Transkript
«Fever is our best friend»
Reflexartige Fiebersenkung nicht immer hilfreich
BERICHT
Foto: KD
Die Fieberreaktion bei Infektionen hat sich entwicklungsgeschichtlich extrem gut gehalten. Eine Fiebersenkung ist daher in vielen Fällen sinnlos, eventuell sogar schädlich, erklärte Prof. Pietro Vernazza vom Kantonsspital St. Gallen am Jahreskongress des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM) in Luzern.
Prof. Pietro Vernazza
Natürliches Fieber nach einer Infektion lässt sich in drei Stadien einteilen: erstens ein Stadium mit zunehmender Temperatur, begleitet von einem Kältegefühl, geringer Hautdurchblutung und Schüttelfrost, zweitens ein Plateau («Setpoint»), auf dem die maximale Temperatur erreicht ist, und drittens ein Stadium mit abnehmender Temperatur, das mit Hitzegefühl, starker Hautdurchblutung und starkem Schwitzen verbunden ist.
Bei 38 Grad Antipyrese einleiten?
Wie wird mit Fieber umgegangen? «Wenn man durch die Bettenstation geht und ein Patient mit Sepsis über 38,5 °C hat, wird das Fieber gesenkt. Das ist eine Routine, die wir wahrscheinlich alle irgendwann einmal gelernt haben», sagte Vernazza. Auch gemäss einer Umfrage unter britischen Ärzten zeigten sich die meisten von ihnen ab einer Temperatur von 38 °C «besorgt» und leiteten eine Antipyrese ein (1). Aber wie sinnvoll ist es eigentlich, das Fieber zu senken? Schon Anfang des 20. Jahrhunderts machten Wissenschaftler die Entdeckung, dass Tauben eine Infektion mit Pneumokokken nichts anhaben konnte. Das Besondere an den Vögeln: Sie besitzen
eine reguläre Körpertemperatur von 41 °C, was dafür spricht, dass dieses «heisse Blut» die Erreger in Schach hält. Eine andere Gruppe konnte 1986 zeigen, dass eine künstliche Fiebersenkung bei Ratten mit Pneumokokkenmeningitis eine stärkere Bakterienvermehrung zur Folge hatte (2). Umgekehrt hatten hohe Temperaturen einen negativen Einfluss auf die Replikation der Bakterien in den Tieren. Auch scheint die Wirkung von Antibiotika bei höheren Temperaturen effektiver zu sein (3). Zudem hat gemäss einer neuen Studie die Erhöhung der Temperatur in Zellen eine Exprimierung von protektiv wirkenden Hitzeschockproteinen (Hsp90) zur Folge. Dies führt zu einen besseren Lymphozytentransport (4). Gleichzeitig wird durch die Hitzeschockproteine die Toleranz von intrazellulären Proteinen gegenüber schädlichen Einflüssen der Temperaturzunahme erhöht. «Die Natur hat hier ein ganz raffiniertes System ausgeklügelt, um uns gegen hohe Temperaturen zu schützen», so der Infektiologe. Zusammengefasst bewirke Fieber eine schlechtere Pathogenreplikation, eine stärkere Antibiotikumaktivität, einen besseren Lymphozytentransport und eine Aktivierung von schützenden Hitzeschockproteinen. «Wenn man all das weiss, muss man sich wirklich fragen, ob wir mit der Antipyrese etwas Gutes tun», erklärte Vernazza.
KURZ & BÜNDIG
� Fieber hat sich in der Evolution sehr bewährt. � Fiebersenkung kann eventuell sogar schädlich sein,
Indikationen sorgfältig prüfen.
� Wenn das Fieber gesenkt werden soll, dann den «Setpoint» mit entsprechendem Fiebermittel ändern (nicht mit Wadenwickeln).
� Fieber ist ein wichtiger Notfallindikator: (HIV-Primoinfektionen, Malaria, Meningitis, nekrotisierende Fasziitis). Sexualanamnese und Reiseanamnese erforderlich.
� Auch an nicht infektiologische Ursachen denken.
Keine Vorteile durch Fiebersenkung
Tatsächlich deuten neuere Studien darauf hin, dass eine Fiebersenkung überraschenderweise auch bei intensivmedizinisch versorgten schwerkranken Patienten im Vergleich zu Patienten ohne Antipyrese kein besseres Überleben bewirkt (5). Laut den Autoren sei nichts zu finden, um die Hypothese eines positiven Effektes einer Fiebersenkung bei Sepsis zu unterstützen – sogar bei Patienten mit eingeschränkten physiologischen Reserven. Zum gleichen Ergebnis kam eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie aus dem Jahr 2015, in der Patienten mit Infektionen auf der Intensivstation mit Paracetamol behandelt worden waren (6). Die Wahrscheinlichkeit, zu überleben oder nicht zu überleben, war in beiden Gruppen nach 30 beziehungsweise 90 Tagen nahezu gleich (Hazard Ratio [HR]: 0,95). Möglicherweise schadet eine Fiebersenkung sogar. So kommt eine Metaanalyse verschiedener Studien zum Schluss, dass bei mit Influenza infizierten Tier-
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Fieber: Nicht zu verpassende Notfälle
� HIV-Primoinfektionen � Malaria � Meningitis � nekrotisierende Fasziitis � Fieber in Neutropenie � Fieber bei Splenektomie
modellen die Fiebersenkung sogar eher einen schädlichen Einfluss haben könnte (HR: 1,34) (7). «Nicht einmal dort, wo wir am ehesten denken würden, dass die Fiebersenkung etwas bringen würde, nämlich bei Patienten mit Sepsis, sehen wir einen Nutzen», bilanzierte Vernazza. Eine Fiebersenkung sei höchstens dann indiziert, wenn eine symptomatische Linderung notwendig sei, etwa bei schweren Albträumen. Ansonsten sei es sinnvoll, den Patienten zu erklären, dass das Fieber eine gute Funktion habe, gemäss dem Zitat des kanadischen Mediziners, Physiologen und Medizinhistorikers William Osler (1896): «Fever is our best friend.»
Vorsicht bei multimorbiden Patienten
Fieber kann jedoch auch unzweifelhaft schädlich sein. Wer eine Erhöhung der Körpertemperatur von 2 °C aufweist, hat einen um 20 Prozent höheren Energieverbrauch. Während gesunde Menschen Fieber gut tolerieren, kann es für polymorbide Menschen mit Herz-, Leber- oder Lungenerkrankungen kritisch werden. «In solchen Fällen kann eine Fiebersenkung erwogen werden», sagte der St. Galler Experte. Häufig seien jedoch physikalische Methoden der Fiebersenkung wie kalte Wadenwickel der falsche Weg, denn der Körper versuche dann erst recht beispielsweise mit Schüttelfrost oder Vasokonstriktion auf seinen Setpoint zu kommen. Wenn also das Fieber behandelt werden soll, müsse der Setpoint gesenkt werden. Das könne beispielsweise mit Paracetamol geschehen.
Nicht infektiöses Fieber
Auch Fieber, das nicht auf Infektionen mit Pathogenen zu-
rückgeht, muss differenziert betrachtet werden. Dazu gehören
Hitzschlag, Neurotraumata, drug fever, Fieber bei Tumorer-
krankungen oder entzündliche Erkrankungen, wie zum Bei-
spiel Vaskulitiden. So kommt es etwa bei Hitzschlag zu Schä-
den, die sich auch auf zellulärer Ebene bemerkbar machen.
Bei solchen Fieberreaktionen ist die Synthese der Hitze-
schockproteine nicht erhöht, was zu Proteindenaturierungen,
DNA-Schäden und Zelltod führt (8). Auch bei Neurotrau-
mata ist eine Fiebersenkung sinnvoll. Hingegen kann bei
durch Medikamente verursachtem Fieber, zum Beispiel bei
Antibiotika, schon das Absetzen des Medikamentes rasch
zum Fieberrückgang führen.
s
Klaus Duffner
Quelle: «Fieber und Schüttelfrost – unbeliebt und doch hilfreich», Jahreskongress des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM), 27. bis 28. Juni 2019 in Luzern.
Referenzen: 1. Beverly A et al.: Management of hyperthermia and hypothermia in sepsis:
A recent survey of current practice across UK intensive care units. J Intensive Care Soc 2016 Feb; 17: 88–89. 2. Small PM et al.: Influence of body temperature on bacterial growth rates in experimental pneumococcal meningitis in rabbits. Infect Immun 1986; 52: 484–487. 3. Mackowiak PA et al.: Effects of temperature on antimicrobial susceptibility of bacteria. J Infect Dis 1982; 145: 550–553. 4. Lin C et al.: Fever promotes T lymphocyte trafficking via a thermal sensory pathway involving heat shock protein 90 and a4 integrins. Immunity 2019; 50: 137–151. 5. Young PJ et al.: Fever control in critically ill adults. An individual patient data meta-analysis of randomised controlled trials. Intensive Care Med 2019; 45: 468–476. 6. Young P et al.: Acetaminophen for fever in critically Ill patients with suspected infection. N Engl J Med 2015; 373: 2215–2224. 7. Eyers S et al.: The effect on mortality of antipyretics in the treatment of influenza infection: systematic review and meta-analyis. J R Soc Med 2010; 103: 403–411. 8. Walter EJ et al.: The pathophysiological basis and consequences of fever. Critical Care 2016; 20: 200.
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