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BERICHT
Plädoyer für eine aggressive Lipidsenkung
Eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos ist auch kosteneffizient
Foto: vh
Die PCSK-9-Hemmer als Lipidsenker haben in ihren Studien überzeugt. Sie bewirkten mit einer zusätzlichen Senkung des LDL-Cholesterins eine weitere Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen. Doch die Diskussionen drehen sich nicht um die Wirksamkeit, sondern um die hohen Kosten der neuen Lipidsenker. Warum und bei wem sich eine PCSK-9-Hemmer-Therapie trotzdem lohnt, erklärte Prof. François Mach, Hôpitaux Universitaires de Genève, am Präventionssymposium des Universitätsspitals Zürich.
Dyslipidämien beziehungsweise zu hohe Blut-
konzentrationen von LDL-Cholesterin (LDL-C)
sind Promotoren für die Atherosklerose. Sie zu
behandeln, stellt daher einen Beitrag zur kar-
diovaskulären Prävention dar. Mit der Ernäh-
rung lässt sich die Dyslipidämie nur beschränkt
beeinflussen, denn als wichtiger Bestandteil
von Zellmembranen, Steroid- wie auch Ge-
schlechtshormonen, Vitamin D, Gallensäure
Prof. François Mach
etc. wird ein Grossteil des Cholesterins durch den Körper synthetisiert. Die Höhe des Cho-
lesterinspiegels im Blut hängt daher in erster Linie von der
körpereigenen Produktion ab. Zwischen dem Lipoprotein
LDL-C und einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Er-
eignisse besteht ein klarer dosisabhängiger Zusammenhang,
der in verschiedenen Studien belegt wurde (1). Aufgrund
dessen wurden in den letzten 15 Jahren die LDL-Grenzwerte
kontinuierlich gesenkt, die mit den stark wirksamen Statinen
Atorvastatin und Rosuvastatin plus der Zugabe von Ezeti-
mibe auch therapiert werden können. Doch wie die Studien
FOURIER und ODYSSEY mit den PCSK-9-Hemmern Evo-
locumab und Alirocumab demonstriert haben (2, 3), sinkt
auch mit einer sehr drastischen Reduktion des LDL-C-Spie-
gels auf unter 40 mg/dl (1,03 mmol/l) das kardiovaskuläre
Risiko noch immer weiter ab.
KURZ & BÜNDIG
� LDL-C in den Gefässen fördert Atherosklerose. � Je tiefer das LDL-C ist, desto tiefer ist auch das Risiko für
kardiovaskuläre Ereignisse. � Atherosklerotischen Läsionen sollte durch Lipidsenkung
früh vorgebeugt werden.
Des Weiteren konnten Untersuchungen bei Personen mit Genmutationen des Enzyms PCSK-9 zeigen, dass sie eine geringere relative Chance (Odds Ratio) für einen Myokardinfarkt oder kardiovaskulären Tod aufweisen. Das trifft auch für Personen zu mit einer Genmutation im Enzym HMG-CoA-Reduktase, dem Substrat für Statine (4). «Daher ist die Reduktion des LDL-Spiegels auf ein tiefstmögliches Niveau notwendig», betont Mach. Doch welches Niveau ist anzusteuern? Neugeborene wiesen einen LDL-CSpiegel von etwa 35 bis 50 mg/dl (0,9–1,3 mmol/l) (5) auf und hätten keine Herzinfarkte, so Mach. Ihr LDL-C-Spiegel steige mit den Jahren mitunter ernährungsbedingt deutlich an. Ein idealer Zielwert für Erwachsene liege daher bei 1,2 bis 1,8 mmol/l (40–80 mg/dl), so die Empfehlung von Mach, Mitautor der in Kürze erscheinenden neuen Guidelines der European Heart Association (ESC) zum Management von Dyslipidämien. «Wenn man den Blutspiegel senkt, entzieht man das LDL-C nicht den Zielorganen, sondern den Gefässen, wo es nur die Atherosklerose fördert.»
LDL-C: je tiefer, desto besser
Zurzeit sind zwei PCSK-9-Hemmer verfügbar, Evolocumab und Alirocumab, die subkutan ein- bis zweimal pro Monat verabreicht werden. Evolocumab wurde in der FOURIER-Studie bei Patienten mit atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung zusätzlich zur Statintherapie verabreicht. Die LDL-C-Ausgangswerte lagen bei median 2,4 mmol/l und erreichten nach 48 Wochen einen Wert von 0,78 mmol/l (–59% vs. Standardtherapie) (2). Über einen Zeitraum von 36 Monaten reduzierte Evolocumab im Vergleich zur Standardtherapie das Risiko für den primären Endpunkt, zusammengesetzt aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Hirnschlag, Koronarrevaskularisation oder Hospitalisation infolge instabiler Angina pectoris, um 15 Prozent. Das Risiko für den als zweiten, zusammengesetzten Endpunkt definierten kardiovaskulären Tod, Myokardinfarkt oder Hirnschlag sank unter Evolocumab um 20 Prozent (2).
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Alirocumab reduzierte in der ODYSSEY-Studie die LDL-Ausgangswerte von 2,38 mmol/l nach 48 Monaten auf 1,2 mmol/l (vs. Standardtherapie 2,7 mmol/l). Die an der Studie teilnehmenden Patienten hatten in den letzten 12 Monaten vor der Randomisierung ein akutes Koronarsyndrom infolge Herzinfarkt oder instabiler Angina pectoris erlitten. Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus den Risiken für KHK-bedingten Tod, nicht tödlichen Herzinfarkt, tödlichen oder nicht tödlichen ischämischen Hirnschlag oder hospitalisierungspflichtige instabile Angina pectoris. Dieses Risiko sank in der Alirocumab-Gruppe im Vergleich zur Standardtherapie nach 4 Jahren um 15 Prozent (9,5 vs. 11,5%). In der Alirocumab-Gruppe starben 15 Prozent weniger Teilnehmer (3,5 vs. 4,1%) (3). In beiden Studien gab es keine signifikanten Sicherheitssignale bezüglich Nebenwirkungen, ausser häufigeren Reaktionen an der Injektionsstelle (2, 3). «Aus diesen Studien geht hervor, dass, je tiefer das LDL-C reduziert wird, desto stärker auch das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse sinkt», kommentiert Mach die Ergebnisse. Dieser Effekt war auch schon in den Lipidsenkerstudien mit Statinen zu beobachten, einfach auf höherem Niveau. In der FOURIER-Studie war laut Mach ausserdem zu sehen, dass die Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko, das heisst mehreren Herzinfarkten in jüngerer Zeit oder mit einer Mehrgefässerkrankung, mehr profitiert haben als jene mit tieferem Risiko.
Multimorbidität erhöht die Gefahr und auch den Nutzen
Viele Patienten mit Herzerkrankungen sind zusätzlich multimorbid, was ihre Prognose weiter verschlechtert. In einer Schweizer Studie zeigte sich bei über 5000 Patienten nach akutem Koronarsyndrom, dass die Präsenz von weiteren Erkrankungen die Rate von kardiovaskulären Ereignissen oder Koronarereignissen innerhalb eines Jahres im Vergleich zu nicht multimorbiden Herzpatienten verdoppelt (6). Litten ACS-Patienten zusätzlich an polyvaskulären Erkrankungen und Typ-2-Diabetes, verschlechtere sich die Prognose zusätzlich, wie Mach von einer weiteren Schweizer Studie berichtet, die noch im Gang ist (7). Solche Patienten würden von einer starken Lipidsenkung als Sekundärprävention profitieren, so Mach. Patienten mit atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen und Typ-2-Diabetes haben selbst mit einer intensiven Statintherapie immer noch ein 10-Jahres-Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis von 38 Prozent. Hohe
LDL-C-Werte und ein hohes 10-Jahres-Risiko bezeichnen einen Hochrisikopatienten, der gemäss Mach für eine PCSK-9-Hemmer-Therapie qualifizieren würde. Denn die «number needed to treat» (NNT) ist bei diesen Patienten tief (NNT: 9–13), deshalb wäre die Therapie kosteneffektiv. Je tiefer die LDL-C-Werte und das Risiko, desto restriktiver wäre ein Einsatz von PCSK-9-Hemmern (8).
Neues Konzept für die Zukunft
Für die primäre wie auch die sekundäre Prävention von
kardiovaskulären Ereignissen führen die Erkenntnisse der
jüngsten Studien zu einem Konzeptwechsel bezüglich Lipid-
senkertherapie – so skizziert Mach die Zukunft. Erstens solle
mit der Lipidsenkung früh begonnen werden. Denn je kürzer
und geringer die LDL-C-Exposition ist, desto weniger athe-
rosklerotische Läsionen können sich bilden. Zweitens sei
es notwendig, viel aggressiver zu therapieren. Dies mit dem
Ziel, das LDL-C aus dem Blut zu eliminieren. Drittens sollen
zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos Kombinationen
von Statinen, Ezetimibe und PCSK-9-Hemmer herangezogen
werden.
s
Valérie Herzog
Quelle: «The lowest, the best – PCSK-9-Hemmer, wann und für wen?», Präven-
tionssymposium des Universitätsspitals Zürich, 13. Juni 2019 in Zürich.
Referenzen: 1. Ference BA et al.: Low-density lipoproteins cause atherosclero-
tic cardiovascular disease. 1. Evidence from genetic, epidemiologic, and clinical studies. A consensus statement from the European Atherosclerosis Society Consensus Panel. Eur Heart J 2017; 38: 2459–2472. 2. Sabatine MS et al.: Evolocumab and clinical outcomes in patients with cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 376: 1713–1722. 3. Schwartz GG et al.: Alirocumab and cardiovascular outcomes after acute coronary syndrome. N Engl J Med 2018; 379: 2097– 2107. 4. Ference BA et al.: Variation in PCSK9 and HMGCR and Risk of Cardiovascular Disease and Diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 2144. 5. Sudharshana Murthy KA et al.: Neonatal lipid levels – can they be a benchmark for lipid lowering in adults? Asian J Pharm Clin Res 2014; 4: 165–168. 6. Canivell S et al.: Prognosis of cardiovascular and non-cardiovascular multimorbidity after acute coronary syndrome. PLoS ONE 2018; 13: 0195174. 7. www.clinicaltrials.gov: NCT 01000701. 8. Annemans L et al.: «Highest risk–highest benefit» strategy: a pragmatic, cost-effective approach to targeting use of PCSK9 inhibitor therapies Eur Heart J 2018; 39: 2546–2550.
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