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BERICHT
Antikoagulation in schwierigen Situationen
DOAC sind heute Standard – gerade auch bei alten Patienten
Auf der Basis grosser Behandlungsstudien sowie der praktischen Erfahrungen sind heute die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC) mit wenigen Ausnahmen Standard in der Prävention von Hirnschlägen und Embolien. Ihr Einsatz in besonderen klinischen Konstellationen war Thema einer Sitzung am SGK-Jahreskongress.
Die aktuellen europäischen Guidelines sind diesbezüglich klar: Bei mechanischem Klappenersatz und bei mittelschwerer bis schwerer Mitralstenose sind die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC) kontraindiziert, und bei rheumatischer Mitralstenose wird von ihrem Einsatz abgeraten (1). Daran erinnerte Prof. Jürg Hans Beer, Departement für Innere Medizin, Kantonsspital Baden (AG). In diesen Situationen bleiben weiterhin Vitamin-K-Antagonisten (VKA) indiziert. Eine neue Registerstudie setzt hier zumindest Fragezeichen, denn Patienten mit Vorhofflimmern und Mitralstenose hatten unter DOAC im Vergleich zu VKA signifikant weniger ischämische Hirnschläge und systemische Embolien (Hazard Ratio [HR]: 0,28; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,18–0,45), seltener intrakranielle Blutungen (HR: 0,53; 95%-KI: 0,26–1,21) und eine geringere Gesamtsterblichkeit (HR: 0,41; 95%-KI: 0,30–0,56) (2).
Wann wieder DOAC?
Nach einmal durchgemachter transitorischer ischämischer Attacke (TIA) oder Minor Stroke ist das Risiko für eine erneute TIA oder andere kardiovaskulär Ereignisse erhöht. Gemäss einer Nachbeobachtungsstudie betrug es im ersten Jahr 6,4 Prozent und blieb in den vier Folgejahren auf demselben Niveau (3). Nach TIA wird empfohlen, die DOAC-Behandlung nach einem Tag wiederaufzunehmen, nach leichtem Hirnschlag nach 3 Tagen, nach mittelschwerem Hirnschlag nach 6 Tagen und nach schwerem Hirnschlag nach 12 Tagen (1, 4). Dabei sind aber auch immer Kofaktoren wie Alter, Lokalisation, Erkrankung kleiner Gefässe oder Hypertonie zu berücksichtigen. «Allerdings ist die Datenlage für die 1-2-6-12-Tage-Regel keineswegs üppig, und die Empfehlungen stützen sich nicht auf kontrollierte Studien», schränkte Beer ein, «aber wir sind damit bisher gut gefahren.» In der Sekundärprävention des Hirnschlags werden verschiedene antithrombotische Therapien eingesetzt. Bei Gefässerkrankung (z.B. Atherosklerose) kommt initial eine duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure (ASS) zum Zug, bei kardialer Erkrankung (z.B. Vorhofflimmern) kommen DOAC zum Einsatz (5). Ein systematischer Review mit Metaanalyse kommt zum Schluss, dass die unmittelbare Gabe von Clopidogrel plus ASS innert 24 Stunden nach einer TIA mit hohem Risiko oder einem Minor Stroke das Risiko für ein Folgeereignis deutlich senkt bei nur gering
erhöhtem Risiko für mittelschwere und schwere Blutungen (6). Zudem sei es wahrscheinlich, dass ein Absetzen von Clopidogrel innert 21 Tagen und möglicherweise sogar schon nach 10 Tagen den Nutzen maximiert und das Schadensrisiko minimiert. Eine besondere (schwierige) Situation liegt vor bei embolischem Hirnschlag unbekannter Quelle (embolic stroke of u ndetermined source, ESUS). Eine Studie zur Sekundärprävention nach ESUS mit Rivaroxaban in normaler Dosierung im Vergleich zu ASS zeigte für das DOAC keinen Vorteil, aber ein erhöhtes Blutungsrisiko (7). In einer anderen Studie mit Dabigatran bei Patienten nach ESUS war der direkte Thrombinhemmer nicht erfolgreicher als ASS, immerhin waren aber schwere Blutungen nicht häufiger als unter ASS (8). Für Patienten mit stabiler kardiovaskulärer Erkrankung ohne Vorhofflimmern scheint sehr niedrig dosiertes Rivaroxaban (2 × 2,5 mg/Tag) plus ASS (100 mg/ Tag) eine alternative Hirnschlagprävention zu erlauben, die in der COMPASS-Studie untersucht wurde (9, 10). Dieses Dosierungsschema könnte auch bei ESUS-Patienten sinnvoll sein, erklärte Beer. Die Antikoagulation nach einer Blutung muss individuell gehandhabt werden. Dies gilt für eine intrakranielle Blutung unter Antikoagulation, aber auch für traumatische und nicht traumatische Epi- oder Subduralhämatome, jeweils in Abhängigkeit vom individuellen kardiovaskulären Risiko, vom Blutungsrisiko sowie von weiteren relevanten Faktoren wie Alkoholkonsum oder Sturzgefahr. Nach Gabe des Antidots Idarucizumab für Dabigatran kann eine DOAC-Prophylaxe nach 24 Stunden wieder begonnen werden, sofern dies indiziert ist. Nach Verabreichung von Adnexet-alpha als Antidot für Faktor-Xa-Hemmer ist eine kontinuierliche Überwachung von Klinik und Labor notwendig (4). Für die Individualisierung der DOAC-Therapie zur Hirnschlagprävention bei Vorhofflimmern sind mehrere Gesichtspunkte vorgeschlagen worden (11). Bei alten Patienten sind wegen des tieferen Blutungsrisikos generell DOAC den VKA vorzuziehen. Bei hohem Blutungsrisiko sind eher Apixaban, Dabigatran (110 mg/Tag) oder Edoxaban angezeigt. Patienten mit vorangegangener Magen-Darm-Blutung erhalten eher Apixaban oder Edoxaban. Bei stark eingeschränkter Nierenfunktion ist Apixaban Rivaroxaban und Edoaxaban vorzuziehen. Bei Ernährung über einen nasogastrischen oder
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Gastrostomieschlauch werden Apixaban oder Rivaroxaban eingesetzt.
Alter, Polypharmazie und sogar Niereninsuffizienz sprechen für DOAC
Prof. Jan Steffel, Klinik für Kardiologie, Universitätsspital Zürich, rief zwei wichtige Leitsätze in Erinnerung: «Nur weil wir etwas tun können, bedeutet dies nicht, dass wir es tun sollten», und «nichts zu tun bedeutet nicht unbedingt, die Option mit dem geringsten Risiko zu wählen». Inzwischen erlaubt die Datenlage klare Aussagen, weshalb die neuesten Ausgaben sowohl der europäischen wie der amerikanischen Guidelines DOAC gegenüber den VKA mit eindeutiger, evidenzbasierter Empfehlung den Vorzug geben (12, 13). Wie eine Auswertung der Daten von alten Patienten für Edoxaban im Vergleich zu Warfarin gezeigt hat, profitieren gerade diese Patienten besonders, denn die absoluten Risikoreduktionen für Hirnschlag, systemische Embolien, schwere Blutungen und Todesfälle aller Ursachen sind bei 65- bis 74-Jährigen und bei Patienten ab 75 Jahren wesentlich stärker als bei Jüngeren (14). Dieser Vorteil des DOAC im Vergleich zu VKA bestätigte sich auch in einer anderen Analyse bei Patienten mit erhöhtem Sturzrisiko (15). Polypharmazie ist ein weiterer Gesichtspunkt bei alten Patienten. In der ARISTOTLE-Studie, die Apixaban mit Warfarin verglich, bestand bei drei Viertel der Patienten eine Polypharmazie, und diese Subgruppe hatte eine höhere Komborbidität, mehr Medikamenteninteraktionen, eine gesteigerte Mortalität sowie häufigere thromboembolische und Blutungskomplikationen (16). Dennoch war Apixaban effektiver und mindestens so s icher wie Warfarin. Bei Patienten mit Niereninsuffizienz nimmt das Risiko für Hirnschlag und systemische Embolien mit abnehmender Nierenfunktion deutlich zu. Dies gilt sowohl für DOAC wie auch für VKA, allerdings fällt diese Zunahme unter DOAC geringer aus (17). Wichtiger noch ist die Differenz bei der Zunahme der Blutungskomplikationen in Funktion der abnehmenden Nierenleistung. Der Anstieg dieses Risikos ist unter Warfarin wesentlich steiler und höher. Somit nehme der Behandlungsvorteil der DOAC bei fortschreitender Niereninsuffizienz noch zu und rechtfertige es, fortgeschrittene Niereninsuffizienzpatienten auf einem DOAC (z.B. Apixaban) zu belassen, anstatt auf einen VKA zu wechseln, sagte Steffel. In der ARISTOTLE-Studie traten unter Apixaban (0,33% pro Jahr) deutlich weniger intrakranielle Blutungen auf als unter Warfarin (0,80% pro Jahr), und dies unabhängig von der INR-Einstellung (18). Die Ergebnisse der Studie sprechen dafür, gerade bei älteren Patienten DOAC zu bevorzugen und auf die gleichzeitige Verabreichung von ASS zu verzichten.
Praxiserfahrung bestätigt Wirkung und Sicherheit
Als in rascher Folge die grossen Studien mit den verschiedenen DOAC publiziert wurden, schien klar, dass diese Wirkstoffe hinsichtlich ihres Effekts und der Nebenwirkungen den herkömmlichen VKA mindestens ebenbürtig oder aber überlegen waren. Weniger klar war, welche Patienten besonders profitieren würden. Eine bemerkenswerte Studie aus Schweden konnte die Häufigkeit von Hirnschlägen und
schweren Blutungen mit der zunehmenden Verbreitung der DOAC-Verschreibungen in Stockholm in Relation setzen (19). Die Verschreibungsdaten zeigen, dass die DOAC ab 2012 rasch Verbreitung fanden, indem neue Patienten auf die neuen Wirkstoffe gesetzt und bei bisher mit VKA antikoagulierten Patienten zu einem DOAC gewechselt wurde. Im Jahr 2017 betrug dann der Anteil der mit einem DOAC behandelten P atienten rund drei Viertel, dies auch in höheren Altersgruppen. Der Vergleich zwischen den Inzidenzraten für ischämischen Hirnschlag für 2012 und für 2017 zeigt eine deutliche Abnahme, und zwar besonders ausgeprägt bei älteren und alten Patienten und bei Patienten mit besonders hohem Risiko (z.B. CHA2DS2-VASc-Score ≥ 6). Parallel dazu zeigen die Inzidenzraten für schwere Blutungen keine Veränderung, und zwar in allen Altersgruppen. «DOAC sind 2019 die Standardtherapie, auch – und besonders – für alte Patienten. Wir müssen uns vor Behandlungsträgheit in Acht nehmen, die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen richtig gewichten und dies in die gemeinsame Entscheidungsfindung mit den Patienten einbeziehen», resümierte Steffel.
Empfohlene DOAC-Dosierungen beachten
Automatisierte Systeme zur Warnung vor Medikamenten-
interaktionen (drug-drug interactions, DDI) führten rasch zu
einer Flut von Warnungen, die gewichtet und beachtet wer-
den sollten, erklärte Prof. Jean-Luc Reny, Médecine interne
générale, Hôpitaux Universitaires de Genève. In einer Unter-
suchung aus Australien waren dies bei 24 Millionen Ver-
schreibungen rund 12 Millionen Warnungen, von denen aber
bloss 0,6 Prozent als «schwerwiegend» einzustufen waren
(20). Sehr oft und wohl zunehmend werden DDI daher nicht
beachtet. Die klinische Relevanz einer DDI-Warnung hängt
sehr direkt vom positiven prädiktiven Wert (positive predic-
tive value, PPV) ab. Eine Literaturübersicht ergab, dass der
PPV einer riesigen Schwankungsbreite unterlag, die von 8 bis
83 Prozent reichte. Die besten PPV lassen sich erzielen, wenn
Patientencharakteristika wie Komorbiditäten und aktuelle
Laborwerte einbezogen werden (21). Interaktionswarnun-
gen müssen also immer in einen individuellen Kontext ge-
stellt werden. Dies wird bei der Weiterentwicklung compu-
terisierter Verschreibungsformulare zu beachten sein. Schon
jetzt lasse sich die Verschreibungssicherheit verbessern, so
Reny, wenn auf nicht empfohlene Dosierungen von DOAC
verzichtet, der zu erwartende Nutzen von dualen oder Tri-
peltherapien mit Antikoagulanzien und Plättchenhemmern
hinterfragt werde und wenn genetische Faktoren bei endo-
genen Medikamententransportersystemen Berücksichtigung
fänden.
s
Halid Bas
Quelle: «SSC track Anticoagulation dilemmas in the elderly», gemeinsamer Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK) und der Schweizerischen Gesellschaft für Herzchirurgie (SSCS), 19. bis 21. Juni 2019 in Interlaken.
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Practical Guide on the use of non-vitamin K antagonist oral anticoagulants in patients with atrial fibrillation. Eur Heart J 2018; 39: 1330–1393. 2. Kim JY et al.: Outcomes of direct oral anticoagulants in patients with mitral stenosis. J Am Coll Cardiol 2019; 73: 1123–1131.
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CongressSelection Kardiologie | September 2019