Transkript
Im Kanton Zürich bleibt’s dabei: Keine Seniorenbewilligung für Ärzte im Ruhestand!
FORUM
Eines Tages werden auch alle heute noch berufstätigen Ärztinnen und Ärzte vor der Situation stehen: Es wird ihnen erklärt, sie seien nicht mehr befugt oder de facto nicht mehr in der Lage, ihre Angehörigen, einen guten Freund oder sich selbst zu behandeln, es sei denn, sie erwerben auch für den Ruhestand wiederum eine Berufsausübungsbewilligung. Genau so geht es heute schon Hunderten von ehemaligen Praktikern im Kanton Zürich. Schuld daran ist eine neue kantonale Interpretation des eidgenössischen Medizinalberufegesetzes. Wohlgemerkt: 10 Jahre nach dessen Inkraftsetzung. Zur Erinnerung: Während Jahrzehnten galt – ohne die geringsten Probleme – die Regel, dass ausscheidende Praxisärzte eine «Seniorenbewilligung» erhalten (Voraussetzung: geistige Gesundheit). Mit dieser Bewilligung durften sie – unentgeltlich und nicht über die Krankenversicherung abrechnungsbefugt – für einen engen Personenkreis ärztlich tätig bleiben – ohne Haftpflichtversicherung, ohne Fortbildungspflicht, ohne Notfalldienst. Diese Regelung gilt seit Kurzem nicht mehr – und das in Zeiten von Hausarztmangel. Die Zürcher Gesundheitsdirektion stellte klar, dass Ärzte zwar weiterhin im genannten beschränkten Rahmen tätig bleiben dürfen, dafür aber Haftpflichtversicherung und Fortbildungsnachweis benötigen, wenn auch in reduziertem Umfang. Zum «Trost»: Arztdiplom, Facharzttitel und akademische Titel bleiben zwar weiterhin gültig – nützen hier aber nichts! Gegen diese Änderung einer über viele Jahre lang bewährten Regelung beziehungsweise die Nichterneuerung einer bisher gültigen Seniorenbewilligung rekurrierten mehrere Ärzte. Ohne Erfolg. Der Regierungsrat wies vor wenigen Tagen den Rekurs einer Kollegin gegen die Aufhebung der Seniorenbewilligung ab.
Kasten
Urteil und Medienmitteilung
Zum Urteil gelangen Sie via folgendem Link oder direkt via QR-Code
www.rosenfluh.ch/qr/urteil-seniorenbewilligung
Die Medienmitteilung finden Sie unter folgendem Link oder direkt via QR-Code.
www.rosenfluh.ch/qr/medienmitteilung
Zwar laufen noch weitere Rekurse, aber deren Aussichten auf Erfolg sind nach diesem ersten Entscheid minim. Die Gesundheitsdirektion ist mit einer Medienmitteilung an die Öffentlichkeit gelangt (siehe Kasten). Alles was man den inzwischen in der «IG Seniorenbewilligung» (Präsident: Walter Grete, Bachenbülach) zusammengeschlossenen pensionierten Kolleginnen und Kollegen anbot, war die Erstellung eines Merkblatts, das die Erleichterungen auflistet, die im Rahmen einer regulären Bewilligung gewährt werden. Doch diese «Erleichterungen» lösen das Problem der Ärzte im Ruhestand mitnichten. Es mag jenen Kollegen dienen, die weiter in reduziertem Umfang praktisch tätig sein möchten. Ärzte im «wirklichen» Ruhestand werden dagegen im Stich gelassen und zu medizinischen Laien degradiert. Sie dürfen noch ein wenig beraten, aber keine Medikamente mehr beziehen oder abgeben. Nicht einmal für den Eigengebrauch. Ausnahme: ein von Mitleid mit seinem pensionierten Arztkollegen gerührter Apotheker übernimmt dafür die Verantwortung. Lächerlich!
Standesorganisationen bleiben passiv
Nicht lächerlich, sondern ärgerlich ist die Passivität der Standesorganisationen. Nicht einmal von der Zürcher Ärztegesellschaft AGZ kommt Unterstützung. Deren Präsident – auch er wird dereinst von dieser unsinnigen Verordnung betroffen sein – meint: «Im Interesse der Patientensicherheit stehen wir hinter diesen auch für Seniorenärzte zumutbaren Auflagen.» Nein, diese Auflagen sind nicht zumutbar. Sie machen den Arzt im Ruhestand wiederum berufstätig. Er wird wieder aufzeichnungspflichtig, muss für seine ärztliche Hilfe Krankengeschichten anfertigen, für die zwanzigjährige Archivierung sorgen und in Kürze auch die Software für die elektronische Krankengeschichte übernehmen. Das sind, wie die jahrzehntelange Erfahrung zeigt, absolut unnötige Schikanen und ein Affront gegenüber allen während eines langen Berufslebens in der Praxis untadelig ihre Arbeit verrichtenden Kolleginnen und Kollegen, die bereits einen Tag nach Praxisaufgabe auf einmal unfähig sein sollen, auch nur sich selber ärztlich zu versorgen. Das Gesetz mag damit seine formal korrekte Anwendung finden. Gesetze und Verordnung lassen sich aber ändern, wenn sie sich als unsinnig herausstellen. Es bleibt zu hoffen, dass am Ende doch noch die juristischen Voraussetzungen für eine echte Seniorenbewilligung geschaffen werden und die Standesorganisationen sich für ihre Mitglieder auch nach deren Übertritt in den Ruhestand einsetzen. Und sei’s auch nur, weil sie bedenken, dass die Zeit schnell da ist, da sie in der gleichen Lage sind.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 5 | 2020
121