Transkript
STUDIE REFERIERT
Depressionen erhöhen Schlaganfallrisiko
Systematischer Review mit Metaanalyse
Depressionen gehen neben den bekannten Risiken auch mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko einher.
JAMA
Laut Schätzungen durchleben 5,8 Prozent der Männer und 9,5 Prozent der Frauen innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten eine depressive Episode. Die Lebenszeitinzidenz der Depression wird auf mehr als 16 Prozent in der Allgemeinbevölkerung geschätzt. Es ist bekannt, dass Depressionen mit einem erhöhten Risiko für Diabetes, Bluthochdruck und kardiovaskuläre Erkrankungen verbunden sind. Studien weisen aber auch darauf hin, dass die Depression einen modifizierbaren Risikofaktor für Schlaganfälle darstellen könnte.
Ergebnisse In einen systematischen Review mit Metaanalyse fanden 28 prospektive Kohortenstudien mit 317 540 Teilnehmern über 18 Jahre Eingang, in denen das Schlaganfallrisiko depressiver und nicht depressiver Personen verglichen worden war. In 8 Studien wurden Ergebnisse zu tödlichen, in 3 Studien zu nicht tödlichen, in 6 Studien zu ischämischen und in 2 Studien zu hämorrhagischen Schlaganfällen präsentiert.
Merksätze
❖ Die Depression ist mit einem erhöhten Risiko für Diabetes, Bluthochdruck und kardiovaskuläre Erkrankungen verbunden.
❖ Die Depression ist zudem ein modifizierbarer Risikofaktor für einen Schlaganfall.
In 6 Studien wurde ein grober Zusammenhang zwischen einer antidepressiven Medikation und dem Schlaganfallrisiko beobachtet. In der gesamten Studienpopulation von 317 540 Personen traten 8478 Schlaganfälle (tödliche und nicht tödliche) in Follow-up-Zeiträumen zwischen 2 bis 29 Jahren auf. In der Mehrzahl der Studien wurde eine positive Assoziation zwischen Depression und Schlaganfallrisiko festgestellt, was in Hazard Ratios (HR) mit Werten über 1 deutlich wurde. In 14 Studien war der Zusammenhang statistisch signifikant. Die gepoolten HR betrugen 1,45 (p < 0,001) für alle Schlaganfälle, 1,55 für tödliche Schlaganfälle und 1,25 für ischämische Schlaganfälle. Die korrespondierenden geschätzten absoluten Unterschiede bezogen auf 100 000 Personen/Jahr lagen bei 106 Schlaganfällen insgesamt sowie bei 53 ischämischen Schlaganfällen und bei 22 tödlichen Schlaganfällen. Aus diesen Ergebnissen geht hervor, dass die Depression mit einem signifikant erhöhten Schlaganfallrisiko assoziiert ist. Hochgerechnet auf die Verhältnisse in den USA, ergeben sich 3,9 Prozent zusätzliche Schlaganfälle im Zusammenhang mit Depressionen, was 273 000 Fällen jährlich entspricht. Kommentar In der Metaanalyse waren Depressionen mit einem signifikant erhöhten Schlaganfallrisiko verbunden. Dieser Zusammenhang blieb auch in verschiedenen Subgruppenanalysen in einer signifikanten Grössenordnung bestehen. Das Ergebnis ist mit älteren Studien wie der grossen Fall-Kontroll-Studie INTERSTROKE konsistent. Die Depression trägt über verschiedene Mechanismen zum Schlaganfallrisiko bei. Zum einen hat sie neuroendokrine Auswirkungen (z.B. Aktivierung des sympathischen Nervensystems, Fehl- regulierungen der Hypothalamus-Hypo- physen-Nebennierenrinden-Achse) und immunologisch/inflammatorische Ef- fekte (Zusammenhang mit C-reakti- vem Protein und Interleukinen) zur Folge, die das Schlaganfallrisiko beein- flussen. Zum anderen ist eine Depression häu- fig mit gesundheitsschädlichen Verhal- tensweisen wie Rauchen, körperlicher Inaktivität oder schlechter Ernährung verbunden, und viele Depressive sind übergewichtig. Diese Faktoren erhöhen das Schlaganfallrisiko ebenfalls. Ausserdem steht die Depression mit anderen bedeutenden Komorbiditäten wie Diabetes und Bluthochdruck in Verbindung, die beide zu den Haupt- risikofaktoren für einen Schlaganfall gehören. Schliesslich könnte – wie in 6 Studien berichtet wurde – auch die antidepres- sive Medikation zur Erhöhung des Schlaganfallrisikos beitragen. Die Auto- ren interpretieren dieses Ergebnis aber vorsichtig, da die Medikation auch lediglich ein Marker für die Schwere einer Depression darstellen könnte und in manchen Studien Angaben zu Dosie- rung und Behandlungsdauer fehlten. Als Schwäche ihrer Untersuchung wer- ten die Autoren eine signifikante Hete- rogenität der Studien, die aus unter- schiedlichen Studiendesigns, Teilneh- merzahlen, Massstäben für Depression und Schlaganfall, Analysestrategien und Patientencharakteristika resultie- ren könnte. Auch Publikationsverzer- rungen konnten nicht ganz ausge- schlossen werden. Zudem basierte die Untersuchung ausschliesslich auf eng- lischsprachiger Literatur. Insgesamt er- gibt sich aus der Metaanalyse nach Ansicht der Wissenschaftler dennoch eine starke Evidenz, dass die Depres- sion ein signifikanter Risikofaktor für einen Schlaganfall ist. ❖ Petra Stölting Pan An et al.: Depression and risk of stroke morbidity and mortality – A meta-analysis and systematic review, JAMA 2011; 306(11): 1241–1248. Interessenkonflikte: Einer der Autoren deklariert, dass sein Institut Gelder von Merck für Diabetesforschungen erhält. 586 ARS MEDICI 11 ■ 2012