Transkript
MEDIEN ■ MODEN ■ MEDIZIN
Paradoxer Effekt bei chronischer Herzinsuffizienz:
Hoher Blutdruck — guter Blutdruck?
Der systolische Blutdruck (BD) hat den grossen Vorteil, dass er im Gegensatz zu Echokardiografie oder Belastungstest sehr einfach und ohne weiteres auch wiederholt über längere Zeit zu messen ist. Damit wäre er ein recht idealer Prognoseindikator bei Herzkranken. Bei Patienten mit akuter Herzinsuffizienz ist klar, dass ein tiefer systolischer BD mit höherer Mortalität assoziiert ist. Prospektive Daten bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz sind hingegen spärlich. Britisch Kardiologen haben sich der Frage nach der prognostischen Relevanz jetzt mit einer in der Zeitschrift «Heart» veröffentlichten Studie angenähert. Sie fanden zehn Studien, die ihren Einschlusskriterien entsprachen, mit gut 8000 Patienten und nahezu 30 000 Patientenjahren Follow-up. Alle Studien zeigten, dass ein höherer systolischer BD bei chronischer Herzinsuffizienz ein günstiger prognostischer Marker ist – ganz im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung, wo er eine ungünstigere Prognose anzeigt. Statistisch war in der Population mit chronischer Herzinsuffizienz ein 10 mmHg höherer systolischer BD mit einer 13,0 Prozent (95%-Konfidenzin-
tervall 10,6–15,4%) tieferen Mortalitätsrate assoziiert, und diese Beziehung war unabhängig von Ätiologie oder von der (blutdrucksenkenden) Behandlung mit ACEHemmern oder Betablockern. Die Autoren sehen in ihrer Beobachtung auch Potenzial für die ambulante Evaluation von Herzinsuffizienzpatienten. Keineswegs soll dies bedeuten, dass auf blutdrucksenkende Medikamente bei chronischer Herzinsuffizienz verzichtet werden soll. Vielmehr bietet die paradoxe Beziehung des systolischen BD mit der chronischen Herzinsuffizienz eine indirekte Stütze für das Konzept der kardialen Resynchronisationstherapie. Nach dieser systematischen Review lässt sich ein Anstieg des systolischen BD auf-
grund der Resynchronisation (oder der
Optimierung der Herzstimulation) viel eher
als günstiges Zeichen einer verbesserten
Auswurfleistung interpretieren und ist kein
Alarmzeichen. Dies widerspricht bis zu
einem gewissen Grad dem heutigen Kar-
diologenmotto «nur ein tiefer Blutdruck ist
ein guter Blutdruck» und bedarf der Ab-
stützung durch prospektiv auf diese Frage-
stellung hin erhobene Daten.
■
H.B.
C.E. Raphael et al.: Quantifying the paradoxical effect of higher systolic blood pressure on mortality in chronic heart failure. Heart 2009; 95: 56—62. DOI: 10.1136/hrt.2007.134973
Ebenfalls mit der Bedeutung des systolischen Blutdrucks befasst sich ein Beitrag auf S. 112f. in diesem Heft.
Cochrane-Analyse: (Schein-)Akupunktur ist bei Migräne wirksam
Die Akupunktur gehört zu den alternativen Heilverfahren, die auch in der sogenannten Schulmedizin einen guten Ruf geniessen. Und das offenbar nicht zu Unrecht. Schon 2004 hatten Ergebnisse der German Acupuncture Trials (Gerac) für Furore gesorgt. Damals stellte sich heraus, dass die Nadelung nach der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) bei Patienten mit Knie- und Kreuzschmerzen gut und anhaltend wirksam ist. Jetzt zeigt eine Cochrane-Metaanalyse von Klaus Linde vom Zentrum für naturheilkundliche Forschung an der Technischen Universität München, dass Akupunktur auch zur Vorbeugung von Spannungskopfschmerz und Migräne hilft. Wie seinerzeit in den Gerac-Studien bestätigte
sich aber zugleich, dass Akupunktur auch dann wirkt, wenn die Nadeln nicht an den klassischen Akupunkturpunkten gesetzt werden («Scheinakupunktur»). Klaus Linde hat insgesamt 33 Studien mit 6736 Patienten auswertet. Patienten, die über mindestens acht Wochen Akupunktursitzungen absolvierten, litten demnach seltener unter Kopfschmerzen als Patienten, denen nur Schmerzmittel verordnet wurden. Bei Migränepatienten erwies sich die Akupunktur sogar der medikamentösen Behandlung überlegen. Die Scheinakupunktur lieferte der Analyse zufolge nur geringfügig schlechtere Ergebnisse als die klassische Nadelungstechnik. «Die Akupunktur hat einen starken Plazeboeffekt,
die spezifischen Nadelungspunkte spielen
wahrscheinlich eine viel geringere Rolle als
es die Akupunkteure bislang annahmen»,
meint Linde. Seiner Auffassung nach ist die
Akupunktur eine gute Alternative für Pa-
tienten, die dem Verfahren positiv gegen-
über stehen und nicht medikamentös be-
handelt werden möchten. Ein Vorteil der
Akupunktur bestünde in dem geringen
Nebenwirkungsrisiko. Unklar sei noch, wie
lange die Wirkung anhalte und ob in der
Technik trainierte Akupunkteure womög-
lich doch bessere Ergebnisse erzielten als da-
rin ungeübte Mediziner. Die Studie ist in der
Cochrane Database of Systematic Reviews
(www.cochrane.org) nachzulesen.
■
U.B.
92 ARS MEDICI 3 ■ 2009