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STUDIE REFERIERT
Neuer Cochrane-Review zu Hepatitis-A-Impfstoffen
Sowohl mit inaktivierten Impfstoffen als auch mit attenuierten Lebendimpfstoffen kann bei zuvor noch nicht infizierten Personen ein wirksamer Schutz gegen Hepatitis A erzielt werden. Die Sicherheit des inaktivierten Impfstoffs ist erwiesen. Zur Sicherheit des abgeschwächten Lebendimpfstoffs liegt dagegen keine ausreichend hohe Evidenz vor.
THE COCHRANE LIBRARY
Bei Hepatitis A handelt es sich um eine ansteckende virale Erkrankung, die vor allem in unterentwickelten Ländern auftritt. Das Hepatitis-A-Virus (HAV) wird vorwiegend auf fäkal-oralem Weg von Person zu Person oder durch die Aufnahme kontaminierter Nahrungsmittel beziehungsweise kontaminierten Wassers übertragen. Die Inzidenz der Hepatitis A korreliert eng mit der ökonomischen Entwicklung, dem sozioökonomischen Status und den geografischen Gegebenheiten. Schlechte sanitäre Verhältnisse und enges Zusammenleben führen häufig zu einer subklinischen Infektion im Kindesalter, die eine lebenslange Immunität verleiht.
Merksätze
❖ Inaktivierte HAV-Impfstoffe bieten für etwa zwei Jahre Schutz vor einer Hepatitis-AInfektion.
❖ Attenuierte Lebendimpfstoffe schützen etwa fünf Jahre vor einer Hepatitis-A-Infektion.
❖ Zur Beurteilung der Sicherheit attenuierter Lebendimpfstoffe liegt keine ausreichende Evidenz vor.
In Regionen mit geringer HAV-Inzidenz wird für Personen mit einem erhöhten Infektionsrisiko häufig eine Impfung empfohlen. Ein besonders hohes Risiko besteht bei Reisenden, die Regionen mit mittlerer oder hoher HAV-Verbreitung aufsuchen, bei Konsumenten illegaler Drogen, bei Patienten mit Hämophilie oder anderen Gerinnungsstörungen, bei Laborkräften mit Exposition gegenüber HAV sowie bei Personen mit chronischen Lebererkrankungen.
Hepatitis A Das Hepatitis-A-Virus ist ein unbehülltes Picornavirus, das nur bei Menschen und einigen nicht humanen Primaten vorkommt. Es wird über die Galle ausgeschieden und über den Stuhl infizierter Personen verbreitet. Die HAVHöchstkonzentrationen im Stuhl werden während der beiden Wochen vor dem Einsetzen von Gelbsucht erreicht, danach sinken sie wieder ab. Die durchschnittliche Inkubationszeit beträgt 28 Tage (15–50 Tage), und der Verlauf der Erkrankung ist sehr unterschiedlich. Bei Kindern unter fünf Jahren bleiben 80 bis 95 Prozent der Infektionen asymptomatisch, während bei Erwachsenen 70 bis 95 Prozent der HAV-Infektionen in eine klinische Erkrankung münden. Schwere Krankheitsverläufe sind selten, nehmen aber mit dem Alter zu und treten auch häufiger bei Personen mit chronischen Lebererkrankungen inklusive Hepatitis B und C auf. Zur Impfung stehen inaktivierte Impfstoffe und attenuierte Lebendimpfstoffe zur Verfügung. Als inaktivierte Impfstoffe sind derzeit Havrix®, Vaqta® (nicht im AK der Schweiz), Avaxim® (nicht im AK der Schweiz) und Epaxal® im Handel. Zur Impfung mit attenuierten Vakzinen wird der krankheitserregende Wildtyp im Labor modifiziert. Das attenuierte Virus behält seine Replikationsfähigkeit und auch die Fähigkeit bei, die Immunabwehr des Wirts zu stimulieren, es
sollte aber keine klinische Erkrankung mehr hervorrufen.
Cochrane-Review In einem Review untersuchten Greg Irving von der University of Liverpool und seine Arbeitsgruppe mit der Methodik der Cochrane Collaboration den Nutzen sowie unerwünschte Wirkungen von inaktivierten und attenuierten HAV-Impfstoffen bei Erwachsenen und Kindern, die zuvor noch nicht mit Hepatitis A infiziert waren. Primärer Endpunkt war das Auftreten einer klinisch nachgewiesenen Hepatitis A. Als sekundäre Endpunkte wurden eine mangelnde seroprotektive Schutzwirkung anhand der Anzahl der geimpften Personen mit einem AntiHAV-Antikörper-Titer von weniger als 10 mIU/l und von weniger als 20 mIU/l sowie unerwünschte Ereignisse definiert.
Ergebnisse Die Wissenschaftler schlossen 11 Studien in ihre Untersuchung ein. Von diesen erachteten sie nur 3 als Studien mit niedrigem Verzerrungsrisiko. 2 Studien waren semirandomisierte Studien, in denen nur die Risiken in Verbindung mit der Impfung untersucht wurden. In 9 randomisierten Studien mit insgesamt 732 380 Teilnehmern wurde als primäres Outcome eine klinisch bestätigte Hepatitis A definiert. Die Hepatitis-A-Impfung wurde in den einzelnen Untersuchungen entweder mit keiner Intervention, mit Plazebo oder einer inaktiven Kontrollimpfung verglichen. Die Untersuchungszeiträume reichten von einem Monat bis zu fünf Jahren. In 4 der 9 Studien wurde der inaktivierte Impfstoff (41 690 Teilnehmer) und in den verbleibenden 5 der attenuierte Lebendimpfstoff (690 690 Teilnehmer) untersucht. In allen 5 Studien zu attenuierten Lebendimpfstoffen lag ein hohes Verzerrungsrisiko vor. In den 3 Studien mit niedrigem Verzerrungsrisiko, die alle mit inaktivierten Impfstoffen durchgeführt worden waren, trat eine klinisch manifeste Hepatitis A bei 9 von 20 684 Personen (0,04%) der Impfgruppe und bei 92 von 20 746 (0,44%) Teilnehmern der Kontrollgruppen auf (RR 0,09; 95%-KI 0,03– 0,30). In allen 9 Studien kam es bei 31 von 375 726 (0,01%) Personen unter der Impfung sowie bei 505 von 356 654
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(0,18%) in der Kontrollgruppe zur klinisch bestätigten Hepatitis (RR 0,09; 95%-KI 0,05–0,17). Die Ergebnisse wurden durch sequenzielle Analysen der Studien gestützt. Subgruppenanalysen bestätigten die klinische Wirksamkeit der inaktivierten Impfung (RR 0,09; 95%-KI 0,03–0,30) und der attenuierten Lebendimpfstoffe (RR 0,07; 95%-KI 0,03–0,17) im Hinblick auf einen Schutz vor der klinisch manifesten Hepatitis A. In 7 der 9 Studien wurde auch AntiHAV-IgG (20 mIU/l) als Outcome untersucht. Nur in einer Studie (mit inaktiviertem Impfstoff), die alle Einschlusskriterien zur Seroprotektion erfüllte, lag ein niedriges Verzerrungsrisiko vor. Inaktivierte Hepatitis-AImpfstoffe reduzierten signifikant das Risiko eines unzureichenden Antikörpertiters von weniger als 20 mIU/l (RR
0,01; 95%-KI 0,00–0,03). In keiner Studie wurde ein seroprotektiver Grenzwert von 10 mIU/l als Outcome definiert. Das Risiko für leichte lokale und systemische unerwünschte Ereignisse war bei inaktivierten Impfstoffen vergleichbar mit dem unter Plazebo. Keine der mit attenuierten Lebendimpfstoffen durchgeführten Studien erfüllte die prädefinierten Einschlusskriterien zur Seroprotektion, sodass zu deren Evaluierung keine Datenbasis vorhanden war. Zur Beurteilung unerwünschter Ereignisse im Zusammenhang mit attenuierten Lebendimpfstoffen lagen aufgrund methodischer Mängel keine ausreichenden Daten vor.
Fazit der Autoren Hepatitis-A-Impfstoffe sind bei noch nicht mit Hepatitis A infizierten Personen zur Prophylaxe wirksam. Aus dem Review geht hervor, dass mit dem in-
aktivierten Impfstoff ein signifikanter
Schutz über mindestens zwei Jahre und
mit dem attenuierten Lebendimpfstoff
ein Schutz über mindestens fünf Jahre
erreicht werden kann. Die Sicherheit
des inaktivierten Impfstoffs ist evidenz-
gesichert. Zum Nachweis der Sicher-
heit abgeschwächter Lebendimpfstoffe
steht eine Evidenz hoher Qualität je-
doch noch aus. Die fehlenden Daten
bezüglich der Sicherheit attenuierter
Lebendimpfstoffe sind besonders be-
denklich, da hier theoretisch die Mög-
lichkeit eines virulenten Atavismus
besteht, wodurch sich der abge-
schwächte Virus wieder in den Wildtyp
zurückentwickelt.
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Petra Stölting
Greg J Irving et al: Hepatitis A immunisation in persons not previously exposed to hepatitis A. Cochrane Database Syst Rev 2012; 7: CD009051.
Interessenkonflikte: keine deklariert
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