Transkript
FORTBILDUNG
Schmerztherapie bei Knochenmetastasen
Radiotherapie ist wirksam, wird aber noch zu selten angewendet
Tumormetastasen befallen sehr häufig das Skelett,
und mehr als die Hälfte der Patienten leidet deswegen
unter Schmerzen. Während nichtsteroidale Analge-
tika, Opiate und Opioide sowie Bisphosphonate in der
Therapie weitverbreitet sind, wird das Potenzial
radiologischer Interventionen heutzutage noch unter-
schätzt und zu selten genutzt, so die Autoren einer
kürzlich publizierten Übersichtsarbeit.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Knochenmetastasen sind sehr häufig, insbesondere bei Mamma-, Lungen- und Prostatakarzinomen. Schmerzen, pathologische Frakturen, Nervenwurzel- oder Rückenmarkskompression sowie Hyperkalzämie sind die Folge. Durch Knochenmetastasen verursachte Schmerzen können mitunter sogar das erste Symptom einer Tumorerkrankung sein. Die Schmerzen sind in der Regel gut lokalisierbar, radikuläre oder übertragene Schmerzen (Entstehungs- und Empfindungsort des Schmerzes sind nicht identisch) sind eher selten. Die Patienten beschreiben diesen Schmerz als konstant und dumpf, verstärkt bei Belastung oder in der Nacht. Bei der klinischen Untersuchung findet sich oft ein Perkussionsschmerz an der von der Metastase befallenen Stelle des Knochens. Nervenwurzelkompressionen führen zu neuropathischen Schmerzen, die als einschiessend, schneidend und brennend beschrieben werden und in den entsprechenden Dermatomen auftreten. Die Rückenmarkskompression ist ein Notfall, der rasches Eingreifen erfordert, um irreversible Folgen wie Paraplegie oder Inkontinenz zu verhindern. Die Bestätigung der Diagnose erfolgt mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRI). Die Patienten sollten mit Dexamethason (4 mg 4 × tgl.) behandelt und umgehend an einen Spezialisten überwiesen werden (Neurochirurgie und/oder onkologische Radiologie). Metastasen in der Wirbelsäule kommen am häufigsten bei Mamma-, Lungen-, Prostata- und Nierenzellkarzinomen vor. Typische
Symptome einer Rückenmarkskompression sind neu auftretender oder stärker werdender Rückenschmerz, Stuhlinkontinenz, Harnverhalt, Muskelschwäche oder -spastizität, Hyperreflexie und Parästhesien.
Bildgebende Verfahren zur Abklärung von Knochenmetastasen Die Abklärung von Knochenschmerzen erfolgt in erster Linie mithilfe bildgebender Verfahren. Laborparameter wie Tumormarker oder erhöhte Serumkonzentrationen von Kalzium und alkalischer Phosphatase sind allenfalls nützlich bei Verdacht auf Knochenmetastasen aufgrund bildgebender Verfahren. Biopsien kommen infrage, wenn kein Primärtumor bekannt ist. Um Metastasen im axialen Skelett zu entdecken, ist die MRI das ideale Verfahren mit einer Sensitivität von 100 und einer Spezifität von 88 Prozent. Im Röntgenbild sind Tumormetastasen erst zu erkennen, wenn mehr als die Hälfte der Knochenstruktur zerstört ist. Die niedrige Sensitivität (46%) und Spezifität (32%) des Röntgens für Knochenmetastasen bedingt in der Regel weitere Abklärungen. In der Skelettszintigrafie werden zwar die Orte erhöhter Osteoblastenaktivität sichtbar, wie sie auch für Tumormetastasen typisch ist (siehe Abbildung), aber die Methode erlaubt keine Unterscheidung von benignen Vorgängen, die ebenfalls mit einer erhöhten Osteoblastenaktivität einhergehen. Dazu gehören beispielsweise die Osteoarthritis oder ausheilende Frakturen.
Merksätze
■ Knochenmetastasen sind sehr häufig und in den meisten Fällen schmerzhaft.
■ Um Metastasen im axialen Skelett zu entdecken, ist die MRI das beste Verfahren.
■ Die Schmerztherapie folgt den Regeln der WHO-Stufentherapie. Bisphosphonate können zusätzlich hilfreich sein.
■ Die Radiotherapie ist vermutlich die wirksamste Methode gegen Schmerzen durch Knochenmetastasen.
118 ARS MEDICI 3 ■ 2009
SCHMERZTHERAPIE BEI KNOCHENMETASTASEN
Abbildung: Metastasen bei Prostatakarzinom. Die fokale Anreicherung der Radionuklide ist deutlich zu erkennen (Foto: aus Kelly T., Duewell S.: Knochenschmerzen. TMJ Schweiz Zeitschr Innere Med 2007; 5: 39—42.).
Falschnegative Befunde kommen bei lytischen Knochenmetastasen vor, zum Bespiel bei multiplem Myelom, Schilddrüsenoder Nierenzellkarzinomen. Die Kombination von Röntgen plus Skelettszintigrafie ergibt eine Sensitivität und Spezifität von 63 beziehungsweise 64 Prozent.
Analgetika und Bisphosphonate bei Knochenmetastasen Wie bei Schmerzen anderer Ursache folgt die Therapie den Richtlinien der WHO (WHO-Schmerzleiter). Am Anfang stehen Analgetika und NSAR, danach folgen Opioide und Opiate der Stufen II und III (auch in Kombination mit Analgetika und NSAR). Dem Calcitonin wird eine spezifische Wirksamkeit bei Knochenschmerzen zugeschrieben, gemäss einem 2006 publizierten Cochrane-Review ist die Datenlage hierfür jedoch noch dürftig. Neuropathische Schmerzen sind schwieriger zu behandeln; empfohlen werden Antikonvulsiva oder trizyklische Antidepressiva. Bisphosphonate hemmen die Knochenresorptionsaktivität der Osteoklasten und können dadurch den Knochen stabilisieren. Bisphosphonate senken bei Patienten mit Knochenmetastasen die Frakturrate und das Hyperkalziämierisiko. Auch radiologische Therapien sind weniger häufig nötig, Rückenmarkskompressionen werden jedoch nicht verhindert, und eine Verringerung orthopädischer Interventionen wird erst nach einem Jahr Behandlungsdauer sichtbar, hiess es in einem CochraneReview aus dem Jahr 2005. Die Autoren eines im Jahr zuvor erschienenen Cochrane-Reviews empfahlen Bisphosphonate zwar nicht als First-Line-Therapie bei mestasenbedingten Knochenschmerzen, bescheinigten dieser Substanzklasse aber zusätzliche schmerzlindernde Effekte, wenn sie zusammen mit Analgetika und Radiotherapie eingesetzt wird. Statistisch betrachtet mussten 6 Patienten behandelt werden, um bei 1 von ihnen eine Schmerzlinderung innert 12 Wochen zu erreichen («number needed to treat»). Intravenöse Bisphosphonate zeigten hierbei eine bessere Wirkung als die oralen. Aufgrund der bekannten Nebenwirkungen der Bisphosphonate sei die routinemässige Anwendung bei Patienten mit
Tabelle: Strahlendosis, Schmerzlinderung und Nebenwirkungen der Radiotherapie Tabelle: bei Knochenmetastasen
Dosis
Schmerzlinderung Schmerzfreiheit Wirkungsein- Wirkdauer
maximale Anzahl
Nebenwirkungen
(% der Fälle)
(% der Fälle) tritt (median)
von Anwendungen
lokale Bestrahlung
8 Gy einmalig oder 20 Gy in 5 Fraktionen
58%
23%
1—3 Wochen 13—24 Wochen;
viele, abhängig von Müdigkeit,
50% der Patienten von der Strahlenemp- vorübergehend
schmerzfrei nach findlichkeit des
stärkere Schmerzen,
6 Monaten
umgebenden Gewebes Übelkeit, Enteritis
(abhängig von
bestrahlter Region)
Halbkörper- 6 oder 8 Gy bestrahlung einmalig
70—90%
15—40 %
1—3 Tage
bis zum Tod bei den viele meisten Patienten
siehe oben zusätzlich Knochenmarkschädigung möglich
systemische variabel Radionuklide
65%
—
< 15 Tage 3—12 Monate bis zu 10 Anwendungen im Abstand von jeweils 3 Monaten Knochenmarkschädigung ARS MEDICI 3 ■ 2009 119 FORTBILDUNG Knochenmetastasen jedoch fraglich, schreiben Anna Wilkinson und ihre Koautoren in ihrem Übersichtsartikel im «British Medical Journal». Radiotherapie wird unterschätzt Die Radiotherapie ist vermutlich die wirksamste, aber am wenigsten eingesetzte Methode gegen schmerzhafte Knochenmetastasen. Die «number needed to treat» für einen schmerzfreien Patienten ohne zusätzliche Analgetika einen Monat nach der Bestrahlung beträgt 4,2. Die Schmerzlinderung tritt rasch nach der Bestrahlung ein, und 71 Prozent der Patienten dürfen eine zumindest partielle, aber deutliche Verbesserung erwarten. Bei lokaler Bestrahlung sind 8 Gy als Einzeldosis oder 20 Gy verteilt auf fünf Bestrahlungen mit je 4 Gy üblich, für die Bestrahlung der gesamten oberen Körperhälfte gibt man eine Einzeldosis von 6 Gy, bei der unteren Körperhälfte 8 Gy. Metaanalysen ergaben, dass eine Einmalbestrahlung mit einer hohen Dosis genauso wirksam ist wie Mehrfachbestrahlungen mit niedrigeren Dosen. Die Bestrahlung hat in der Regel nur milde Nebenwirkungen (Tabelle). Das Risiko für Frakturen und Rückenmarkskompressionen ist nicht erhöht. Etwa jeder dritte Patient leidet in den ersten Tagen nach der Bestrahlung vorübergehend unter verstärkten Schmerzen, die mit Dexamethason behandelt werden können. Wenn auf beiden Seiten des Zwerchfells, überall im Körper weit gestreute Knochenmetastasen vorliegen, ist die Bestrah- lung keine Option. In diesem Fall kommen systemische Radio- nuklide in Form von Kalziumanaloga infrage, die sich an den Stellen hoher Osteoblastenaktivität anreichern. Diese Therapie ist aber mit erheblichen Nebenwirkungen und Risiken verbun- den. Die «number needed to treat» ist mit 4 für 1 nach bis zu sechs Monaten immer noch schmerzfreien Patienten zwar niedrig, gleichzeitig ist jedoch das Risiko für eine Leukozyto- penie sehr hoch («number needed to harm»: 11). Weitere Ne- benwirkungen sind Thrombozytopenie und vorübergehend stärkere Schmerzen bei 15 Prozent der Patienten. Noch am Anfang steht die Entwicklung der Radiofrequenz- Ablation von Knochenmetastasen. Hierbei wird der Tumor durch die lokale, mithilfe bildgebender Verfahren gesteuerte Applikation hochfrequenten Wechselstroms zerstört. Gemäss einer Pilotstudie wurde damit bei 95 Prozent der Patienten eine klinisch relevante Schmerzlinderung erreicht. Die Methode ist aufgrund des lokalen elektromagnetischen Felds vermutlich nicht geeignet für Metastasen, die sich in unmittelbarer Nähe von Rückenmark oder Nervenwurzeln befinden. ■ Wilkinson A.N., Viola R., Brundage M.D.: Managing skeletal related events resulting from bone metastases. BMJ 2008; 337: 1101—1105. Interessenkonflikte: Die Autoren des BMJ-Aritkels geben keine Interessenkonflikte an. Renate Bonifer V E R A N S TA LT U N G E N Offizielle Weiter- und Fortbildungskurse der SGIM 2009 Pfäffikon, 18. bis 19. Juni 2009 Offizieller Weiter- und Fortbildungskurs der SGIM Tagungspräsidentin: PD Dr. med. Esther Bächli, Uster Tagungsort: Seedamm Plaza, Pfäffikon Zürich, 20. August 2009 Regional Highlights der SGIM Tagungskomitee: Dr. med. Werner Bauer, Küsnacht Dr. med. Ruedi Frey, Binz Dr. med. Albert Zingg, Geroldswil Dr. med. Stephan Zinnenlauf, Zürich Tagungsort: Hotel Crowne Plaza, Zürich Interlaken, 5. bis 6. November 2009 Offizieller Weiter- und Fortbildungskurs der SGIM Tagungspräsident: Dr. med. Heinz Schaad, Interlaken Tagungsort: Casino Kursaal, Interlaken Bulle, 19. November 2009 Offizieller Weiter- und Fortbildungskurs der SGIM Tagungspräsident: Dr. med. Jean-Louis Berney, Riaz Tagungsort: Espace Gruyère, Bulle Administrative Organisation Dr. Schlegel Healthworld AG Sennweidstrasse 46 6312 Steinhausen Tel. 041-748 76 00 Fax 041-748 76 11 E-Mail: k.rosenberg@schlegelhealth.ch Internet: www.congress-info.ch 120 ARS MEDICI 3 ■ 2009