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UEG-Week
«Man muss sich bei der Behandlung Zeit lassen»
Foto: zVg
Am letzten Jahreskongress der United European Gastroenterology, der UEG-Week, in Barcelona kamen 13 204 Teilnehmer aus 122 Ländern zusammen, um sich aus 1065 Vorträgen und 2618 Abstracts über die neuesten Entwicklungen und Massgaben zu orientieren. Wir präsentieren Ihnen in diesem Heft eine kleine Auswahl davon und haben Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler, Direktor der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, nach seinen Kongresshighlights befragt.
Was fanden Sie am Kongress interessant und
auch relevant für den Hausarzt?
Prof. Gerhard Rogler: Eine Studie des EP-IBD-
Konsortiums zeigte, dass ein nicht unerheblicher
Teil von Patienten mit Morbus Crohn einen sehr
milden Verlauf hat und keine Immunhemmer
braucht. Für Impfungen muss festgehalten wer-
den, dass die Impfantwort bei Patienten mit
Immunsuppression schlechter ist und man –
Prof. Gerhard Rogler
wenn möglich – eine Impfung mehr machen oder Titer bestimmen sollte. Die Studien zur
Hochdosis-Induktionstherapie mit Adalimumab bei Crohn
und Colitis waren negativ, was überraschend ist.
Wie behandelt man heute chronisch entzündliche Darmerkrankungen (IBD)? Sollte mit Biologika bereits früh begonnen werden? Rogler: Nein. Man muss sich schon etwas Zeit lassen, um die Schwere der Erkrankung zu beurteilen. Nur etwa 20 bis 30 Prozent aller Patienten brauchen langfristig Biologika. Diese sollte man frühzeitig identifizieren. Man muss immer eine individuelle Nutzen-Risiko-Analyse durchführen. Das Konzept vom «window of opportunity» wurde bisher weder vernünftig belegt noch halte ich es für plausibel.
Dürfen es auch Biosimilars sein? Welche stehen zur Verfügung? Rogler: Aber sicher dürfen es Biosimilars sein. Die bisherigen Studien zeigen, dass mit der Verwendung von Biosimilars keine Nachteile verbunden sind. Interessant dürfte sein, dass an der UEG-Week erneut positive Daten für ein Infliximab-Biosimilar gezeigt wurden, das subkutan als Spritze verabreicht werden kann. Allerdings finde ich, dass die Krankenkassen in der Schweiz den Nutzen der Biosimilars auch für die Patienten spürbar machen sollten. Von den eingesparten Kosten muss wieder etwas an das Gesundheitssystem zurückgegeben werden. Derzeit gibt es drei Biosimilars für Anti-TNF-Therapien im Bereich IBD, aber es werden immer mehr.
Müssen IBD-Therapien lebenslang gegeben werden, oder kann man sie irgendwann stoppen? Was ist dabei der Massstab? Rogler: Nach 3 Jahren einer stabilen Remission kann man durchaus über einen Therapiestopp nachdenken. Es gibt inzwischen gute Möglichkeiten, das Risiko für einen Schub nach Absetzen abzuschätzen. So hat die STORI-Studie von
Eduoard Louis gezeigt, dass das Risiko eines erneuten Schubes sehr klein ist, wenn sich Calprotectin und CRP normalisiert haben, der Hämoglobin- und der Leukozytenwert im Blutbild im Normbereich sind und wenn Endoskopie und Ultraschall unauffällig sind. Wenn also eine Schleimhautheilung eingetreten ist, ist das Risiko für einen erneuten Schub klein, und ein Therapiestopp kann versucht werden. Sollte es dennoch wieder zu Krankheitsaktivität kommen, liegen die Erfolgsaussichten für einen erneuten Therapiestart bei 90 Prozent. Man kann also durchaus unter den geschilderten Voraussetzungen ohne grosses Risiko einen Therapiestopp erwägen.
Themenwechsel zum Mikrobiom: Lässt sich dieses für therapeutische Zwecke verändern? Rogler: Ja. Ich bin überzeugt, dass das längerfristig möglich sein wird. Die aktuellen Methoden, wie Probiotika oder Stuhltransplantation, nutzen die Möglichkeiten, die eine Mikrobiomtherapie eröffnet, jedoch noch sehr beschränkt. Die Firma PharmaBiome, ein Start-up der ETH, entwickelt zurzeit Mikrobiomtherapien als Alternative zur Stuhltransplantation. Die Entwicklung wird noch Zeit brauchen. Die Stuhltransplantation selbst ist nur ein Hilfsmittel.
Können Probiotika einen therapeutischen Nutzen bringen? Rogler: In bestimmten Indikationen schon. Sie können beispielsweise die Nebenwirkung eines Durchfalls bei Antibiotikatherapien reduzieren. Sie können auch die Remission bei Colitis ulcerosa erhalten (Mutaflor® wurde hier positiv getestet). Es gibt aber wenige qualitativ gute Studien zu Probiotika und zu viele verschiedene Präparate, die schlecht untersucht sind. Zudem wird die Funktion des Stuhlmikrobioms mit Probiotika nicht gezielt und langfristig verändert. Es braucht komplette und stabile Mikrobiota-Ökosysteme für gezielte und in der Wirkung anhaltende Interventionen für die meisten komplexen Erkrankungen.
Spielen Probiotika auch zur Unterstützung der antibiotischen H.-pylori-Eradikation eine Rolle? Rogler: Wie erwähnt, lassen sich die Antibiotikanebenwirkungen reduzieren. Das lohnt sich also. Wenn nur noch die Hälfte der Patienten bei der Eradikation unter Durchfall leidet, verbessert das die Adhärenz und den Therapieerfolg. L
Das Interview führte Valérie Herzog.
2 CongressSelection Gastroenterologie | Januar 2020