macht, waren nach entsprechender Entwarnung seitens der Wissenschaft, wonach erst ein mehrmals wöchentlicher Verzehr von Pommes oder Chips bedenkliche Acrylamidwerte erzeuge, die Gemüter erst einmal beruhigt – und Fritten nach wie vor ein auch von Kindern bevorzugtes Grundnahrungsmittel. In einer prospektiven Mutter-Kind-Studie haben europäische Forscher nun den Einfluss des plazentagängigen Acrylamids und von dessen Stoffwechselprodukt Glycidamid auf Neugeborene
untersucht. Dabei zeigte sich, dass
Schwangere, die sich acrylamidreich
ernährt hatten, Säuglinge zur Welt
brachten, die statistisch signifikant ein
geringeres Geburtsgewicht und einen
reduzierten Kopfumfang aufwiesen.
Vorbehaltlich der Bestätigung ihrer
Ergebnisse durch andere Studien raten
die Wissenschaftler vom Genuss acryl-
amidreicher Lebensmittel während der
Schwangerschaft ab.
RABE❖
Marie Pedersen et al.: Birth Weight, Head Circumference, and Prenatal Exposure to Acrylamide from Maternal Diet: The European Prospective Mother-Child Study (New Generis). Environ Health Perspect: published online October 23, 2012.
1134 ARS MEDICI 21 ■ 2012
Statistisch signifikant
Nobelpreisverdächtiger Schokoladekonsum
Sollte sich die Hypothese des in den USA lebenden Schweizer Kardiologen Franz H. Messerli in einer kontrollierten Studie bewahrheiten, könnte der hohe Schweizer Anteil an Nobelpreisträgern auf dem hierzulande hohen Schokoladekonsum beruhen. Jedenfalls korrelieren Schokoladekonsum und Anzahl der Nobelpreisträger eines Landes hoch signifikant (p < 0,0001), wie Messerli kürzlich im «New England Journal of Medicine» darlegte. Demnach braucht es 4 Tafeln Schokolade pro Kopf und Jahr, um 1 Nobelpreisträger auf 10 Millionen Einwohner zu generieren. Spitzenreiter bei Schokoladekonsum und Nobelpreisträgerquote ist – wie könnte es anders sein – die Schweiz mit 12 Kilogramm Schokolade pro Kopf und Jahr und einer Quote von 32 Nobelpreisträgern auf 10 Mil- lionen Einwohner. Einziger Ausreisser in der sonst makellosen Statistik ist Schweden. Dort gibt es erstaunlich viele Nobelpreisträ- ger trotz lediglich moderaten Schokolade- konsums – ob man im Heimatland des Nobelpreises doch nicht so ganz objektiv ist bei der Preisvergabe? Messerli vergass auch nicht, ordnungsgemäss seinen schwerwiegenden Interessenkonflikt anzugeben, den regelmässigen Verzehr dunk- ler Schokolade. Schön, dass das «New Eng- land Journal» auch einmal für einen Scherz zu haben ist. RBO❖ Messerli FH: Chocolate Consumption, Cognitive Function, and Nobel Laureates. N Engl J Med 2012; 367: 1562–1564. RÜCKSPIEGEL Vor 10 Jahren Dank Caenorhabditis Der Nobelpreis für Physiologie und Medizin ging 2002 an Sydney Brenner, John Sulston und Robert Horvitz für ihre Erkenntnisse zu Organentwicklung und programmiertem Zelltod. Alle drei verdanken ihre Karriere nicht zuletzt dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans – einem bei Grundlagenforschern äusserst beliebten Tier (Foto: Wikimedia commons). Vor 50 Jahren Dank Rosalind Als James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins 1962 den Nobelpreis für die Entdeckung der Molekularstruktur der DNA bekamen, erwähnten sie die vier Jahre Phase-II-Studie bei Herzinsuffizienz Kombinierte Angiotensinrezeptor- und Neprilysininhibition Eine Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion soll für bis zur Hälfte der Fälle von Herzversagen verantwortlich sein. Bis anhin gibt es für diese Form der Herzinsuffizienz keine zuverlässig wirksamen Therapien, Betablocker, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorblocker (ARB) zeigten keinen definitiven Nutzen. Pathophysiologisch nimmt man an, dass eine diastolische Dysfunktion wichtig ist, zudem ist bei betroffenen Patienten die natriuretische und renale Antwort auf akute Volumenüberlastung beeinträchtigt. PARAMOUNT, eine Phase-II-Studie, untersuchte bei Patienten mit Herzinsuffizienz NYHAKlasse II–III und erhaltener Auswurffraktion (≥ 45%) die Verabreichung eines neuen kombinierten Wirkstoffs (LCZ696) der Firma Novartis. Dieser vereinigt ein Prodrug des Neprilysininhibitors AHU377 mit dem etablierten ARB Valsartan. Neprilysin baut biologisch aktive natriuretische Peptide (ANP, BNP) ab, nicht aber das biologisch inaktive NT-proBNP. Die Konzentrationssteigerung der biologisch aktiven natriuretischen Peptide verbessert die myokardiale Relaxation und reduziert die Myokardhypertrophie. Mit den älteren Neprilysininhibitoren wie Oma- patrilat war man auf Probleme (sehr häufige Angioödeme) gestossen, weshalb sie verlas- sen wurden (vgl. Beitrag auf S. 1154 f. in die- sem Heft). Diese Nebenwirkung ist unter LCZ696 nicht zu erwarten, da keine gleich- zeitige ACE-Hemmung auftritt. PARAMOUNT verglich bei je rund 150 Pa- tienten LCZ696 mit Valsartan allein. Primä- rer Endpunkt war das vom Prüfmedikament metabolisch nicht betroffene NT-proBNP, ein Marker für Überlastung der linksventri- kulären Kammermuskulatur. NT-BNP wurde in der LCZ696-Gruppe nach 12 Wo- chen signifikant gesenkt. Die Verträglichkeit war in beiden Gruppen gleich gut. Das Kom- binationsmedikament scheint also so zu wir- ken wie geplant und erwartet. Ob sich dies auch in besseren klinischen Outcomes nie- derschlägt, müssen prospektive Studien mit dem Angiotensinrezeptor-Neprilysininhibi- tor zeigen, die derzeit laufen. HB❖ Scott D Solomon et al.: The angiotensin receptor neprilysin inhibitor LCZ696 in heart failure with preserved ejection fraction: a phase 2 double-blind randomised controlled trial. Lancet 2012; 380: 1387–1395. Doi: 10.1016/S0140-6736(12)61227-6. zuvor verstorbene Rosalind Franklin mit keinem Wort. Doch Franklin hatte massgeblichen Anteil an der Aufdeckung der DNA-Struktur – gedankt hat es ihr aber niemand (Grafik: Wikimedia commons). Vor 100 Jahren Dank Frankreich Sein Heimatland habe Alexis Carell massgeblich bei sei- ner Arbeit unterstützt, heisst es in der Nobelpreislauda- tio 1912, als der französische Chirurg für seine For- schungen zur Gefässnaht und Organtransplantation aus- gezeichnet wurde. Abgesehen von seinen medizinischen Fähigkeiten war Carell eine umstrittene Persönlichkeit unter anderem als erklärter Anhänger der faschistischen Rassenideologie. RBO❖