Transkript
FORTBILDUNG
Gastroösophagealer Reflux und Vorhofflimmern
Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Erkrankungen?
Vorhofflimmern, gastroösophageale Refluxkrankheit und Hiatushernie sind Erkrankungen, die in der klinischen Praxis häufig beobachtet werden. Derzeit wird diskutiert, ob die gaströosophageale Refluxkrankheit und die Hiatushernie Vorhofflimmern verursachen können.
EXPERT REVIEW OF CARDIOVASCULAR THERAPY
Einige Experten vermuten, dass die gaströosophageale Refluxkrankheit (GERD, gastroesophageal reflux disease) und die Hiatushernie Risikofaktoren für ein Vorhofflimmern (AF, atrial fibrillation) darstellen, aber dieser Zusammenhang wird kontrovers diskutiert. Im folgenden Beitrag soll ein kurzer Überblick über GERD, Hiatushernie und AF gegeben und dargelegt werden, welche Mechanismen bei Patienten mit GERD und/oder Hiatushernie möglicherweise ein AF triggern könnten.
Vorhofflimmern Das Vorhofflimmern ist eine Herzrhythmusstörung, bei der die Vorhöfe so stimuliert werden, dass sie sich ungeordnet kontrahieren. Die genaue Ätiologie des AF ist nicht bekannt;
Merksätze
❖ Die Inzidenz von gastroösophagealer Refluxkrankheit (GERD) und begleitendem Vorhofflimmern (AF) liegt bei etwa fünf Prozent.
❖ Die Assoziation zwischen GERD und AF ist Gegenstand der Diskussion, weil häufig gemeinsame Störfaktoren wie Adipositas, Diabetes mellitus und Schlaf-Apnoe vorliegen.
❖ Die Hiatushernie wurde mit einer erhöhten AF-Inzidenz in Verbindung gebracht, wobei möglicherweise ein direkter mechanischer Effekt von Bedeutung ist.
❖ Eine Assoziation zwischen GERD und AF könnte auf folgende Mechanismen zurückzuführen sein: 1. Zytokine, die aus Ösophagusläsionen freigesetzt werden, sorgen möglicherweise für eine Umgebung, die einem AF den Weg ebnet. 2. Entzündungsvorgänge bzw. Säure im Ösophagus beeinflussen Rezeptoren, was zu einer übermässigen Stimulation des Parasympathikus führt.
jedoch spricht viel für die Theorie, dass elektrische Trigger in und um die Lungenvenen gebildet werden, die das AF initiieren und aufrechterhalten. Die gemeinsame Leitlinie der American Heart Association, des American College of Cardiology und der Heart Rhythm Society unterscheiden drei AF-Typen: Paroxysmales AF, persistierendes AF und dauerhaft persistierendes AF. Ein paroxysmales AF liegt vor, wenn mehr als eine Episode von einer Dauer ≥30 Sekunden auftritt, die sich innerhalb von sieben Tagen spontan zurückbildet. Persistierendes AF ist definiert als AF, das >7 Tage anhält oder <7 Tage dauert, aber eine pharmakologische oder elektrische Kardioversion erfordert. Dauerhaft perisistierendes AF ist definiert als kontinuierliches AF über mehr als ein Jahr. Gastroösophageale Refluxkrankheit Bei der GERD kommt es zum Rückfluss von saurem Mageninhalt in die Speiseröhre, was zu Beschwerden und eventuell zu Schleimhautschäden führt. Eine geringe Ösophagusmotilität kann zu einer GERD beitragen, weil dann saurer Mageninhalt länger in der Speiseröhre verbleibt. Ein geringer Tonus des unteren Ösophagussphinkters kann bewirken, dass grosse Mengen an saurem Magensaft in die Speiseröhre fliessen. Schliesslich kann eine verzögerte Magenentleerung das Volumen und den Druck im Magen erhöhen, sodass der untere Ösophagussphinkter beeinträchtigt wird und eine GERD entsteht. Manche Patienten mit chronischer Refluxkrankheit entwickeln einen Barrett-Ösophagus, aus dem ein Adenokarzinom der Speiseröhre entstehen kann. Eine GERD wird mittels ambulanter Ösophagus-pH-Metrie, radiologisch mittels Barium-Breischluck oder aber mithilfe der Ösophagusmanometrie oder Ösophagogastroduodenoskopie diagnostiziert. Einige Ärzte empfehlen einen Therapieversuch mit Protonenpumpeninhibitoren (PPI) – bessert sich die Symptomatik, spricht das für das Vorliegen einer GERD. Zur Behandlung der GERD gibt es verschiedene Ansätze: Lebensstilmodifikation (Gewichtsabnahme, Schlafen mit erhöhtem Oberkörper), medikamentöse Therapie (PPI, Antazida und H2-Blocker) oder Operation (Fundoplicatio nach Nissen). Epidemiologie von AF und GERD Bei etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung liegt ein AF vor. Aus den USA wird berichtet, dass 20 bis 40 Prozent der Personen mindestens einmal im Monat GERD-Symptome aufweisen. Zwischen sieben und zehn Prozent leiden täglich an GERD-Symptomen. Dieser hohe Prozentsatz ist vermutlich auf die Adipositasepidemie und auf die westliche ARS MEDICI 20 ■ 2012 1075 FORTBILDUNG Ernährungsweise zurückzuführen. Viele Risikofaktoren, die für ein AF prädisponieren, werden auch bei Patienten mit GERD beobachtet: Fortschreitendes Lebensalter, SchlafApnoe, Adipositas und Diabetes sind gemeinsame Risikofaktoren. Deswegen ist nur schwer zu beurteilen, ob die Refluxkrankheit ein Vorhofflimmern fördert oder ob dies auf gemeinsame Störfaktoren (Confounder) zurückzuführen ist. In einer Publikation wird beschrieben, dass GERD das AF-Risiko um 40 Prozent erhöht. Die berichtete Inzidenz von Patienten mit GERD und AF beträgt fünf Prozent. Wahrscheinlich liegt die Zahl jedoch deutlich höher, denn sowohl GERD als auch AF bleiben nicht selten unerkannt. Wie kann die Refluxkrankheit Vorhofflimmern induzieren? Eine Hypothese besagt, dass lokal freigesetzte Zytokine aus Ösophagusläsionen eine Umgebung schaffen, welche die Entstehung eines Vorhofflimmerns fördert. Der Ösophagus verläuft in enger Nachbarschaft zur posterioren Wand des linken Vorhofs: Die durchschnittliche Distanz zwischen Speiseröhre und linkem Vorhof beträgt nur etwa 4,5 bis 5,5 mm. Proinflammatorische Faktoren wie Zytokine (IL-6 und IL-8), Leukozyten und oxidativer Stress tragen zur Entwicklung einer GERD bei. IL-6 und IL-8 sind auch bei der Initiierung und Aufrechterhaltung des Vorhofflimmerns von Bedeutung. Die genaue Rolle inflammatorischer Zytokine in der Pathogenese des AF ist unklar. Eine alternative Hypothese geht davon aus, dass Entzündungsvorgänge oder Säure im Ösophagus Rezeptoren beeinflussen, die zu einer Überstimulation des parasympathischen Systems führen. Eine Vagusstimulation verkürzt die Refraktärperiode im Vorhof-Myokard sowie die Wellenlänge von Reentry-Kreisläufen, was eine Umgebung schafft, die ein Vorhofflimmern initiiert und aufrechterhält. Zudem haben verschiedene Katheterablationsstudien gezeigt, dass die Ablation parasympathischer Bahnen in bestimmten Bereichen des rechten und linken Vorhofs das AF beendet, was darauf hinweist, dass manche Formen des Vorhofflimmerns vagal vermittelt werden. Ob das Vagus-vermittelte AF die Refluxkrankheit in einem Circulus vitiosus aufrechterhält, ist nicht bekannt. Hiatushernien und Vorhofflimmern In den USA weisen etwa 60 Prozent der über 50-Jährigen eine Hiatushernie auf. Einer gross angelegten Untersuchung zufolge gibt es bei jüngeren (unter 55-jährigen) Patienten eine epidemiologische Assoziation zwischen Hiatushernie und AF. In dieser Population weisen etwa 5,3 Prozent der Patienten mit einer Hiatushernie auch ein Vorhofflimmern auf. Männer mit Hiatushernie hatten im Vergleich zu einer nach Alter und Geschlecht gematchte Population ohne Hiatushernie ein um das 13-Fache erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern; bei Frauen war das Risiko sogar um das 15-Fache erhöht. Es gibt zwei Hauptformen der Hiatushernie: Die Gleithernie (häufigster Typ), bei der der gastroösophageale Übergang in den Thoraxraum gleitet und oberhalb des Zwerchfells liegt. Von einer paraösophagealen Hiatushernie spricht man, wenn ein Teil des Magens durch den Zwerchfellhiatus wandert und neben dem Ösophagus liegt (ohne Beteiligung des gastroösophagealen Übergangs). Menschen mit einer Hiatushernie können auch eine GERD aufweisen. Ob ein Zusammenhang zwischen Art oder Grösse der Hiatushernie und der Wahrscheinlichkeit für ein AF besteht, ist noch nicht geklärt. Möglicherweise erhöht eine grössere Hernie das AF-Risiko, weil sie Druck auf den linken Vorhof ausübt, was zu einer Ischämie und anatomischen Blockade führt und dadurch Reentry-Mechanismen begünstigt. Andererseits könnte auch eine GERD, die bei den meisten Patienten mit Hiatushernie beobachtet wird, die Entstehung des AF begünstigen. Weitere Studien sollen Zusammenhang klären Die Studien, die bisher durchgeführt wurden, weisen zu geringe Fallzahlen oder methodologische Schwächen (retrospektives Studiendesign) auf, um eine Assoziation zwischen GERD und AF oder AF und Hiatushernien eindeutig zu belegen. Angesichts der grossen Zahl an Publikationen, die einen Zusammenhang zwischen GERD und AF berichten, wäre jedoch eine grosse prospektive Studie gerechtfertigt. PPI und Vorhofflimmern Verschiedene Autoren berichteten, dass Protonenpumpeninhibitoren (PPI) bei Patienten mit GERD oder Hiatushernie das Vorhofflimmern reduzierten oder beendeten. PPI kontrollieren die Refluxkrankheit – bis jetzt gibt es keine weitere bekannte Erklärung dafür, warum PPI das Vorhofflimmern bei diesen Patienten beeinflussen. Dennoch ist dies ein interessanter Befund, denn es wurde kürzlich berichtet, dass PPI das Risiko für fokale Vorhofarrhythmien und rechtsventrikuläre Tachykardien erhöht. Experten gehen davon aus, dass PPI proarrhythmogene Eigenschaften aufweisen, weil sie die Retikulum-Ca2+-ATPase hemmen, was zu einer reduzierten Ca2+-Aufnahme des sarkoplasmatischen Retikulums und dadurch zu einer Zunahme der intrazellulären Kalziumkonzentrationen führt. Ob PPI Vorhofflimmern induzieren, bleibt noch zu klären; jedoch erscheint es plausibel, da erhöhte intrazelluläre Kalziumspiegel getriggerte Arrhythmien induzieren können. Es sind grosse, randomisierte und plazebokontrollierte klinische Studien erforderlich, um die Wirkung von PPI auf das AF zu klären. In einer solchen Studie sollte das Vorliegen einer GERD nicht anhand der von den Patienten berichteten Symptomen festgemacht, sondern durch entsprechende Studien objektiviert werden. Mit Bedacht therapieren Das zunehmende Bewusstsein dafür, dass GERD und/oder Hiatushernien unabhängige Risikofaktoren für das Vorhof- flimmern darstellen, könnte dazu führen, dass Ärzte die be- troffenen Patienten aggressiver mit PPI behandeln oder eher zu einer operativen Korrektur der Hiatushernie raten. Für beide Strategien konnte gezeigt werden, dass sie die Inzidenz und Dauer des AF reduzieren. Doch sollten Ärzte Protonen- pumpeninhibitoren bei Patienten mit Vorhofflimmern mit Vorsicht einsetzen, weil diese fokale Rhythmusstörungen hervorrufen können. ❖ Andrea Wülker Armaganijan L et al.: Gastroesophageal Reflux and Atrial Fibrillation. Expert Review of Cardiovascular Therapy 2012; 10(3): 317–322. Interessenkonflikte: keine deklariert 1076 ARS MEDICI 20 ■ 2012