Transkript
SGGG-EXPERTENBRIEF (EB) NR. 61 (ERSETZT NR. 21 VOM 20. AUGUST 2012)
In der GYNÄKOLOGIE werden – nach Auswahl der Herausgeber – an dieser Stelle aktuelle Expertenbriefe publiziert (verifizierte Printform).
Expertenbrief Nr. 61
(siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005)
Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Der Einsatz von Netzen bei Senkungsoperationen
Seit knapp 20 Jahren werden Netze (Meshes) im Rahmen von Senkungsoperationen angewendet. Im März 2007 publizierte die AUG den Expertenbrief Nr. 21 zum Einsatz von Netzen bei Prolaps, in dem sie mangels qualitativ hochstehender Studien riet, Netze zurückhaltend anzuwenden. Ein Update der AUG 2012 nach Vorliegen randomisierter Studien bestätigte die zurückhaltende Anwendung von vaginalen Netzen. Seit 2016 stuft die amerikanische FDA den Einsatz vaginaler Netze in die Risikoklasse 3 ein. Extrem wichtig ist zu betonen, dass die Warnung nur für Netze gilt, welche zur vaginalen Deszensuskorrektur verwendet werden, nicht aber für Inkontinenzschlingen oder für die abdominale Sakrokolpopexie. Dieser Ende 2018 aktualisierte Expertenbrief fasst Hintergründe und den heutigen State of the Art zusammen.
Evidenzlevel
G. Schär, V. Viereck, A. Kuhn, P. Dällenbach, C. Betschart, D. Faltin (Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und Beckenbodenpathologie; AUG)
Senkungsoperationen haben zum Ziel, Senkungsbeschwerden zu beheben und die Funktion der betroffenen Organe wie Vagina, Blase und Rektum zu verbessern. Der Eingriff sollte wenig invasiv sein und eine geringe Komplikations- und Rezidivrate aufweisen. Nach Vorliegen entsprechender randomisierter Studien publizierte die FDA (U.S. Food and Drug Administration) 2011 eine kontrovers diskutierte Warnung zum Einsatz von vaginalen Netzen. Über 1500 erfasste Komplikationen im Zeitraum von drei Jahren zeigen, dass das erhöhte Komplikationsrisiko angesichts eines fehlenden Benefits gegenüber Senkungsoperationen ohne alloplastisches Material nicht gerechtfertigt ist. Im Januar 2016 publizierte die FDA eine neue Stellungnahme und stufte die vaginalen Netze in die Risikoklasse 3 (hohes Risiko) ein. Die Hersteller vaginaler Netze müssen vor der Markteinführung eine Beurteilung von Sicherheit und Wirksamkeit ihres Produktes durchführen lassen.
2. Vaginale Netze Indikationen für ein vaginales Netz sind die Zystozele mit lateralem Defekt (der durch eine Diaphragmaplastik oder eine reine apikale Fixation mittels Sakrokolpopexie nicht korrigiert werden kann), die Rezidivzystozele und die Rezidivrekto- /Enterozele. Gemäss AWMF-Leitlinie 015-006 (gültig bis 30. September 2020) ist die routinemässige Implantation von nicht resorbierbaren Netzen bei primären vaginalen Deszensusoperationen im vorderen Kompartiment vor dem Hintergrund der Alternativen mit Eigengewebe derzeit nicht angezeigt. Das setzt eine gute Aufklärung und Dokumentation voraus. Zur Anwendung von nicht resorbierbaren Netzen im hinteren Kompartiment zeigen nicht kontrollierte, prospektive und retrospektive Studien eine geringere Rezidivrate beim Einsatz von synthetischen Netzen. Da qualitativ hochstehende, randomisierte Studien fehlen, gibt es derzeit keinen Anlass, synthetische Netze routinemässig bei primären vaginalen Deszensusoperationen am hinteren Kompartiment zu verwenden. Es liegt im Ermessen des Operateurs, auch in der Primärsituation ein anteriores oder posteriores vaginales Netz einzulegen, wenn ein erhöhtes Risiko für ein Deszensusrezidiv zu erwarten ist.
II B IA
II A
Unveränderte Aussagen gegenüber dem Expertenbrief 2012
3. Welches Material sollte verwendet werden? Makroporöse, monofile Polypropylene mit einer Porengrösse
1. Abdominale Sakrokolpopexie
> 75 µm sind Standard. Für den Einsatz von Hybridnetzen
Nach wie vor unbestritten ist der Einsatz von Netzen bei der (Polypropylen ergänzt mit resorbierbarem Fadenmaterial) fehlt
II A Sakrokolpopexie, da nur dadurch eine Überbrückung vom pro- die wissenschaftliche Evidenz. Porcine und resorbiere syntheti-
labierten Vaginalbereich zum Fixationsort (Sakrum) möglich ist. sche Netze weisen eine höhere Rezidivrate bei nicht verbesser-
Für die Sakrokolpopexie existiert heute eine als ausreichend ten Komplikationsraten auf (2). Konfektionierte, vorgefertigte
anzusehende Evidenz (1). Die gleichzeitige totale Hysterekto- Netzkits haben sich gegenüber zuschneidbaren Netzen durch-
mie anlässlich der Sakrokolpopexie sollte wegen höheren gesetzt.
Risikos für eine Netzexposition vermieden werden. Die supra- Der Einsatz von resorbierbaren beziehungsweise biologischen
zervikale Hysterektomie ist vorzuziehen.
Implantaten zur Fixation am Sakrum bei der Sakrokolpopexie
wird nicht empfohlen.
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29
4. Risiken und Nutzen
erreicht werden kann). Ohne die TVT-Operation werden viele
Mangels Langzeitstudien mit neuen Netzmaterialien und neuen behandlungsbedürftige Frauen inkontinent bleiben.
Operationstechniken beziehen sich die folgenden Angaben auf
Studien mit heute nicht mehr verwendeten Netzen und Evolution von Material und Technik
Techniken:
Seit der Anfangsphase hat sich in der Netzchirurgie aber eini-
Die Anwendung von vaginalen Netzen führte zwar zu besseren ges grundsätzlich verändert, auch wenn die nötigen Studien
anatomischen Befunden (objektive Erfolgsrate), dies allerdings noch ausstehen. Heute sind die Netze leichter und dünner als
ohne eine subjektive Verbesserung (3, 4; Rudnicki 2015 BJOG, die alten, sie haben eine andere Gewebestruktur, die eingesetz-
Rudnicki 2013 BJOG). Diese Aussage gilt für Kurzzeitanalysen te Netzfläche ist kleiner, und pro Operation wird deutlich weni-
(12 bis 24 Monate) und 3-Jahres-Daten.
ger Netzmaterial verwendet, nämlich: 18 bis 42 g/m2 (Liang
Bei den mit den früheren Netzen operierten Frauen war die 2016, Current Opinions Obstet Gynecol).
Komplikationsrate höher als bei den ohne Netz operierten Zudem gibt es Verbesserungen bei der Fixation der vaginalen
Frauen. Folgende Komplikationen traten auf: Netzexposition, Netze: Neben den 4 seitlichen Aufhängungen kommen heute
Schmerzen, Dyspareunie und Infektion. Die Reoperationsraten 2 apikale, nach oben ziehende Verankerungen dazu. So korri-
lagen nach vaginaler Prolift-Netzeinlage bei zirka 10% (5). Bei gieren heutige vaginale Netze sowohl laterale als auch apikale
8,3% von vorher kontinenten Frauen war eine Bandeinlage zur Defekte.
Behebung der neu entstandenen Belastungsinkontinenz nötig
III (5). Danach folgten die Reoperationen wegen Expositionen Indikationen (3,6%) (5). Aufgrund einer neuen Studie (vorgestellt am Die vaginale Deszensuschirurgie und die laparoskopische
Kongress der Deutschen Kontinenzgesellschaft 2018 und an der Sakrokolpopexie haben unterschiedliche Indikationen: Die
IUGA- Konferenz in Wien 2018) lässt sich die Komplikationsrate vaginale Deszensuschirurgie ist für ältere Patientinnen geeig-
durch die Optimierung von Netzdesign, Netzmaterial und net, welche Komorbiditäten haben und nicht mehr sexuell aktiv
Operationstechnik deutlich unter das Niveau der bisher publi- sind. Bei gesunden, sexuell aktiven Frauen mit apikalem
zierten Daten senken (Ulrich et al., Studie eingereicht).
Deszensus und einer Zystorektozele ist eine laparoskopische
Nach laparoskopischer Netzeinlage lag die Rate der De-novo- Sakrokolpopexie indiziert. Die kürzere vaginale Chirurgie
Belastungsinkontinenz bei zirka 22% (6). Die Wahrscheinlichkeit (60–90 Minuten) ist weniger belastend und kostengünstiger als
für eine Netzexposition 7 Jahre nach abdominaler Sakrokol- die laparoskopische Operation (2–4 Stunden).
popexie betrug 10,5% (Nygaard 2013; JAMA). Fünf Jahre nach laparoskopischer Sakrokolpopexie betrug die Rate für eine vaginale Exposition 0% (0/68) und für eine Exposition in die
Problem der Studienbeurteilung
Die Studienresultate sind schwierig zu beurteilen. Die Definition
IB
Blase 2,9% (2/68), wobei es sich hier um Rezidivfälle nach vor- des Rezidivprolaps wird uneinheitlich umschrieben. Publikatio-
ausgehender Diaphragmaplastik handelte (7). Komplikationen nen über Komplikationen sollten sich an das 2011 veröffentlich-
nach laparoskopischen Netzeinlagen wie Spondylodiszitis te Klassifizierungssystem halten (8).
II A
(Salman 2003 BJOG; Rajamaheswari 2012 Int Urogynecol J) wer- Aus den randomisierten Studien haben wir gelernt, dass die
den oft nicht oder sehr spät erkannt. Sie sind schwieriger zu the- objektiven Parameter zur Beurteilung der Heilung (z. B. POP-Q)
rapieren, weil sie in tieferen Schichten liegen.
nicht mit der subjektiven Patientenwahrnehmung übereinstim-
Bei den vaginal und laparoskopisch eingelegten Netzen spielt men müssen. Subjektive Wahrnehmungen sind toleranter als
die Erfahrung des Operateurs eine grosse Rolle (4).
die objektive Beurteilung. Die postoperative Anatomie nach
Was ist neu gegenüber dem Expertenbrief 2012?
vaginaler oder laparoskopischer Netzeinlage ist besser als nach Korrekturen mit körpereigenem Gewebe. Wenn durch die günstigere Anatomie ein besserer Langzeitverlauf ermöglicht ist, ist
Sensibilisierung der Allgemeinheit für Risiken
das ein Argument für die Netzeinlage.
Seit dem Update der FDA-Empfehlung im Januar 2016 wurden Ein weiteres Problem sind die heterogenen Kollektive der meis-
II A
mehrere Produkte von vaginalen Netzen vom Markt genom- ten (auch randomisierten) Studien. Die Patientinnen litten unter
men. Besonders zu erwähnen sind die häufig verwendeten verschiedenen Deszensusformen und erhielten unterschiedli-
amerikanischen Netze (wie «Prolift», «Elevate», «Perigee»). Das che Netze. Zukünftige Studien müssen dieses Thema klarer und
heisst, die FDA-Empfehlungen beruhen auf Resultaten von vergleichbarer darstellen.
Netztypen, die heute gar nicht mehr zur Verfügung stehen!
Problematisch für die Zukunft der Senkungschirurgie und der Zulässige Aussagen aus den klinischen Studien
IB
Urogynäkologie ist das potenzielle politische Verbot von syn- Sakrokolpopexie und sakrospinale Fixation sind annähernd 1 A
thetischen Netzen und Bändern aufgrund von alten Daten mit gleichwertige Verfahren mit unterschiedlichen Vor- und Nach-
nicht mehr gebräuchlichen Materialien und Techniken. Gewisse teilen. Gibt es keine Kontraindikationen, kann die Sakrokolpo-
Länder wie Schottland, England, Irland, Australien und pexie bevorzugt zur sakrospinalen Fixation eingesetzt werden (9).
Neuseeland haben bereits Verbote ausgesprochen. Ohne
Netz- und Bandeinlage wird es sehr viele Situationen geben, Zystozele bei denen einer Patientin nicht mehr geholfen werden kann Bei paravaginalem Defekt mit Levatordefekten weisen die vagi-
(z. B. wenn mit Eigengewebe allein keine Stabilisierung mehr nalen Netzkits bei Zystozele eine bessere objektive und subjek-
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tive Heilungsrate als die Diaphragmaplastik auf, dies jedoch nalen Netzeinlagen auf die Möglichkeit der Verschlech-
III ohne positive Auswirkungen auf die Lebensqualität. Die vagina- terung der Sexualfunktion aufmerksam gemacht werden.
len Netze führten in 3,5% der Fälle zu Blasenläsionen. Die
Revisionsrate wegen Netzexposition lag bei 3% (3). Withagen Praktische Aspekte
verglich ebenfalls Diaphragmaplastik mit Netzkit und fand zwar Entscheidet sich ein/eine OperateurIn für die Verwendung
bei der subjektiven Heilungsrate keine Unterschiede, es gab eines Netzes, sollten folgende Kriterien berücksichtigt werden:
jedoch signifikant häufigere Reoperationen wegen Rezidivdes- I nach Möglichkeit ausgeschöpfte konservative Vorbehand-
zensus nach Diaphragmaplastik. Mit 17% war die Expositions-
lung
rate in dieser Studie relativ hoch, die Revisionsrate nach I Leidensdruck der Patientin muss vorhanden sein
Netzexposition lag bei 6% (4). 7 Jahre nach abdominaler I Berücksichtigung operationstechnischer Details:
Netzeinlage lag die Komplikationsrate bei 16,7%, wobei 5,1%
– gute vorausgehende Östrogenisierung
auf Netzkomplikationen zurückzuführen waren (10).
– spannungsfreie Einlage
Bei der Diaphragmaplastik wie auch bei ventralen Netzeinlagen
– möglichst kleine Inzisionen
sollte eine gleichzeitige apikale Fixation zur Sicherung des mitt-
– keine Verbindung von Netz- und Hysterektomie-Inzision
leren Kompartiments erwogen werden, wenn das mittlere (api-
– dicke Vaginalhautschicht über dem Mesh
kale) Kompartiment ebenfalls deszendiert.
– Verwendung von makroporösen, monofilen Polypropylen-
netzen (Typ I)
Zystozele
I situationsgerechte präoperative Diagnostik
Bei der Zystozele ist sich die Fachwelt einig, dass im primären I umfassende Aufklärung der Patientin
Fall die Rektozelenkorrektur mit einer Kolpoperineoplastik und I sorgfältige Nachkontrolle und Führung bis zur Beschwerde-
ohne Levatornähte hohe Heilungsraten um 90% zeigt (1). Die
freiheit.
Anwendung von Netzen ist routinemässig nicht angezeigt, weil
die Komplikationsrate von 6 bis 12% Expositionen (11) im Rezidivrisiko
Vergleich dazu nicht vertretbar ist. Netze sollten hier erst im Richtig indiziert und technisch gut angewendet, kann mit einer
Rezidivfall zur Anwendung kommen.
Netzanwendung das Rezidivrisiko verringert, die Funktionalität
Auf den Einsatz von biologischen Implantaten soll im hinteren verbessert werden oder erhalten bleiben und die Komplika-
Kompartiment aufgrund fehlender Vorteile verzichtet werden. tionsrate minimiert werden. Die richtige Indikation ist ein wich-
tiger Faktor. Studien haben gezeigt, dass es Faktoren gibt, die
Hysterektomie versus Uteruserhaltung
ein Rezidiv begünstigen; aus anatomischer Betrachtung ist dies
Bei fehlender Uteruspathologie kann auch bei entsprechendem die Kombination Zystozele mit apikalem Defekt (12).
Wunsch der Patientin ein uteruserhaltendes Verfahren ange- Weitere, unter Experten anerkannte Risiken sind: höhergradige
boten werden. Optionen sind die vaginale sakrospinale Senkungen (Grad III), der Rezidivdeszensus selbst, Adipositas,
Hysteropexie, die laparoskopische oder offene Sakrohystero- chronisch obstruktive Lungenerkrankung sowie hohe körperli-
pexie mit Netzinterposition sowie die Fixation des Uterus an che Belastung.
den Sakrouterinligamenten (AWMF-Leitlinien).
Wir nehmen an, dass Netze auch in Zukunft ihren Platz haben
Konsequenzen für die Praxis
werden. Die Warnung der FDA darf nicht dazu führen, dass die sorgfältige Erforschung und Anwendung der netzunterstützten
Netzeinlagen bei Senkungen müssen auch weiterhin kritisch Senkungsoperationen verlassen wird. Wir erachten es aber als
indiziert eingesetzt werden. Das gilt für vaginale und laparo- wertvoll, dass die internationale Diskussion angeregt wurde und
skopische Netze. Die Sakrokolpopexie ist zwar ein gut unter- daraus wieder eine weitere Verbesserung der Senkungschirur-
suchtes und etabliertes Verfahren, ist aber nicht für jede Frau gie bewirkt werden kann.
geeignet und vor allem bei Rezidivoperationen anspruchs-
voll. Rezidivoperationen sollten erfahrenen Zentren vorbehal- Wie weiter mit den Netzen?
ten sein. Generell muss der/die AnwenderIn von Netzen Folgende Aufgaben und Ziele sind zur Optimierung der netz-
einen hohen Informationsstand aufweisen. Neben den basierten Senkungsoperationen anzustreben:
Kenntnissen zu den Materialien muss er/sie ein umfassendes I Standardisierung der Publikationen zu subjektiven und
Verständnis von Anatomie und Funktion haben, um die
objektiven Messtechniken von Anatomie, Funktion, Erfolg
Auswirkungen seines Handelns auf Kontinenz, Miktion,
von netzunterstützten Senkungsoperationen. Die Lernkurve
Defäkation, Kohabitation und Deszensusbeschwerden
der involvierten Operateure muss deklariert sein.
abschätzen zu können. Das Risiko-Nutzen-Verhältnis einer I Publizieren von Langzeitdaten nach Netzanwendung
Mesh-Anwendung muss ihm/ihr bewusst sein, denn wir I Nutzen-Risiko-Modell entwickeln, welches die Wirksamkeit
bewegen uns im Spannungsfeld zwischen Rezidivrisiko und
mit dem Risikopotenzial und der Schwere von Komplikatio-
Komplikationsrate. Der/die OperateurIn muss sorgfältig
nen ausbalanciert – Ziel: Beratung der Patientinnen
abwägen, ob eine Netzanwendung gegenüber der klassi- I Rezidivrisiken der nicht netzbasierten Senkungsoperationen
schen Operation klare Vorteile bringt. Er/sie muss in der Lage
mit hohem Evidenzgrad identifizieren, welche eine
sein, der betroffenen Frau diese Zusammenhänge adäquat
Netzimplantation sinnvoll machen
und verständlich aufzuzeigen. Patientinnen müssen vor vagi-
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I Kontraindikationen von Netzanwendungen mit hohem Evidenzgrad identifizieren
I Weitere Verbesserung des Implantationsmaterials. Das Material der Netze unterscheidet sich zurzeit nicht bei den verschiedenen Einlagetechniken. Entwicklungen, welche die subjektiven und objektiven Outcomeparameter mit grosser Wahrscheinlichkeit günstig beeinflussen, werden erwartet (13).
I Urogynäkologische Weiterbildungszentren mit hohem CaseLoad sind zu fördern.
Schlussbemerkung
Von einer unkritischen Anwendung von Netzen muss abgeraten werden. Die Netze bleiben aber eine Option zur operativen Korrektur der Senkung, am besten belegt bei der Sakrokolpopexie, bei höherem Rezidivrisiko auch bei der vaginalen Korrektur der Zystozele, nicht aber bei der primären Rektozele. Moderne vaginale Netze sind vor allem bei älteren Patientinnen, nach Voroperationen, Adhäsionssitus und bei
Adipositas per magna zu empfehlen. Anwender müssen kontinuierlich dafür sorgen, die neuen Daten zu kennen. Entscheidend sind fundierte Ausbildung und Schulung an zertifizierten Weiterbildungszentren. Gutes operatives Training, genügend Erfahrung sowie die Kompetenz, Komplikationen beheben zu können, sind die Voraussetzungen für eine gute Patientinnenbetreuung. Die verständliche, sorgfältige Aufklärung der Patientin, sorgfältige Nachkontrollen und die fachgerechte Dokumentation sind unabdingbar. Das gilt nicht nur für netzunterstütze Operationen, sondern für alle Prolapsoperationen.
Datum dieses Expertenbriefs: 7. Dezember 2018
Literatur bei den Autoren.
Deklaration von Interessenkonflikten: G. Schär: AMI (Vorträge, Schulungen), Karl Storz (Consultant) A. Kuhn: keine. C. Betschart: keine. P. Dällenbach: keine. V. Viereck: Astellas (Advisory Board). D. Faltin: keine.
* Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der Therapieangaben
Evidenzlevel Ia Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten
Untersuchungen Ib Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte
Untersuchung IIa Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte
Studie ohne Randomisierung IIb Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere quasiexpe-
rimentelle Studie III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht
experimentell sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfahrung anerkannter Fachleute
Empfehlungsgrad
A Es ist in der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein muss, mindestens eine randomisierte, kontrol-
lierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete
Empfehlung bezieht (Evidenzlevel Ia, Ib).
B Es sind zum Thema der Empfehlung gut kontrollierte, klinische Studien vorhanden, aber keine randomisierten, klinischen
Untersuchungen (Evidenzlevel IIa, IIb, III).
C Es ist Evidenz vorhanden, die auf Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen basiert und/oder auf der klinischen
Erfahrung von anerkannten Fachleuten. Es sind keine qualitativ
guten, klinischen Studien vorhanden, die direkt anwendbar sind
(Evidenzlevel IV).
Good-Practice-Punkt
Empfohlene Best Practice, die auf der klinischen Erfahrung der
Expertengruppe beruht, die den Expertenbrief/die Guideline
herausgibt.
Übersetzt aus dem Englischen (Quelle: RCOG Guidelines Nr. 44, 2006)
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