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FORTBILDUNG
Antiretrovirale Therapie bei HIV-Infektion Erwachsener
Internationale Empfehlungen
Auf dem Gebiet HIV/AIDS bestehen rege Forschungsaktivitäten. Aktuelle Erkenntnisse aus Studien und neue Therapieschemata waren Anlass für die International Antiviral Society USA, ihre Empfehlungen zu überarbeiten. Wichtige Neuerung: HIV-Patienten sollten möglichst früh eine antiretrovirale Therapie erhalten – unabhängig von der CD4-Zell-Zahl.
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION
Das erste antiretrovirale Medikament wurde vor 25 Jahren zugelassen. Seither ist die antiretrovirale Therapie (ART) wirksamer, verträglicher, einfacher und besser verfügbar geworden, und opportunistische Erkrankungen sowie Todesfälle sind sehr stark zurückgegangen. Aktuelle Daten belegen, dass die durch die ART bedingte Virussuppression die Transmission des «human immunodeficiency virus» (HIV) reduziert – und zwar auf individueller und auf bevölkerungsbasierter Ebene. Wird die ART von nicht HIV-infizierten Personen konsequent angewandt, kann sie auch einen Schutz vor HIV-Infektion bieten. Neue Studiendaten sowie neue Therapieschemata, die in den vergangenen zwei Jahren verfügbar wurden, machten eine Überarbeitung der Leitlinien zur ART bei HIV-infizierten Erwachsenen notwendig. Deshalb führte die International Antiviral Society USA eine systematische Recherche der in den letzten zwei Jahren erschienenen Fachliteratur durch und formulierte auf der Basis des aktuellen Wissensstands ent-
Merksätze
❖ Eine antiretrovirale Therapie sollte allen erwachsenen HIV-Patienten angeboten werden – unabhängig von der CD4-Zell-Zahl.
❖ Für die Initialtherapie werden zwei nukleosidische ReverseTranskriptase-Inhibitoren (NRTI) plus ein nichtnukleosidischer Reverse-Trankriptase-Inhibitor (NNRTI), ein Ritonavirgeboosterter Proteaseinhibitor (PI/r) oder ein Integrase-Strangtransfer-Inhibitor (InSTI) empfohlen.
❖ Verlaufskontrollen (HIV-1-RNA, CD4-Zell-Zahl) sollten mindestens alle drei Monate erfolgen.
sprechende Empfehlungen, die im amerikanischen Ärzteblatt «Journal of the American Medical Association» (JAMA) veröffentlicht wurden.
Wann sollte eine antiretrovirale Therapie beginnen? Allen Erwachsenen mit einer HIV-Infektion sollte eine ART angeboten werden, unabhängig von der CD4-Zell-Zahl, schreiben die Autoren. Diese Empfehlung basiert auf Daten einer aktuellen Beobachtungsstudie, die zeigen, dass alle Patienten von einer ART profitieren können. Außerdem ergab eine randomisierte kontrollierte Studie, dass die ART die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Transmission senkt und für die behandelten Patienten einen klinischen Nutzen bringt. Ärzte, die eine ART verschreiben, sollten Folgendes bedenken: ❖ Der Patient muss bereit und willens sein, die ART konse-
quent einzuhalten, und man sollte ihm eine Adhärenzschulung sowie entsprechende Unterstützung anbieten. ❖ Der Nutzen der ART ist bei «elite controllers» (bei denen die HIV-1-RNA auch ohne ART unter der Nachweisgrenze ist) nicht bekannt. Das gilt auch für «long-term nonprogressors», die ohne ART stabile CD4-Zell-Zahlen oberhalb von 500/µl und weniger als 1000 HIV-1-RNAKopien/ml zeigen. ❖ Der Nutzen einer ART ist bei asymptomatischer akuter HIV-Infektion nicht so gut untersucht wie bei symptomatischer akuter HIV-Infektion. ❖ Es gibt keinen Schwellenwert für die CD4-Zell-Zahl, ab dem die Einleitung einer Therapie kontraindiziert ist. Doch nehmen die Stärke der Empfehlung und die Qualität der Evidenz, die den Beginn einer Therapie stützt, mit abnehmender CD4-Zell-Zahl und mit dem Vorliegen bestimmter Begleiterkrankungen (wie chronische Hepatitis B oder HIV-assoziierte Nephropathie) zu.
Welche Substanzen werden für die Initialtherapie empfohlen? Die Optionen für die Initialtherapie von nicht vorbehandelten erwachsenen HIV-Patienten ohne Primärresistenz nehmen weiterhin zu: Es gibt neue Medikamente und neue Formulierungen. Da die Therapie lebenslang fortgesetzt werden muss, sollten bei der Wahl des geeigneten Therapieschemas verschiedene Aspekte berücksichtigt werden, wie beispielsweise Anwenderfreundlichkeit, potenzielle Nebenwirkungen und Verträglichkeit, denn diese Faktoren können die Therapieadhärenz beeinflussen. Die Therapie verfolgt mehrere Ziele, nämlich die maximale, lebenslange und kontinuierliche Suppression der HIV-Replikation, um Resistenzen zu
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FORTBILDUNG
verhindern, die möglichst gute Wiederherstellung des Immunsystems sowie eine Verbesserung des gesundheitlichen Zustands. Interaktionen zwischen ART-Medikamenten und anderen Substanzen stellen eine wachsende Herausforderung dar, da HIV-Positive älter werden und aufgrund von Begleiterkrankungen zusätzliche Medikamente benötigen. Die Therapiekosten dürften in Zukunft eine zunehmende Rolle spielen. Generika in der ART können zwar die Kosten reduzieren und die Behandlung einer grösseren Zahl von Betroffenen ermöglichen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass man bei der Wahl der Medikation auf ältere und toxischere Substanzen zurückgreift, die in den aktuellen Leitlinien nicht mehr empfohlen werden. Zu bedenken ist auch, dass komplexere Therapieschemata, in denen mehrere Einzelsubstanzen verschrieben werden, in manchen Gebieten zu höheren Zuzahlungen führen, die die Patienten bei jeder Einlösung eines Rezepts leisten müssen. Die Initialtherapie basiert weiterhin auf einer Kombination aus zwei nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTIs, z.B. Tenofovir/Emtricitabin oder Abacavir/Lamivudin) und einer potenten dritten Substanz, im Allgemeinen ein nichtnukleosidischer Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI, z.B. Efavirenz), ein Ritonavir-geboosterter Proteaseinhibitor (PI/r, z.B. Atazanavir oder Darunavir), ein Integrase-Strangtransfer-Inhibitor (InSTI, z.B. Raltegravir) oder – selten – eine Substanz, die den CC-Chemokinrezeptor 5 (CCR5) blockiert. Besondere Situationen oder Begleitumstände können es erforderlich machen, das Behandlungsschema anzupassen und alternative Substanzen zu verordnen. Es gibt keine Evidenz dafür, dass sich die Wirksamkeit der Medikamente bei verschiedenen HIV-1-Subtypen unterscheidet. Heute werden Koformulierungen von Medikamenten und komplette Behandlungsschemata in Fixkombinationen, die immer häufiger zur einmal täglichen Anwendung zur Verfügung stehen, bevorzugt, weil sie den Patienten entlasten und wahrscheinlich zu einer besseren Therapieadhärenz führen. Da heute zusätzliche potente und gut verträgliche Medikamente verfügbar sind, wächst das Interesse an Therapieschemata ohne NRTIs, jedoch gibt es noch keine ausreichende Evidenz, um sie für die Initialtherapie zu empfehlen.
Monitoring der Patienten Unter einer wirksamen Therapie sollte die HIV-1-RNA im Plasma innerhalb von 24 Wochen auf unter 50 Kopien/ml sinken. Es gibt keine aktuellen Studien zur optimalen Frequenz der Verlaufskontrollen in ressourcenreichen Ländern, obwohl entsprechende Forschungsarbeiten durchaus zur Kostenreduktion beitragen könnten. Aus diesem Grund wurden die bisherigen Empfehlungen für das Monitoring nicht geändert: Die HIV-1-RNA-Werte im Plasma sollten nach Therapiebeginn oder nach einer Therapieumstellung mindestens alle drei Monate kontrolliert werden, um eine Suppression der Virämie auf 50 Kopien/ml zu bestätigen. Die CD4-Zell-Zahl sollte – insbesondere bei Patienten mit einem Wert unter 200 /µl –nach Therapiebeginn mindestens alle drei Monate bestimmt werden, um zu überprüfen, ob eine Indikation für eine Primärprophylaxe opportunistischer Infektionen besteht. Sobald die Viruslast ein Jahr lang sup-
primiert ist und die CD4-Zell-Zahl konstant 350/µl oder mehr beträgt, können die Intervalle zwischen den Kontrolluntersuchungen bei Patienten mit guter Adhärenz auf bis zu sechs Monate ausgedehnt werden. Wird unter laufender Therapie ein HIV-1-RNA-Wert von über 50 Kopien/ml nachgewiesen, sollte man die Untersuchung nach zwei bis vier Wochen wiederholen, bevor man eine Modifikation der Therapie in Erwägung zieht.
Vorgehen bei vorbehandelten Patienten Bei nachgewiesenem Therapieversagen sollte der Patient rasch auf ein neues Therapieschema umgestellt werden, wobei Faktoren zu berücksichtigen sind, die potenziell erneut zur Entwicklung einer Resistenz beitragen könnten. Das neue Therapieschema sollte auf der Basis einer Resistenztestung und einer Behandlungsanamnese sowie unter Berücksichtigung von Verträglichkeits- und Adhärenzaspekten festgelegt werden und mindestens zwei, idealerweise aber drei voll aktive ART-Medikamente enthalten. Bei virologisch supprimierten Patienten ist es im Allgemeinen sicher und effektiv, einzelne Substanzen auszutauschen, wenn Nebenwirkungen aufgetreten sind, oder um erwartete unerwünschte Wirkungen beziehungsweise Medikamenteninteraktionen zu verhindern.
Wie lässt sich AIDS kontrollieren?
Wenn sich das HI-Virus ungehemmt replizieren kann, weil
keine ART erfolgt, kommt es zur Immunaktivierung und zu
Entzündungsreaktionen. Diese führen nicht nur zur Schä-
digung des Immunsystems und zu opportunistischen Infek-
tionen, sondern auch zu einem Anstieg an kardiovaskulären,
renalen, hepatischen, neurologischen und malignen Erkran-
kungen, betonen die Autoren. Die Evidenz aus klinischen
Studien, Beobachtungsstudien und pathogenetischen Unter-
suchungen spricht für einen umfassenden gesundheitlichen
Nutzen einer frühen ART. Hochwirksame und verträgliche
Therapieschemata ermöglichen heute den meisten Patienten
während des gesamten Verlaufs der HIV-Infektion eine an-
haltende Virussuppression. Klinische und ökologische Daten
unterstreichen die Bedeutung der Therapie in der Prävention
neuer HIV-Infektionen.
Zwar ist es sehr wichtig, für Menschen, die bereits HIV-infi-
ziert sind, nach Heilungsmöglichkeiten zu suchen und einen
effektiven Impfstoff für diejenigen zu entwickeln, die noch
nicht infiziert sind. Doch weisen die Autoren darauf hin, dass
heute bereits eine ganze Reihe von Instrumenten verfügbar
ist, die zur Eindämmung der HIV/AIDS-Pandemie beitragen
können. Zur AIDS-Eradikation können ihrer Ansicht nach
folgende Komponenten beitragen: bessere Betreuung von
HIV-Infizierten, früher und kontinuierlicher Zugriff auf eine
ART sowie Verbesserung der ART-Adhärenz.
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Andrea Wülker
Quelle: Melanie A. Thompson et al.: Antiretroviral Treatment of Adult HIV Infection. 2012 Recommendations of the International Antiviral Society-USA Panel. JAMA 2012; 308(4): 387–402.
Interessenkonflikte: Einige Autoren haben Berater- und/oder Referentenhonorare bzw. Forschungsstipendien für ihre Institutionen von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten. Die vorliegende Publikation wurde vom International Antiviral Society-USA Panel (IAS-USA), einer Not-for-profit-Organisation, unterstützt und finanziert.
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