Transkript
BERICHT
Bariatrische Chirurgie
Wenn Diäten nicht mehr helfen
Adipositas induziert oder verschlechtert manche Erkrankung, die im Gegenzug nach Gewichtsabnahme auch wieder besser wird oder gar verschwindet. Auch zur kardiovaskulären Prävention gehört unter anderem das Gewichtsmanagement. Wenn Diäten erfolglos bleiben, kann mit einer bariatrischen Operation die sich zuspitzende Situation dennoch entschärft werden. Am Präventionssymposium des Universitätsspitals Zürich berichtete Prof. Marco Bueter, Leiter Bariatrisches Programm, Universitätsspital Zürich, über die heute gängigen Methoden.
Weltweit haben sich die bariatrischen Eingriffe zur Gewichtsreduktion in den letzten zehn Jahren von 344 000 auf über 685 000 fast verdoppelt. In der Schweiz war der Anstieg gemäss Bueter seit 2011, mit Beginn der Leistungspflicht der Krankenkassen, ähnlich stark: von jährlich 2225 auf 4800 Operationen. Die bariatrische Chirurgie ist eine sehr effiziente Methode zum Gewichtsverlust. «Nach dem Eingriff ist es über längere Zeit möglich, die erreichte Gewichtsreduktion einigermassen zu halten», so Bueter. Gemäss der prospektiven, 15 Jahre dauernden Studie SOS (Swedish Obese Subjects) mit über 4000 adipösen Teilnehmern konnte in den ersten 2 Jahren je nach Eingriff eine Gewichtsreduktion von 20 bis 32 Prozent erreicht werden. Die Kontrollen ohne Bariatrie veränderten ihr Gewicht dagegen nicht. Nach 10 Jahren hatte sich der Gewichtsverlust auf 14 bis 25 Prozent eingependelt. Die grösste Gewichtsabnahme war bei Patienten mit Magenbypass zu sehen. Der Gewichtsverlust wirkte sich auch auf die Mortalität aus: Diese war in der Bariatriegruppe nach 11 Jahren um 29 Prozent geringer als in der Kontrollgruppe. Dabei waren Krebs und Herzinfarkte die häufigsten Todesursachen (1). Mit einer Gewichtsabnahme besserten sich auch viele bestehende Begleiterkrankungen, wie beispielsweise Asthma, metabolisches Syndrom, nicht alkoholische Fettleber, Typ-2-Diabetes, Stressinkontinenz, degenerative Gelenkerkrankungen, gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) oder Schlafapnoe, und das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse sinke, so Bueter.
Magenbypass oder Schlauchmagen?
Gemäss den Zahlen der Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders (SMOB) wird in der Schweiz unter den bariatrischen Eingriffen mit grossem Abstand am häufigsten der Magenbypass (Roux-en-Y gastric bypass) durchgeführt, danach folgen der Schlauchmagen
KURZ & BÜNDIG
� Bariatrische Chirurgie ist häufig und in der Regel auch sicher.
� Das Risiko für GERD und Barrett-Ösophagus ist nach einer Schlauchmagenoperation erhöht.
� Die Zukunft liegt in Kombinationstherapien.
(sleeve gastrectomy) und noch einige wenige Magenbandeinsätze. Welche der beiden führenden Methoden das Gewicht stärker und nachhaltiger senkt, untersuchte eine Schweizer Studie mit 217 Patienten aus vier bariatrischen Zentren, die sich einer Magenbypass- (n = 110) oder einer Schlauchmagenoperation (n = 107) unterzogen. 5 Jahre später unterschied sich die mit den beiden Methoden erreichte BMI-Reduktion nicht signifikant (68 vs. 61%). Als Nebeneffekt waren nach Magenbypass mehr Patienten vom Magenreflux befreit als nach der Anlage eines Schlauchmagens (60 vs. 25%) – worunter sich der Reflux im Gegenteil häufiger noch verschlechterte (2). De-novo-Sodbrennen ist ein Problem, das nach einer Schlauchmagenoperation häufig auftritt. In einer italienischen Studie mit 110 Patienten hat sich der Anteil der Patienten mit GERD-Symptomen 5 Jahre nach dem Eingriff verdoppelt, und bei 17 Prozent der Patienten trat neu ein Barrett-Ösophagus auf (3). Weil das Auftreten eines Barrett-Ösophagus unabhängig von vorbestehenden GERD-Symptomen war, empfehlen die Studienautoren, routinemässige postoperative endoskopische Kontrollen bei allen Schlauchmagenpatienten durchzuführen (3).
Kein Entweder-oder
Für Patienten mit BMI > 35 kg/m2 ist nach 2 Jahren erfolgloser
konservativer Therapie ein bariatrischer Eingriff in einem ak-
kreditierten Zentrum möglich und wird von der Krankenkasse
übernommen. 2016 sprach sich das Swiss Medical Board
dafür aus, dass Patienten mit BMI > 35 kg/m2 nach sorgfälti-
ger Beurteilung eine bariatrische Operation angeboten werden
sollte, ebenso Patienten mit BMI 30 bis 35 und vorhandener
Komorbidität wie Typ-2-Diabetes (4). Mittlerweile gibt es
auch Antidiabetika, die zusätzlich gewichtssenkend wirken.
Daher sollten adipöse Patienten mit Komorbiditäten optima-
lerweise in Zukunft nicht entweder eine bariatrische oder eine
konservative Therapie erhalten, sondern die Kombination aus
beidem, so Bueter abschliessend.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Bariatrische Chirurgie – wenn Diäten nicht mehr helfen», Präventionssymposium des Universitätsspitals Zürich, 13. Juni 2019 in Zürich.
Referenzen: 1. Sjöström L et al.: Effects of Bariatric Surgery on Mortality in
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BERICHT
Swedish Obese Subjects. N Engl J Med 2007; 357: 741–752. 2. Peterli R et al.: Effect of laparoscopic sleeve gastrectomy vs lapa-
roscopic Roux-en-Y gastric bypass on weight loss in patients with morbid obesity: The SM-BOSS randomized clinical trial. JAMA 2018; 319; 255–265. 3. Genco A et al.: Gastroesophageal reflux disease and Barrett›s esophagus after laparoscopic sleeve gastrectomy: a possible, un-
derestimated long-term complication. Surg Obes Relat Dis 2017; 13: 568 – 574. 4. Bariatrische Chirurgie vs. nicht-operative Behandlung bei Adipositas und Übergewicht (2016). www.swissmedicalboard.ch. Letzter Zugriff: 23.7.19.
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