Transkript
UEG-Week
Chronische Diarrhö
Update der therapeutischen Möglichkeiten
In der Therapie der chronischen Diarrhö gab es im Verlauf des letzten Jahres einige Entwicklungen. Angefangen bei der Erkenntnis, dass die Behandlung des diarrhölastigen Reizdarmsyndroms und der funktionellen Diarrhö nicht unterschiedlich sein müssen, bis zu aufregenden neuen Optionen, stellte PD Dr. Jutta Keller vom Israelitischen Krankenhaus in Hamburg (D) die neuesten Resultate an der UEGWeek vor.
Eine chronische Diarrhö ist gemäss den Rom-IV-Kriterien definiert durch bereits seit drei Monaten auftretende Stuhlinkontinenz oder wässrige Stühle, ohne Abdominalschmerzen oder störende Blähungen bei mehr als einem Viertel der Stühle (1). Von der funktionellen Diarrhö abgegrenzt werden Patienten mit diarrhölastigem Reizdarmsyndrom (irritable bowel syndrome, IBS), bei dem der Abdominalschmerz das vorherrschende Symptom ist (1). Nach den Rom-IV-Kriterien liege die Inzidenz von IBS bei etwa 1,5 Prozent, von diarrhölastigem IBS (IBS-D) bei etwa 0,5 Prozent und der funktionellen Diarrhö bei etwa 0,005 Prozent, berichtete Keller. Die therapeutischen Optionen scheinen aber für beide Entitäten – IBS-D und funktionelle Diarrhö – gleichermassen zu gelten (2), so Keller.
Therapie mit Probiotika
Ausgehend von der Überlegung, dass IBS-D einer Multi-Target-Erkrankung entspricht, ist in einer Studie ein Probiotikum mit 14 verschiedenen Bakterienstämmen, vorwiegend Lactobazillus- und Bifidobakterienspezies, versus Plazebo bei 400 IBS-D-Patienten für eine Zeitdauer von 16 Wochen untersucht worden. Die Patienten der Verumgruppe gaben im Vergleich zur Plazebogruppe eine deutliche Verbesserung der Abdominalschmerzen, der Stuhlfrequenz und der Lebensqualität an (3). Ein weiteres Probiotikumgemisch mit 11 Bakterienstämmen, ebenfalls vorwiegend Lactobazillus- und Bi-
KURZ & BÜNDIG
IBS-D und funktionelle Diarrhö sind ein Kontinuum, bei beiden Entitäten können die gleichen Therapien verwendet werden.
Multispeziesprobiotika mit vorwiegend Lactobazillen und Bifidobakterien sollten als Therapie erster Wahl verwendet werden.
Glutamin ist eine spannende neue Option bei postinfektiösem IBS-D.
fidobakterienspezies, wurde bei 172 Frauen mit IBS-D versus Plazebo getestet. Dieses führte nach 8 Wochen zu einer Veränderung des Mikrobioms, vor allem zu einer signifikanten Reduktion von Bilophila bei Patienten mit reduziertem Schmerz. Patienten mit verbesserten Entzündungsparametern hatten signifikant mehr Faecalibacteria, Leuconostoc und Odoribacter, verglichen mit Nonrespondern. Die Auswirkung auf die Symptome war jedoch insgesamt gering (4). Eine kürzlich publizierte Metaanalyse über 14 randomisiert kontrollierte Studien mit insgesamt 1695 Patienten kam nun zum Schluss, dass Multispeziesprobiotika in Bezug auf die Ansprechrate besser sind als Singlespeziesprobiotika und dabei die Dosis von 109 bis 1010 CFU (colony forming units) die wirksamste ist. Die Kombination von Lactobazillus und Bifidobacterium spp. (1010 CFU, 8 Wochen) bei IBS-D-Patienten schnitt signifikant besser ab als Plazebo. Vor dem Hintergrund, dass die Probiotikumgabe eine sichere Option zur Linderung der IBS-Symptome darstelle, sollte diese Kombination demnach als Therapie der ersten Wahl bei IBS-D gelten (5), so Keller.
Stuhltransplantation, Arzneipflanzen und Glutamin
Neben der Therapie mit Probiotika werden andere Massnahmen für die Behandlung der chronischen Diarrhö erprobt, wie beispielsweise die Stuhltransplantation. Die Resultate aus verschiedenen Studien seien jedoch inkonsistent, sodass zurzeit nicht klar sei, ob sich aus dieser Therapie einen Vorteil ergebe. Eine weitere interessante Therapieoption stellt die seit etwa 1000 Jahren bei Diarrhö und Schmerzen im asiatischen Raum häufig verwendete chinesische Heilpflanze (Samryungbaekchul-san) dar. Deren Wirkung wurde bei 80 IBS-DPatienten in einer randomisierten, kontrollierten Studie mit Plazebo, mit einer Kombination mit dem Muskelrelaxans Otiloniumbromid und mit dem Muskelrelaxans allein verglichen. Während bei der globalen IBS-D-Symptomatik nach 4 Wochen kein Unterschied zwischen den Gruppen feststellbar war, war im sekundären Endpunkt bei den einzelnen Symptomen Abdominalschmerz, Unwohlsein, Schmerzhäufigkeit und Stuhlform die Kombination dem Muskelrelaxans überlegen (6).
22 CongressSelection Gastroenterologie | Januar 2020
UEG-Week
Eindrücklich sind des Weiteren die Ergebnisse einer Studie
mit Glutamin bei Patienten, die im Vorfeld an einer bakteriel-
len Gastroenteritis erkrankt waren. Sie haben wegen der da-
raus folgenden erhöhten Darmpermeabilität ein erhöhtes Ri-
siko, eine IBS-D zu entwickeln. Als Bestandteil von Proteinen
und als Energieträger ist Glutamin unter anderem für die
Aufrechterhaltung der Barrierefunktion der Darmschleim-
haut wichtig. In einer doppelblind randomisierten Studie er-
hielten 106 Patienten während 8 Wochen Glutamin 5 g/Tag
oder Plazebo. Der primäre Endpunkt bestand aus einer Re-
duktion von mehr als 50 Punkten im IBS-SS (irritable bowel
syndrome severity scoring system), sekundäre Endpunkte
waren Verbesserungen im IBS-SS, bei der Stuhlfrequenz, der
Stuhlform und der Darmpermeabilität. Nach Studienende
war in der Glutamingruppe der primäre Endpunkt bei 43
(79,6%) Teilnehmern erreicht, unter Plazebo bei 3 (5,8%).
Glutamin reduzierte gegenüber Plazebo auch sämtliche se-
kundäre Endpunkte signifikant. Die Nebenwirkungsrate war
tief und auf ähnlichem Niveau wie Plazebo, es wurden keine
schweren Nebenwirkungen beobachtet (7). Diese Resultate
seien beeindruckend, obwohl die Anzahl der Teilnehmer tief
und sehr selektiv gewesen sei, kommentierte Keller das Er-
gebnis. Eine grössere, randomisiert kontrollierte Studie
müsse nun diese Wirkung auch bei anderen Typen des IBS-D
bestätigen.
L
Quelle: «Diarrhea – what’s new in 2019?». United European Gastroenterology
Week (UEGW) 2019, 21. bis 23. Oktober in Barcelona.
Referenzen: 1. Lacy BE et al.: Bowel disorders. Gastroenterology 2016; 150:
1393–1407. 2. Singh P et al.: Similarities in clinical and psychosocial characte-
ristics of functional diarrhea and irritable bowel syndrome with diarrhea. Clin Gastroenterol Hepatol 2019, Aug 20; Epub ahead of print. 3. Ishaque SM et al.: A randomized placebo-controlled clinical trial of a multi-strain probiotic formulation (Bio-Kult®) in the management of diarrhea-predominant irritable bowel syndrome. BMC Gastroenterol 2018; 18: 71. 4. Hod K et al.: The effect of a multispecies probiotic on microbiota composition in a clinical trial of patients with diarrhea-predominant irritable bowel syndrome. Neurogastroenterol Motil 2018; 30; e13456. 5. Liang D et al.: Efficacy of different probiotic protocols in irritable bowel syndrome: A network meta-analysis. Medicine 2019; 98: e16068. 6. Lee JH et al.: Effect of samryungbaekchul-san combined with otilonium bromide on diarrhea-predominant irritable bowel syndrome: a pilot randomized controlled trial. J Clin Med 2019, Sep 27; 8(10): pii E1558. 7. Zhou Q et al.: Randomised placebo-controlled trial of dietary glutamine supplements for postinfectious irritable bowel syndrome. Gut 2019; 68: 996–1002.
Valérie Herzog
CongressSelection Gastroenterologie | Januar 2020
23