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FORTBILDUNG
Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD)
Konventionelle und alternative Behandlungsmöglichkeiten
Die gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) ist in der westlichen Welt weitverbreitet und kann zu Komplikationen wie Ösophagusstriktur oder Adenokarzinom führen. Die Therapie basiert heute in erster Linie auf Protonenpumpeninhibitoren (PPI), die jedoch zu unerwünschten Wirkungen führen können. Darüber hinaus sprechen nicht alle Patienten auf PPI an.
ALTERNATIVE MEDICINE REVIEW
Eine gastroösophageale Refluxkrankheit liegt vor, wenn der Reflux von Mageninhalt zu störenden Symptomen und/oder Komplikationen führt. Experten schätzen, dass in Europa und Nordamerika etwa 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal wöchentlich über Beschwerden im Zusammenhang mit einer GERD klagen. Adipositas geht mit einem erhöhten GERD-Risiko einher. Für die Entwicklung einer GERD spielen mehrere Faktoren eine Rolle: verzögerte Magenentleerung, verminderter Druck
im unteren Ösophagussphinkter (UÖS), Zunahme transienter UÖS-Relaxationen, ineffektive Clearance des Refluats aus der Speiseröhre und eine Störung der mukosalen Abwehrmechanismen im Ösophagus. Sodbrennen, Regurgitation und Schluckbeschwerden sind die häufigsten Symptome, doch kann sich eine Refluxkrankheit auch durch extraösophageale Manifestationen bemerkbar machen. Dazu zählen beispielsweise Laryngitis, Husten, Asthma und Zahnerosionen. Die Diagnostik bei GERD basiert auf Anamnese, Klinik und einer probatorischen PPI-Behandlung. Aktuelle US-amerikanische Leitlinien empfehlen eine Behandlung ohne vorhergehende invasive Diagnostik – es sei denn, dass Symptome wie Dysphagie, Gewichtsverlust, gastrointestinale Blutung oder Anämie vorliegen. Refluxösophagitis und Barrett-Ösophagus können nur endoskopisch diagnostiziert werden.
Lebensstilinterventionen Häufig wird GERD-Patienten empfohlen, Tabak, Alkohol, Schokolade und Saft aus Zitrusfrüchten zu meiden. Doch ergab eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2006, dass lediglich zwei Lebensstilfaktoren bei Refluxkrankheit wirksam sind: Schlafen mit erhöhtem Oberkörper sowie Gewichtsabnahme.
Merksätze
❖ Derzeit werden in der Therapie der GERD sehr häufig Protonenpumpeninhibitoren (PPI) eingesetzt, die jedoch nicht bei allen Patienten erfolgreich sind.
❖ Melatonin ist bei GERD möglicherweise eine interessante Behandlungsalternative, da es auf mehrere zugrunde liegende Mechanismen abzielt.
❖ Das phytotherapeutische Kombinationspräparat Iberogast hat seine Wirksamkeit in verschiedenen Studien gezeigt und hat ein günstiges Nebenwirkungsprofil. Weitere Studien sind gerechtfertigt.
❖ Akupunktur könnte eine therapeutische Rolle bei GERD spielen – entweder zusammen mit PPI oder als Monotherapie. Doch sind weitere Studien erforderlich.
❖ Es gibt erste Hinweise, dass eine kohlenhydratarme Ernährung bei GERD helfen könnte.
❖ Eine Gewichtsabnahme kann bei manchen GERD-Patienten sinnvoll sein.
Konventionelle Medikamente Antazida: Freiverkäufliche Antazida führen zu einer raschen, kurzfristigen Linderung von GERD-Symptomen, doch tragen sie nicht zur Heilung einer erosiven Ösophagitis bei. Histamin-H2-Antagonisten: Wie Antazida bewirken auch Histamin-H2-Rezeptoren (z.B. Ranitidin [Zantic® oder Generika], Cimetidin) eine vorübergehende Symptomlinderung, jedoch mit einem langsameren Wirkbeginn als Antazida. Eine langfristige Anwendung dieser Substanzen bei GERD wird nicht empfohlen, weil der Körper innerhalb von ein bis zwei Wochen eine Toleranz gegenüber H2-Antagonisten entwickelt und weil sie eine erosive Ösophagitis nicht so effektiv abheilen lassen wie PPI. Prokinetika: Prokinetika wie Cisaprid oder Metoclopramid (Paspertin®, Primperan®) steigern die Peristaltik im Magen und Ösophagus, was auf die bei GERD-Patienten verzögerte ösophageale Clearance abzielt. Prokinetika führen zu einer etwa 70-prozentigen Säuresuppression, aber die Symptomlinderung setzt nur langsam ein und ist nur von kurzer Dauer (4–8 h). Bisher wurde nicht nachgewiesen, dass diese Medikamente zur Abheilung einer hochgradigen Ösophagitis führen. Darüber hinaus limitiert das Nebenwirkungsprofil der Prokinetika den Einsatz bei GERD.
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Protonenpumpeninhibitoren (PPI): PPI (Esomeprazol [Nexium® oder Generika, in Vimovo®], Lansoprazol [Agopton®], Omeprazol [Antra® oder Generika], Pantoprazol [Zurcal® oder Generika], Rabeprazol [Pariet®]) sind die Standardmedikation bei GERD. PPI blockieren die H+/K+-ATPase (sog. Säurepumpe der Parietalzellen des Magens) und damit die Säuresekretion. Im Vergleich zu Prokinetika oder Histamin-H2-Blockern setzt die Symptomlinderung von PPI rascher ein, und es ist gut belegt, dass PPI Ösophaguserosionen langfristig heilen (was auch für den Barrett-Ösophagus gilt). Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Durchfall, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Anaphylaxie. Darüber hinaus kann es infolge einer PPI-Therapie zu einer atrophischen Gastritis oder einer Reboundgastritis kommen. Untersuchungen zeigen, dass nach Beendigung einer Langzeittherapie mit PPI häufig Rezidive auftreten. Eine Metaanalyse berichtete, dass 25 bis 40 Prozent der GERD-Patienten, die einmal täglich einen PPI einnehmen, weiterhin Beschwerden haben. Üblicherweise wird die PPIDosis verdoppelt, wenn die anfänglich verabreichte Singledose-Therapie nicht wirksam war. Jedoch sprechen nur 20 bis 25 Prozent der Patienten auf die Verdoppelung der Dosis an. Ein Grossteil der Non-Responder leidet an einer nicht erosiven Refluxkrankheit (NERD). Unter NERD versteht man brennende retrosternale Schmerzen ohne pathologischen gastroösophagealen Reflux, ohne eine auf einer pathologischen Veränderung beruhende Motilitätsstörung und ohne strukturelle Erklärung. Man geht davon aus, dass NERD-Patienten auf PPI klinisch nicht ansprechen, weil sie nur einen schwach sauren oder gallehaltigen Reflux aufweisen oder weil sie eine verzögerte Motilität oder eine erhöhte ösophageale Schmerzwahrnehmung haben. Jedenfalls scheinen PPI die der NERD zugrunde liegenden Pathomechanismen nur teilweise beeinflussen zu können.
Chirurgische Therapie Die bei GERD am häufigsten durchgeführte Operation ist die laparoskopische Fundoplicatio, bei der der Magenfundus um den Ösophagus geschlungen wird, um den Druck auf den gastroösophagealen Übergang zu erhöhen. Dieser Eingriff wird unter anderem für Patienten empfohlen, die eine erosive GERD oder einen Barrett-Ösophagus haben, die ihre Medikamente nicht zuverlässig einnehmen oder die schwerwiegende extraösophageale Manifestationen (z.B. Aspirationen) aufweisen. Eine Untersuchung ergab jedoch, dass 10 bis 65 Prozent der operierten Patienten weiterhin Medikamente benötigen. Dieselbe Untersuchung zeigte auch, dass PPI und Operation hinsichtlich Symptomlinderung und ösophagealer Säureexposition gleich effektiv sind.
Alternative Behandlungsoptionen Kohlenhydratarme Ernährung: Eine Fallserie und zwei kleine Studien liefern erste Hinweise, dass eine «Low-carb»Diät, in der die tägliche Kohlenhydratzufuhr auf 20 g begrenzt wird, die Beschwerden einer GERD bessern kann. Grössere Studien liegen dazu allerdings noch nicht vor. Akupunktur: Wenn Patienten auf eine Tagesdosis von 20 mg eines PPI nicht ansprechen, wird die Dosis oft auf zweimal 20 mg pro Tag erhöht. Eine US-amerikanische Studie verglich die Wirksamkeit einer Akupunkturtherapie mit derjenigen
einer doppelten PPI-Dosis: 30 Patienten mit endoskopisch bestätigter NERD, die auf eine Behandlung mit 20 mg eines PPI nicht angesprochen hatten, erhielten randomisiert entweder 20 mg PPI plus zehn Akupunktursitzungen oder zweimal täglich 20 mg PPI. Bei den Akupunktursitzungen wurden fünf bis sechs bestimmte Akupunkturpunkte behandelt. Nach vier Wochen wurde der Symptomscore der beiden Gruppen verglichen. In der Gruppe mit alleiniger PPIBehandlung (hohe Dosis) hatte sich nur das Symptom «Sodbrennen während des Tages» signifikant gebessert, während in der Gruppe mit der Kombinationsbehandlung (Akupunktur plus 20 mg PPI) alle Symptome eine signifikante Besserung zeigten: Sodbrennen tagsüber und nachts, Säureregurgitation, Dysphagie und Thoraxschmerzen. Die Autoren dieser Studie gehen davon aus, dass der Erfolg der Akupunktur nicht nur auf einer Suppression von Magensäure beruhte. Vermutlich war es auch zu Änderungen der Ösophagus- und Magenmotilität und der Schmerzwahrnehmung gekommen. Melatonin: Das Hormon Melatonin wird nicht nur in der Zirbeldrüse, sondern in weit grösseren Mengen auch von enterochromaffinen Zellen im Intestinaltrakt von Säugern gebildet. Melatonin scheint für die Darmmotilität und für die Kommunikation zwischen Darm und Leber von Bedeutung zu sein. Auch in der Ösophagusschleimhaut liegen zahlreiche Melatoninbindungsstellen und erhebliche Mengen an Melatonin vor. Tierexperimente zeigen, dass Melatonin die Mikrozirkulation verbessert und die Bildung von Stickoxid und Prostaglandin E2 anregt – beides Substanzen, die die Ösophagusschleimhaut vor stressinduzierten und durch freie Radikale bedingten Schäden schützen. In experimentellen Modellen einer Refluxösophagitis führte Melatonin unter anderem zu einer Abheilung entzündlicher Läsionen und zu einer Reduktion inflammatorischer Zytokine. Es liegen bisher nur wenige Studien vor, in denen GERDPatienten mit Melatonin behandelt wurden, aber die Ergebnisse sind interessant. In einer Untersuchung erhielten 175 GERD-Patienten 20 mg Omeprazol täglich, 176 Patienten wurden mit einer Kombination aus Melatonin plus L-Tryptophan, Vitamin B6 und B12, Methionin, Betain und Folsäure behandelt. Nach 40 Behandlungstagen gaben alle Patienten aus der Melatoningruppe eine Symptomlinderung an, in der Omeprazolgruppe waren es nur 66 Prozent. STW 5 (Iberogast®): STW 5 ist ein pflanzliches Kombinationspräparat, das Extrakte aus folgenden Heilpflanzen enthält: Iberis amara (Bittere Schleifenblume), Matricaria chamomilla (Kamillenblüten), Mentha piperita (Pfefferminzblätter), Glycyrrhiza glabra (Süssholzwurzeln), Melissa officinalis (Melissenblätter), Chelidonium majus (Schöllkraut), Sibylinum marianum (Mariendistelfrüchte), Carum carvi (Kümmelfrüchte) und Angelica archangelicae (Angelikawurzel). Es konnte gezeigt werden, dass STW 5 die Funktion des proximalen Magens inhibiert und die Motilität des distalen Magens erhöht. In sechs randomisierten Studien wurde Iberogast bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie eingesetzt. Drei dieser Studien wurden für eine Metaanalyse ausgewählt, wobei 273 Patienten mit «funktioneller Dyspepsie» GERD-Symptome aufwiesen (Säureregurgitation, epigastrische Schmerzen oder Symptome einer Motilitätsstörung). 83 von 138 mit
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Iberogast behandelten Patienten gaben am Ende der vierwöchigen Behandlungszeit an, dass sich ihre Symptome vollständig zurückgebildet oder deutlich gebessert hätten, während in der Plazebogruppe nur 33 von 135 Patienten eine solche Reaktion zeigten. Am besten sprachen die Symptome retrosternale/epigastrische Schmerzen sowie Säureregurgitation auf STW 5 an. Demnach ist STW 5 bei einigen GERDSymptomen wirksam – ob es auch die Abheilung von Ösophagusläsionen fördert oder den Druck des unteren Ösophagussphinkters beeinflusst, wurde bisher nicht untersucht. Weitere Studien mit Iberogast, die auch endoskopische Untersuchungen vorsehen sollten, erscheinen gerechtfertigt. Weitere potenzielle Alternativen: Auch andere pflanzliche Substanzen können bei GERD-Symptomen hilfreich sein. Von Pfefferminzöl wird berichtet, dass es die frühe Phase der Magenentleerung beschleunigt, die Pylorus-Relaxationszeit verlängert und den Ruhedruck des unteren Ösophagussphinkters senkt.
Ältere Präparate auf der Basis von Alginaten, Pektinen oder
Glycyrrhizin-Analoga sollen bei leichten bis mittelschweren
GERD-Beschwerden hilfreich und sicher sein, werden heute
aber eher selten eingesetzt.
Möglicherweise sind weitere Substanzen wie Curcumin,
Quercetin, D-Limonen, Artemisia asiatica oder Lonicera
(chinesisches Geissblatt) bei GERD wirksam, doch wurden
sie bisher nur in Tierexperimenten oder in einzelnen kleinen
Studien untersucht.
❖
Andrea Wülker
Quelle: Patrick L et al.: Gastroesophageal Reflux Disease (GERD): A Review of Conventional and Alternative Treatments. Alternative Medicine Review, LLC, 2011. 16(2): 116–133.
Interessenlage: nicht deklariert.
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