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UEG-Week
Therapie des Reizdarmsyndroms
Herangehensweise je nach Syndromtyp
Foto: vh
Die Behandlung des Reizdarmsyndroms gleicht einem Herantasten über mehrere Stufen. Dies brauche viel Zeit, und je besser die Arzt-Patienten-Beziehung dabei sei, um so mehr Aussicht auf Erfolg bestehe, wie Prof. Magnus Simrén, Department of Internal Medicine, Sahlgrenska Academy, University of Gothenburg (S), an der UEG-Week erklärte. Welche Optionen in der Therapie des Reizdarmsyndroms heute zur Verfügung stehen, war Thema seiner Übersicht.
Für das Reizdarmsyndrom (irritable bowel
syndrome, IBS) gibt es keine Biomarker, es ist
nach den Rom-IV-Kriterien eine Kombination
aus Abdominalschmerzen und abnormalen
Stuhlgewohnheiten. Dabei kann als Sympto-
matik die Obstipation oder die Diarrhö vor-
herrschen oder eine Mischung aus beidem (1).
Die Reizdarmsyndrom-Typen könnten im Zeit-
verlauf auch ändern, wie Simrén ausführte.
Prof. Magnus Simrén
Weil funktionelle Darmstörungen wie das IBS ein Produkt verschiedener Einflüsse sind, wie
beispielsweise der genetischen Prädisposition, psychosozialer
Faktoren, abnormaler Darmmotilität, viszeraler Hypersensi-
bilität, Entzündung und Mikrobiom, werden sie heute auch
als Störungen der Darm-Hirn-Interaktion bezeichnet. Ent-
sprechend ist das Vorgehen bei IBS auch multifaktoriell. An
erster Stelle steht dabei die Etablierung einer Arzt-Patienten-
Beziehung, danach folgen die medizinische, die persönliche
und die Familienanamnese. Des Weiteren liefern die Abklä-
rung der Lebensqualität, des Funktionierens im Alltag und
des psychosozialen Hintergrunds wichtige Entscheidungs-
grundlagen für die spätere Therapie. Die Diagnose soll dem
Patienten gut und empathisch erklärt werden. Je besser die
Arzt-Patienten-Beziehung ist, desto weniger Ärzte werden
von diesem Patienten besucht. Für den Patienten sei es sehr
wichtig, dass sein Leiden einen Namen erhalte, so Simrén.
Die daraus folgenden Massnahmen sollten realistische Ziele
enthalten, die auf die Bedürfnisse und die am meisten stö-
rende Symptomatik abgestimmt sind. Der Zusammenhang
von Darm und Hirn sollte erklärt werden und damit auch die
Einflussmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen. Eine Hei-
lung des IBS ist heute noch nicht möglich.
KURZ & BÜNDIG
Bei IBS ist die Arzt-Patienten-Beziehung wichtig. Die Therapie besteht aus verschiedenen Komponenten und
richtet sich stets nach dem vorherrschenden Symptom. Psychologische Behandlungsoptionen haben eine tiefe NNT.
Möglichen Einfluss der Ernährung berücksichtigen
Ernährung ist bei Patienten mit IBS ein zentrales Thema, viele von ihnen ordnen ihre Symptome verschiedenen Nahrungsmitteln zu. Nach der Abklärung der Ernährungsgewohnheiten und nach Ausschluss einer Zöliakie, von Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Allergien kann eine Änderung der Ernährungszusammenstellung versucht werden. Bringt die Veränderung nicht den erwünschten Erfolg, besteht der nächste Schritt aus der Durchführung einer FODMAP-Diät (FODMAP = fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole). Diese besteht aus drei Phasen: 1. Restriktion der fraglichen Nahrungsmittel, 2. deren Wiedereinführung zur Kontrolle, wie viel davon vertragen wird, und 3. dem Langzeiternährungsplan. Um diese relativ komplizierte Diät korrekt durchführen zu können, sei die Unterstützung einer Ernährungsberaterin hilfreich, so der Tipp von Simrén. Der Zusatz von Probiotika ist einen Versuch wert. Eine Verbesserung der globalen IBS-Symptomatik und des Abdominalschmerzes im Vergleich zu Plazebo konnte verschiedentlich mit Stämmen von Lactobacillus, Bifidobakterien, Escherichia, Streptokokken oder Saccharomyces gezeigt werden (2, 3). Weil es jedoch keine direkten Vergleichsstudien gebe, sei eine konkrete Empfehlung schwierig, so Simrén.
Medikamentöse Massnahmen stufenweise einsetzen
Sind die Symptome mit reiner Ernährungsumstellung nicht beherrschbar, braucht es medikamentöse Unterstützung. Die Wahl der Pharmakotherapie richtet sich dabei nach dem jeweils vorherrschenden Symptom: Obstipation, Diarrhö, Blähungen, Schmerzen und psychologische Symptome (4) (Tabelle). Bei IBS vom Diarrhötyp steht an erster Stelle der Einsatz von Loperamid. Bringt das nicht die erwünschte Linderung, können moderne Pharmakotherapeutika eingesetzt werden, sie bringen bei mehreren Symptomen Linderung. Dazu gehören 5-HT3-Antagonisten wie z. B. Ondansetron und Alosetron mit Einsatzgebiet bei vorherrschender Diarrhö- und Schmerzsymptomatik. Rifaximin und Eluxadolin können bei Diarrhö-, Schmerz- und Blähungssymptomen sowie Völlegefühl eingesetzt werden. Für Patienten mit schwerer und refraktärer Symptomatik sind zentral wirksame Therapeutika hilfreich, wie beispiels-
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Tabelle: Pharmakologische Therapie bei Reizdarmsyndrom (IBS)
je nach vorherrschendem Symptom
Diarrhö
Schmerz
Blähungen und Völlegefühl
1. Stufe: Loperamid (Imodium®, div. Generika)
2. Stufe: 5-HT3Antagonisten (Ondansetron, [Zofran®, div. Generika], Alosetron)
1. Stufe: 5-HT3Antagonisten (Ondansetron, [Zofran®, div. Generika], Alosetron)
3. Stufe:
Rifaximin (Xifaxan®) Eluxadolin (Truberzi®)
4. Stufe:
Gallensäurebinder
2. Stufe:
1. Stufe:
Rifaximin
Rifaximin
(Xifaxan®)
(Xifaxan®)
Eluxadolin
Eluxadolin
(Truberzi®)
(Truberzi®)
3. Stufe:
2. Stufe:
Linaclotid
Linaclotid
(Axulta®,
(Axulta®,
Constella®)
Constella®)
Lubiproston
Lubiproston
(Amitiza®)
(Amitiza®)
5-HT4-Agonisten 5-HT4-Agonisten 4. Stufe:
Spasmolytika,
Antidepressiva
Obstipation
Linaclotid (Axulta®, Constella®) Lubiproston (Amitiza®) 5-HT4-Agonisten
Refraktäre Symptome mit oder ohne psychologischer und extratestinaler Komorbidität
1. Stufe: Psychotropika: SSRI bei Ängstlichkeit, Depression: Paroxetin, Fluoxetin, Sertralin, Citalopram, Escitalopram TZA bei Schmerz: Amitriptylin, Nortriptylin, Imipramin, Desipramin Tretazyklische Antidepressiva bei früher Sättigung, Nausea/Erbrechen, Gewichtsverlust, Schlafströrung: Mirtazapin, Mianserin, Trazodon SNRI bei Schmerz: Duloxetin, Venlafaxin, Desvenlafaxin, Milnacipran andere Psychotropika 2. Stufe: Pregabalin Gabapentin
3. Stufe: Augmentationstherapie
4. Stufe: kognitive Verhaltenstherapie, Hypnotherapie, Psychotherapie
Abkürzungen: SSRI: Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; SNRI: Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer; TZA: trizyklische Antidepressiva Quelle: Prof. M. Simrén, UEG-Week 2019, Barcelona und modifiziert nach (4, 5)
weise Psychotropika beziehungsweise Neuromodulatoren, wie sie in diesem Zusammenhang genannt werden. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sind bei Patienten mit funktionalen gastrointestinalen Störungen mit vorherrschender Ängstlichkeit und Depression gebräuchlich. Sie eignen sich weniger gut, wenn Schmerzen das Hauptsymptom sind. In diesem Fall kommen trizyklische Antidepressiva zum Zug. Tetrazyklische Antidepressiva eignen sich bei vorherrschenden Symptomen des oberen Gastrointestinaltrakts, wie frühe Sättigung, Nausea und Erbrechen, sowie bei Gewichtsverlust und Schlafstörungen (5). Diese Neuromodulatoren sollten bei einer tiefen Dosierung auftitriert werden. Eine Vorbereitung des Patienten auf initial auftretende Nebenwirkungen erhöht dabei die Chancen auf eine gute Adhärenz. Bei schlechtem Ansprechen könnten auch Vorbehalte des Patienten gegen eine Psychopharmakotherapie der Grund sein. Ist die Wirkung nicht zufriedenstellend oder sind die Nebenwirkungen zu störend, können ein Wechsel zu einer anderen Substanzklasse, eine Kombination oder eine Augmentation die weiteren Schritte sein. Spricht der Patient gut an, sollte die
minimal wirksame Dosis für mindestens 6 bis 12 Monate
oder länger fortgesetzt werden. Entschliesst man sich, die
Therapie zu stoppen, muss langsam ausgeschlichen werden,
um Entzugssymptome zu vermeiden.
Psychologische Therapien wie beispielsweise kognitive Ver-
haltenstherapie und Hypnotherapie bringen bei IBS-Patien-
ten einen guten Nutzen mit tiefer NNT (number needed to
treat) von 3 beziehungsweise 4, wie ein systematischer Re-
view mit Metaanalyse zeigte (6).
Es gibt aber auch Patienten, denen all diese Massnahmen
nicht helfen. Bei ihnen sei es wichtig, eine patientenzentrierte
Therapie anzubieten, die aus bisherigen Komponenten, aber
in einer anderen Form oder Dosierung bestehen könne, so
Simrén abschliessend.
L
Valérie Herzog
Quelle: «IBS». United European Gastroenterology Week (UEGW) 2019, 21. bis 23. Oktober in Barcelona.
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Referenzen: 1. Lacy BE et al.: Bowel disorders. Gastroenterology 2016; 150:
1393–1407. 2. McFarland LV et al.: Meta-analysis of probiotics for the treat-
ment of irritable bowel syndrome. World J Gastroenterol 2008; 14: 2650–2661. 3. Ford AC et al.: Efficacy of prebiotics, probiotics, and synbiotics in irritable bowel syndrome and chronic idiopathic constipation: systematic review and meta-analysis. Am J Gastroenterol 2014; 1547–1561. 4. Simrén M et al.: Management of the multiple symptoms of irritable bowel syndrome. Lancet Gastroenterol Hepatol 2017; 2: 112–122. 5. Drossman DA et al.: Neuromodulators for Functional Gastrointestinal Disorders (Disorders of Gut-Brain Interaction): A Rome Foundation Working Team Report. Gatsroenterology 2018; 154: 1140–1171. 6. Ford AC et al.: Effect of antidepressants and psychological therapies, including hypnotherapy, in irritable bowel syndrome: systematic review and meta-analysis. Am J Gestroenterol 2014; 109: 1350–1365.
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