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STUDIE REFERIERT
Junge Typ-2-Diabetiker: Therapie nur mässig erfolgreich
Ergebnisse der TODAY-Studie
Die Hypothese, die in der TODAY-Studie getestet werden sollte, lautete: «Eine Kombinationstherapie, die bei jugendlichem Typ-2-Diabetes früh im Krankheitsverlauf begonnen wird, kann eine akzeptable glykämische Kontrolle besser aufrechterhalten als die alleinige Gabe von Metformin.»
Immer mehr Kinder und Jugendliche erkranken an Typ-2-Diabetes. Weil es bisher kaum Daten zur Behandlung dieser jungen Patientengruppe gab, wurden in der TODAYStudie drei Therapiestrategien miteinander verglichen, von denen man sich eine dauerhafte glykämische Kontrolle erhoffte. Die Ergebnisse sind eher ernüchternd.
NEW ENGLAND JOURNAL OF MEDICINE
Parallel zur zunehmenden Häufigkeit der Adipositas bei Kindern wird eine erhöhte Inzidenz des Typ-2-Diabetes im Jugendalter beobachtet. Da das Risiko für mikro- und makrovaskuläre Komplikationen bei Erwachsenen sowohl bei zunehmender Krankheitsdauer als auch bei mangelnder glykämischer Kontrolle ansteigt, ist es von grösster Bedeutung, im Jugendalter eine gute Stoffwechselkontrolle zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Die
Merksätze
❖ Die alleinige Therapie mit Metformin führt nur bei etwa der Hälfte aller Kinder und Jugendlichen mit Typ-2-Diabetes zu einer anhaltenden glykämischen Kontrolle.
❖ Warum Metformin bei jungen Patienten häufiger versagt als bei erwachsenen Typ-2-Diabetikern, ist unklar.
❖ Die Mehrzahl der jugendlichen Typ-2-Diabetiker benötigt vermutlich schon innerhalb einiger Jahre nach Diagnosestellung entweder eine Kombinationsbehandlung oder Insulin.
physiologischen und psychologischen Veränderungen, die typischerweise in der Adoleszenz beobachtet werden, erfordern ein hohes Mass an familiärer Unterstützung und erschweren nicht selten das Erreichen strenger Therapieziele bei Heranwachsenden mit Diabetes. Noch grösser sind die Herausforderungen bei benachteiligten Menschen, die unter den Jugendlichen mit Typ-2Diabetes überrepräsentiert sind.
Studiendesign und Studienziel Bei der TODAY (Treatment Options for Type 2 Diabetes in Adolescents and Youth)-Studie handelt es sich um eine multizentrische, randomisierte klinische Studie, in die Kinder und Jugendliche mit Typ-2-Diabetes eingeschlossen wurden (Alter: 10–17 Jahre; BMI über der 85. alters- und geschlechtsentsprechenden Perzentile). Im Schnitt war der Typ-2-Diabetes bei den Teilnehmern 7,8 Monate vor Aufnahme in die Studie diagnostiziert worden. Alle Patienten wurden mit Metformin in einer Dosis von bis zu 1000 mg 2-mal täglich vorbehandelt, mit der ein HbA1c-Wert unter 8 Prozent angestrebt wurde. Nach der Run-in-Phase wurden die jungen Patienten randomisiert einem der folgenden Behandlungsarme zugeordnet: ❖ weiterhin Metforminmonotherapie ❖ Metformin plus Rosiglitazon (4 mg
2-mal täglich) ❖ Metformin plus Lebensstilinterven-
tion (mit dem Ziel einer Gewichtsreduktion durch Ernährungsumstellung und körperliche Aktivität). Primärer Endpunkt war der Verlust der glykämischen Kontrolle, definiert als HbA1c-Wert von 8 Prozent oder mehr über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten oder anhaltende metabolische Dekompensation, die eine Insulinbehandlung erforderlich machte.
Ergebnisse Von den 699 randomisierten Teilnehmern erreichten 319 (45,6%) den primären Endpunkt. Die mediane Zeit bis zum Therapieversagen lag bei 11,5 Monaten (Bereich: < 1 bis 66). Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit betrug 3,86 Jahre. Folgende Therapieversagensraten wurden in den verschiedenen Behandlungsarmen beobachtet: ❖ Metforminmonotherapie: 51,7 Pro- zent (120 von 232 Teilnehmern) ❖ Metformin plus Rosiglitazon: 38,6 Prozent (90 von 233 Teilnehmern) ❖ Metformin plus Lebensstilinterven- tion: 46,6 Prozent (109 von 234 Teilnehmern) Metformin plus Rosiglitazon war der Metforminmonotherapie überlegen (p = 0,006). Das Ergebnis unter Metformin plus Lebensstilintervention lag zwischen den Resultaten der beiden anderen Behandlungsgruppen, doch konnte kein signifikanter Unterschied im Vergleich zur Metforminmonotherapie oder zur Kombinationstherapie Metformin/Rosiglitazon festgestellt werden. Die verschiedenen Therapiestrategien waren bei bestimmten Patientensubgruppen unterschiedlich wirksam. So zeigte die Metforminmonotherapie bei schwarzen Nichthispaniern die geringste Wirksamkeit, während die Kombination aus Metformin plus Rosiglitazon bei Mädchen am besten wirkte. Ernste Nebenwirkungen wurden von 19,2 Prozent der Teilnehmer berichtet. Von Interesse ist auch die Gewichtsentwicklung der jungen Patienten unter den verschiedenen Therapiestrategien. Eine Reduktion um mindestens 7 Prozentpunkte des prozentualen Übergewichts wurde als bedeutsam angesehen. Der Anteil der Patienten mit einer solchen Gewichtsreduktion war nach 6 Monaten in der Metformin-Lebensstilinterventions-Gruppe signifikant höher (31,2%) als in der Metformin-Rosiglitazon-Gruppe (16,7%; p < 0,001), unter- 898 ARS MEDICI 17 ■ 2012 STUDIE REFERIERT schied sich jedoch nicht signifikant von dem Anteil der Patienten aus der Gruppe mit der Metforminmonotherapie (24,3%). Diskussion Die TODAY-Studie ergab, dass eine Metforminmonotherapie nur bei etwa 50 Prozent der Teilnehmer zu einer dauerhaften glykämischen Kontrolle führt. Modifikationen des Lebensstils bewirkten keine zusätzliche Besserung, während die Kombination aus Metformin plus Rosiglitazon die Dauer der glykämischen Kontrolle erhöhte. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Behandlungsoptionen schienen nicht auf eine unterschiedliche Therapieadhärenz zurückzuführen zu sein und konnten weder durch Patientenmerkmale zu Beginn der Studie noch durch unterschiedliche Effekte auf den BMI oder durch Unterschiede in den einzelnen Behandlungsgruppen hinsichtlich Insulinsekretion, Insulinsensitivität oder Körperzusammensetzung erklärt werden. Diabetesepidemie: Pillen allein reichen nicht Krankheiten, die aufgrund einer Überernährung im Kindesalter entstehen, sind ein gesellschaftliches und kulturelles Problem, das mit den heute verfügbaren Medikamenten behandelt, aber nicht gelöst werden kann, heisst es in einem Editorial zur TODAY-Studie. Kinder bewegen sich heute nicht genug und leben in einer Umgebung, in der ständig Kalorien verfügbar sind. Vor 50 Jahren waren Kinder nicht etwa deshalb normalgewichtig, weil sie sich bewusst für «gesunde» Lebensmittel entschieden, sondern weil sie in einer Umgebung aufwuchsen, in der man sich mehr bewegen musste und in der weniger Kalorien vorgesehen waren. Die Botschaft aus der TODAY-Studie lautet, dass wir mit der Typ-2-Diabetes-Epidemie nicht fertigwerden, indem wir immer mehr und immer bessere Pillen verschreiben. Vielmehr müssen wir in Zukunft durch ökonomische Anreize dafür sorgen, dass gesunde Lebensmittel produziert und auch gekauft werden und dass eine sichere Umgebung geschaffen wird, die körperliche Aktivität erforderlich macht, betont der Editorialist. David B. Allen: TODAY – a stark glimpse of tomorrow. New England Journal of Medicine 2012; 366: 2315–2316. In der TODAY-Studie kam es unter der Metforminmonotherapie häufiger zu einem Therapieversagen als in ähnlichen Kohorten erwachsener Patienten, die in früheren Studien untersucht wurden. Warum die Metforminbehandlung in der TODAY-Studie nur mässig effektiv war, ist unklar. An einer schlechten Therapieadhärenz scheint es jedenfalls nicht zu liegen: Die Adhärenz lag im ersten Behandlungsjahr bei 80 Prozent, und in diesem Zeitraum kam es bei der Hälfte der Patienten zum Therapieversagen. Zwischen den Teilnehmern mit Therapieadhärenz beziehungsweise Nonadhärenz gab es keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Verlusts der glykämischen Kontrolle. Es besteht weiterer Forschungsbedarf, um herauszufinden, warum Metformin bei Heranwachsenden zu einer geringeren Dauer der glykämischen Kontrolle führt als bei Erwachsenen. Möglicherweise spiegelt dies biologische oder/und pathophysiologische Unterschiede zwischen den beiden Altersgruppen wider, vermuten die Autoren. Die Metformin-Rosiglitazon-Kombinationstherapie führte seltener zu einem Therapieversagen als die Metforminmonotherapie, obwohl es in der mit Rosiglitazon behandelten Gruppe zu einer geringen Zunahme von BMI und Fettmasse gekommen war. Ob der in der TODAY-Studie gezeigte Effekt für Rosiglitazin spezifisch ist oder ob es sich um einen allgemeineren Effekt der Thiazolidindione handelt, ist unklar. Jedoch ist diese Frage angesichts des derzeit eingeschränkten Zulassungsstatus von Rosiglitazon in Europa und in den Vereinigten Staaten von besonderer Bedeutung. Das für die TODAY-Studie entwickelte Lebensstilprogramm setzte sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die von speziell geschultem Personal vermittelt wurden. Die Teilnahmerate der Jugendlichen an diesem Programm war gut. Obwohl die Kombination aus Metformin plus Lebensstilintervention zu einer signifikanten Abnahme des prozentualen Übergewichts führte, schlug sich dies im Vergleich zur Metforminmonotherapie nicht in einer anhaltenden glykämischen Kontrolle nieder. In weiteren Untersuchungen sollte geklärt werden, welche Effekte die verschiedenen Kom- ponenten der Lebenstilumstellung haben, damit wirksame Verhaltensweisen entwickelt werden können, die sich bei jugendlichen Typ-2-Diabetikern in das Patientenselbstmanagement integrieren lassen. Schlussfolgerung Die Metforminmonotherapie war bei ungefähr der Hälfte der Kinder und Heranwachsenden mit Typ-2-Diabetes mit einer dauerhaften glykämischen Kontrolle assoziiert. Die zusätzliche Gabe des (heute in der Schweiz und in verschiedenen anderen Ländern nicht mehr zugelassenen, Anm. d. Red.) ora- len Antidiabetikums Rosiglitazon war der Metforminmonotherapie über- legen. Dies traf für zusätzlich vorge- nommene intensive Lebensstilinterven- tionen nicht zu. Die Ergebnisse der TODAY-Studie las- sen vermuten, dass die Mehrheit der jungen Typ-2-Diabetiker innerhalb einiger Jahre nach Diagnosestellung entweder eine Kombinations- oder eine Insulintherapie benötigt, fassen die Autoren zusammen. ❖ Andrea Wülker Quelle: Phil Zeitler et al.: A clinical trial to maintain glycemic control in youth with type 2 diabetes. The New England Journal of Medicine 2012; 366: 2247–2256. Interessenkonflikt: Einige Autoren geben an, von verschiedenen Pharmaunternehmen Beraterhonorare oder Forschungsgelder erhalten zu haben. ARS MEDICI 17 ■ 2012 899