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Arsenicum
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Hier ist reserviert
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Zwar habe ich eine «Sprechstunde nach Anmeldung», aber ein Drittel meiner Patienten hält sich nicht daran. Sie stürmen ohne vorherige Terminabsprache hinein, mit Halsweh oder mit einer leichten, aber immerhin blutenden Schramme, die sie sich beim Heimwerken zugezogen haben, und möchten diesen Notfall sofort betreut haben. Wenn die im Wartezimmer brummenden und giemenden COPDler genug Atem dafür hätten, würden sie vermutlich aufbegehren. So schauen sie nur vorwurfsvoll und waidwund. Meist sind es die anderen, unplanmässig Hereingeplatzten, die den Eindringling an seinen Platz verweisen. «Sie müssen warten.
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Hier ist reserviert

Z war habe ich eine «Sprechstunde nach Anmeldung», aber ein Drittel meiner Patienten hält sich nicht daran. Sie stürmen ohne vorherige Terminabsprache hinein, mit Halsweh oder mit einer leichten, aber immerhin blutenden Schramme, die sie sich beim Heimwerken zugezogen haben, und möchten diesen Notfall sofort betreut haben. Wenn die im Wartezimmer brummenden und giemenden COPDler genug Atem dafür hätten, würden sie vermutlich aufbegehren. So schauen sie nur vorwurfsvoll und waidwund. Meist sind es die anderen, unplanmässig Hereingeplatzten, die den Eindringling an seinen Platz verweisen. «Sie müssen warten. Wir haben vorher reserviert!», zischen sie böse und räkeln sich auf ihrem Stuhl. Alle anderen lächeln – reserviert und privilegiert. Schliesslich haben sie Zeit, Mühe und Kosten aufgewendet, um sich die Viertelstunde bei mir zu sichern. Und dann körperlich den Stuhl besetzt. Das will genossen und ausgenutzt werden. Manchmal ist es aber ein Herzinfarkt, und dann nutzen die Reservierungsprivilegien gar nichts. Zahlende Kunden legen im Ferienhotel Handtücher auf Pool-Liegen, stehen zwei Stunden vor Saalöffnung des Konzerts schon an und fühlen sich schlecht behandelt. Viel schöner ist es, auf das Freihalten des begehrten Platzes vertrauen können. «Reserviert» heisst es auf dem Schildchen auf dem schönsten Tisch, dem runden im Lichterker, des Restaurants. Rundum sind schon längst alle Tische besetzt – da trifft endlich das Prominentenpaar mit Gästen ein. In unserer Stadt sind das zwar nicht Angelina Jolie und Brad Pitt, sondern der erfolgreiche, dicke Getränkegrosshändler und sein schwergewichtiger Anhang. Aber ein Hauch von Royalty hat der Einzug schon. Es zeigt nicht nur an, dass es wichtige Leute sind, die hier Platz nehmen, sondern auch, dass diese dieses Lokal für so exzellent halten, dass sie nirgendwo anders speisen wollen. Vielleicht ist diese Aura des «Erwählten» der Grund dafür, dass Hoteliers immer ein paar Tische mit Reserviert-Kärtli sperren, obwohl in Wirklichkeit niemand reserviert hat? Oder hoffen sie doch noch auf Brangelina? Wobei für die sicher ein Tisch geräumt würde. Ich liebe es auch zu reservieren: Es gibt ein

Gefühl von Geborgenheit, wenn der gedeckte Tisch schon auf einen wartet oder wenn man von Basel bis Mannheim im deutschen ICE nicht stehen muss. Ein wunderbarer Service, wenn der Blumenhändler anruft, der unseren Blumenschmuck in der Praxis macht, und mitteilt, er habe Calla, die wir doch so gerne hätten, für uns reserviert. Jemand hat an einen gedacht. Wie schön. Man fühlt sich liebevoll umsorgt, wenn in der Leihbücherei die bestellten Bücher schon in einer Tüte verpackt sind. Oder wenn die Kollegen den Sitz im Zug freihalten, weil sie wissen, dass man auch zu diesem Kongress fährt. Es ist der Platz in der Gemeinschaft, den man sich durch Reservieren bewahren will, die Teilhabe an begehrten knappen Waren. Gelingt das, ist man wer. Ausser man wäre Indianer in einem Reservat … denen wurden die unfruchtbarsten und unattraktivsten Landstriche zugedacht und die Erträge abgenommen, wenn dort Bodenschätze gefunden wurden. In einer ein wenig ähnlichen Situation befinden sich Hausärzte, die man in weitläufigen, dünn besiedelten Berg- und Landregionen ansiedeln will, damit sie dort ihrer karg entlöhnten 24-Stunden-Tätigkeit nachgehen sollen, während andere sich im Goldrausch der Bonanzas befinden. «Ich hab noch was in Reserve!», meinen schmunzelnd die Bauern in meiner Patientenschaft, wenn man sie wegen des schlechten Weinjahrgangs bedauert. In einem Eckchen ihres Weinkellers schlummern noch ein paar gute Flaschen, und auch Trockenfleisch und Eingemachtes ist noch reichlich da. Lecker, dann muss man ja nicht auf «Reserve Suisse» vertrauen. Aufbewahren, Zurückbehalten, Konservieren, Aufsparen und später Geniessen – das scheinen Schweizer Wesenszüge zu sein, für die man anderenorts kaum Verständnis hat. Dieser Drang nach Sicherheit, nach garantierten, sicheren Arbeitsplätzen, nach Lebensmittelnotvorräten sowie Geld- und Warendepots, den nicht nur die Kriegsgeneration hat, muss im kollektiven Gedächtnis eines Volkes verankert sein, welches keine Bodenschätze und nur wenig urbares Land hat, in welchem es mindestens drei Monate sehr kalt ist. Speisekammern mit Dosenvorräten, Luftschutzkeller in Zeiten von Guerilla- und Atomkriegen, Reservetanks trotz dichtem Tankstellennetz sind irrational, aber beruhigend. Genau wie mein Typograf und Layouter, der mir schon Seite 912 und im nächsten Heft Seite 976 reserviert hat. Das ist so motivierend, dass ich glatt aus meiner Reserve herauskomme.

ARSENICUM

912

ARS MEDICI 18 ■ 2012

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